Das künftige Einheitspatent für den Binnenmarkt gründet auf einem hybriden Mix aus unionsrechtlichen und völkerrechtlichen Elementen, der in dieser Breite und Tiefe bislang einmalig ist. Ziel ist es, die Einflüsse der supranationalen Methode des Unionsrechts, insbesondere des EuGH, so gering wie möglich zu halten. Darin ist das System auch so erfolgreich, dass Großbritannien ungeachtet seines bevorstehenden Austritts aus der EU beteiligt bleiben möchte. Gleichzeitig hat der EuGH die hybride Regelungsmethode im Grundsatz für unionsrechtskonform erklärt. Auf diese Weise stellt das Einheitspatentsystem eine für Großbritannien und die EU gleichermaßen akzeptable Balance zwischen politischen Vorgaben und unionsrechtlichen Anforderungen her. Der vorliegende Beitrag analysiert die hybride Regelungsmethode und ihre besonderen Merkmale und stellt die Frage, inwieweit sie ein Schlaglicht auf das von Großbritannien angestrebte New Partnership mit der EU wirft.
- ISSN Online: 1613-7663
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Inhalt der Ausgabe
S. 419 - 443, Aufsatz
Half in, half out? Brexit und hybride Regelungsmethoden am Beispiel Einheitspatent
Der EuGH hat mit dem Urteil C-137/14 (Kommission/DE) die Präklusionsvorschriften des deutschen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) und des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) für unionsrechtswidrig erklärt, weil sie mit den Vorgaben der UVP- und der Industrieemissions-Richtlinie nicht vereinbar sind. Beide Richtlinien verpflichten die Mitgliedstaaten, den Angehörigen der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht zu eröffnen. Es muss ihnen möglich sein, umweltrechtliche Genehmigungen zu bekämpfen, für die vor der Genehmigung eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist. Der vorliegende Beitrag untersucht, welche unmittelbaren Konsequenzen sich aus dem EuGH-Urteil für das österreichische Anlagenrecht ergeben, und stellt dar, wie der Gesetzgeber bislang auf die Rechtsprechung reagiert hat. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, welche weiteren Entwicklungen im anlagenbezogenen Rechtsschutz infolge der Aarhus-Konvention zu erwarten sind.
S. 469 - 514, Aufsatz
Die Schutzpflichtendogmatik und das neue SicherheitsdenkenThe Compulsory Protection Dogmatics and the New Security Thinking
Die Schutzpflichtendogmatik, die in Deutschland auf einer jahrzehntelang kontrovers geführten rechtswissenschaftlichen Diskussion beruht, zielt auf eine Balance zwischen den Erfordernissen der Freiheit und der Sicherheit. Der individuelle Schutz soll einer Freiheitsverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Kollektiver Schutz bedarf einer Sicherheitsverträglichkeitsprüfung. Das auf eine neu- und andersartige Bedrohungslage, insbesondere durch den internationalen Terrorismus, die organisierte Kriminalität sowie die an Häufigkeit und Intensität zunehmenden Katastrophenereignisse, reagierende Sicherheitsdenken beeinflusst die dogmatische Entwicklung. Auf der Ebene der Verfassung, der Gefahrenabwehr, des Strafrechts und des Kriegsrechts sind bereits deutlich Phänomene der Entgrenzung zu beobachten, die die Erfordernisse kollektiver Sicherheit immer mehr zulasten individueller Freiheit gehen lassen. Dieser Entwicklung sollte Einhalt geboten werden.
S. 515 - 547, Aufsatz
Ist Art 59 Abs 2 GG tatsächlich dualistisch?Is Article 59 Section 2 of the German Constitution Actually Dualistic?
Der Beitrag hinterfragt die dualistische Prägung von Art 59 Abs 2 GG, welche vom BVerfG zum wiederholten Male ausgesprochen wurde. Dieser kritische Blick wird auf eine evolutive Betrachtung von Art 59 Abs 2 GG sowie seiner Vorläuferbestimmungen gestützt. Darüber hinaus werden das Inkraftreten, die Änderung und Kündigung, die Auslegung, die verfassungsgerichtliche Kontrolle von völkerrechtlichen Verträgen sowie Parallel- und gemischte Abkommen analysiert. Dadurch wird eine dualistische Interpretation von Art 59 Abs 2 GG ebenso in Frage gestellt.
Obwohl weder eine dualistische noch eine monistische Theorie vertreten wird, werden die theoretischen Grundlagen zum Verhältnis von völkerrechtlichen Verträgen zum Staatsrecht für wichtig erachtet. Anstelle einer verfassungsrechtlichen Kompetenz der Legislative zur einseitigen Derogation der innerstaatlichen Wirkung völkerrechtlicher Verträge wird für eine Mitwirkung der Legislative auf völkerrechtlicher Ebene bei der Änderung und Kündigung völkerrechtlicher Verträge eingetreten. Denn die völkerrechtliche Ebene ist der richtige Ort, um berechtigten Sorgen über die demokratische Legitimität von völkerrechtlichen Verträgen zu begegnen.
