Vor allem bei Dauerschuldverhältnissen besteht häufig ein Interesse (zumindest) einer Partei, die Vertragsbedingungen - namentlich auch: den Preis - anzupassen, ohne den Vertrag insgesamt neu zu verhandeln. Ein wesentliches Instrument zur Erleichterung von Vertragsanpassungen sind Fiktionsklauseln. Diese sehen vor, dass ein einseitiges Verlangen eine Vertragsänderung herbeiführt, wenn die Gegenseite nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht. In der deutschen und in der österreichischen Rechtsprechung werden Fiktionsklauseln restriktiv, ja geradezu prohibitiv behandelt. Der folgende Beitrag hinterfragt diese Praxis kritisch und regt eine liberalere Behandlung von Fiktionsklauseln an - die sich auf eine differenzierte Bewertung der berührten Interessen bzw der Kontrollmechanismen sowie auch auf die EU-rechtlichen Vorgaben für Zahlungsdienstverträge stützen kann.
Heft 7, Juli 2020, Band 68
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Inhalt der Ausgabe
S. 473 - 478, Abhandlung
Frühzeitige Auszahlung von Festgeldern: Berücksichtigung in der Liquidity Coverage Ratio (LCR)?
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie drängten zahlreiche Regierungen zur Ergreifung drastischer Maßnahmen, die das Wirtschaftstreiben im Binnenmarkt deutlich einschränken. Die wegbrechenden Erträge zwingen Unternehmen zur Senkung der laufenden Ausgaben (Stichwort Kurzarbeit). Komplementär dazu können Unternehmen versuchen, gebundene Liquidität (zB Festgelder) außerordentlich aus dem Bankensektor abzurufen.
Der Beitrag diskutiert die regulatorische Behandlung von einvernehmlichen Auszahlungen aus Festgeldern vor Fälligkeit zugunsten von Nichtfinanzkunden, eingeschränkt auf die entsprechende Berücksichtigung in der Liquidity Coverage Ratio (LCR). Der Beitrag behandelt insbesondere die Abgrenzung zwischen Art 22 Abs 2 lit b und e delVO LCR.
S. 479 - 500, Abhandlung
Aufsichtsrechtliche Implikationen der COVID-19-Krise und Maßnahmen der Aufsichtsbehörden
Das Coronavirus hält zurzeit die gesamte Welt in Atem. Binnen kurzer Zeit hat das Virus Europa und nicht zuletzt auch Österreich erreicht. Die Krankheitsfälle steigen in enormem Tempo. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie und die Gegenmaßnahmen, die von zahlreichen Staaten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union ergriffen wurden, haben erhebliche wirtschaftliche Folgen. All das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Wirtschaft und damit auch auf die Finanzmärkte und ihre Teilnehmer. Dementsprechend hat der österreichische Gesetzgeber in unterschiedlicher Weise auf die gegenwärtige Krisensituation reagiert, und zwar durch Erlassung von mehreren sogenannten „COVID-19-Gesetzen“. Auch die FMA und die europäischen Aufsichtsbehörden haben entsprechend reagiert und zahlreiche Maßnahmen angekündigt und vielfach auch schon umgesetzt. Einen Überblick über diese wahre Maßnahmenflut zu behalten, ist allerings gar nicht so einfach. Einige aufsichtsbehördliche Schritte und jene des österreichischen Gesetzgebers sollen daher in der Folge - nicht abschließend - dargestellt werden. Maßnahmen der EIOPA werden in diesem Beitrag nicht aufgegriffen.
S. 501 - 502, Berichte und Analysen
Was ist eigentlich … Price Perception?
S. 503 - 504, Rechtsprechung des OGH
Zur Zulässigkeit von B2B-Mindestverzinsungsklauseln
§§ 864a, 879, 983, 1000 ABGB. Die Qualifikation einer Klausel als „im Einzelnen ausgehandelt“ setzt keine tatsächliche Änderung gegenüber dem Vorschlag des AGB-Verwenders voraus. Eine im Einzelnen ausgehandelte Vertragsbestimmung kann also - Verhandlungsbereitschaft vorausgesetzt - auch dann vorliegen, wenn eine Vertragspartei nach inhaltlichen Verhandlungen über den von der Gegenseite vorgeschlagenen Vertragspunkt diesem letztendlich vollinhaltlich zustimmt.
