Im Fall KlimaSeniorinnen hat sich der EGMR erstmals mit Grundsatzfragen zum Klimaschutz im Rahmen der EMRK auseinandergesetzt. Vor dem Hintergrund der drohenden Beeinträchtigung von Grundrechtspositionen und unzureichenden staatlichen Handelns im Klimaschutz, leitet der EGMR aus Art 8 EMRK eine staatliche Schutzpflicht gegenüber den Auswirkungen der Klimakrise ab. Zur Sicherung ausreichenden Grundrechtsschutzes eröffnet der Gerichtshof – vor dem spezifischen Hintergrund der Klimakrise – natürlichen Personen und Organisationen den Weg der Individualbeschwerde. Gleichzeitig erleichtert der EGMR auch den Zugang zu nationalen Gerichten in der Klimakrise, insbesondere zu Zwecken des kollektiven Grundrechtsschutzes.
- ISSN Online: 1613-7639
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Inhalt der Ausgabe
S. 485 - 503, Aufsatz
Das Urteil des EGMR im Fall KlimaSeniorinnen und seine Implikationen für den europäischen Grundrechtsschutz
Für Konventionsfragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel wird ein spezifischer Zugang entwickelt: Die wesentlichen Umstände unterscheiden sich erheblich von der Umweltrechtsprechung, und der Lastenverteilung zwischen den Generationen kommt besondere Bedeutung zu, da künftige Generationen voraussichtlich eine immer größere Last der Folgen der derzeitigen Versäumnisse bei der Bekämpfung des Klimawandels tragen werden, jedoch nicht an den relevanten Entscheidungsprozessen teilnehmen können. Zu berücksichtigen sind dabei die sich ständig weiterentwickelnden wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels und dessen nachteiliger Auswirkungen sowie die wissenschaftliche, politische und rechtliche Anerkennung eines Zusammenhangs zwischen diesen nachteiligen Auswirkungen und dem Genuss der Menschenrechte.
Behauptete Verletzung von Art 2 und 8 EMRK
Die vom beschwerdeführenden Verein im Namen seiner Mitglieder erhobenen Beschwerden fallen in den Anwendungsbereich von Art 8 EMRK, der Verein verfügt über die erforderliche Beschwerdelegitimation (locus standi):
Vereinigungen können sich grundsätzlich nicht auf mit dem Klimawandel verbundene gesundheitliche Umstände oder Beeinträchtigungen berufen, die nur natürliche Personen treffen können. Die Besonderheit des Klimawandels als gemeinsame Sorge der Menschheit, die notwendige Lastenverteilung zwischen den Generationen und der Umstand, dass die kollektive Rechtsverfolgung das einzige Mittel sein könnte, denjenigen eine Stimme zu geben, die in Bezug auf die Repräsentation deutlich benachteiligt sind, sprechen dafür, einer Vereinigung die Beschwerdelegitimation zuzuerkennen, wenn diese Einzelpersonen vertritt, deren Rechte beeinträchtigt werden oder werden könnten.
Entsprechend den anlässlich der Beschwerde entwickelten Kriterien wurde der beschwerdeführende Verein erstens rechtmäßig gegründet, verfolgt zweitens den Zweck der Verteidigung der Menschenrechte seiner Mitglieder und anderer betroffener Personen angesichts der Bedrohungen, die sich aus dem Klimawandel im beklagten Staat ergeben, und ist drittens tatsächlich geeignet und repräsentativ, im Namen derjenigen Personen zu handeln, die behaupten, nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden, wie sie durch die Konvention geschützt sind, ausgesetzt zu sein. Zudem liegt die Gewährung der Beschwerdelegitimation im Interesse einer ordnungsgemäßen Rechtspflege.
