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Nachhaltigkeitsrecht Kolumne #6

Menschenrechte

Jänner 2023

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen (Art 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte). Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung verkündet, die damit in 30 Artikeln ein von allen Völkern und Nationen zu erreichendes, gemeinsames Ideal feierlich proklamierte. Der nachhaltigkeitsrechtliche Keim der normativen Verankerung von Menschenrechten wurde in Österreich allerdings schon früher gesät. So wurde bereits im Allgemein Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) am 1. Jänner 1812 Folgendes festgehalten: „Jeder Mensch hat angeborne [sic!], schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey [sic!] oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet (§ 16 ABGB).“

Text: Berthold Hofbauer 

Diese für jedermann einleuchtenden, wunderbaren legislativen Errungenschaften sind Ausdruck eines humanistischen, sozialen Anspruchs der Gesetzgebung und zählen systematisch zum Nachhaltigkeitsrecht. Dass derartige nachhaltigkeitsrechtliche Bestrebungen – damals wie heute – erschreckend schwer zu stemmende Hürden sein können, zeigte sich bereits bei der Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948; immerhin acht Nationen (sechs davon im weltkriegsgebeutelten Europa) haben sich der Zustimmung enthalten: die Sowjetunion, die Ukraine, Weißrussland, Polen, die ČSSR, Jugoslawien, Saudi-Arabien und Südafrika.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat heuer zwar ihr 75-jähriges Jubiläum, wird allerdings noch immer an vielen Ecken und Enden der Welt – auch mitten in Europa – bedroht. Neben neuen kriegerischen Konflikten und anti-demokratischen Strömungen die sich gegen den Rechtstaat richten, ist vor allem das zunehmende Phänomen „Modern Slavery“ ein bedrückender Angriff auf die Menschenrechte, der – in den Worten der Allgemeinen Erklärung der Menschrechte – „das Gewissen der Menschheit mit Empörung“ erfüllen sollte. Ein Grund sich mit diesem Problem näher auseinanderzusetzen.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat heuer zwar ihr 75-jähriges Jubiläum, wird allerdings noch immer an vielen Ecken und Enden der Welt – auch mitten in Europa – bedroht

Phänomen „Modern Slavery“

Nach einem aktuellen Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, sind derzeit rund 27,6 Millionen Menschen weltweit in Zwangsarbeit beschäftigt; rund 3,3 Millionen davon sind Kinder (Tendenz steigend).

Als Zwangsarbeit definiert die ILO „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“ (Art 2 des Übereinkommens der ILO über Zwangs- oder Pflichtarbeit von 1930). Es sind davon alle Situationen umfasst, in denen Personen direkt (zB durch Gewaltanwendung, Gewaltandrohung, Einschüchterung) oder indirekt (zB durch manipulierte Schulden, Einbehaltung von Dokumenten/Ausweispapieren oder Androhung von Denunziation bei den Einwanderungsbehörden oder Strafverfolgungsbehörden) zur Arbeit gezwungen werden. Fest steht: Modern Slavery bzw Zwangsarbeit ist nach wie vor ein globales Problem.

Wirtschaftliches Handeln muss jedoch im Einklang mit den Menschenrechten stehen. Ausbeutung, Zwangs- und Kinderarbeit sind keine Geschäftsmodelle und insbesondere mit den europäischen Werten sowie der neuen, grünen EU-Handels- und Wachstumsstrategie nicht vereinbar.

Entwurf EU-Verordnung: Umfassendes Verbot von Produkten aus Modern Slavery

Die EU-Kommission hat daher im Schulterschluss zum Richtlinienvorschlag für eine Europäische Corporate Sustainability Due Diligence (Lieferkettensorgfaltspflicht) am 14. September 2022 einen Legislativvorschlag zum EU-Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit eingebracht („Regulation of the European Parliament and of the Council on prohibiting products made with forced labour on the Union market“).

Der Vorschlag der EU-Kommission beinhaltet das Verbot, Produkte, die in Zwangsarbeit – einschließlich Zwangsarbeit von Kindern – hergestellt werden, auf dem Unionsmarkt einzuführen, bereitzustellen, zu produzieren oder auszuführen. Es ist jedes Produkt umfasst, das „in Geld bewertet werden kann und als solches Gegenstand von Handelsgeschäften sein kann, unabhängig davon, ob es gewonnen, geerntet, erzeugt oder hergestellt wird, einschließlich der Be- oder Verarbeitung im Zusammenhang mit einem Produkt auf einer beliebigen Stufe seiner Lieferkette“ (Art 2 lit f. der Verordnung gegen Zwangsarbeit).

