Wir feiern 100 Jahre B-VG

Im Interview: ZöR Herausgeber András Jakab & Sebastian Schmid

September 2020

Anfang des Jahres haben András Jakab und Sebastian Schmid (beide Professor an der Uni Salzburg) die Herausgeberschaft der ZöR – Zeitschrift für öffentliches Recht, die sie selbst als „Ozeanriesen“ bezeichnen, übernommen. Am 25. März wollten sie ihre erste Ausgabe, die dem Thema „100 Jahre B-VG“ gewidmet ist, im Verfassungsgerichtshof präsentieren. Leider musste die Veranstaltung wegen Corona abgesagt werden.

Wir haben die beiden Neo-Herausgeber gefragt, wie sie ihre Rollen anlegen, welche Pläne und Ziele sie für die ZöR haben und ob Österreich nach 100 Jahren Bundesverfassungsgesetz eine neue Verfassung braucht.

Foto: András Jakab & Sebastian Schmid/© privat  

Vor kurzem haben Sie beide die Herausgeberschaft der Zeitschrift für öffentliches Recht übernommen. Wie sehen Sie Ihre eigenen Rollen in der traditionsreichen Geschichte dieser Zeitschrift?

András Jakab: Die Zeitschrift für öffentliches Recht ist seit ihrer Gründung 1914 ein Forum für den österreichischen und den internationalen rechtswissenschaftlichen Diskurs. Es ehrt uns, diese Tradition weiterführen zu dürfen. Insbesondere für die hervorragende Arbeit unserer unmittelbaren Vorgänger, Stefan Griller und Benjamin Kneihs, möchten wir uns auch hier bedanken. Die ZöR war schon immer mit einer bestimmten österreichischen Denktradition verbunden, mit der ich mich auch persönlich verbunden fühle. Vor 25 Jahren habe ich österreichisches Verfassungsrecht von Friedrich Koja in Salzburg gelernt, seitdem habe ich extensiv zur Reinen Rechtslehre, Normentheorie und Rechtstheorie veröffentlicht, teilweise auch in der ZöR selbst. In meiner Zeit in Deutschland wurde mir noch klarer, dass das österreichische Rechtsdenken ganz anders ist als das deutsche. Die ZöR hat unter anderem die Aufgabe, dieses Rechtsdenken zu pflegen, wie es auch in unserem Jubiläumsheft zu „100 Jahre B-VG“ in mehreren Beiträgen ganz charakteristisch hervorkommt. Eine Tradition lebt aber nur, wenn sie immer wieder neue Denkanstöße und Irritationen erhält, und wir möchten natürlich auch in dieser Hinsicht unseren Beitrag leisten.

Eine Tradition lebt nur dann, wenn sie immer wieder neue Denkanstöße und Irritationen erhält

Sebastian Schmid: Wir haben die ZöR im Vorwort zu Heft 1/2020 mit einem Ozeanriesen verglichen. Über die Jahrzehnte hat sich die Zeitschrift in Inhalt und Form etabliert. Für schnelle Wendungen ist sie nicht geeignet. Das ist auch gut so. Insofern wollen wir erst einmal den Kurs halten. Die bereits vorgenommenen und noch geplanten Neuerungen zielen vor allem darauf ab, die ZöR als modernes, innovationskräftiges Medium zu präsentieren. Es geht hier um die Online-Verfügbarkeit älterer Ausgaben und gezielte Sonderhefte zu aktuellen Themen. Dies alles ist letztlich vom Gedanken getragen, dass die ZöR für die österreichische Rechtswissenschaft identitätsstiftend ist und, wenn man so will, ein gemeinsames Gut darstellt. Unsere Aufgabe ist, ihr Gedeihen eine Zeit lang zu begleiten und zu fördern.

Was ist die spezifische Rolle der Zeitschrift für öffentliches Recht im internationalen und österreichischen Diskurs?