Ein „echter“ Mindestzinssatz unterliegt als Hauptleistung nicht der AGBInhaltskontrolle des § 879 Abs 3 ABGB. Es besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären, die für seine Willensbildung von Bedeutung sein könnten. Deswegen besteht auch keine Verpflichtung des Kapitalgebers, den Kapitalnehmer auf die in Zukunft möglicherweise eintretenden, negativen Folgen einer Mindestverzinsung hinzuweisen.
S. 504 - 507, Rechtsprechung des OGH
Höhe und Verjährung von Vergütungszinsen
§§ 877 1000, 1333, 1480, 1487, 1489 ABGB. Der Bereicherungsschuldner hat, auch wenn er redlich ist, die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierte Nutzung eines von ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Der diesbezügliche Anspruch des Bereicherungsgläubigers verjährt in drei Jahren ab der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung, dh auch dann, wenn der Gläubiger in Unkenntnis seines Bereicherungsanspruchs ist.
S. 507 - 509, Rechtsprechung des OGH
Haftung der Bank wegen Zuordnungsfehlers von Sparbüchern
§§ 21, 31, 40 BWG; §§ 5, 6 FM-GwG; §§ 109, 116 StPO. Bei Kleinbetragssparbüchern, die nicht auf den Namen des identifizierten Kunden lauten, haben Banken nicht nur gegenüber den Kunden vertragliche Pflichten Schutz- und Sorgfaltspflichten zu erfüllen, sondern auch gegenüber Personen, die ihre materielle Berechtigung nachweisen oder das Sparbuch unter Nennung des Losungsworts vorweisen.
Setzt die Bank eine Person, die berechtigterweise Behebungen vorgenommen hat, dadurch der Strafverfolgung aus, dass sie aufgrund eines Zuordnungsfehlers einen falschen Kunden als Inhaber des Sparbuchs führt und auf dieser Basis Auskünfte an Strafverfolgungsbehörden erteilt, hat sie Schadenersatz für dadurch entstehende Verteidigungskosten zu leisten die zu einem Freispruch führten.
S. 509 - 510, Rechtsprechung des OGH
Akteneinsicht eines Gläubigers der Erbens in den Verlassenschaftsakt
§ 532 ABGB; §§ 22, 157 AußStrG; §§ 47, 48, 331 EO; § 219 ZPO. Der Gläubiger eines Erben hat ein rechtliches Interesse iS des § 219 Abs 2 ZPO (iVm § 22 AußStrG) an der Kenntnis, ob der Schuldner eine Erbantrittserklärung abgegeben, die Erbschaft ausgeschlagen oder auf sein Erbe verzichtet hat, wenn er ohne diese Information seine Forderung nicht zwangsweise eintreiben kann, etwa wegen eines Wohnsitzes des Erbens, dem er schuldet, im Ausland.
Das Erbrecht ist unpfändbar; taugliches Exekutionsobjekt sind aber die Vermögensrechte des Erben, die dieser mit der Abgabe seiner Erbantrittserklärung gem § 157 AußStrG erwirbt. Pflichtteilsforderungen sind hingegen Geldforderungen und nur als solche pfändbar. Die Akteneinsicht ist begrifflich ein einmaliger Vorgang und kein unbefristetes Recht. Eine abermalige Akteneinsicht muss daher neuerlich beantragt und bewilligt werden.
S. 510 - 511, Rechtsprechung des OGH
Negative Feststellungsklage wegen Klagsdrohung
§ 228 ZPO. Bei einer negativen Feststellungsklage besteht ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Nichtbestehens eines Rechts immer dann, wenn der Beklagte ein solches Recht zu haben behauptet. Das rechtliche Interesse erfordert neben der Berühmung eines solchen Rechts auch eine dadurch hervorgerufene Gefährdung der Rechtsstellung des Klägers. Diese ist dann zu bejahen, wenn unter Klagsandrohung eine Forderung fällig gestellt und behauptet wird, dass der Kläger schadenersatzpflichtig geworden sei, wobei auch strafrechtlich relevantes Verhalten des Klägers in den Raum gestellt wird.
