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SIAK-JOURNAL

Heft 2, Juli 2024, Band 21

eJournal-Heft
  • ISSN Online: 2410-745X

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Inhalt der Ausgabe

S. 3 - 3, Editorial

Editorial

S. 4 - 18, Beitrag

Robert Schuett

Geopolitik und organisierte Kriminalität

Geopolitik und Polizeiarbeit sind grundverschieden. Wenn Großmächte wie die USA, Russland und China geopolitisch handeln, werden Souveränität, Territorialität und geografische Sphären des Einflusses zu zentralen Begriffen in ihren äußeren Machtbeziehungen. Wenn Staaten zur inneren Gefahrenabwehr verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt androhen, zeigt der Rechtsstaat mittels sicherheitspolizeilicher Staatsorgane die von Hans Kelsen postulierte Einheit von Staat, Recht und Macht. Aber für die heutige organisierte Kriminalität (OK) ist diese Trennung von nationaler Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung bestenfalls eine theoretische Angelegenheit. Denn das Streben der OK nach Geld und Macht ist nicht nur transnational. Im Zeitalter von Krise, Krieg und Künstlicher Intelligenz ist die OK auch ein geopolitischer Akteur. Die krisenhafte Gemengelage in der westlichen Hemisphäre, auf der eurasischen Landmasse und im indo-pazifischen Raum verstärken den für offene Gesellschaften so problematischen Trend, dass sich geopolitische Interessen und globale Kriminalität im 21. Jahrhundert auf nur schwer fassbare Art vermischen. Folglich erfordern die Analyse und Prävention heute und zukünftig, mehr denn je, holistische Ansätze aus interdisziplinärer Forschung und polizeilicher Praxis. Ergänzend zu rechts- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven plädiert dieser Beitrag für die kontextuelle Berücksichtigung geopolitischer Machtbeziehungen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität.

S. 19 - 31, Beitrag

Christian Grafl

Forensische Handschriftvergleichung

Forensische Handschriftvergleichung ist nach wie vor eine für die Justiz bedeutsame Beweisaufnahme. Verschiedene Verfahren, wie beispielsweise Erbrechtsstreitigkeiten, sind oft nur entscheidbar, wenn die Echtheit oder Nichtechtheit eines handschriftlichen Testaments nachgewiesen werden kann. Im folgenden Artikel werden die Aufgaben, Grundlagen und Methoden der Handschriftvergleichung in Abgrenzung zu anderen Disziplinen, die sich mit Schrift beschäftigen, dargestellt sowie die notwendigen Voraussetzungen für eine zielführende schriftvergleichende Begutachtung erklärt, wobei die jahrelangen praktischen Erfahrungen des Autors in die Beantwortung von Spezialfragen eingeflossen sind.

S. 32 - 46, Beitrag

Corinna Obermaier / Nina Lepuschnitz

Aktuarische Risikoeinschätzung bei häuslicher Gewalt

Die Fallzahlen häuslicher Gewalt bewegen sich in der Bundeshauptstadt Wien auf relativ hohem Niveau, die Polizei muss hier durchschnittlich 350 bis 360 Betretungs- und Annäherungsverbote (BV/AV) pro Monat aussprechen. Zur Professionalisierung und objektiven Risikoeinschätzung bei diesen Fällen von häuslicher Gewalt wurde über Initiierung und Projektleitung der Landespolizeidirektion (LPD) Wien in Kooperation mit dem Institut für Wissenschaft und Forschung (IWF) der Sicherheitsakademie (SIAK) des Bundesministeriums für Inneres (BMI) eine aktuarische Risiko-Checkliste auf empirischer Basis entwickelt. Die Entwicklung hatte in einer qualitativen Analyse der bestehenden Basisliteratur ihren Ursprung und wurde mit den Analyseergebnissen der demografischen Besonderheiten von Gefährderinnen und Gefährdern bei häuslicher Gewalt in Wien ergänzt. Durch zweimalige Anwendungsdurchläufe konnten mit den so gewonnenen Stichproben im ersten Durchlauf (N=827) und dem zweiten Durchlauf (N=445) die benötigten Daten erhoben werden, um quantitative Analysen durch das IWF durchzuführen. Sowohl die quantitativen Analyseergebnisse als auch die Expertenabstimmung führten schlussendlich zu einer Itemreduktion auf 13 Fragen. Dieses Endprodukt trägt den Namen „PROTƎEKT“ und steht auf den ersten Blick für den metaphorischen Schutz der Opfer bei häuslicher Gewalt. Auf den zweiten Blick lässt sich für jeden Buchstaben des Wortes eine eigene Bedeutung ableiten: „Polizeiliche Risikobewertung – objektive, täterorientierte Einschätzung erwartbarer körperlicher Tätlichkeiten“. PROTƎEKT hat sämtliche wissenschaftliche Gütekriterien, wie Objektivität, Validität, Reliabilität, aber auch Ökonomie und Anwenderfreundlichkeit in hohem Maße erfüllt und ist somit seit 29.12.2023 in polizeilich operativer Verwendung. Über die wissenschaftlichen Entwicklungsschritte und die Ergebnisse der Gütekriterien darf im vorliegenden Artikel berichtet werden.

