Berufs- und Standesrecht rücken weiter in den Fokus

Im Interview: Gernot Murko und Bettina Nunner-Krautgasser

November 2022

Gernot Murko und Bettina Nunner-Krautgasser leiten das neue Forschungszentrum für Berufsrecht (ZBR) an der Uni Graz, das ein noch junges Forschungsfeld in den Fokus stellt: das sogenannte Berufs- und Standesrecht. Im Verlag Österreich geben sie nun auch einen Kommentar zum "Anwaltlichen und notariellen Berufsrecht" heraus, der einen innovativen Ansatz verfolgt.

Interview: Yvonne Sattler

Foto: vlnr Gernot Murko, Bettina Nunner-Krautgasser/©Universität Graz

Ein wesentlicher Schwerpunkt der aktuellen Forschungstätigkeiten des Forschungszentrums für Berufsrecht (ZBR) liegt auf den Bestimmungen zur höchst brisanten und wissenschaftlich bislang noch zu wenig analysierten Querschnittsmaterie Geldwäsche. Die Anti-Geldwäsche-Bestimmungen für Rechtsanwält*innen sorgen regelmäßig für Aufregung in der Branche. Warum?

Die Umsetzung der EU-Geldwäscherichtlinien sorgt nicht nur für Unmut bei Rechtsanwält*innen, sondern auch bei Notar*innen, Steuerberater* innen und Wirtschaftsprüfer* innen. Denn erstmals besteht eine gesetzliche Verpflichtung der Berufsangehörigen, ihre Klient*innen an Strafverfolgungsbehörden zu melden. Ergänzt werden diese Bestimmungen durch Auskunftspflichten an die Geldwäschemeldestelle beim Bundeskriminalamt.

Die den einzelnen Berufsgruppen zukommenden Verschwiegenheitspflichten werden dabei massiv eingeschränkt. Bei Verstößen drohen Rechtsanwält*innen Disziplinarstrafen bis zu einer Million Euro sowie die Veröffentlichung auf der Website der Rechtsanwaltskammer. Wir sind bisher davon ausgegangen, dass der Pranger abgeschafft ist. Diese massiven Einschränkungen des Klient*innenrechts auf Verschwiegenheit sind unseres Erachtens nicht tolerabel.

Unser Forschungsschwerpunkt stützt sich darauf, dass der Geldwäsche im universitären Bereich bisher zu wenig Raum gegeben wurde. Wir wollen auch den Studierenden an unserer Fakultät die Möglichkeit bieten, sich mit dem brisanten Thema Geldwäsche auseinanderzusetzen. Gerade im Bereich des Bankwesens kann ihnen dies für ihre berufliche Zukunft nur von Nutzen sein.

Ihre Forschungstätigkeiten werden auch von Publikationstätigkeiten begleitet. Ende des Jahres erscheint der Praxiskommentar „Anwaltliches und notarielles Berufsrecht“, den Sie beide herausgeben. Was ist der innovative Ansatz bei diesem Werk?

Der Praxiskommentar hat gleich zwei innovative Ansätze: Einerseits wurde er von führenden Praktiker* innen für Praktiker*innen geschrieben und weist eine Unzahl von Praxistipps auf. Außerdem haben viele Präsident*innen von Rechtsanwaltskammern, Disziplinarratspräsident*innen, Kammeranwält*innen und andere herausragende Vertreter*innen des anwaltlichen Berufsrechts mitgewirkt.

Innovativ ist andererseits auch, dass anwaltliches Berufsrecht und notarielles Berufsrecht in einem Band angeboten werden. Unserer Ansicht nach gewinnt das notarielle Berufsrecht immer mehr an Bedeutung: Der Notariatsakt wird im Zivil- und Gesellschaftsrecht, aber auch im Erbrecht immer wichtiger. Wie er ausgestaltet ist, welche Fehler hierbei geschehen und wie man einen Notariatsakt vollstreckbar machen kann, wird in unserem Praxiskommentar von führenden Praktiker*innen des Notariats dargelegt. Gerade erbrechtliche Fragen werden von Jurist*innen immer häufiger zu beantworten sein.