S. 511 - 512, Rechtsprechung des OGH
Berücksichtigung „versteckter“ Sparbücher im Pflichtteilsprozess
§ 789 ABGB; §§ 165, 170 AußStrG. Ein im Verlassenschaftsverfahren errichtetes Inventar ist für ein allfälliges streitiges Zivilverfahren - wie etwa eine Pflichtteilsergänzungsklage - nicht bindend. Dasselbe gilt für den Wert des reinen Nachlasses aus einem Verlassenschaftsverfahren, in dem kein Inventar errichtet wurde. Es steht der Einbeziehung von Sparbüchern bzw deren Beträge in den Pflichtteilsprozess daher nicht entgegen, dass die Sparbücher keinen Eingang in das Verlassenschaftsverfahren gefunden haben.
S. 512 - 513, Rechtsprechung des OGH
Absolute Nichtigkeit aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr
§ 879 ABGB; § 82 GmbHG. Ein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr gem § 82 GmbHG zieht die absolute Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gem § 879 ABGB nach sich. Auf die absolute Nichtigkeit kann sich jedermann berufen, ohne dass es einer besonderen Anfechtung bedürfte. Vom Verbot der Einlagenrückgewähr sind auch Leistungen an einen ehemaligen Gesellschafter erfasst, die in Hinblick auf die frühere Gesellschafterstellung erbracht werden.
Vorlage zur Vorabentscheidung - Verbraucherschutz - Richtlinie 93/13/EWG - Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen - Hypothekendarlehensvertrag - Variabler Zinssatz - Auf den Hypothekendarlehen der Sparkassen beruhender Referenzindex - Index, der sich aus einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift ergibt - Einseitige Einführung einer solchen Klausel durch den Gewerbetreibenden - Kontrolle der Transparenzerfordernisse durch den nationalen Richter - Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit der Klausel;
Art 1 Abs 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass die Klausel eines zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossenen Hypothekendarlehensvertrags, der zufolge des auf das Darlehen anwendbaren Zinssatzes auf einem der in nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen offiziellen Referenzindizes beruht, die von den Kreditinstituten auf Hypothekendarlehen angewandt werden können, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, wenn diese Vorschriften weder die unabdingbare Anwendung dieses Index noch seine dispositive Anwendung mangels einer abweichenden Vereinbarung der Parteien vorsehen.
Die Richtlinie 93/13 und insb ihr Art 4 Abs 2 und ihr Art 8 sind dahin auszulegen, dass das Gericht eines Mitgliedstaats eine Vertragsklausel, die sich auf den Hauptgegenstand des Vertrags bezieht, auf Klarheit und Verständlichkeit überprüfen muss, unabhängig davon, ob Art 4 Abs 2 dieser Richtlinie in die Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats umgesetzt worden ist.
Die Richtlinie 93/13 und insb ihr Art 4 Abs 2 und ihr Art 5 sind dahin auszulegen, dass zur Einhaltung des Transparenzerfordernisses bei einer Vertragsklausel, mit der im Rahmen eines Hypothekendarlehensvertrags ein variabler Zinssatz festgelegt wird, diese Klausel nicht nur in formeller und grammatikalischer Hinsicht nachvollziehbar sein muss, sondern dass die Klausel es außerdem ermöglichen muss, dass ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher in die Lage versetzt wird, zu verstehen, wie dieser Zinssatz konkret berechnet wird, und somit auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die möglicherweise beträchtlichen wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen einzuschätzen. Für die Prüfung, die das nationale Gericht in dieser Hinsicht anstellen muss, sind zum einen der Umstand, dass die Hauptelemente zur Berechnung dieses Zinssatzes für jedermann, der den Abschluss eines Hypothekendarlehens beabsichtigt, aufgrund der Veröffentlichung der Berechnungsmethode des fraglichen Satzes leicht zugänglich sind, und zum anderen die Bereitstellung von Informationen über die frühere Entwicklung des Index, auf dessen Grundlage der genannte Zinssatz berechnet wird, in besonderer Weise maßgebend.
Art 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der Richtlinie 93/13 sind dahin auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter nicht verwehren, bei Nichtigkeit einer missbräuchlichen Vertragsklausel, die zur Berechnung der variablen Zinsen eines Darlehens einen Referenzindex festlegt, diesen Index durch einen gesetzlichen Index, der in Ermangelung einer anderweitigen Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbar ist, zu ersetzen, sofern der fragliche Hypothekendarlehensvertrag bei Wegfall der genannten missbräuchlichen Klausel nicht fortbestehen kann und die Nichtigerklärung des gesamten Vertrags für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte.
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