S. 47 - 54, Beitrag

Martina Kollegger / Marlon Possard

Das Phänomen der Reichsbürgerinnen und Reichsbürger

Anhängerinnen und Anhänger der heterogenen Reichsbürgerinnen- und Reichsbürgerbewegungen wurden in den vergangenen Jahren für den Verfassungsstaat und für die Demokratie sukzessive zur Herausforderung. In Österreich zeigte sich dies primär anhand des Phänomens „Staatenbund Österreich“, das in den letzten Jahren reichsbürgerliche Verschwörungstheorien strukturiert in allen Bundesländern verbreitete. In Verbindung mit dem Agieren dieser Reichsbürgerinnen- und Reichsbürgergruppierung kam es im Jahr 2019 in Österreich zu einer Verurteilung der selbsternannten „Präsidentin“ der Bewegung nach § 242 Strafgesetzbuch (StGB, Hochverrat), die medial auch international verfolgt wurde. Während sich nach den strafrechtlichen Verurteilungen führender Persönlichkeiten der Bewegung die Aktivitäten minimierten, konnte durch das Aufkommen des pandemischen Geschehens rund um COVID-19 wiederum beobachtet werden, dass der Zulauf zu reichsbürgerlichen Gruppen sukzessive steigt und eine internationale Vernetzung der Anhängerinnen- und Anhängerschaft festgestellt werden kann. Problematisch ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass sich der Austausch der Mitglieder untereinander immer mehr in die virtuelle Welt und in soziale Medien verlagert, was vorrangig für Strafverfolgungsbehörden zu Komplexitäten führen kann. Dieser Beitrag verfolgt das Ziel, im Speziellen ebendiese Verschiebung zu skizzieren, da diese die öffentliche Verwaltung und die Behörden vor bis dato unbekannte Probleme stellt, was vorrangig auf die toxische Nutzung verschiedenster Nachrichtendienste durch die Reichsbürgerinnen und Reichsbürger und auf ihre „Fake News“-Verbreitung zurückgeführt werden kann. Das in Österreich ansässige Austrian Institute of Technology (AIT) versucht, mittels der sog. „Detektion von Desinformation“ in diesem Sektor Erleichterungen für Behörden zu schaffen, indem schädliche Inhalte wie Hassreden, Antisemitismus und Radikalisierung durch Künstliche Intelligenz (KI) und multimodale Inhaltsanalyse frühzeitig erkannt werden können. In diesem Beitrag werden die Aktivitäten der Reichsbürgerinnen und Reichsbürger aus multidisziplinärer Sicht (Recht, Verwaltung, Soziologie und Informatik) kompakt analysiert.

S. 55 - 65, Beitrag

Michelle Traunbauer / Siegmar Lengauer

NS-Wiederbetätigung und die Unterbringung nach § 23 Abs 1a StGB

Durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (MVAG 2022) wurde in § 23 Abs 1a Strafgesetzbuch (StGB) die Möglichkeit vorgesehen, terroristisch motivierte Rechtsbrecherinnen und Rechtsbrecher zugleich mit ihrer Verurteilung in einer Anstalt für gefährliche Rückfalltäterinnen und Rückfalltäter unterzubringen. Das Ziel ist es, die besondere Gefahr, die von diesen ideologisch motivierten Straftäterinnen und Straftätern ausgeht, abzuwehren. Eine Voraussetzung der Unterbringung ist die Vorverurteilung wegen einer entsprechenden Vortat. Diesbezüglich nimmt die Unterbringungsnorm allerdings keinen Bezug auf das Verbotsgesetz 1947 (VerbotsG 1947). De lege lata ist die nationalsozialistische Widerbetätigung also keine Vortat iSd § 23 Abs 1a StGB. Dies erscheint angesichts der Zielsetzung der Unterbringung terroristischer Straftäterinnen und Straftäter als ein legistisches Missgeschick, das aber auch durch die Verbotsgesetz-Novelle 2023 nicht bereinigt wurde.

