Der Ruf nach Selbstbestimmung ist europaweit und international immer lauter zu vernehmen und die territoriale Integrität einer immer größeren Anzahl an Staaten scheint gefährdet. Wie weit das Recht auf Selbstbestimmung aber konkret reicht, ist aus völkerrechtlicher Perspektive noch immer umstritten. Anhand von zwei – auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen – Situationen, Katalonien und Kurdistan, soll hier geprüft werden, in wie weit sich in diesem Zusammenhang allgemeine Prinzipien bestimmen lassen. Es wird hier aufgezeigt, dass sich ein allgemeines Sezessionsrecht im Völkerrecht nicht identifizieren lässt. Entscheidend für den Erfolg eines Verselbständigungsbestrebens sind häufig die verfassungsrechtlichen Grundlagen. In Ermangelung eines solchen Ansatzpunktes stellt sich der Anspruch auf ein Sezessionsrecht regelmäßig als Utopie dar. Und dennoch ist der Glaube an eine solche Utopie nicht irrelevant. Laut der hier vertretenen These kann der Glaube an diese Utopie sogar entscheidend dafür sein, dass aus dieser – wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist – Realität wird.
- ISSN Online: 1613-7663
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Inhalt der Ausgabe
S. 21 - 34, Aufsatz
Zur dritten Piste des Flughafens WienOn the Third Runway of Vienna Airport
Der Flughafen Wien stößt in absehbarer Zeit an seine Kapazitätsgrenze. Die erstinstanzliche Verwaltungsbehörde hatte die Errichtung einer dritten Piste unter Hinweis auf den Bedarf des Flughafens bewilligt. Das dagegen angerufene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) revidierte die Entscheidung und wies, gestützt auf eine Abwägung von Verkehrsinteressen gegenüber Umweltschutzinteressen, insbesondere Klimaschutz, den Antrag ab. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob das Erkenntnis auf und warf dem BVwG Willkür vor, weil es Interessen berücksichtigt habe, die im Luftfahrtgesetz (LFG) nicht vorgesehen seien. In einem neuen Verfahren konzentrierte sich das BVwG in seiner Interessenabwägung auf jene öffentlichen Interessen, die Eingang in das LFG gefunden haben (vor allem den Lärmschutz), und gab dem Antrag unter Verschärfung der ursprünglichen Lärmschutzauflagen der Erstinstanz statt. Die Episode hat zum einen die Natur der unter dem LFG gebotenen Interessenabwägung bei Flughafenprojekten geklärt, zum anderen eine unangebrachte Zurückhaltung des VfGH gegenüber dem Völkerrecht gezeigt.
Die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) 1992 ist der erste völkerrechtliche Vertrag, der darauf abzielt, die Treibhausgaskonzentrationen zu stabilisieren und eine vom Menschen verursachte Störung des Klimasystems zu verhindern. Wegen des unzureichenden Pflichtenprogramms der UNFCCC entschloss sich die internationale Gemeinschaft 1997 das Kyoto-Protokoll zu verabschieden, das offiziell im Jahre 2020 auslaufen wird. Um für die Zeit danach ein über das Kyoto-Protokoll hinaus bestehendes Klimareglement zu haben, hat die Staatengemeinschaft im Dezember 2015 nach einem mehrjährigen Verhandlungsprozess das Pariser Abkommen verabschiedet. Das Pariser Abkommen trat vorzeitig in Kraft. Es ist ein rechtsverbindliches völkerrechtliches Abkommen und enthält auch begleitende Beschlüsse zur technischen Umsetzung der UNFCCC. Das Pariser Abkommen enthält ein Gesamtpaket mit Langfristzielen und es bildet den Anfang einer neuen Form der globalen Zusammenarbeit sowie des technischen Umsetzungsprozesses. Das Pariser Abkommen enthält mit 2 °C und 1,5 °C konkrete Referenzen und ist erstmals umfassend, da alle Vertragsstaaten zum Schutz des Klimas verpflichtet sind. Ein erster Talanoa-Dialog zu Klimaschutzmaßnahmen fand 2018 in Bonn statt. Das 2016 von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) ins Leben gerufene globale Kohlenstoff-Emissionsausgleich- und Reduzierungsschema für die internationale Luftfahrt (CORSIA), welches 2021 in Kraft tritt, ist ein völkerrechtlich eigenständiges globales marktbasiertes System für den internationalen Luftverkehr und soll eine Unterstützung zur Erreichung der Ziele der UNFCCC und des Pariser Abkommens sein.
