Das am 11.12.2020 gefällte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), mit dem die in § 78 zweiter Fall StGB normierte Variante der Hilfeleistung beim Selbstmord als verfassungswidrig aufgehoben wurde, kann wohl als Paukenschlag bezeichnet werden. Das Höchstgericht ging im Jahre 2016 noch davon aus, dass es dem Gesetzgeber freistehe, dem Recht auf Leben oder dem Recht auf Selbstbestimmung, wozu auch das Recht gehört, über sein Leben zu verfügen, größere Bedeutung beizumessen. In seiner nunmehrigen Entscheidung hat der VfGH dem Recht auf Selbstbestimmung insofern einen Vorrang eingeräumt, als er es nicht (mehr) als verfassungskonform erachtet, einem Suizidwilligen jede Unterstützung für sein Vorhaben zu versagen. Der folgende Beitrag analysiert die Argumente der höchstgerichtlichen Entscheidung und geht auch der Frage nach, ob tatsächlich eine allfällige Reparatur der aufgehobenen Norm erforderlich ist, um vulnerable Personen hinreichend zu schützen.
- ISSN Online: 2708-6410
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Inhalt der Ausgabe
S. 189 - 198, Aus aktuellem Anlass
Teilweise Verfassungswidrigkeit der Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB): Erste Analyse des Erkenntnisses und weiterführende Überlegungen
S. 199 - 209, Fachbeitrag
Operationstauglichkeit – Narkosetauglichkeit Operationsfähigkeit – Narkosefähigkeit
S. 210 - 217, Fachbeitrag
Therapiezielfindung als Beitrag zu MitarbeiterInnen- und PatientInnensicherheit im interprofessionellen Team
Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren zunehmend rechtliche Instrumente geschaffen, damit PatientInnen auch antizipiert Behandlungsentscheidungen treffen können. Jegliche Instrumente dieses sog advance care planning, also der vorausschauenden Gesundheitsplanung erfolgen auf Grundlage eines strukturierten Prozesses, für welchen spezifische rechtliche Bestimmungen, medizinische Indikation, und der PatientInnenwille in Form eines informed consent die Grundlage bilden.
S. 218 - 223, Fachbeitrag
Die datenschutzrechtliche Rollenverteilung bei klinischen Studien
Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist einer klinischen Studie inhärent und steht außer Frage. Aufgrund der Komplexität der Verarbeitungsschritte einer solchen Studie ist die datenschutzrechtliche Rollenverteilung jedoch oftmals nicht eindeutig.
S. 224 - 230, Fachbeitrag
Die Beschlagnahme von Krankengeschichten im Spannungsverhältnis zur ärztlichen Verschwiegenheitspflicht
Steht ein ärztlicher Behandlungsfehler im Raum, ist es für die Strafverfolgungsbehörden naheliegend, auf Patientendokumentationen bzw. Krankengeschichten zu greifen, um einen allfälligen Tatverdacht klären zu können. Persönliche Daten, die sich in den Dokumentationen befinden und die dem behandelnden medizinischen Personal im Vertrauen auf deren Verschwiegenheitspflicht überantwortet wurden, führen mitunter zu einer geringen Bereitschaft bei den Dokumentierenden, die Unterlagen freiwillig herauszugeben. In solchen Fällen stehen in weiterer Folge die Mittel des Strafprozessrechts, insbes. Sicherstellung und Beschlagnahme, im Raum, um einen Zugriff auf relevante Dokumente oder Daten zu erhalten. Vor diesem Hintergrund kann es für die Betroffenen mitunter ratsam sein, das Gewünschte herauszugeben, um größeren Schaden, wie er beispielsweise durch die Beschlagnahme eines Servers drohen kann, zu vermeiden. Der folgende Beitrag untersucht zunächst allgemein die gesetzliche Regelung zu Sicherstellung und Beschlagnahme von (schriftlichen und digitalen) Unterlagen (1.). Nach einem Exkurs zum Schutz der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht in Strafrecht und Berufsrecht (2.) wird der Schutz von Verschwiegenheitspflichten im Rahmen des Strafprozessrechts (3.) und seine Bedeutung für die Regelungen zu Sicherstellung und Beschlagnahme erörtert (4.). Kurze Ausführungen zur Frage von Beweisverwertungsverboten für rechtswidrig sichergestellte bzw. beschlagnahmte Dokument (5.) sowie zusammenfassende Schlussfolgerungen stehen am Ende des Beitrags (6.).
S. 231 - 232, Der interessante Fall
Inkaufnehmen von Operationskosten als Privatpatient – Kosten stellen keine Werbungskosten dar
Der Zusatzaufwand als Privatpatient im Zusammenhang mit der Hüftoperation eines Schauspielers und Sängers kommt sämtlichen und damit auch privaten Lebensbereichen zugute. Eine völlige Zurückdrängung der privaten Mitveranlassung liegt nicht vor, sodass diese Aufwendungen nicht als Werbungskosten zu berücksichtigen sind (VwGH 13.11.2019, Ra 2019/13/0070).
S. 233 - 237, Rechtsprechung
COVID-19 und freiheitsbeschränkende Maßnahmen nach dem HeimAufG
Rechtlich ist unstrittig, dass die Einzelisolierung des Bewohners im Zimmer eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG war. Eine solche Freiheitsbeschränkung darf nach § 4 HeimAufG nur dann vorgenommen werden, wenn sie zur Abwehr (ua) einer Fremdgefahr (Z 1) unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist (Z 2) und diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann (Z 3).
In einer Einrichtung mit betagten Bewohnern und einem damit erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf nach einer COVID-19-Infektion kann die Einzelisolierung eines Bewohners eine nach § 4 HeimAufG zulässige Freiheitsbeschränkung sein. Dies ist der Fall bei einem Bewohner der Betreuung und Begleitung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens benötigt, nach dessen Infektionsverdacht und einem ungeschützten Außenkontakt bei einer Sicherheit des Negativtests von nur 32-63 % für einen Zeitraum von 14 Tagen ab der letzten Infektionssymptomatik.
OGH 23.09.2020, 7 Ob 151/20m
§§ 3, 4, 5 HeimAufG; COVID-19-MaßnahmenG
S. 238 - 241, Rechtsprechung
Zum Rückzahlungsanspruch der Sozialversicherungsträger bei Überschreitungen des Höchstpreises für Arzneimittel
Für die Abgabe von Arzneimitteln auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers (SVTr) im niedergelassenen Bereich gibt der Dachverband der Sozialversicherungsträger (DaV) den Erstattungskodex (EKO) heraus. In dieses Verzeichnis sind gemäß § 30b Abs 1 Z 4 ASVG die für Österreich zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferbaren Arzneispezialitäten aufzunehmen. Zur „Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit“ ist die Aufnahme mit einer Regulierung der Preise verbunden. Für Arzneispezialitäten des roten Bereichs darf SVTr höchstens der ermittelte EU-Durchschnittspreis verrechnet werden (§ 30b Abs 1 Z 4 lit a ASVG). Für den gelben Bereich gilt entsprechendes (§ 30b Abs 1 Z 4 lit b ASVG). Das System des EKO und die damit verbundene Preisregelung bestehen seit 2004. Dennoch gibt es bislang relativ wenig Rechtsprechung - gerade was die zivilrechtlichen Aspekte der Preisregelung betrifft. Als umso bedeutsamer darf die vorliegende Entscheidung 2 Ob 120/19i gelten, in welcher der OGH ausführlich und erstmals zum Rückzahlungsanspruch der SVTr bei Überschreitungen des zulässigen Höchstpreises Stellung nimmt.