Mit 1.1.2025 ist das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024, BGBl I 2024/157, in Kraft getreten. Das ist gerade noch rechtzeitig geschehen, um eine Sicherstellung zu Beweiszwecken nach § 110 Abs 1 Z 1 StPO zu ermöglichen. Kern der Reform ist die Regelung des behördlichen Zugriffs auf Daten und Datenträger sowie deren Auswertung. Dieser Regelungsbereich ist durch ein Erkenntnis des VfGH erforderlich geworden. Es sind aber nicht nur Änderungen in der StPO vorgenommen worden, sondern ua auch im StAG, JGG, FinStrG, GOG sowie im AVG. So gesehen kam es zu einer recht umfangreichen Reform, deren Entstehung auch viel zur politischen Realität in Österreich aussagt. So wurde am 13.6.2024 der Entwurf eines Strafprozessänderungsgesetzes 2024 als Initiativantrag eingebracht, der bereits am 18.6.2024 den Justizausschuss passierte, bevor die Diskussion von neuem begann. Betrachtet man den letztlich beschlossenen Gesetzestext, hat sich im Vergleich zum IA nicht allzu viel geändert.
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- 2312-1920
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Inhalt der Ausgabe
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S. 5 - 13, Aktuelle Gesetzesvorhaben
Alexander Tipold -
S. 14 - 24, Aufsatz
Alois Birklbauer / Helmut Hirtenlehner / Roswitha Endrich / Lisa SchmollmüllerDurch (sehr) junge „Mehrfach- und Intensivtäter“ begangene schwere Straftaten geraten regelmäßig ins Blickfeld des medialen und politischen Interesses. Empirische Evidenzen zu den einer hochfrequenten Straffälligkeit im Kindes- und Jugendalter zugrundeliegenden Dynamiken und Prozessen fehlen indes weitgehend. Im Jahr 2024 wurde deshalb im urbanen Oberösterreich eine Studie zu den Entwicklungshintergründen und Präventionsmöglichkeiten jugendlicher Vielfachtäterschaft durchgeführt. Deren wichtigste Ergebnisse sollen hier der Fachöffentlichkeit vorgestellt werden.
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S. 25 - 29, Aufsatz
Christoph KossEs ist ein zeitloses Schicksal der Jugend, dass sie regelmäßig als negativ, lernunwillig und schwierig angesehen wird. Eine Jugend, die uns Erwachsenen Probleme macht, obwohl sie es ja heute viel besser haben als wir zu unserer Zeit. Diese Kritik finden wir bereits auf einer babylonischen Tontafel, ca 1000 v Chr: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben. Sie ist böse, gottlos und faul.“
Wenn wir uns die Situation in Österreich ansehen, so war die Nachkriegszeit in den 1950er Jahren von einer hitzigen medialen Debatte um die „Halbstarken“ geprägt, von einer „Jugend ohne Werte und ohne Sitten“, von einer „vaterlosen Generation“. Die Verurteilungsraten nach dem Krieg waren extrem hoch. Maßnahmen damals waren Gefängnis und Erziehungsheime. Bewährungshilfe gab es Anfang der 1950er Jahre noch nicht. Die Gründung erfolgte erst 1957.
Gegenwärtig prägen Schlagzeilen unser Bild, dass die heutige Jugend immer krimineller und gewalttätiger wird. Im ersten Teil dieses Beitrags gehe ich der Frage nach, ob das tatsächlich so ist. Mein zweiter Schwerpunkt betrifft die Kriminalitätsentwicklung bei Kindern von 6–13 Jahren und mögliche Maßnahmen, die unter anderem NEUSTART und das Netzwerk Kriminalpolitik vorschlagen.
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S. 30 - 33, Aufsatz
Fritz ZederDer Beitrag soll zu einer Versachlichung der medial und politisch geführten Debatte über die Strafmündigkeitsgrenze beitragen.
