Nachhaltigkeitsrecht Kolumne #2
Politische Ansprüche, Chancen und Versäumnisse
Dezember 2021
Im ersten Editorial unserer Zeitschrift haben wir uns neben der naheliegenden Einstiegsfrage „Was ist Nachhaltigkeitsrecht?“ auch mit der Rolle Österreichs als „Nachhaltigkeitslabor“ auseinandergesetzt. Erstmalig in Europa setzte sich eine bürgerlich-grüne Koalition ein Regierungsprogramm mit Zielen, die über die Vorgaben der Europäischen Union hinausgehen. Nachhaltigkeit bildet damit in Österreich das Fundament sämtlicher Politik-Säulen.
Text: Markus P. Beham und Berthold Hofbauer

In Deutschland sorgt der aktuelle Koalitionsvertrag der „Ampelkoalition“ für Beachtung und qualifiziert den Klimaschutz ausdrücklich als Jahrhundertherausforderung, die sich nicht in einem einzelnen Ressort festmachen lässt. Als „Querschnittsaufgabe“ sollen künftig Gesetze auf ihre dahingehende Wirkung überprüft werden. Es findet sich somit erstmals in einem europäischen Regierungsprogramm ein genuiner nachhaltigkeitsrechtlicher Anspruch wieder: eine ganzheitliche Betrachtung des Rechts als Instrument zur Umsetzung politischer Zielsetzungen, quer durch sämtliche rechtlichen Einzelmaterien.
Vor diesem Hintergrund haben wir in unserem ersten Heftzyklus zunächst auch der österreichischen Spitzenpolitik in unserem „Forum“ Raum gegeben, ihre persönliche Vision für Österreich vorzustellen, um zusätzliche Impulse für den nachhaltigkeitsrechtlichen Ansatz zu gewinnen. Diese müssen jetzt mit konkreten Inhalten in ganzheitlichen Umsetzungsmodellen auch verwirklicht werden. Leider fehlt es bis dato an Maßnahmen mit ausschlaggebendem Lenkungseffekt. Die gesetzten Schritte in Österreich sind noch zu zögerlich und überwiegend symbolischer Natur – auch wenn die österreichischen Vorzeigeprojekte „Klimaticket“ oder „100% Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030“ durchaus als wichtige Erfolge gewertet werden dürfen. Wie CO2-Neutralität darüber hinaus in einem Europa ohne Atomenergie zu bewältigen sein wird oder welche Rolle der Wasserstoff zwischen fossiler Energie und elektrischen Antrieben tatsächlich einnehmen kann, entbehrt hingegen noch einer lösungsgesteuerten Antwort.
Dass der Umweltschutz weiterhin als ein Abwägungsgrund unter vielen in politische Entscheidungen eingestellt wird, ist aus nachhaltigkeitsrechtlicher Sicht methodisch nicht haltbar.
Dass der Umweltschutz weiterhin als ein Abwägungsgrund unter vielen in politische Entscheidungen eingestellt wird, ist aus nachhaltigkeitsrechtlicher Sicht methodisch nicht haltbar. Es darf daher auch nicht verwundern, dass Österreich im aktuellen Klimaschutz-Index die Bewertung „schlecht“ erhält und um einen weiteren Platz nach hinten gerutscht ist. Die Spitze bildet interessanterweise Dänemark und somit ein Land, das in Größe und Bevölkerung durchaus mit Österreich vergleichbar erscheint.
Constant Trial and Error
Der Begriff des „Nachhaltigkeitslabors“ muss daher verstärkt als aktiver Testmarkt für die „trial and error“-Methode verstanden werden. So ambitioniert die bis 2030 festgesetzten Ziele der SDGs sind, so „zahnlos“ sind die damit verbundenen (bloß freiwilligen) Berichtspflichten. Diese Unverbindlichkeit ist eine der größten Herausforderungen bei der Umsetzung der Agenda 2030, wie sich an verschiedenen Defiziten und dem Hang zur Beleuchtung lediglich von Erfolgsgeschichten zeigt. Die bestehenden Berichtspflichten (sowohl von Staat als auch von Unternehmen) sollten allerdings ernst genommen werden und eine Nachjustierung zur optimalen Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele ermöglichen. Ernüchternd ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Österreich gemeinsam mit Bulgarien schlichtweg das Schlusslicht in der Europäischen Union zur freiwilligen Berichtslegung bildet.
Neben kritischen Blicken in die Vergangenheit ist aber vor allem der konstruktive Blick in die Zukunft essenziell: Die in Österreich nunmehr in Form gegossene Einführung einer CO2-Bepreisung ist beispielsweise ein besonders wichtiger und begrüßenswerter Meilenstein in der Umsetzung des europäischen Green Deals. Klar ist aber auch, dass die ökosoziale Steuerreform nur als erste Zwischenetappe einer fiskalischen (Neu-)Ausrichtung verstanden werden kann.
Vertikale Routen zur Nachhaltigkeit
Während wir diese Zeilen schreiben, geht in Glasgow die 26. Klimakonferenz der Vereinten Nationen, die COP 26, (zugleich das 16. Treffen zum Kyoto-Protokoll und das 5. Treffen zum Pariser-Klimaabkommen) zu Ende. Wenngleich die Ergebnisse hinter mancherlei Erwartungen zurückblieben, bleibt zu hoffen, dass die Staats- und Regierungschefs dies zum Anlass für eine neue Phase des verbindlichen Multilateralismus nehmen. Denn auf dem vorhergehenden G20-Gipfel konnten doch nur vage Verwendungszusagen erzielt werden. Immerhin hat sich Österreich nach erstem, kaum begreiflichem Zögern – und darauffolgendem medialem Negativecho – noch dazu durchgerungen, die Erklärung der High Ambition Coalition zu unterzeichnen.
Gerade wenn die Politik mit sich selbst beschäftigt ist, drohen Versäumnisse in der Bewältigung inhaltlicher Herausforderungen durch den Gesetzgeber. Im Mehrebenensystem ist eine Fortbewegung aber oftmals auch ohne die Sicherheit des „legislativen Seils“ möglich. Exekutive und Judikative können bereits heute in vielen Fragestellungen mit nachhaltigkeitsrechtlicher Methodik über den vertikalen Blick nach oben die notwendigen Kanten ergreifen, um den allenfalls fehlenden nationalen Tritt zu kompensieren. Dies freilich im steten Bewusstsein der Sorgfalt mit der die Abhänge rechtspolitischer oder rechtspositivistischer Bedenken zu überwinden sind.


Markus P. Beham
ist Habilitand an der Universität Passau am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht bei Prof. Dr. Hans-Georg Dederer und lehrt am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Universität Wien.
Berthold Hofbauer
ist Rechtsanwalt und Partner bei Heid & Partner Rechtsanwälte. Seine Spezialgebiete sind das Vergaberecht, das Nachhaltigkeitsrecht (Schwerpunkt: Green Public Procurement) und die Vergabe-Compliance. Weiters ist er Herausgeber der Zeitschrift für Nachhaltigkeitsrecht (NR).