Kein Gerichtsverfahren, sondern politische Kampfveranstaltung
Im Interview: Walter Pilgermair
Feber 2023
Mit der Einführung des Minderheitsrechts sind Untersuchungsausschüsse (UA) verstärkt zu einer politischen Kampfveranstaltung geworden. Walter Pilgermair, Verfahrensrichter des ersten UA nach der Novelle 2014 – dem Hypo-Alpe-Adria-UA – sieht die Zuspitzung gelassen als Ausdruck lebendiger Demokratie und plädiert für Vorsicht bei der Fortschreibung der Verfahrensordnung. Etwa die Rolle des Verfahrensrichters bzw der Verfahrensrichterin würde er dennoch aufwerten, zum Beispiel bei der Befragung von Auskunftspersonen. Mit dem nun erschienenen Sammelband zum parlamentarischen UA will Pilgermair eine multiperspektivische Betrachtung dieses wichtigen Kontrollinstruments und seiner Weiterentwicklung beisteuern.
Interview: Roman Tronner
Fotos: vlnr Roman Tronner, Walter Pilgermair
Herr Dr. Pilgermair, was hat Sie veranlasst, diesen Sammelband herauszugeben?
Pilgermair: Ein Untersuchungsausschuss ist etwas ganz anderes als ein Gerichtsverfahren, insbesondere als eine strafgerichtliche Hauptverhandlung. Der Untersuchungsausschuss ist zwar ebenfalls eine Untersuchung, aber grundlegend eine politische Veranstaltung. Auf Grund der stark unterschiedlichen Zielsetzungen ist auch die Verfahrensordnung eines Untersuchungsausschusses eine ganz andere, sie teilt den Playern ganz andere Rollen und Kompetenzen zu. So ist etwa der Verfahrensrichter während der Untersuchung im Wesentlichen nur ein Beratungsorgan. Am Ende stehen dann zumeist sehr unterschiedliche politische Bewertungen und Empfehlungen da.
Es ist zu beobachten, dass sich die Ausschüsse doch in die Richtung des politischen Hickhacks und auch eines raueren Umgangs mit den Auskunftspersonen zuspitzen. Das zeigt sich auch in der Medienberichterstattung, wobei ich meine, die mediale Berichterstattung funktioniert im Großen und Ganzen in Österreich sehr gut. Da entstehen dann auch negative Bilder des Untersuchungsausschusses. Für uns interessierte Staatsbürger*innen ist das bis zu einem gewissen Grad enttäuschend, weil der Ausschuss von seiner Anlage her ja auch für die Bürgerin, den Bürger als Informationschance sehr wichtig ist. Daher wollte ich möglichst viele Perspektiven auf das Thema Untersuchungsausschuss im Sammelband vertreten haben, jene der Betroffenen, der Durchführenden, der juristischen Expert*innen und Entscheidungsträger aus dem Verfassungsgerichtshof, der Beratenden, der Wissenschaft und auch der Medien.
Sie haben den Unterschied zwischen Strafprozess und Untersuchungsausschuss angesprochen. Sie sehen bei letzterem die zunehmende Zuspitzung. Woher kommt diese?
Ein Untersuchungsausschuss ist vom politischen Wettkampf geprägt, er ist eine politische Kampfveranstaltung. Der jüngste, nun abgeschlossene Untersuchungsausschuss[1] hat gezeigt, dass es hier offenbar einen koalitionsfreien Raum zwischen den Koalitionspartnern in der Regierung gibt. Das bestätigt die Sicht auf den Untersuchungsausschuss als beinharten Wettbewerb. Ich halte es für sehr wertvoll, dass der Bürger, die Bürgerin durch die mediale Berichterstattung Einblick in wichtige politische Vorgänge bekommt. Natürlich könnte man sich auch die Protokolle, verfügbar auf der Website des Parlaments, durchlesen, was aber sehr viel mühsamer ist.
Ein Untersuchungsausschuss ist vom politischen Wettkampf geprägt, er ist eine politische Kampfveranstaltung.
Sie sprechen den möglichen koalitionsfreien Raum an: Werner Zögernitz fordert in seinem Aufsatz, der im UA primär belasteten Partei die gesetzliche Möglichkeit einzuräumen, mit einem Viertel der Mitglieder des Geschäftsordnungsausschusses (GO) den Untersuchungsgegenstand beim VfGH auf Verfassungsgemäßheit prüfen zu lassen. Das ist bisher nicht vorgesehen. Da beim jüngsten UA die Grünen im GO nicht mitgingen, gab es keine Mehrheit für eine Ablehnung und daher keine Prüfmöglichkeit.
