Nachhaltigkeitsrecht Kolumne #15
Der Tanz der europäischen Nachhaltigkeitsgesetzgebung: Zwei Schritte vor, einer zurück
Mai 2025
Die Europäische Nachhaltigkeitsgesetzgebung steht vor einer Zeitenwende: Während bisher das Prinzip „je mehr, desto besser“ zu dominieren schien, gilt nunmehr „weniger ist mehr“. Tatsächlich stellt die Flut von europäischen Nachhaltigkeitsgesetzen, hier seien vor allem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD),[1] die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD),[2] die Offenlegungs-VO (SustainableFinance Disclosures Regulation, kurz SFDR)[3] und die Taxonomie-VO[4] genannt, die direkt und indirekt erfassten Rechtsträger vor kaum zu bewältigende Anforderungen.
Text: Julia Told
Die Kolumne ist Teil des Editorials der Fachzeitschrift "Nachhaltigkeit. Zeitschrift für das Recht der nachhaltigen Entwicklung", Ausgabe 1/2025.

Aufgrund ihres unsystematischen und komplexen Regelungsansatzes wurde die europäische Nachhaltigkeitsgesetzgebung wohl zu Recht sowohl von der Praxis als auch von der Wissenschaft stark kritisiert. Ernsthaft neue Impulse setzte aber erst Mario Draghi, unter anderem ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank, mit seinem Bericht „The future of European competitiveness“.[5] In diesem verweist er auf die Notwendigkeit, die europäische Innovationslücke zu schließen, um die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Dazu müssten auch unnötige bürokratische Hürden abgebaut werden: „The problem is not that Europe lacks ideas or ambition. [...] But innovation is blocked at the next stage: we are failing to translate innovation into commercialisation, and innovative companies that want to scale up in Europe are hindered at every stage by inconsistent and restrictive regulations.“
Diese Einschätzung ist nunmehr bis in das Herz der Europäischen Kommission durchgedrungen, weshalb Ursula von der Leyen in ihrer Budapester Erklärung vom November 2024 ankündigte, dass zahlreiche Europäische Nachhaltigkeitsrechtsakte in einem schlankeren und abgestimmten Omnibus- Rechtsakt zusammengeführt werden sollen. Das betrifft neben der CSDDD und der CSRD insbesondere die SFDR und die Taxonomie-VO. Entsprechend wird im Kompass Wettbewerbsfähigkeit vom 29. Jänner 2025 programmartig festgehalten, dass sich die Europäische Union in der neuen Legislaturperiode auf die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft fokussieren wird. Als Hemmschuh für diese wird insbesondere der bürokratische Aufwand im Nachhaltigkeitsbereich erkannt. Dieser Befund wird durch eine Umfrage der Universität Innsbruck unter 900 österreichischen Unternehmer*innen zur CSDDD zumindest unterstrichen: Von den 42 Unternehmer*innen, die auf die Frage „Ist die CSDDD aus ihrer Sicht mit einem übermäßigen Bürokratieaufwand verbunden?“ rückgemeldet haben, haben 88 % mit „ja“ geantwortet.
Die Ziele der europäischen Nachhaltigkeitsgesetzgebung werden durch diese Bürokratiekritik nun aber nicht weniger gewichtig. Es wird daher Aufgabe der neuen Kommission sein, die Nachhaltigkeitsziele mit der Notwendigkeit eines guten Nährbodens für Unternehmer*innentum in Europa abzustimmen. Unzweifelhaft ist nämlich, dass das Verfassen von Berichten noch keine Werte schöpft und weder die Umwelt noch die Menschenrechte gesichert verbessert.
Es wird daher Aufgabe der neuen Kommission sein, die Nachhaltigkeitszielemit der Notwendigkeit eines guten Nährbodens für Unternehmer*innentum in Europa abzustimmen.
Tatsächlich können Berichtspflichten nur dann ihre Ziele erreichen, wenn die Adressat*innen die bereitgestellten Informationen auch verarbeiten können; das scheint nicht gesichert. Vielmehr scheinen die ausufernden Datenpunkte eher auf künstliche Intelligenzen zugeschnitten. Hierzu stehen tiefere Untersuchungen aus. Jedenfalls erhöht der „Trickle-Down-Effekt“ die Organisationskosten von kleineren unternehmerischen Strukturen, die in die Aktivitätskette oder die Wertschöpfungskette erfasster Rechtsträger eingebunden sind. Ihre Energie sollte sich jedoch auf die Wertschöpfung fokussieren. Zu wenig Augenmerk wurde bisher darauf gelegt, ob die umfassenden Berichtspflichten die unternehmerische Innovationskraft auch lähmen könnten. Das scheint nunmehr in den europäischen Kreisen zumindest für kleinere Strukturen unzweifelhaft. Es überrascht daher nicht, dass der am 22. Februar 2025 geleakte Vorschlag eines ersten Omnibus-Rechtsakts nicht nur den Anwendungsbereich der CSRD mit jenem der CSDDD gleichschaltet, sondern auch die Reichweite der Sorgfaltspfl ichten in der Aktivitätskette sowie der Berichtspflichten in der Wertschöpfungskette stark reduziert. Eine Systematisierung der Begriffsfl ut im Nachhaltigkeitsbereich wird jedoch (noch) nicht geleistet. Hätte der europäische Gesetzgeber von Anfang an auf systematischere und verständlichere Rechtsakte gesetzt, hätte er vielleicht einen Teil des nunmehr aufgegebenen Anwendungsbereiches der nachhaltigkeitsrechtlichen Richtlinien erhalten können: Menschenrechte und Umweltschutzpfl ichten sollten der Wirtschaft nicht nachgereiht werden, sonder mit dieser sinnvoll abgestimmt werden. Das wird sich als eine der zentralen Aufgaben für die aktuelle Legislaturperiode erweisen.
[1] RL 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. ABl L 2022/322, 15.
[2] RL 2024/1760 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 über die Sorgfaltspflichten von
Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 und der Verordnung
(EU) 2023/2859, ABl 2024/1760, 1.
[3] Verordnung meint VO 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, ABl L 2019, 317, 1.
[4] VO (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines
Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, ABl L 2020/198, 13.
[5] Siehe https://commission.europa.eu/topics/eu-competitiveness/draghi-report_en?prefLang=de&etrans=de (24. 2.
2025).
Julia Told
Professorin für Privates Recht der Wirtschaft am Institut für Unternehmens- und Steuerrecht der Universität Innsbruck