Recht und seine Erzeugung muss den Vorgaben höherrangigen Rechts entsprechen. Gleichwohl müssen Fehler bei der Rechtserzeugung nicht stets dazu führen, dass diese scheitert. Moderne Rechtsordnungen bestimmen nämlich, dass Fehler im Normsetzungsprozess oder bei der Gestaltung des Norminhalts in gewissem Umfang unerheblich für die Entstehung von Recht sind (wenngleich nicht notwendigerweise für seinen Fortbestand als Recht), weshalb auch ‚rechtswidriges Recht‘ als geltendes Recht entstehen kann. Um diesen Umstand unter den Prämissen der Reinen Rechtslehre und insbesondere der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung abzubilden und zu erklären, haben Adolf J. Merkl und Hans Kelsen zwei unterschiedliche Konzepte entwickelt: Merkl den Fehlerkalkül und Kelsen die Alternativbestimmungen. Trotz mancher Ähnlichkeiten sind beide Konzepte recht unterschiedlich und auseinanderzuhalten. Dieser Beitrag analysiert beide Figuren sowie ihre Hintergründe und stellt sie vergleichend gegenüber. Hierbei zeigen sich die Unterschiede der Figuren und es wird deutlich, dass der Fehlerkalkül gegenüber dem Konzept der Alternativbestimmungen vorzugswürdig ist.
Das besprochene Erkenntnis des VfGH ist nicht nur ein guter Anlass, den ausufernden Einsatz der Klassifikation „Willkür“ einmal mehr zu hinterfragen, sondern erlaubt überdies exemplarisch, die mögliche Komplexität eines Verfahrens nach dem ersten Tatbestand des Art 144 Abs 1 B-VG aufzuzeigen, insbesondere: den Prüfmaßstab bei bestimmten Aspekten der Grundrechtsprüfung und die mögliche Gegenläufigkeit bei Grundrechts- und Staatszielkonformität. Dazu werden die künftige Relevanz von „Grundsätzen“ iSd Art 52 Abs 5 der EU-Grundrechtecharta (GRC) sowie der gegenwärtige Stand des grenzüberschreitenden Immissionsschutzes angesprochen.
S. 589 - 601, Aufsatz
Dritte Piste - Klimaschutz als Willkür?Third Track–Climate Protection as a Discretion?
Mit Erkenntnis vom 29.06.2017 hat der VfGH die Entscheidung des BVwG zum Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat aufgehoben. Das Erkenntnis des BVwG, mit dem dieses aus Klimaschutzgründen den Ausbau der dritten Piste untersagt hatte, habe in mehrfacher Hinsicht die Rechtslage grob verkannt, was die Entscheidung mit „Willkür“ belastet und die beschwerdeführenden Projektwerber (Flughafen Wien AG, Land Niederösterreich) daher in ihrem Gleichheitsrecht verletzt habe. Im Fokus der Entscheidung stehen die Genehmigungsvoraussetzungen, die das Luftfahrtgesetz in § 71 LFG vorsieht und insbesondere die Frage, ob der Klimaschutz ein „sonstiges öffentliches Interesse“ im Sinne des LFG darstellt. Der VfGH verneint dies im Lichte des BVG Nachhaltigkeit und ungeachtet der Judikatur des VwGH zum Luftfahrtrecht. Die Begründung der Entscheidung überzeugt nicht und wirft rechtsdogmatische und rechtspolitische Folgefragen auf.
S. 603 - 630, Aufsatz
Recent Austrian practice in the field of European Union law
Dieser sechste Bericht unserer Abteilung für Europarecht des Völkerrechtsbüros im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres befasst sich mit einigen der wichtigsten Entwicklungen des Europarechts während des Jahres 2016, die wir aus der Perspektive eines aktiv mitwirkenden institutionellen Beobachters begleitet haben. Die behandelten Themen umfassen neueste Entwicklungen hinsichtlich der Umsetzung der Interinstitutionellen Vereinbarung 2016 über bessere Rechtsetzung (Fülöp, Gorke), Auszüge zu aktuellen Rechtsfragen betreffend die derzeit laufenden BREXIT-Verhandlungen (Schneider) sowie eine Analyse der EuGH-Rechtsprechung im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Wimberger).
Wir danken insbesondere unserem Leiter des Völkerrechtsbüros, Univ.-Prof. Bot. Dr. Helmut Tichy und dem Leiter der Abteilung für Europarecht, Univ.-Prof. Ges. Mag. Dr. Andreas J. Kumin, sowie Ges. Mag. Tünde Fülöp für die sorgfältige Durchsicht und die hilfreichen Anregungen zu diesem Bericht, sowohl inhaltlicher als auch redaktioneller Natur.
S. 631 - 635, Aufsatz
Krise der liberalen Demokratie?A Crisis of Liberal Democracy?
Die Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission beleuchtete die Krise(n) der liberalen Demokratie. Die Vortragenden erörterten Ursachen aktueller Krisen und stellten die Frage nach der Krisenfestigkeit demokratischer Systeme, sowie ihrer Rechtsordnungen und Institutionen. Diese können sich als wesentliche Faktoren einer wehrhaften Demokratie erweisen, sind aber in erheblichem Maße abhängig von einem demokratischen Grundkonsens unter politischen Akteuren und Normunterworfenen. Verdeutlicht wurde dies durch internationale Beispiele, deren Vergleich mit Österreich den Schluss zuließ, dass die österreichische Demokratie – trotz möglichen Adaptionsbedarfs in einzelnen Bereichen des Krisenrechts – gut positioniert ist.
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