Nachhaltigkeitsrecht Kolumne #7

Akteure einer Rechtstransformation

Mai 2023

2023 läutet die Halbzeit der Agenda 2030 ein. Ein erstes vorläufiges Fazit aus völkerrechtlicher Perspektive lässt auf den ersten Blick wenig Grund für Freude aufkommen. Mehr als ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stellt der offizielle Bericht der Vereinten Nationen zu den Sustainable Development Goals[1] erstmals sogar signifikante Rückschritte in der Umsetzung des Entwicklungsprogramm fest. Generalsekretär Antonio Guterres spricht in diesem Zusammenhang von „cascading and interlinked global crises and conflicts“ und mahnt die internationale Gemeinschaft, ihre Bemühungen entschiedener und rascher zu verstärken. Die kausalen Querverbindungen zwischen Krieg und der Klima-, Wirtschafts- und Gesundheitskrisen mit der Entwicklungsagenda sind klar – nicht zuletzt betont die Präambel der Agenda 2030, dass „People – Planet – Prosperity – Peace – Partnership“ die zentralen Eckpfeiler einer nachhaltigen Zukunft darstellen. Wenn die internationale Gemeinschaft in einem dieser Felder versagt, so hat es unweigerlich Auswirkungen auf die anderen Bereiche.

Text: Jane A. Hofbauer

Die Kolumne ist Teil des Editorials der Fachzeitschrift "Nachhaltigkeit. Zeitschrift für das Recht der nachhaltigen Entwicklung", Ausgabe 1/2023.

Sustainable Degrowth

Letztlich bezieht sich dies auf die Frage, welche Schritte notwendig sind, um die erhoffte Transformation, die der Agenda 2030 zugrunde liegt, herbeizuführen. Wie in den Teilberichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) angeschnitten,[2] wächst der Zweifel, ob sich weiteres Wirtschaftswachstum innerhalb der planetaren Grenzen überhaupt bewerkstelligen lässt oder ob wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe nicht einen fundamentalen Systemwandel weg von Wachstum hin zu „sustainable degrowth policies“ benötigen. So zeigen kürzlich erschienene Studien[3] auf, dass ökonomische Steuerungsinstrumente wie CO2-Zertifikate in der gegenwärtigen Form keine effektive Veränderung von Verhaltensweisen bewirken, oder überhaupt wirkungslos sind. Viel mehr noch: Sie geraten zunehmend in Verruf, „neokolonial“ das strukturelle Machtgefälle zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden fortzusetzen.

„Sustainable degrowth“ fordert neben ökologischer Nachhaltigkeit auch soziale Gerechtigkeit und Teilhabe. Welche Rolle kann in diesem Zusammenhang das transformative Potenzial des Rechts der nachhaltigen Entwicklung einnehmen? Schließlich zwingt es zu einer integrativen Betrachtung der Rechtsbereiche, die Wirtschaft, Umwelt und Mensch regeln und ermöglicht so eine stetige Neubetrachtung des Rechts. Das schafft Potenzial durch gesellschaftliche Teilhabe notwendige Reformschritte herbeizuführen, wie dies durch „Klimaklagen“ seit einigen Jahren sowohl innerstaatlich als auch zunehmend auf regionaler oder internationaler Ebene gelingt.[4] Ende Februar erfolgte auch auf österreichischer Ebene der nächste Schritt: Zwölf Kinder und Jugendliche – mit der Unterstützung der NGO Fridays for Future – reichten beim Verfassungsgerichtshof einen Individualantrag gegen das österreichische Klimaschutzgesetz auf Grundlage des BVG über die Rechte von Kindern ein.[5] Obwohl der Antrag auch im Falle des Erfolgs lediglich zur Aufhebung (von Teilen) des Klimaschutzgesetzes führen kann, kann damit politischer Druck erzeugt werden, um die erforderlichen Schritte für ein neues, umfassenderes Gesetz einzuleiten. Es sei nur nebenbei erwähnt, dass im 2023 Climate Change Performance Index Österreich auf Rang 32 liegt – und damit weit unter dem europäischen Durchschnitt.

