Nach Art 28 Abs 1 UAbs 2 der RL 95/46/EG nehmen die Datenschutz-Kontrollstellen ihre Aufgaben in „völliger Unabhängigkeit“ wahr. In Auslegung dieses lediglich sekundärrechtlich statuierten Erfordernisses (in Art 8 Abs 3 der EU-Grundrechte-Charta – dieser kommt nach Art 6 Abs 1 EUV gleicher Rang wie den Verträgen zu – findet sich das Attribut „völlig“ nicht) hat der EuGH am 09.03.2010, in großer Kammer und in völliger Abweichung von den Schlussanträgen, die Organisation der deutschen, zur Kontrolle des privaten Sektors berufenen Datenschutzbehörden als ungenügend beurteilt.
Die Problematik dieses Urteils liegt nicht so sehr im Ergebnis des konreten Falls, sondern in der gegebenen Begründung, die, beim Wort genommen, dazu führte, dass nahezu sämtliche Bereiche der Staatsverwaltung in „völliger Unabhängigkeit“ von der allgemeinen Staatsverwaltung zu vollziehen wären. Eine derartige Konsequenz führte freilich nicht nur den Begriff einer „allgemeinen Staatsverwaltung“ ad absurdum, sondern konfligierte auch sowohl mit Anforderungen des demokratischen Prinzips wie jedenfalls mit der haushaltsrechtlichen Gesamtverantwortung der Mitgliedsstaaten.
Der nachfolgende Beitrag unterzieht daher die Voraussetzungen dieses Urteils einer kritischen Prüfung – mittels eines vergleichenden Blicks auf die organisationsrechtliche Ausstattung sowohl des Europäischen Datenschutzbeauftragten wie der französischen Datenschutzbehörde, einer Bedachtnahme auf die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Staaten ebenso wie auf das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung und auf das demokratische Prinzip – und gelangt zu einem moderateren Ergebnis. Dieses Ergebnis ist gerade jetzt nicht nur für Österreich – angesichts des gegenwärtig hinsichtlich der Organisation der Datenschutzkommission anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens – relevant, sondern – angesichts des bereits öffentlich bekanntgewordenen Vorschlages einer (die RL 95/46/EG ablösen sollenden) allgemeinen Datenschutzverordnung – von EU-weitem Interesse.