S. 68 - 77, Beitrag

Joachim Steinlechner

Die „lange NS-Zeit“ in Österreich 1930–1955. Opfer/Täter/Mitläufer?

Am 13. März 1938 wurde der Kommandant des Gendarmeriepostens (GP) Bad Aussee, Revierinspektor Valentin Tarra, in Schutzhaft genommen und über Auftrag der Bezirkshauptmannschaft (BH) Gröbming dem Bezirksgericht (BG) Gröbming übergeben. Im Postenrayon herrschte vollkommene Ruhe und Ordnung. Die Bevölkerung war in einem Freudentaumel. Am 13. Mai 1945 wurde in Bad Aussee eine SS-Truppe von der Freiheitsbewegung unter Leitung des Sicherheitskommissärs von Bad Aussee, Gendarmerie-Major Tarra, von Amerikanern unterstützt, entwaffnet und in ein Lager eingewiesen. Somit war der letzte Teil österreichischen Bodens durch alliierte Truppen von den Deutschen gesäubert und konnte der Aufbau Österreichs beginnen. Diese beiden Chronik-Einträge des Postens Bad Aussee (1938) und des Postens Mitterndorf (1945) spiegeln viele Aspekte der exekutivhistorischen Auseinandersetzung im Untersuchungszeitraum zwischen dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 und dem Kriegsende im Jahr 1945 wider; genau sieben Jahre und zwei Monate lagen zeitlich zwischen dem „Anschluss im Freudentaumel“ im März 1938 und der „Säuberung von den Deutschen und dem Beginn des Aufbaus Österreichs“ im Mai 1945. Mit dem in den Eintragungen erwähnten Valentin Tarra werden die Entwicklungen auch auf die persönliche Ebene „heruntergebrochen“; er steht hier stellvertretend für die Exekutivbeamten und die ganz unterschiedlichen persönlichen Entwicklungen in der NS-Zeit – „Opfer/Täter/Mitläufer?“

S. 81 - 97, Beitrag

Stefanie Tränkle

Mindful Policing

In diesem Beitrag geht es darum, das Potential von Meditation als mentales Resilienztraining für die Polizei aufzuzeigen. Unter Rekurs auf Wissenschaft und Praxis wird gezeigt, dass es um weit mehr als nur Entspannung oder Gesundheitsprävention geht. Als Ausgangspunkt werden im Kontext der internationalen Stress- und Resilienzforschung einige grundlegende Aspekte der Stressbelastung im Polizeidienst beleuchtet und ihre Folgen verdeutlicht. Der Beitrag zeigt auf, welche Ansatzpunkte es gibt, um Stressbewältigung zu üben. Als eine mögliche Interventionsform wird das Mindfulness-Konzept vorgestellt, mit dem Achtsamkeitsübungen im Setting eines Meditationskurses gemeint sind. Der in der anglo-amerikanischen Fachwelt gebräuchliche Begriff „mindful policing“ holt das in vielen Berufs- und Anwendungsfeldern etablierte Konzept in die Polizeiwelt. In den USA und einigen europäischen Ländern schon längst etabliert, scheint es im deutschen Sprachraum bislang vereinzelte Ansätze zu geben. Wie die Implementierung gelingen kann, wird am Beispiel eigener Erfahrungswerte reflektiert, die mit Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR-Kursen an einer Polizei-Hochschule für Studierende gemacht werden. Als Fazit werden vier Ebenen aufgezeigt, auf denen Resilienz im Polizeidienst durch Meditationspraxis gefördert werden kann. Erstens wird Resilienz als Basiskompetenz gefördert, sodass im Dienstalltag mit operationalen und organisatorischen Stressoren besser umgegangen werden kann. Zweitens fördert Meditation Resilienz als Leistungsfähigkeit im Einsatz (Entscheidungsfähigkeit, Konzentration). Meditation fördert drittens die Bewältigungskompetenz, um nach starken Belastungen regenerieren zu können, v.a. solchen mit traumatischem Potential. Meditation fördert auch die soziale Resilienz, womit Interaktionskompetenzen nach außen (Bevölkerung) und innen (Kollegialität, Konflikte, Führung) gemeint sind.

S. 98 - 99, Autoren

Autorinnen und Autoren

S. 100 - 101, Rezension

Hans Ditrich

Jonathan Rauch: Die Verteidigung der Wahrheit

S. 102 - 103, Rezension

Josef Pfaffenlehner

Arndt Sinn: Organisierte Kriminalität?

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