Die individuellen (Zweit- bis Fünft-)Beschwerdeführerinnen erfüllen nicht die Voraussetzungen der Opfereigenschaft:
Zur Geltendmachung der Opfereigenschaft gemäß Art 34 EMRK im Zusammenhang mit Schäden oder Schadensrisiken infolge behaupteter Versäumnisse des Staates bei der Bekämpfung des Klimawandels hat ein Beschwerdeführer nachzuweisen, persönlich und direkt von den beanstandeten Versäumnissen betroffen zu sein. Vorausgesetzt wird, dass der Beschwerdeführer den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels in hoher Intensität ausgesetzt ist und dass ein dringendes Bedürfnis nach individuellem Schutz des Beschwerdeführers besteht, da angemessene Maßnahmen zur Schadensminderung fehlen oder unzureichend sind. Im Hinblick auf den Ausschluss der actio popularis unterliegt die Erfüllung dieser Kriterien einer besonders hohen Hürde und erfordert eine sorgfältige Prüfung.
Im konkreten Fall ist nicht ersichtlich, dass die individuellen Beschwerdeführerinnen den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels in einer Intensität ausgesetzt sind oder zu einem relevanten Zeitpunkt in der Zukunft ausgesetzt sein könnten, die die Gewährleistung ihres individuellen Schutzes dringend erforderlich macht.
Aus den zu Art 8 EMRK festgestellten Gründen sind die Beschwerden der individuellen Beschwerdeführerinnen auch nach Art 2 EMRK unvereinbar ratione personae. Die Anwendbarkeit des Art 2 EMRK setzt eine tatsächliche und unmittelbare Lebensgefahr voraus, also eine ernsthafte, echte und hinreichend feststellbare Lebensgefahr, die eine physische und zeitliche Nähe der Bedrohung aufweist, etwa die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung aufgrund des Klimawandels; diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
In der Sache stellt der EGMR eine Verletzung von Art 8 EMRK fest:
Aus Art 8 EMRK folgt ein Recht Einzelner auf wirksamen Schutz durch den Staat vor schwerwiegenden nachteiligen, aus dem Klimawandel resultierenden Auswirkungen auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität.
Die Art und Schwere der Bedrohung sowie der allgemeine Konsens, den Klimaschutz durch Reduktionsziele betreffend Treibhausgase (THG) sicherzustellen, schränken den staatlichen Ermessensspielraum hinsichtlich des Bekenntnisses des Staates zur Notwendigkeit der Bekämpfung des Klimawandels und der Festlegung der diesbezüglichen Ziele ein. Bei der Wahl der Mittel, um diese Ziele zu erreichen, hat der Staat einen weiten Ermessensspielraum.
Der Staat hat in erster Linie Vorschriften und Maßnahmen zu erlassen und wirksam anzuwenden, die geeignet sind, die bestehenden und potenziell irreversiblen künftigen Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem Kausalzusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Inanspruchnahme der Konventionsrechte, sowie aus der Tatsache, dass die Bestimmungen der Konvention so ausgelegt und angewandt werden müssen, dass die verbürgten Rechte praktisch und wirksam sind.
Art 8 EMRK erfordert in diesem Zusammenhang, dass jeder Staat Maßnahmen zur schrittweisen Reduktion der THG-Emissionen ergreift, mit dem Ziel, Netto-THG-Neutralität grundsätzlich binnen der nächsten drei Jahrzehnte zu erreichen. Damit diese Maßnahmen effektiv sind, haben die Behörden rechtzeitig sowie auf geeignete und kohärente Weise zu handeln. Auch müssen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, die zur Netto-THG-Neutralität führen, damit die tatsächliche Durchführbarkeit gewährleistet und eine unverhältnismäßige Belastung künftiger Generationen vermieden wird.
Weiters erfordert ein wirksamer Schutz, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels durch Anpassungsmaßnahmen ergänzt werden, die darauf abzielen, die schwerwiegendsten oder unmittelbarsten Folgen des Klimawandels abzumildern.
Schließlich sind beim Entscheidungsprozess des Staates folgende Verfahrensgarantien zu gewährleisten: Die den Behörden zur Verfügung stehenden Informationen, die für die Ausarbeitung und Umsetzung der einschlägigen Regelungen und Maßnahmen von Bedeutung sind, müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zudem hat es Verfahren zu geben, in deren Rahmen die Standpunkte der Öffentlichkeit im Entscheidungsfindungsprozess berücksichtigt werden können.