S. 69 - 83, Aufsatz
Islamisches Völkerrechtsverständnis und TerrormilizIslamic Understanding of International Law and Terrorist Militia
Das islamische Völkerrecht As-Siyar ist Teil der islamischen Scharia und wurde bereits in der Frühzeit des Islam entwickelt. Es bestand vor allem aus Vorschriften für das Verhalten gegenüber Nichtmuslimen und war damit ein „unilaterales Außenrecht“. Es unterteilte die Welt in Dar al Islam (Gebiet des Islam) und Dar al Harb (Gebiet des Krieges). Zwischen beiden herrschte, jedenfalls in der Theorie, immer Krieg. Dabei kommt dem Begriff des Dschihad große Bedeutung zu. Es stellt sich die Frage, welche Rolle das islamische Völkerrecht heute für die Begründung oder Rechtfertigung zur Gewaltanwendung durch islamistische Terrormilizen hat. Neben der rechtswissenschaftlichen Betrachtungsweise sind dabei auch politikwissenschaftliche, religionswissenschaftliche und islamwissenschaftliche Perspektiven mit einzubeziehen. Es zeigt sich, dass der Dschihad zwar einige Gemeinsamkeiten mit dem Recht auf Selbstverteidigung hat, aber durch die Konstruktion eines ständigen „Angriffs“ von außen, sei es auf die muslimische Gemeinschaft als Ganzes oder auf einzelne Mitglieder, Gewaltanwendung in der Praxis allzu oft nicht bloß in den engen Grenzen eines Ausnahmetatbestandes gerechtfertigt wird. Dabei wird auch häufig das im islamischen Recht stark verwurzelte Verbot der Gewaltanwendung gegen Nicht-Kämpfer, also Zivilisten, Frauen, Kinder und Alte, übergangen.
Die Frage nach der Staatlichkeit des selbstdeklarierten „Islamischen Staates“ beschäftigte vor allem die Wissenschaft, weniger die Außenministerien. Auf der internationalen Ebene hat die Staatengemeinschaft den Staatlichkeitsanspruch des IS schlicht ignoriert, also kollektiv nicht anerkannt, und zwar auf Grund der eklatanten Illegalität der Herrschaftsgewalt und des Gebietserwerbs. Die strikte Ablehnung einer IS-Staatlichkeit führt jedoch nicht zu dessen völkerrechtlicher Nicht-Existenz: Als De-facto-Regime war und ist der sogenannte „Islamische Staat“ völkerrechtlich verantwortlich für die internationalen Verbrechen, die in seinem Namen begangen wurden.
S. 103 - 111, Aufsatz
Rechtsnatur und Spruchpraxis der Schiedsinstanz für NaturalrestitutionLegal Nature and Sentencing of the Arbitration Authority in Rem Restitution
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution öffentlichen Vermögens, die in einer Gemeinsamen Erklärung der Österreichischen Bundesregierung und der Vereinigten Staaten von Amerika vom 17.01.2001 (Washingtoner Abkommen) völkerrechtlich errichtet und mit dem österreichischen Entschädigungsfondsgesetz (BGBl I 12/2001) in das österreichische Recht übernommen wurde, bestand aus zwei von den Vertragsparteien nominierten Mitgliedern und dem von diesen gewählten Vorsitzenden. Über die individuellen Anträge, die von Opfern des nationalsozialistischen Regimes oder deren Erben auf Rückstellung entzogenen Vermögens gestellt wurden, das sich am 17.01.2001 im Eigentum der öffentlichen Hand befand, hatte die Schiedsinstanz nach Prüfung der vorgebrachten Beweise und der Feststellungen der Österreichischen Historikerkommission zu entscheiden und dem zuständigen Bundesminister entsprechende Empfehlungen zur Rückstellung vorzuschlagen. Frühere Entscheidungen österreichischer Behörden oder Vergleiche zwischen den Parteien durften jedoch keiner neuerlichen Überprüfung unterzogen werden, es sei denn, dass die Schiedsinstanz in besonderen Fällen einstimmig zu der Auffassung gelangte, dass die früheren Regelungen extrem ungerecht waren. Die Schiedsinstanz hat, nach der Überprüfung von 2.307 Anträgen im Verlauf von 17 Jahren, ihre Tätigkeit Ende August 2018 abgeschlossen.