András Jakab: Anders als vor 100 Jahren muss man heute, wenn man am internationalen Diskurs teilnehmen möchte, Beiträge auf Englisch veröffentlichen. Dementsprechend möchten wir auch die Zweisprachigkeit (Deutsch-Englisch) beibehalten und in der Zukunft sogar noch mehr internationale Beiträge in der ZöR sehen. Um dies zu erreichen, haben wir den internationalen Beirat stark erweitert. Wir haben auch initiiert, dass die ZöR bis zu ihrer Gründung 1914 vollständig digitalisiert und in der internationalen Datenbank HeinOnline zugänglich gemacht wird. Den deutschen Titel behalten wir so, wie er bisher war, um allerdings Eindeutigkeit im internationalen Verkehr zu schaffen, haben wir den englischen Titel um das Wort „Austrian“ ergänzt, also „Zeitschrift für öffentliches Recht – Austrian Journal of Public Law“.

Sebastian Schmid: Aus Sicht der österreichischen Rechtswissenschaft hat die ZöR sicherlich eine Sonderstellung dahingehend, dass sie Raum für Diskussionen über die Grundlagen des Rechts bietet. Wir sehen das aber nicht als Theorielastigkeit, vielmehr braucht es dieses Wissen über die Grundlagen des Rechts, um die in der Praxis aufkommenden Detailfragen beantworten zu können. Wir sehen die ZöR als Medium für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Praktikerinnen und Praktiker.

Was sind die Pläne, die Sie seit Beginn Ihrer Herausgeberschaft mit der Zeitschrift für öffentliches Recht verfolgen?

Sebastian Schmid: Einiges davon haben wir bereits genannt, etwa die weitere Digitalisierung älterer Jahrgänge oder die Stärkung der internationalen Ausrichtung. Weiters haben wir am Review-Prozess gefeilt. Der Fokus ist nun gezielter darauf gerichtet, dass durch die Begutachtung eines Beitrags dessen Qualität gesteigert wird. Der Review-Prozess soll ein positives Verfahren mit konstruktiven Verbesserungsvorschlägen und Anregungen sein und kein Richten über andere. Die Verantwortung für die Veröffentlichung eines Beitrags liegt allein bei den Herausgebern.

András Jakab: Wir planen in Zukunft eine Reihe an Sonderheften. Das jüngste Beispiel ist jenes zum Thema „Aktuelle Herausforderungen für die österreichische Verfassungsstaatlichkeit“, das als Heft 3/2020 erschienen ist. Im nächsten Jahr werden dann die Ergebnisse des österreichischen Völkerrechtstags erscheinen. Auch englischsprachige Sonderhefte sind in Planung, etwa zum Einfluss des B-VG in anderen Ländern oder zum Verhältnis der Rechtsdogmatik und Empirie im Bereich der richterlichen Unabhängigkeit. Ein auf einer Rundfrage basierendes Sonderheft zu den gelungensten und misslungensten Erkenntnissen des VfGH seit 1920 ist ebenfalls schon in Vorbereitung.

Das erste Heft unter Ihrer Herausgeberschaft war dem Thema „100 Jahre B-VG“ gewidmet. Das war gewissermaßen der Startschuss für umfangreiche Feierlichkeiten in diesem Jubiläumsjahr. Kann man ein Resümee ziehen? Denken Sie, dass Österreich nach 100 Jahren eine neue Verfassung braucht?

Sebastian Schmid: Das Festheft war für uns ein überaus gelungener Start der Herausgeberschaft. Wir möchten uns an dieser Stelle nochmals sehr herzlich bei den Autorinnen und Autoren für Ihre Mitwirkung bedanken! Ziel war es, das B-VG in einen Gesamtkontext zu setzen, es aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven zu betrachten. Es ging also bewusst darum, die Detailprobleme einmal in den Hintergrund zu stellen und stattdessen die großen Zusammenhänge aufzuzeigen. Bei der Lektüre der Beiträge zeigt sich sehr gut, worin die Stärken und Schwächen dieser Verfassungsurkunde liegen.

András Jakab: Ein konkretes Ergebnis ist aus meiner Sicht, dass das B-VG zwar keine perfekte, aber dennoch eine sorgfältig geplante und erfolgreiche Verfassung ist. Das Scheitern des B-VG zwischen den zwei Weltkriegen ändert nichts an diesem Befund, sondern war wohl, vereinfacht ausgedrückt, das Ergebnis einer mission impossible. Gerade der Österreich-Konvent bzw sein Scheitern im Hinblick auf seine ursprünglichen Ziele hat gezeigt, dass Österreich keine neue Verfassung braucht. Die Diskussion über eine neue Verfassung selbst finde ich schädlich, da sie die Autorität der Verfassung untergräbt.

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