Im Ergebnis gibt es in der Schweiz einige kritische Lücken bei der Schaffung des entsprechenden Rechtsrahmens; darunter das Versäumnis, das nationale CO2-Budget zu quantifizieren. Die bloße legislative Verpflichtung, die konkreten Maßnahmen „rechtzeitig“ zu verabschieden, ist unzureichend. Zudem wurden bereits zuvor die Ziele zur Reduktion der THG-Emissionen verfehlt. Indem die Schweiz es verabsäumte, bei der Entwicklung und Umsetzung des rechtlichen und administrativen Rahmens rechtzeitig sowie auf geeignete und kohärente Weise zu handeln, überschritt sie ihren Ermessensspielraum und verletzte Art 8 EMRK.
Behauptete Verletzung von Art 6 und 13 EMRK
Das Vorbringen des Vereins betraf einerseits Gesetzgebungsfragen bzw politische Entscheidungen, die nicht in den Anwendungsbereich von Art 6 Abs 1 EMRK fallen, andererseits aber auch – und insoweit findet Art 6 Abs 1 EMRK auf die Beschwerde Anwendung – behauptete Versäumnisse bei der wirksamen Umsetzung der im geltenden innerstaatlichen Recht vorgesehenen Klimaschutzmaßnahmen, die den Schutz der durch den beschwerdeführenden Verein verteidigten Rechte beeinträchtigten. Im Kontext des Klimawandels sind im Lichte der Rolle von Vereinigungen deren rechtliche Maßnahmen als Mittel zu sehen, mit dem die Konventionsrechte der vom Klimawandel Betroffenen, einschließlich derjenigen, die in Bezug auf ihre Vertretung deutlich benachteiligt sind, verteidigt werden können. Im Hinblick auf das Bestreben des Vereins, für die civil rights seiner Mitglieder angesichts der nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels einzutreten, ist die Voraussetzung eines echten und ernsthaften Streits über ein civil right (Recht auf Leben nach Art 10 chBV) erfüllt und der Ausgang des Verfahrens war – dieses Erfordernis in einem weiteren Sinn verstehend – für die in Streit stehenden Rechte unmittelbar entscheidend. Dem Verein kommt daher Opfereigenschaft zu. Hingegen ist die Beschwerde der individuellen Beschwerdeführerinnen, für deren civil rights der Verfahrensausgang nicht unmittelbar entscheidend war, rationae materiae unvereinbar mit den Konventionsbestimmungen.
Die Zurückweisung des nationalen Rechtsbehelfs des beschwerdeführenden Vereins ohne inhaltliche Prüfung beschränkt das Recht auf Zugang zu einem Gericht. Im Hinblick auf das von den innerstaatlichen Gerichten mit der erfolgten Beschränkung verfolgte Ziel, zwischen Fragen des individuellen Schutzes und Beschwerden im allgemeinen öffentlichen Interessen zu unterschieden, kann die Beschwerde, soweit sie die Versäumnisse bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen betrifft, nicht von vornherein als actio popularis angesehen werden. Die Feststellungen der innerstaatlichen Gerichte, dass noch Zeit verbleibe, um das Erreichen der kritischen Grenze der globalen Erwärmung zu verhindern, sind nicht überzeugend. Die – nicht ausreichend untersuchten – wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel deuten auf einen dringenden Bedarf hin, den Schutz der Menschenrechte im Hinblick auf die behauptetermaßen unzureichenden Maßnahmen der Behörden zur Bekämpfung des Klimawandels sicherzustellen.
Die innerstaatlichen Gerichte befassten sich weder mit der Frage der Legitimation noch sonst mit dem Rechtsmittel des beschwerdeführenden Vereins. Da diesem keine weiteren relevanten Garantien zur Verfügung standen, wurde – soweit Art 6 Abs 1 EMRK auf das Beschwerdevorbringen anwendbar ist – sein Recht auf Zugang zu einem Gericht so weit eingeschränkt, dass der Wesensgehalt dieses Rechts beeinträchtigt wurde. In diesem Zusammenhang ist die Schlüsselrolle zu betonen, die innerstaatliche Gerichte in Rechtsstreitigkeiten betreffend den Klimawandel gespielt haben und spielen werden.
Da Art 6 EMRK im Verhältnis zu Art 13 EMRK eine lex specialis ist, ist es nicht erforderlich, die Beschwerde nach Art 13 EMRK gesondert zu prüfen.