Das ist durchaus zu überlegen. Bruno Binder und ich treten in unserem Beitrag auch für eine Stärkung der Minderheitsrechte ein.
Aber all das ließe sich doch relativ einfach in der Verfahrensordnung festlegen.
Ja, aber es muss immer mitbedacht werden: Was ist, wenn ich in eine andere oder in die gegenteilige Position komme. Daher muss es aus meiner Sicht das Interesse geben, nicht alles bis ins letzte Detail einseitig zu regeln, sondern eine gewisse ausgewogene Gestaltungsmöglichkeit zu haben. Das erinnert mich an die bereits seit sehr vielen Jahrzehnten bestehende Diskussion um einen von der politischen Weisungsspitze unabhängigen Generalstaatsanwalt. Manche Parteien haben das in der Opposition gefordert, und als sie dann Regierungsfunktion hatten, waren sie dagegen. Die aktuelle eigene Position bestimmt die geäußerte Meinung halt maßgeblich mit. Aber am Ende langer Diskussionen kommen erfreulicherweise doch immer wieder tragfähige Kompromisse heraus.
Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Christoph Grabenwarter, drückt das am Ende seines Beitrags zum Thema Pflicht der Aktenvorlage mit Blick auf die Rolle des VfGH treffend aus: Es sei richterliche Vorsicht geboten, die offen ist für Weiterentwicklungen der parlamentarischen Auseinandersetzung, die heute noch nicht absehbar sind. Das empfiehlt sich aus meiner Sicht auch für die Weiterentwicklung der Verfahrensordnung für UA. Eine gewisse Elastizität ist nützlich. Wenn ich von der Regierung in die Opposition wechsle, will ich ja auch wirksame Kontrolle ausüben können. Deshalb treten Bruno Binder und ich auch für eine Stärkung der Minderheitsrechte ein.
Könnte es sein, dass der Gesetzgeber mit dem Minderheitsrecht solche Weiterentwicklungen bzw Konstellationen wie den besprochenen koalitionsfreien Raum und die folglichen Zuspitzungen nicht bedacht hat?
Das glaube ich nicht. Die Weiterentwicklung im Jahre 2014 war damals der größtmögliche gemeinsame Nenner. Ich war 2015/2016 der erste Verfahrensrichter eines Minderheits-Ausschusses und betone immer, dass diese Novelle für mich ein demokratiepolitischer Meilenstein ist und sich auch bewährt hat. Ich halte das im Gesamten nach wie vor für eine gelungene Regelung. Das ändert aber nichts daran, dass Bruno Binder und ich als Autoren mehrere Vorschläge zur Weiterentwicklung gemacht haben, etwa das Gefüge Vorsitz und Verfahrensrichter betreffend, allerdings keine grundlegenden Veränderungen.
Kommen wir damit zur Vorsitzführung. Werner Zögernitz plädiert für einen Vorsitz durch den oder die Verfahrensrichter*in. Sie sind für die Beibehaltung des Vorsitzes durch den oder die Präsidenten/in des Nationalrats. Warum?
Der UA ist eine hochpolitische Veranstaltung, daher soll auch der Vorsitz meiner Meinung nach unbedingt von einem Politiker, einer Politikerin geführt werden. Diese Forderung kam zuletzt, als Probleme der Befangenheit aufgetaucht sind, als der Vorsitzende selbst befragt werden sollte. Da wären Befangenheitsregeln wünschenswert, zum Beispiel durch eine Vorsitz-Vertretung. Das, was Binder und ich als Autoren vorschlagen, ist: Der Verfahrensrichter soll aufgewertet, aus seiner bisherigen intransparenten Beratungsfunktion herausgelöst und mit eigenverantwortlichen begründungspflichtigen Entscheidungen im Beweisverfahren betraut werden. Die Entscheidungen des Verfahrensrichters sollen auf Antrag eines Viertels der Ausschussmitglieder mit Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof – ohne aufschiebende Wirkung – anfechtbar sein. Übrigens: Streitfälle, wo man den Vorsitz wegen Befangenheit weghaben will, würden aus meiner Sicht mit diesem Entwicklungsvorschlag, dem Verfahrensrichter bei der Befragung mehr Rechte einzuräumen, zumindest beträchtlich wegfallen.