Wird Zwangsarbeit festgestellt, hat die – noch zu bestimmende – Behörde unverzüglich zu entscheiden, dass die betroffenen Waren nicht auf den Unionsmarkt in Verkehr gebracht bzw bereitgestellt und/oder ausgeführt werden. Sofern die betroffenen Waren bereits auf dem Unionsmarkt bereitgestellt worden sind, sind diese unverzüglich vom Unionsmarkt zu nehmen und/oder zu entsorgen. Leistet ein Unternehmen der Entscheidung der Behörde nicht Folge, ist zusätzlich sicherzustellen, dass jede noch beim Unternehmen verbleibende betroffene Ware auf eigene Kosten entsorgt wird (darüber hinaus können auch Strafen verhängt werden).

Ziel des Vorschlags ist es, den Verkauf von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten frei von ihrer Herkunft in einem ersten Schritt innerhalb der EU und in einem weiteren Schritt weltweit nachhaltig zu unterbinden.

Auswirkungen auf die Vergabepraxis

Darüber hinaus ist die öffentliche Hand aufgrund ihrer Vorbild- und Lenkungsfunktion nunmehr dazu angehalten, das derzeitige Einkaufs- und Konsumverhalten insofern zu ändern, als Produkte in all ihren Herstellungsphasen bestimmten Mindeststandards entsprechen müssen. Öffentliche Auftraggeber sind nach dem BVergG 2018 ohnehin bereits dazu verpflichtet, im Rahmen eines Vergabeverfahrens zu prüfen und sicherzustellen, dass die Verpflichtungen aus den Übereinkommen der ILO (Nr 29 „Zwangsarbeit“ und Nr 105 „Abschaffung der Zwangsarbeit“) eingehalten werden (§ 93 Abs 1 BVergG 2018). Eine Pflicht, andere an der Auftragserfüllung mittelbar Beteiligte (zB Lieferanten) bis hin zur Rohstoffgewinnung zu prüfen, bestand hingegen (noch) nicht.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Entwicklungen ist der öffentliche Einkauf jedenfalls gut darin beraten, im Rahmen eines Beschaffungsvorgangs auch die Einhaltung des Verbots gegen Zwangsarbeit zu prüfen und sicherzustellen. Neben einer vertraglichen Überbindung an den Bieter (samt Eigenerklärung) sollten Pönalen und außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten festgelegt werden. Auftragnehmer müssen wiederum (einmal mehr) ihre Subunternehmer und Lieferanten bis ins letzte Glied der Lieferkette kennen und entsprechende Maßnahmen zur Sicherstellung des Verbots gegen Zwangsarbeit setzen. Dabei können dem Auftraggeber auch Gütezeichen als Nachweis dafür vorgelegt werden, dass das Verbot gegen Zwangsarbeit erfüllt wird. Gerade bei Beschaffungen in kritischen Wirtschaftsbereichen, wie zB bei der Beschaffung von Textilprodukten, empfiehlt sich die zwingende Vorgabe von speziellen Gütesiegeln (wie zB die SA 8000-Zertifizierung oder das Fair Trade Siegel). Verlangt der Auftraggeber ein bestimmtes Gütezeichen, muss er allerdings auch alle vergleichbaren bzw gleichwertigen Gütezeichen anerkennen. Um dabei nicht in die Falle des „Greenwashings“ zu tappen, ist die nachhaltigkeitsrechtliche Auseinandersetzung mit derartigen Gütesiegeln erforderlich.

Nachhaltigkeit und Menschenrechte: Mutig in die neuen Zeiten

Nachhaltigkeit ist in ihrer ökologischen, sozialen und ökonomischen Ausprägung jedenfalls untrennbar mit den Menschenrechten verbunden (so zählt das Menschenrecht „Verbot von Sklaverei“ beispielswiese zur sozialen Nachhaltigkeit). Unklar wird es jedoch im Detail. Wie weit sind die Menschenrechte im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit auszulegen bzw zu verstehen? Sind beispielsweise Klimaschutz, eine intakte Umwelt oder saubere Luft (einklagbare) Menschenrechte? Zählen die SDGs oder die Ziele des Pariser Abkommens dazu? Zu berücksichtigen ist zusätzlich, dass der Staat bei (eingriffsintensiven) Klimaschutzmaßnahmen – selbst bei Bejahung als Menschenrecht – stets grundrechtliche Grenzen zu beachten hat.

Die aktuellen Entwicklungen bleiben mit Spannung abzuwarten. Der Zeitgeist und die lauter werdende Stimme der Wissenschaft sprechen jedoch eher für einen großzügigeren bzw mutigeren Ansatz. Ein Beispiel ist die jüngste Entscheidung des brasilianischen Bundesgerichtshofs, der nunmehr den Klimaschutz ausdrücklich als Menschenrecht anerkannt hat. Eine echte Neuheit im sich entwickelnden Feld der Klimaklagen. Eine Neuheit, die Mut macht.

Berthold Hofbauer

ist Rechtsanwalt und Partner bei Heid & Partner Rechtsanwälte. Seine Spezialgebiete sind das Vergaberecht, das Nachhaltigkeitsrecht (Schwerpunkt: Green Public Procurement) und die Vergabe-Compliance. Weiters ist er Herausgeber der Zeitschrift für Nachhaltigkeitsrecht (NR).

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