Es sei nur nebenbei erwähnt, dass im 2023 Climate Change Performance Index Österreich auf Rang 32 liegt – und damit weit unter dem europäischen Durchschnitt.

Zwischenstaatliche Verfahren

Bislang waren zwischenstaatliche Verfahren dazu noch eine Seltenheit. In den letzten Wochen und Monaten hat sich jedoch etwas bewegt. Zur Frage nach den völkerrechtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und seiner Auswirkungen, sind internationale Gutachtenverfahren jeweils vor dem Internationalen Seegerichtshof und dem Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeleitet worden, und die Einleitung eines dritten Verfahrens (vor dem Internationalen Gerichtshof) steht kurz bevor. Zwar sind diese Gutachtenverfahren nicht mit streitigen Verfahren gleichzusetzen, aber sie stellen eine Art „public interest forum“ der Weltgemeinschaft dar, und ermöglichen in einem oftmals sehr partizipativen Verfahren Rechtsklärung und -fortentwicklung durch internationale Rechtsprechungsorgane.[6] Bereits jetzt steht fest, dass sich zahlreiche Staaten und internationale Organisationen, wie die Afrikanische Union, im Rahmen dieser Verfahren einbringen werden. Dies ist vor allem dem Engagement der Zivilbevölkerung geschuldet.

Keine Modernisierung des Energiecharta-Vertrags

Ebenso im Fall der erhofften „Modernisierung“ des Energiecharta-Vertrags, wo die Europäische Kommission in einem „non-paper“[7] konsterniert einräumen musste, dass diese angesichts der Austrittsankündigung zahlreicher Mitgliedsstaaten gescheitert sei, und einen Vorschlag zum kollektiven (und koordinierten) Ausstieg aus dem Vertrag unterbreitet hat. Eine Koalition mehrerer NGOs hat hier erfolgreich über Jahre hinweg die „politische Nachhaltigkeit“ des Vertrags so weit beschädigt, dass Regierungen keine andere Wahl blieb, als aus dem Vertrag auszusteigen, obwohl nichtsdestotrotz der Schutz für bereits bestehende Investitionen für weitere 20 Jahre aufrecht bleibt. Allerdings besteht auch hier die Hoffnung, dass es durch das Recht der nachhaltigen Entwicklung zu Rechtsentwicklungen kommt – sei es in der Auslegung der Schutzstandards oder in der Anwendung einzelner Rechtwidrigkeitsausschließungsgründe –, die dieses Risiko minimieren. Für die Transformation wird es neben der Zivilgesellschaft daher auch weiterhin Jurist*innen brauchen, die durch Rechtsinstrumente den Schaffungsrahmen der Agenda 2030 mitgestalten.
 


[1] Siehe https://unstats.un.org/sdgs/report/2022/The-Sustainable-Development-Goals-Report-2022.pdf (23. 2. 2023).

[2] IPCC Sixth Assessment Report, Working Group II, Kapitel 18 „Climate Resilient Development Pathways“ (2022), 2718.

[3] Siehe https://www.theguardian.com/environment/2023/jan/18/revealed-forest-carbon-offsets-biggest-provider-worthless-verra-aoe (23. 2. 2023).

[4] Siehe den Beitrag von Abel in diesem Heft.

[5] Siehe www.climatelaw.at/downloads/Individualantrag_Klimaklage_Kinderrechte.pdf (23. 2. 2023).

[6] Siehe dazu auch ITLOS, Dispute concerning delimitation of the maritime boundary between Mauritius and Maldives in the Indian Ocean (Mauritius/Maldives), Preliminary Objections (2021) Rn 140ff, insbesondere Rn 203.

[7] Siehe https://www.euractiv.com/wp-content/uploads/sites/2/2023/02/Non-paper_ECT_nextsteps.pdf (23. 2. 2023).

 

Dr. Jane A. Hofbauer, LL.M.
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Internationales Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz, Universität der Bundeswehr München

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