Oftmals angesprochen als Schwachpunkt der Verfahrensordnung ist das Thema Entschlagung der Aussage. Was könnte hier gesetzlich verbessert werden?
Entschlagungsrechte sind rechtsstaatlich unverzichtbar. Es wird auch in sehr vielen Fällen der Entschlagung zugestimmt, aber der Punkt ist: Es ist von Fall zu Fall konkret zu prüfen und nicht einfach reflexartig eine Frage sofort für nicht zulässig zu erklären. Es bedarf der fallbezogenen, nachvollziehbaren sachlichen Begründung.
Man könnte, und das ist unser Vorschlag, diese Entscheidung einer versierten Fachkraft übergeben, also zum Beispiel einer ehemaligen Richterin oder einem Richter, und diese das alleinverantwortlich durchführen lassen, denn das ist eine rechtstechnische Angelegenheit: Also die Prüfung der Zulässigkeit von Fragen an Auskunftspersonen und die Prüfung, ob man ein Entschlagungsrecht hat und welche Fragen man gelten lässt. Allerdings mit verpflichtender Begründung, die anfechtbar ist, aber ohne aufschiebende Wirkung. Das haben wir jetzt ja noch nicht. Dann hätte man auch eine verlässliche Orientierung durch den Spruch des Höchstgerichts. Das würde auch einem rechtsstaatlichen Instanzenzug entsprechen. Und das wäre für mich ein starkes Plus für die Verfahrensordnung.
Entschlagungsrechte sind rechtsstaatlich unverzichtbar.
In der Praxis der Ausschüsse wurde offenbar der Verfahrensrichter nicht immer so ernst genommen. Eduard Strauss drückt das aus. Wie könnte man das verhindern und diese Rolle aufwerten?
Ich habe schon als Verfahrensrichter im Hypo-UA erfolglos angeregt, einen Sachverständigen zu bestellen und umfangreiche Ermittlungen in einem besonderen Fall an einen unabhängigen Ermittlungsbeauftragten aus dem UA auszulagern, um deren Dauer zu verkürzen. Die Verfahrensordnung sieht das ja bereits vor. Aber der Verfahrensrichter ist da nur beratende Person. Das sollte auch gar nicht geändert werden. Unser einziger Änderungsvorschlag dazu ist, dass der Verfahrensrichter nicht nur Vorschläge für Sachverständigengutachten oder für eine/n Ermittlungsbeauftragte/n machen kann, sondern machen muss. Aber: Man würde mit Sachverständigengutachten freilich Politiker*innen die politische Bühne etwas verkleinern. Ohne ein allenfalls der eigenen Position entgegenstehendes Gutachten kann man der konträren Position einer anderen Partei oder des Verfahrensrichters in seinem Berichtsentwurf am Ende des UA leichter entgegentreten.
Im Sammelband auch viel diskutiert ist die erweiterte Öffentlichkeit eines UA. Sie und viele andere fordern zum Beispiel eine Live-Übertragung von Befragungen. Birgt das nicht auch das Risiko weiterer Zuspitzungen?
Diese Sorge teile ich nicht, weil ich meine, dass dadurch eine gewisse Disziplinierung eintreten würde. Bei der Live-Übertragung weiß ich, dass ich auf meine Wortwahl mehr achten muss und nicht zu aggressiv oder gar verächtlich agieren darf. Man kann Wortwahl, Mimik und Gestik live miterleben oder nachschauen und sich so ein umfassenderes persönliches Bild von den Befragenden machen. Ich glaube an die disziplinierende Wirkung, weil Politiker*innen ja auch von den Bürger*innen wieder gewählt werden wollen.
Parlamentarischer Untersuchungsausschuss
Kritische Beiträge zur Weiterentwicklung der Praxis und Verfahrensordnung von U-Ausschüssen
Sammlung
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Würde mehr mediale Öffentlichkeit der Befragungen nicht zulasten der Berichterstattung über die eigentlichen Ergebnisse des UA gehen?