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S. 34 - 35, Aufsatz
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S. 36 - 39, Aufsatz
Neomi MarhaliAm 6.11.2024 fand die 11. ALES-Jahrestagung zum Thema „Kinder- und Jugendkriminalität im Umbruch“ im großen Vortragssaal des Bundesministeriums für Inneres statt. Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse, rund 200 Teilnehmer:innen beteiligten sich mit Vorträgen und Diskussionsbeiträgen.
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S. 40 - 48, Aufsatz
Katharina OrnetsmüllerDer EGMR entschied bereits in einer Vielzahl von Fällen über die staatliche Reaktion bei häuslicher Gewalt und schuf damit reiches Material an Rechtsprechung. Obwohl bei häuslicher Gewalt der Gewaltakt von einem Dritten ausgeht, hat der Staat für eine wirksame Untersuchung und Verfolgung zu sorgen und aufgrund seiner positiven Gewährleistungsverpflichtungen angemessene Maßnahmen zu treffen, um Frauen vor häuslicher Gewalt und deren Folgen zu schützen. Dabei ist die besondere Dynamik häuslicher Gewalt zu berücksichtigen. Detaillierte Anforderungen ergeben sich aus den völker- und unionsrechtlichen Rechtsquellen, konkret der Istanbul-Konvention und der kürzlich in Kraft getretenen Gewaltschutz-RL, die bis 2027 auf nationaler Ebene umzusetzen ist.
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Der Feststellung eines Kausalzusammenhangs zwischen der Begehung der unterbringungsrelevanten Anlasstat und der schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung kommt zentrale Bedeutung zu. Immerhin sollte die Maßnahme des § 21 StGB, in Abgrenzung von sonstigen kriminogenen Faktoren, genau die krankheitsbedingte Gefährlichkeit adressieren. Während § 21 StGB aF die Begehung der Anlasstat schlicht „unter dem Einfluss“ einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad verlangte, setzt das Gesetz idgF nun den „maßgeblichen Einfluss“ einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung voraus. Die frühere Formulierung wurde vielfach so aufgefasst, dass eine bloße Mitkausalität genügen würde. Demnach ist jeglicher noch so geringe – sofern fassbare – Einfluss des psychischen Zustands auf die Begehung der Anlasstat ausreichend. Dem trat der Gesetzgeber durch Beifügung des Worts „maßgeblich“ entgegen, wodurch klargestellt werden sollte, dass die Störung einen bedeutenden, direkt-kausalen Einfluss gehabt haben muss. In der aktuellen höchstgerichtlichen Rechtsprechung wird dennoch auch weiterhin das tradierte Verständnis der einfachen (Mit-)Kausalität vertreten. Diese Auffassung stimmt aber nicht mit dem Wortlaut des Gesetzes überein, widerspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers und ist auch im Hinblick auf die Zielsetzung der Unterbringung nach § 21 StGB problematisch.
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S. 56 - 62, Aufsatz
Monika StempkowskiDie von radikalisierten Personen ausgehende Gefahr ist in den letzten Jahren regelmäßiger Bestandteil der öffentlichen Diskussion. Ereignisse wie der Terroranschlag in Wien im November 2020 oder die Absagen der Taylor Swift-Konzerte im August 2024 rücken eine kleine, aber aufgrund ihrer extremistischen Überzeugungen potenziell hochgefährliche Gruppe an Personen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Wie kommt es dazu, dass Menschen sich radikalisieren und in weiterer Folge bereit sind, gewalttätige Handlungen zu begehen und dabei nicht zuletzt sich selbst einer unmittelbaren Gefahr auszusetzen? Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick in rechtspsychologische Erkenntnisse zu dieser Frage, wenngleich eine abschließende Antwort ausbleiben muss. Vielmehr werden ausgewählte Konzepte und Ergebnisse empirischer Forschung vorgestellt, die einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung bieten sollen.