S. 513 - 522, Rechtsprechung
Zuständigkeit der Datenschutzbehörde zur Entscheidung über Beschwerden gegen Datenverarbeitungen durch Staatsanwaltschaften nicht verfassungswidrig
Dem Gesetzgeber kommt im Hinblick auf die in der RL 2016/680/EU (in der Folge: DSRL) zwingend vorgegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten bei Datenschutzverletzungen – einerseits mittels Beschwerde an die Aufsichtsbehörde (und damit eine Verwaltungsbehörde) und andererseits durch einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf – kein Umsetzungsspielraum zu. Im Fall des Widerspruchs der Bestimmungen des DSG über die Beschwerdemöglichkeit an die Datenschutzbehörde (DSB) zu Art 83 Abs 2 und Art 94 B-VG hätte der Gesetzgeber keine Möglichkeit, eine Ersatzregelung zu schaffen, die sowohl dem Unionsrecht als auch dem innerstaatlichen Verfassungsrecht entspräche. Insofern käme eine Aufhebung nur dann in Betracht, wenn der EuGH die diesen Bestimmungen zugrunde liegenden Regelungen der DSRL für ungültig erklärte. Die Möglichkeit der Ausnahme von Staatsanwaltschaften von der Aufsicht der DSB bei Datenverarbeitungen iS der DSRL ist aufgrund von deren Weisungsgebundenheit unionsrechtlich verwehrt.
S. 522 - 524, Rechtsprechung
Rechtsstellung und genehmigungspflichtige Rechtshandlungen des Verlassenschaftskurators
Der Verlassenschaftskurator ist Vermögensverwalter und Vertreter nur der Verlassenschaft, deren Interessen er zu wahren hat. Er handelt aber materiell für den oder die späteren wahren Erben. Als Ausfluss dieses Grundsatzes hat der Verlassenschaftskurator die Meinung der ihm bekannten potenziellen Erben zu berücksichtigen. Allerdings ist die Einstimmigkeit der potenziellen Erben nicht erforderlich, um dem Verlassenschaftskurator die Setzung einer Vertretungshandlung zu ermöglichen.
Handlungen des Kurators können nur dann genehmigt werden, wenn sie im Interesse der Verlassenschaft liegen, für diese also von Vorteil sind. Hingegen genügt es nicht, wenn diese Handlungen für die Verlassenschaft nur „nicht offenbar nachteilig“ sind.
Wenn die Erfolgsaussichten gering sind und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Vermögensnachteil durch die Belastung mit Prozesskosten droht, ist nicht davon auszugehen, dass ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde (hier: Genehmigung erforderlich für Fortsetzungsantrag eines Verlassenschaftskurators in einem noch vom Erblasser eingeleiteten, jedoch ruhenden Aktivprozess mit hohem Streitwert).
In Außerstreitsachen geht ein Aufschiebungsantrag ins Leere, weil Rechtsmittel die Entscheidungswirkungen schon grundsätzlich aufschieben.
S. 524 - 529, Rechtsprechung
Vermächtnis des „Vorerben“ bei vertraglicher Nachbildung einer Nacherbschaft wirkungslos
In der Rsp ist die vertragliche Begründung von Besitznachfolgerechten in Anlehnung an die erbrechtliche Nacherbschaft anerkannt, wobei verschiedene Fallgruppen unterschieden werden: Die erste Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass vereinbart wird, dass das Eigentumsrecht des Erwerbers durch sein Vorableben auflösend bedingt ist und die Liegenschaft an den alten Eigentümer oder auch einen Dritten fällt. Die zweite Fallgruppe ist hingegen davon geprägt, dass der Erwerber (nur) verpflichtet ist, die Liegenschaft einer oder mehreren bestimmten oder bestimmbaren Personen bei Lebzeiten zu übergeben oder von Todes wegen zu überlassen. Je näher die konkrete Vereinbarung typischen Anliegen einer Nacherbschaft Rechnung trägt, umso eher ist eine analoge Anwendung der Regelungen über die Nacherbschaft geboten.
Eine vom Beschenkten übernommene Verpflichtung, die geschenkte Liegenschaft niemandem anderen als einem bestimmten Dritten zu hinterlassen, begründet einen Vertrag zugunsten dieses Dritten, der daraus auch einen unmittelbaren Anspruch erwirbt.