S. 113 - 119, Aufsatz
Aktuelle Fragen der Schweizerischen VölkerrechtspraxisActual Issues of Swiss International Law Practice
Die nationale Umsetzung von Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats, die typischerweise Einreiseverbote und die Sperrung von Vermögenswerten der betroffenen Personen und Organisationen verlangen, können bisher nicht mit einer effektiven Beschwerde innerhalb des UNO-Systems angefochten werden. Dies führt zu Klagen vor nationalen und regionalen Gerichten, welche die Rechtmässigkeit der UNO-Sanktionen und ihrer Umsetzung überprüfen. Der Mechanismus der Ombudsperson überprüft ausschließlich Listeneinträge des ISIL- (Da’esh) und Al-Qaida-Sanktionsregime, weist aber dennoch Defizite auf. Der Beitrag zeigt auf, welche Herausforderungen sich stellen und welche Bemühungen für mehr Rechtsstaatlichkeit durch die Schweiz und andere Staaten unternommen werden.
Die Einhaltung, Stärkung und Förderung des Humanitären Völkerrechts gehören zu den außenpolitischen Prioritäten der Schweiz. Die Schweiz leitet insbesondere eine gemeinsame Initiative mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zur Stärkung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts und schlägt eine Änderung des Römer Statuts vor, um das Verhungern von Zivilisten in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten zu verbieten.
Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) stellt eine beispiellose Situation dar, welche grundsätzliche völkerrechtliche Fragen sowohl für EU Mitgliedstaaten als auch für Drittstaaten wie die Schweiz aufwirft. Auf Grund der Unsicherheiten rund um den Abschluss eines Austrittabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hat die Schweiz eine Strategie entwickelt, um ihre bilateralen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich auf dem gleichen Niveau fortführen und allenfalls ausbauen zu können sowie um den Herausforderungen in Zusammenhang mit dem Brexit begegnen zu können.
Im Zusammenhang mit Migration stellen sich auch völkerrechtliche Fragen. Die deutsche Praxis beschäftigt sich aktuell etwa mit völkerrechtlichen Aspekten von Flucht und Migration über das Mittelmeer nach Europa und mit den Anforderungen an Abschiebungen von ausreisepflichtigen Ausländern in ihre Herkunftsländer.
Nach dem Völkerrecht haben Staaten grundsätzlich das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Ausländern im Rahmen ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen zu regeln. Damit kommt dem Non-refoulement-Gebot für die völkerrechtlichen Überlegungen eine zentrale Rolle zu. Bei Operationen im Mittelmeer stellen sich Fragen nach dem Umfang der Seenotrettungspflicht, nach der Ausgestaltung der gebotenen Koordinierung und Kooperation der beteiligten staatlichen Stellen, nach den Kriterien für einen „sicheren Ort“ und nach dem Verhältnis von Seenotrettung und Non-refoulement-Gebot. Bei Abschiebungen muss ebenfalls das Non-refoulement-Gebot beachtet werden. Diesem Zweck sollen individuelle Einzelfall-Zusicherungen des Zielstaates der Abschiebung dienen, deren Vereinbarung in der Praxis jedoch auf große Schwierigkeiten stößt.
S. 135 - 186, Aufsatz
Recent Austrian practice in the field of international lawRecent Austrian practice in the field of international law
Diese Auswahl aus der aktuellen österreichischen Völkerrechtspraxis wurde nun ein weiteres Mal von Angehörigen des Rechtsdienstes des österreichischen Außenministeriums (“Völkerrechtsbüro”, VRB) zusammengestellt. Wir betrachten unseren Bericht als einen Beitrag zu unserem gegenseitig inspirierenden Dialog mit WissenschaftlerInnen und mit anderen PraktikerInnen, die im Bereich des Völkerrechts tätig sind. Der Höhepunkt dieses Dialogs ist der alljährliche „Österreichische Völkerrechtstag“; einige der auf dessen 43. Tagung (Wesenufer, 24.–26. Mai 2018) vorgetragenen Beiträge werden ebenfalls in dieser Nummer der ZÖR veröffentlicht. Auch zur europarechtlichen Praxis des VRB wird in dieser Zeitschrift jährlich eine interessante Auswahl publiziert.
2018 war mit dem österreichischen EU-Ratsvorsitz im 2. Halbjahr ein besonderes Jahr für das VRB, da Angehörige des VRB fünf EU-Ratsarbeitsgruppen geleitet haben: Völkerrecht (COJUR), Völkerrecht/Internationaler Strafgerichtshof (COJUR/ICC), Seerecht (COMAR), Außenbeziehungen/Sanktionen (RELEX/Sanctions) und Grundrechte, Bürgerrechte und Freizügigkeit (FREMP). Über einige der in diesen Gruppen während des österreichischen Ratsvorsitzes verfolgten Aktivitäten wird in diesem Beitrag berichtet.
Wir danken Catherine Quidenus, Isabella Brunner und Julia Haas (alle VRB), die ebenfalls zu dieser Publikation beigetragen haben.