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Am 14.11.2024 lud die Österreichische Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie (ÖGSK) zu einem Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller zum Thema „Abnahme von Tatgegenständen – zusätzlich zur Bestrafung?“
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Am 3.10.2024 hat die „Österreichische Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie“ (ÖGSK) zum Vortrag von Prof. Dr. Elisa Hoven, Universität Leipzig, mit dem Titel „Wohin entwickelt sich die Kriminalpolitik? – Expansionstendenzen im Strafrecht“ ins Juridicum (Universität Wien) geladen.
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S. 68 - 70, Judikatur
Lukas StafflerDringender Tatverdacht ist ein höherer Grad von Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte die ihm angelastete Straftat begangen hat. Ein Verdacht kann immer nur auf Grund einer Schlussfolgerung aus Tatsachen entstehen und besteht also, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. „Verdacht“ ist mehr als eine bloße Vermutung. Es ist die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann. Ein dringender Tatverdacht liegt vor, wenn die belastenden Momente stärker sind als die entlastenden; es muss eine überzufällige, überwiegende Wahrscheinlichkeit vorliegen.
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S. 70 - 73, Judikatur
Lukas StafflerBei der Sichtung eines Mobiltelefons handelt es sich um eine Ermittlungsmaßnahme im Ermittlungsverfahren.
Bei der Beurteilung, ob ein Einspruchswerber in einem subjektiven Recht verletzt wurde, ist eine Ex-ante-Betrachtung anzustellen. Das Gericht hat ausschließlich die Einhaltung der StPO zu prüfen und ist somit auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkt; die Zweckmäßigkeit einer Ermittlungshandlung hat es hingegen nicht zu prüfen. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von diesem Ermessen iS des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde. Nur wenn die vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessensspielraums überschritten werden, liegt Ermessensmissbrauch vor.
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S. 74 - 77, Judikatur
Daniel StraussVoraussetzung für eine bedingte Entlassung aus der Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB ist eine auf den in § 47 Abs 2 StGB taxativ aufgezählten Gründen beruhende günstige Prognose. Dabei steht der Fortbestand der Gefährlichkeit, die zur Anordnung der Maßnahme führte, einer bedingten Entlassung nach § 47 Abs 2 StGB nicht entgegen, vielmehr ist neben der Gefährlichkeit iS der jeweiligen Unterbringungsvoraussetzung unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit ihres Vollzugs die Substituierbarkeit der Maßnahme in Rechnung zu stellen. Zeigt sich im Vollzug einer Maßnahme, dass der der Unterbringungsanordnung zu Grunde liegenden Gefährlichkeit auch ohne Fortsetzung der Anhaltung wirksam begegnet, die Gefährlichkeit also hintangehalten werden kann, erfordert der Zweck der Maßnahme ihren weiteren Vollzug nicht mehr; die Unterbringung ist nicht mehr notwendig und daher nicht aufrechtzuerhalten.
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S. 77 - 80, Judikatur
Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der „Beharrlichkeit“ im Sinne des § 107a StGB ist die Belastung für das Opfer. Diese hängt – neben Art und Schwere der einzelnen Stalking-Handlungen – von deren Anzahl, Dauer und den dazwischen liegenden Zeitabständen ab. Maßgebend ist die Gesamtbetrachtung dieser Parameter, womit eine besonders starke Ausprägung eines davon unter dem Aspekt der Subsumtion eine Reduktion des Gewichts der andern zulässt. Unberücksichtigt kann bei dieser Beurteilung freilich nicht gelassen werden, dass vom Opfer eines Täters, der wegen Stalkings zum Nachteil desselben Opfers bereits einmal verurteilt worden ist, ein Zuwarten über einen längeren Zeitraum bis zur Anzeigenerstattung wohl nicht verlangt werden kann, daher schon wenige Handlungen ausreichen, um – bei entsprechendem Vorsatz – das Erfordernis der „Beharrlichkeit“ zu erfüllen.
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§ 28a Abs 3 SMG setzt kumulativ die Gewöhnung an Suchtmittel und die Begehung der Straftat nach dem SMG vorwiegend deshalb, um sich für den persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, voraus.
