Die Strafverteidigung der österreichischen Nachkriegszeit ist kein Ruhmesblatt der Anwaltschaft. Während zu Zeiten der Ersten Republik Angehörige der Advokatur in Ausübung ihres Berufs in vielerlei Hinsicht intellektuell präsent und rechtspolitisch aktiv waren, setzte nach der Ermordung vieler jüdischer KollegInnen und dem Exodus der wenigen Überlebenden eine österreichweite Agonie ein, die viele Standards der vormals praktizierten Strafverteidigung verkümmern, ja verschwinden ließ. Selbst noch in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnten in Österreich viele der anwaltlichen StrafverteidigerInnen mit dem Begriff Konfliktverteidigung wenig bis gar nichts anfangen. Es verwunderte daher nicht, dass beim 1. Österreichischen StrafverteidigerInnentag im März 2003 in Wien der vom Vorstand der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen (VÖStV) eingeladene Festredner, Universitätsprofessor Christian Bertel, die Art und das Selbstverständnis der Berufsausübung von österreichischen StrafverteidigerInnen plakativ als „Sterbebegleitung“ geißelte.
Ein für die Strafverteidigung besonders bedeutsamer Verteidiger der Zwischenkriegszeit, Walther Rode, Rechtsanwalt in Wien, war erst zur Jahrtausendwende aus dem Nirwana der Verteidigung der österreichischen Nachkriegszeit wiederaufgetaucht. Sein berühmtes Lesebuch für Angeklagte (und VerteidigerInnen) „Knöpfe und Vögel“, erschienen erstmals 1931, war im Jahr 2000 in der Edition Memoria des Hürth-Verlages neu aufgelegt und in der Fachzeitschrift juridikum 2001, 78 ff, von Rechtsanwalt Walter Moringer ausführlich rezensiert worden. Seither ist es in der Strafvereidigung wieder (zu) still um Walther Rode und seine besondere Rolle als Strafverteidiger in Österreich geworden. Zwar kam es einerseits unter verdienstvoller Mitwirkung von Rechtsanwalt Alfred Noll zu zahlreichen neuen Editionen und Bearbeitungen der vielfältigen Werke von Walther Rode, der ja neben seiner Advokatentätigkeit auch als Schriftsteller hervorgetreten ist. Anderseits verleiht seit 2011 das Medienhaus Wien den Walther-Rode-Preis für journalistisches und publizistisches Schaffen, das sich durch qualitätsvolle und vom tagespolitischen Opportunismus unbeeinflusste Haltung ausweist – sic! Demgegenüber sind angemessene Würdigungen des Wirkens von Walther Rode als Strafverteidiger hierzulande in peinlich berührender Weise dünn gesät.
Umso mehr freut es mich als Mitherausgeber des JSt und einer der beiden Sprecher der VÖStV, dass ich zur Antrittsvorlesung von Stefan König an der Universität Göttingen persönlich eingeladen wurde und die damit gebotene Gelegenheit nutzen konnte, den frisch gebackenen Honorarprofessor für eine Veröffentlichung seiner Antrittsvorlesung auch in einer österreichischen Fachzeitschrift zu gewinnen. Die Strafprozessordnungen Österreichs und Deutschlands weisen viele Gemeinsamkeiten und nicht wenige signifikante Unterschiede auf. Das Thema Konfliktverteidigung und/oder Konsensverteidigung – deutsches Verständigungsgesetz versus obiter dicta des OGH hin oder her – ist nicht so sehr oder gar nur eine rechtsdogmatische und rechtspolitische, sondern vor allem auch eine rechtskulturelle Herausforderung. Daher ist Stefan König, Rechtsanwalt in Berlin, besonders herzlich dafür zu danken, den im Exil in der Schweiz verstorbenen jüdischen Kollegen Walther Rode in gebührender Weise mit dem verschrifteten Text seiner Göttinger Antrittsvorlesung in Erinnerung zu rufen. (Richard Soyer)