Das befürchte ich nicht. Es kann sogar durchaus das Gegenteil der Fall sein. Dass das Ende des Untersuchungsausschusses im Vergleich zur Berichterstattung über einzelne Befragungen nicht so ausführlich im Mittelpunkt der Öffentlichkeit steht, ist doch bedauerlich. Der Ausschussbericht über den Ausgang und die Ergebnisse der Untersuchung mitsamt den Empfehlungen zur Vermeidung von Fehlern und zur Weiterentwicklung von Organhandeln, die unterschiedlichen Fraktionsberichte sowie die dazu eingebrachten Stellungnahmen sind ja als das Ergebnis des UA auch für die Bürger*innen sehr informativ. Diese Berichterstattung sollte nicht zu kurz kommen. Es wäre auch demokratiepolitisch wünschenswert, wenn die Öffentlichkeit einen UA nicht nur viele Monate primär als politische Show, Hickhack und Tribunal wahrnimmt, sondern am Ende des UA auch umfänglich angemessen den sachlichen Output.
Thema Verhältnis Untersuchungsausschuss – Strafrecht. Hier kommt in den Aufsätzen ua der Vorwurf, die Praxis des UA breche mit der Gewaltenteilung. Sie treten dafür ein, dass Auskunftspersonen auch bei strafgesetzlicher Verdachtslage verpflichtend aussagen müssen und fordern eine Art Kronzeugenregelung. Sollte man UA und strafrechtliche Verfahren nicht strikt trennen?
Eine ganz spannende Frage. Und wieder eine, wo es Rechtsgüter von hohem Rang gegeneinander abzuwägen gilt und ein Kompromiss zu suchen ist. Die Prüfung des Verdachts, dass jemand sich strafrechtlich etwas zuschulden kommen hat lassen, ist in unserer Rechtsordnung ein hochrangiges Rechtsgut. Keiner ist vor dem Gesetz anders als der andere. Das zweite hochrangige Rechtsgut heißt demokratische Kontrolle und Information. Es ist zu untersuchen, was die Regierung und ihre Verwaltung getan haben. Und als Bürger*in möchte ich wissen, wie es hier wirklich zugegangen ist. Nun gibt es Forderungen, zuerst das Strafverfahren und dann erst den Untersuchungsausschuss durchzuführen, damit sich niemand als Auskunftsperson von Antworten entschlagen kann. Aber da gibt es ein gewichtiges Gegenargument: Wenn man betrachtet, wie lange manche Strafverfahren dauern, auch solche gegen frühere Politiker, wo schon beim Ermittlungsverfahren kein Ende abzusehen ist, wenn man sieht, wie lange das Hauptverfahren dauern kann, wie viele Instanzen durchwandert werden bis es zu einem rechtskräftigen Urteil kommt, dann zeigt sich, es dauert insgesamt oft viele, mitunter sogar sehr viele Jahre. Da braucht dann ein Untersuchungsausschuss nicht mehr durchgeführt werden, weil kein Interesse mehr da ist und vermutlich eine andere Regierung im Amt. Daher bin ich grundsätzlich für die Parallelität von Strafverfahren und Untersuchungsausschuss.
Wegen der hohen Wertigkeit der erwähnten beiden Prinzipien muss sorgsam abgewogen werden. Der Kronzeugenstatus wäre genau zu regeln und würde ja nicht sofort zur Straffreiheit führen. Man könnte mit einer Kronzeugenregelung in besonders wichtigen Fällen ein relevantes Plus an Sachinformationen erlangen. Eine solche Regelung könnte zur rascheren Aufklärung von Vorgängen im exekutiven Bereich beitragen und auch dazu, Missstände bereits im Parlament vollständiger zu klären. Deshalb sollte hier der demokratiepolitischen Kontrolle und der Information der Bürger*innen der Vorrang eingeräumt werden.
Daher bin ich grundsätzlich für die Parallelität von Strafverfahren und Untersuchungsausschuss.
Und Sie glauben, dass es hier keine Vermengung der Gewalten gibt und eine solche Regelung vor dem VfGH hält?
Es ist keine Vermengung, es ist eine Abwägung. Wir haben in vielen Fällen eine Mehr- oder Wenigerbetonung verschiedener staatstragender Prinzipien. Nichts ist bei solchen Abwägungen in allen Details in Stein gemeißelt. Der Vorschlag, dass der UA-Vorsitz von einem Verfahrensrichter übernommen wird, könnte ja auch als eine starke Aufweichung der Gewaltenteilung gesehen werden. Ein reines Parlamentsrecht, wo das Parlament ohne ausreichenden rechtsstaatlichen Rahmen im Mittelpunkt steht, wollen wir als Bürger*innen aber auch nicht.