Liefern von Suchtgift an Abnehmer begründet nicht Täterschaft durch sonstigen Beitrag nach § 12 3. Fall StGB, § 28a Abs 1 5. Fall SMG, sondern unmittelbare Täterschaft nach § 12 1. Fall StGB.
Wenn das Gericht hinsichtlich des Überlassens von Suchtgift zwei gesonderte tatbestandliche Handlungseinheiten annimmt, verwirklicht der Täter zwei Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG.
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Wenn Indizien für das Vorliegen des (prozessualen) Verfolgungshindernisses des Verbots wiederholter Strafverfolgung offenliegen, muss das erkennende Gericht die tatsächlichen Voraussetzungen des Verfolgungshindernisses durch detaillierte Feststellungen zum Tatzeitraum, zu den tatverfangenen Suchtgiftmengen und zum Vorliegen einer tatbestandlichen Handlungseinheit im Urteil klären.
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Zeiten, in denen der Verurteilte auf behördliche Anordnung angehalten worden ist, werden nicht in die Rückfallsverjährungsfrist des § 39 Abs 2 StGB eingerechnet.
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S. 86 - 87, Judikatur
§ 126 StVG ist auf den Maßnahmenvollzug anwendbar.
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S. 87 - 88, Judikatur
Unter Verhalten sind alle Handlungen, Duldungen und Unterlassungen zu verstehen, die keine Entscheidungen oder Anordnungen sind.
Aus § 14 StVG lässt sich ableiten, dass der Anstaltsleiter die Einhaltung der Bestimmungen des StVG zu überwachen (Abs 1 leg cit) und sich als Vollzugsbehörde (erster Instanz) von dem gesamten Verwaltungs- und Vollzugsbetrieb in den zu beaufsichtigenden Einrichtungen durch eigene Wahrnehmung Kenntnis zu verschaffen hat (Abs 2 leg cit).
In dem, dem Anstaltsleiter angelasteten Untätigbleiben in Bezug auf eine entsprechende Beheizung der Hafträume in der kalten Jahreszeit liegt ein der Beschwerdemöglichkeit des § 121 Abs 1 StVG unterliegendes Verhalten des Anstaltsleiters (in Form einer Unterlassung).
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S. 88 - 89, Judikatur
Bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung ist jeweils von den Umständen des Einzelfalls auszugehen. Das Schwergewicht liegt sohin in der Regel nicht im Rechtsbereich (wo eine Spruchpraxis hilfreich sein kann), sondern im Tatsachenbereich, nämlich welche positiven und negativen Faktoren für eine zukünftige Prognoseentscheidung vorliegen und wie sie im Einzelfall zu gewichten sind.
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Eine Staatsanwaltschaft, die sich für unzuständig erachtet, hat die keinen Aufschub duldenden Anordnungen zu treffen und sodann das Ermittlungsverfahren umgehend der zuständigen Staatsanwaltschaft abzutreten (§ 25a Abs 1 StPO). In Ausübung dieser Verpflichtung für die zuständige Staatsanwaltschaft vorgenommene Verfahrenshandlungen einer unzuständigen Staatsanwaltschaft bringen keinen (eigenen) Verfolgungswillen zum Ausdruck und haben keinen Einfluss auf die gesetzliche Zuständigkeit (Nordmeyer, WK-StPO § 25a Rz 2; idS bereits Gw 67/13f [noch zur Rechtslage vor BGBl I 2016/121], Gw 280/20i). Das Einschreiten einer unzuständigen Staatsanwaltschaft ist nicht geeignet, ein Zuvorkommen iSd § 26 Abs 2 StPO zu begründen (vgl auch Leitner in Schmölzer/Mühlbacher StPO 12 § 25a Rz 2; zur irrigen Inanspruchnahme von Kompetenz durch eine unzuständige Staatsanwaltschaft vgl Gw 249/19x; Nordmeyer, WK-StPO § 27 Rz 9).
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S. 91 - 92, Judikatur
Fritz Zeder