Leiharbeit als Corona-Problem?
Im Interview: Birgit Schrattbauer
Juli 2020
In Österreich gibt es aktuell rund 71.000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. Gesundheitsminister Rudolf Anschober will sie „flächendeckend“ auf das Coronavirus testen. Mit der Aktion sollen Corona-Cluster-Bildungen wie zuletzt im Post-Verteilzentrum verhindert werden.
Warum waren ausgerechnet die Post-Verteilzentren in Wien und Niederösterreich bzw die Schlachthöfe in Oberösterreich Ausgangspunkt von Corona-Clustern?
Ich kenne die Ereignisse rund um die angesprochenen Corona-Cluster selbst nur aus den Medien und kann somit zu den Ursachen der Konzentration von Corona-Erkrankungen in diesen Betrieben nicht viel sagen. In den einschlägigen Berichten wurde allerdings ein Zusammenhang mit dem hohen Anteil von Fremdpersonal in den betroffenen Betrieben hergestellt. So soll es sich etwa bei 50% der in den Post-Verteilzentren beschäftigten Personen um Leiharbeitskräfte handeln – und dies nicht erst, seit der Arbeitsaufwand coronabedingt gestiegen ist. Dahinter steht ein genereller, sehr kritisch zu bewertender Trend – Leiharbeit wird in zunehmendem Ausmaß nicht mehr nur zur Abfederung von Auftragsspitzen bzw zur Kompensation von vorübergehendem Personalausfall eingesetzt, sondern als Instrument der strategischen Unternehmensführung genutzt. Die Stammbelegschaft wird mittels enger Headcount-Vorgaben soweit wie möglich reduziert und ein erheblicher Teil des Beschäftigungsrisikos durch den Einsatz überlassener Arbeitskräfte externalisiert.
Ob ein hoher Leiharbeiteranteil auch für die betroffenen oberösterreichischen Schlachthöfe charakteristisch ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Bekannt ist aber, dass im Fleischverarbeitungsbereich – bedingt durch den immensen Preisdruck – in hohem Ausmaß ausländisches Personal eingesetzt wird. Dieses wird entweder unmittelbar von den Schlachthöfen angestellt oder aber es übernehmen zB ungarische Subunternehmen mit ihren eigenen Arbeitskräften ganze Arbeitsvorgänge innerhalb der österreichischen Schlachthöfe. Somit gibt es in dieser Branche einen hohen Anteil ausländischer Arbeitskräfte, die zur Verrichtung ihrer Tätigkeit wochenweise nach Österreich pendelt. Kommunikationsschwierigkeiten, aber auch mangelhafte Unterkünfte könnten Ansteckungsketten begünstigen.
Haben Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sowie Scheinselbständige grundsätzlich ein größeres Corona-Risiko?
Es ist sicher nicht richtig, in Pausch und Bogen von einem erhöhten Corona-Risiko bei Leiharbeitskräften zu sprechen. Leiharbeitskräfte sind keine homogene Beschäftigtengruppe, der Bogen spannt sich von Hilfskräften bis zu hoch qualifiziertem Personal, von nur ganz kurzfristig im Beschäftigerbetrieb eingesetzten Arbeitskräften bis hin zu mehrjährigen Dauerüberlassungen, von Gelegenheitsarbeitskräften neben Haushalt oder Ausbildung bis zu hauptberuflich Tätigen, die häufig darauf hoffen, über den Umweg der Arbeitskräfteüberlassung in eine Fixanstellung wechseln zu können. Im Hinblick auf das Corona-Risiko könnten sich zum einen jene Einsätze als problematisch erweisen, die von vornherein auf eine nur ganz kurze Dauer angelegt sind. Nach wie vor dauern ca 70% aller Überlassungen kürzer als einen Monat. Diese Leiharbeitskräfte sind für die Belegschaftsvertretungen der Beschäftigerbetriebe besonders schwer zu erreichen. Wechseln erkrankte Personen in neue Betriebe, so erhöht das die Anzahl möglicher Kontaktpersonen. Zum anderen kann auch die geringe Arbeitsplatzsicherheit in der Leiharbeitsbranche negative Auswirkungen nach sich ziehen.
Das AÜG trifft zwar auf unterschiedlichen Ebenen Vorkehrungen, um eine Synchronisation von Arbeitsvertrags- und Überlassungsdauer zu verhindern – das AÜG geht erkennbar von der Idee aus, dass durch Arbeitskräfteüberlassung vorübergehende Einsätze in unterschiedlichen Betrieben zu einem einheitlichen, durchgehenden Arbeitsverhältnis gebündelt werden sollen. De facto bedeutet das Ende des Einsatzes im Beschäftigerbetrieb aber in sehr vielen Fällen, dass auch das Arbeitsverhältnis mit dem Überlasser beendet wird. Die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes könnte dazu verleiten, trotz auftretender Krankheitssymptome weiterhin zur Arbeit zu gehen – was dann bei hoch ansteckenden Krankheiten wie Corona nicht nur für den einzelnen Betroffenen fatale Folgen nach sich ziehen kann. Ein noch größeres Problem ist dieser Zwang zur Selbstausbeutung bei Scheinselbständigen, die sich einen Ausfall durch Krankheit oft schlicht nicht leisten können.