Dieser Teil bildet einen Mehrwert für alle, die sich mit Zivil- und Gesellschaftsrecht beschäftigen und ein entsprechendes Nachschlagewerk benötigen. Die Kommentierungen zum notariellen Berufsrecht richten sich somit an jene Jurist*innen, die sich mit Fragen in diesem Bereich auseinandersetzen. Dies geht weit über den Kreis des Notariates hinaus.

Zum Wandel im anwaltlichen Berufsbild: Welchen aktuellen Herausforderungen und zukünftigen Entwicklungen müssen sich Rechtsanwält*innen stellen?

Das anwaltliche Berufsbild wird sich auch in Hinkunft an den Core Values der Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und Freiheit von Interessenskollisionen zu orientieren haben.

Die Stellung der Rechtsanwält*innen in der Rechtsordnung hat sich nicht verändert. Sie stehen auf der Seite ihrer Klient*innen, um deren Rechte vor Gerichten und Verwaltungsbehörden, insbesondere auch aber gegenüber dem Staat geltend zu machen.

Es wird wichtig sein, dass die hervorragende Ausbildung des Berufsnachwuchses aufrecht bleibt. Gleichzeitig werden Rechtsanwält* innen mit dem niederschwelligeren Rechtsberatungsbereich konfrontiert werden; dies stellt jedoch eher eine Chance als eine Gefahr dar: Niederschwellige Angebote werden den Markt nach Rechtsberatung erweitern. Rechtsanwält*innen werden ihre Qualifikation durch intensive Fortbildung stetig aufrechterhalten müssen, um qualifiziert bei Rechtsberatung auch nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg zu haben.

Anwaltliches und notarielles Berufsrecht

Ein Muss für alle Rechtsanwält*innen und Notar*innen

Praxiskommentar
Bereits erschienen

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2021 gab es zB in Wien 3537 eingetragene Anwält*innen, davon waren aber nur 955 Frauen. An den juristischen Fakultäten schließen jedoch gleich viele Männer wie Frauen ihr Studium ab, an manchen sind es sogar mehr Frauen als Männer. Bei den Anwärter*innen zeigt sich ein ähnliches, ein ausgeglichenes Bild. Von den etwas mehr als 1390 Anwärter* innen waren fast gleich viele Männer (694) wie Frauen (700) (Quelle: RAK Leistungsbericht 2021). Warum ist es gerade der Anwaltsberuf, in dem Frauen so schwer Fuß fassen können? Welchen Beitrag kann die Wissenschaft hier zu einer positiveren Entwicklung in der Praxis leisten?

Warum Frauen im Anwaltsberuf schwer Fuß fassen können, wird wohl die zuständige Standesvertretung beantworten müssen. Wir können mit unserer Publikations- und Veranstaltungstätigkeit im Rahmen des Forschungszentrums für Berufsrecht hierzu nur einen Beitrag leisten, indem wir uns auch mit der sozial- und versorgungsrechtlichen Stellung der Berufsangehörigen beschäftigen. Das Sozialrecht der freien Berufe ist jedoch sehr zersplittert.

Wir möchten gerade mit der Kommentierung des § 53 RAO durch Koch und Utudjian im Rahmen unseres neuen Praxiskommentars einen wesentlichen Beitrag zur Auffindbarkeit des anwaltlichen Sozialrechts leisten – ein Beitrag, der hoffentlich viele Frauen ermutigt, den Anwaltsberuf zu ergreifen!

Univ.-Prof.in Dr.in Astrid Deixler-Hübner
leitet das Institut für Europäisches und Österreichisches Zivilverfahrensrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Sie ist Partnerin internationaler Forschungsprojekte – z.B. dem DACH Projekt über familiäre Vermögensplanung – sowie Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Familien- und Vermögensrecht (ogfv).

Mag.iur. Mariella Mayrhofer, MA
ist als Juristin für Rechtsschutz und Öffentlichkeitsarbeit im Gewaltschutzzentrum OÖ zuständig. Sie hat ua. in mehreren Arbeitsgruppen der Task Force Strafrecht - Kommission Opferschutz & Täterarbeit im Innenministerium mitgewirkt.