Interessensabwägungen sind auch beim Persönlichkeitsschutz vorzunehmen, so wie das Christoph Herbst in seinem Beitrag diskutiert, auch mit Blick auf die Verwendung von Chats. Ebenso bei der Frage des Umfanges der von den vorlagepflichtigen Organen vorzulegenden Akten. Wie Christoph Grabenwarter ausführt, müssen die angeforderten Akten oder Unterlagen für den Untersuchungsgegenstand abstrakt relevant sein. Diese potentielle Relevanz wird dann bejaht, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass die geforderten Akten und Unterlagen der Erfüllung des dem UA mit dem Untersuchungsgegenstand übertragenen Kontrollauftrages dienen können. Das halte ich für eine gute Lösung, die freilich der im UA angegriffenen Regierung ein Dorn im Auge sein kann. Ein Beispiel mehr für konträre Interessenslagen im UA.
Neben Weiterentwicklung der Verfahrensordnung nennen viele Autor*innen die Praxis als Feld von Verbesserungen des UA. Was müsste aus Ihrer Sicht zentral passieren, um das Verhalten von UA-Mitgliedern zu verbessern und so den Tribunalcharakter zurückzudrängen?
Grundsätzlich wird sich das nicht ändern lassen, weil ein UA ein politischer Wettbewerb ist. Da kann man versuchen zu motivieren, die Tonalität zu mildern, es für die Auskunftspersonen erträglicher zu machen. Bloße berufsethische Appelle nützen aber nichts. Auch die Rückkehr in das renovierte Parlament wird daran trotz aller Appelle nichts ändern. Man muss bei den oft konträren Wahrnehmungen und Erklärungen von Mitgliedern des UA immer den zugrunde liegenden Wettbewerb Regierung-Opposition im Auge behalten. Man wird den UA nicht in eine nur sachlich und höflich geführte Diskussion von Expert*innen oder in eine Gerichtsverhandlung verwandeln können und dies auch nicht anstreben sollen.
Eine Verbesserung kann man meiner Meinung aber erreichen, wenn man maßvolle kleine Veränderungsschritte setzt. Ein solcher Schritt wäre, wie Binder und ich das diskutiert haben, die Auslagerung der Zulässigkeit oder Nicht-Zulässigkeit von Fragen vom Vorsitz hin zum Verfahrensrichter. Dieser sollte auch länger befragen dürfen. Die Fraktionen haben ihren eigenen Befragungsplan, springen zwischen verschiedenen Themen stark herum, was auch zum Eindruck eines mitunter chaotischen Ablaufs beiträgt. Dazu kommt, dass die verteidigende Fraktion die Befragung in die Länge ziehen und auch Unwesentliches fragen wird. Die offensive Opposition wird sich hingegen auf die für sie günstigen Angriffspunkte konzentrieren. Daher sollte der Verfahrensrichter vorab die Fraktionen nach deren Prioritäten befragen und selbst länger befragen dürfen, um die Sache in ein objektiveres Licht zu setzen. Freilich kann man das aus der Sicht des Parlamentarismus auch anders sehen und fordern, auf das Fragerecht des Verfahrensrichters oder der Verfahrensrichterin zu verzichten. Dadurch würde zwar die politische Bühne vergrößert werden, aber um den Preis des Wertes der objektiven, nicht Parteiinteressen folgenden Erstbefragung durch den Verfahrensrichter.
Das bestätigt: Ein UA ist eine politische Veranstaltung und kein Gerichtsverfahren. Das soll der UA auch bleiben, aber gewisse rechtsstaatliche Weiterentwicklungen würde das Instrument vertragen.
[1] Anmerkung: Untersuchungsausschuss betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder (ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss)
Dr. Walter Pilgermair, MSc
war Richter und Staatsanwalt, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Linz und zuletzt Präsident des Oberlandesgerichtes Innsbruck. Im richterlichen Ruhestand gilt sein Interesse auch den Untersuchungsausschüssen. Er war 2015/2016 Verfahrensrichter im parlamentarischen Hypo-Untersuchungsausschuss und 2020/2021 Verfahrensrichter im Commerzialbank-Untersuchungsausschuss des Burgenländischen Landtages.