Wie sollten Unternehmen reagieren, sind Direktanstellungen die Lösung für die Misere?
Arbeitskräfteüberlassung hat sich als Mittel zur Abdeckung von Auftragsspitzen und zu Vertretungszwecken durchaus bewährt und die österreichischen Regelungen des AÜG bieten – so sie tatsächlich eingehalten und nicht umgangen werden – auch weitgehend adäquaten Schutz für die überlassenen Arbeitskräfte sowie für die Stammbelegschaften in den Betrieben. In diesem klassischen Einsatzbereich wird eine Direktanstellung durch den Beschäftigerbetrieb im Wege eines kurzen, befristeten Vertrages nicht unbedingt Vorteile bieten. Geht es aber um Dauerarbeitsplätze, so ist aus Sicht des Arbeitsrechts klar für eine Direktanstellung zu plädieren. Der Gesetzgeber hat hier bislang zu wenig unternommen, um diesem Strukturwandel in der Arbeitskräfteüberlassung entgegenzuwirken.
Leiharbeitsfirmen rücken in den Testfokus. Die zuständige Leiharbeiter-Gewerkschaft ProGe lehnt präventive Massentests kategorisch ab. Gewerkschafter Thomas Grammelhofer sieht eine ganze Berufsgruppe „als Seuchenvögel der Nation“ verunglimpft und spricht von „unterster Schublade“ der politischen Debatte. In einem Betrieb nur Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zu testen hält er für diskriminierend. (Kurier, 03.07.2020) Was sagt die aktuelle Rechtslage dazu?
Da es sich bei den Corona-Testungen um staatlich angeordnete Maßnahmen handelt, wäre diese Vorgangsweise am verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz zu messen. Eine Ungleichbehandlung ist nur dann verfassungskonform, wenn es dafür eine ausreichende sachliche Begründung gibt. Für ein gezieltes Testen (nur) von überlassenen Arbeitskräften müsste man also jedenfalls belastbare Hinweise haben, dass sich gerade im Leiharbeitssektor die Ansteckungen häufen bzw dass hier ein erhöhtes Krankheitsrisiko besteht. Zielführender würde es mir allerdings erscheinen, in diesem Fall auf ein gezieltes Testen von Betrieben/Branchen mit hohem Fremdpersonalanteil und nicht auf ein Herauspicken nur der überlassenen Arbeitskräfte zu setzen.
Bedarf es Ihrer Meinung nach Gesetzesänderungen im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung, auch bedingt durch die Corona-Krise? Wenn ja, welche?
Die Corona-Krise zwingt im Bereich Arbeitskräfteüberlassung nicht unbedingt zu konkreten Gesetzesänderungen, es zeigen sich aber in diesem Zusammenhang einmal mehr die Schwachstellen im österreichischen Recht der Arbeitskräfteüberlassung. Im internationalen Vergleich erweisen sich die Regelungen unseres AÜG als vergleichsweise streng und in vielen Bereichen sogar als vorbildlich, dazu kommt ein starker Kollektivvertrag für überlassene Arbeiterinnen und Arbeiter, der ein hohes Schutzniveau garantiert.
Einen zentralen Problembereich stellt aber zum einen die nach wie vor hohe Beschäftigungsunsicherheit dar. Die Sorge vor einem Arbeitsplatzverlust kann davon abhalten, die eigentlich zustehenden Rechte in Anspruch zu nehmen. Insofern wären konsequentere Regelungen zur Unterbindung eines Gleichlaufs zwischen Arbeitsvertrags- und Überlassungsdauer wünschenswert. Zum anderen hat sich der Gesetzgeber bislang aus meiner Sicht viel zu wenig um das Problem von Dauerüberlassungen gekümmert. Dabei denke ich nicht nur an erweiterte Gleichstellungspflichten, auch das „Verstecken“ von (Fremd-)Personalkosten in den Sachausgaben ist problematisch, da es Anreize für ein Ausweichen auf Leiharbeit in Bereichen setzt, für die diese besondere Beschäftigungsform – jedenfalls nach dem Willen des historischen Gesetzgebers des AÜG – nicht gedacht war.
Univ.-Ass. Dr. Birgit Schrattbauer
Universitätsassistentin (post doc) am Fachbereich Arbeits- und Wirtschaftsrecht sowie am WissensNetzwerk Recht, Wirtschaft und Arbeitswelt der Paris-Lodron-Universität Salzburg
Foto: Birgit Schrattbauer/© privat