Eine legatarische Verfügung des Vorerben über eine Liegenschaft, die unter eine Nacherbschaft (auch nur auf den Überrest) fällt, ist wirkungslos, weil der Vorerbe insoweit von Todes wegen nicht wirksam verfügen kann. Maßgeblich dafür ist die Rechtsnatur der Nacherbschaft, die eine „funktionale Teilung“ des Eigentumsrechts zwischen Vor- und Nacherben bedeutet. Dem Vorerben kommt allein kein freies Verfügungsrecht über die Substitutionsmasse zu. Dies gilt aufgrund der Nähe zur Nacherbschaft analog auch im Zusammenhang mit einer „quasifideikommissarischen“ Besitznachfolge.
Die Verkehrs- und Betriebssicherheit eines Gebrauchtwagens ist im Regelfall eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft, für die der Verkäufer einzustehen hat. Ein vertraglicher Gewährleistungsausschluss steht der Geltendmachung des Fehlens dieser gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft entgegen. Nur beim Kauf vom gewerblichen Kraftfahrzeughändler ist die Verkehrs- und Betriebssicherheit im Regelfall auch schlüssig zugesichert und überlagert damit einen – nach Maßgabe des § 9 KSchG zulässigen – Gewährleistungsverzicht. Handelt der Verkäufer nicht gewerblich mit Kraftfahrzeugen, kommt eine schlüssige Zusicherung der Verkehrs- und Betriebssicherheit nur bei besonderen Umständen in Betracht.
Die Anfechtbarkeit wegen laesio enormis macht den inhaltlich ungerechten Vertrag aufhebbar. Sie kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden (§ 935 ABGB). Das Missverhältnis des Werts wird nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes nach dem Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts bestimmt (§ 934 S 3 ABGB). Das Missverhältnis muss sich – der Qualifikation der laesio enormis als Wurzelmangel entsprechend – allein aus dem Vertragsinhalt ergeben, das heißt aus dem Vergleich der vertraglich vereinbarten Leistungen. Der dafür maßgebliche Zeitpunkt ist jener des Vertragsabschlusses. Der nach § 934 ABGB maßgebliche „gemeine Wert“ ist der „gemeine Preis“ des § 305 ABGB, also – im Regelfall – der Marktpreis.
Die Auffassung, die Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB setze eine Anzeige iS des § 1097 ABGB voraus (RIS-Justiz RS0126618), kann für den Fall unverschuldeter Unkenntnis des Mieters von Mängeln des Bestandobjekts nicht aufrecht erhalten werden. In einem solchen Fall trifft die Gefahr eines aus objektiver Sicht nicht dem bedungenen Gebrauch entsprechenden Bestandobjekts den Vermieter als Eigentümer. Dem Mieter steht im Fall unverschuldeter Unkenntnis von einem solchen Mangel bei objektiv vorliegenden Mängeln des Bestandobjekts ein Zinsminderungsanspruch auch ohne eine Anzeige an den Vermieter zu; eine Verpflichtung zur Untersuchung für den Mieter nicht erkennbarer, nur theoretisch denkbarer Mängel des Bestandobjekts kann aus seiner Pflicht nach § 1097 ABGB, dem Bestandgeber ihm obliegende Ausbesserungen anzuzeigen, nicht abgeleitet werden. Der Umstand, dass der Mieter aufgrund der subjektiven Unkenntnis seiner Gefährdung das Objekt weitgehend uneingeschränkt nutzen konnte, ist bei Ausmittlung der Höhe seiner Zinsminderungsansprüche angemessen zu berücksichtigen.
Für den von § 92b JN vorausgesetzten Bezug der Streitigkeit auf eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz sind elektronische Verarbeitungs- und Speichervorgänge maßgeblich. Erfasst sind Verletzungen von Persönlichkeitsrechten im und über das Internet, egal auf welche Art und Weise (Internetseite, WhatsApp-Gruppe, Abrufbarkeit in Apps), solange die Abrufbarkeit in einem elektronischen Kommunikationsnetz gegeben ist oder war.
Wenn ein und derselbe Tatbestand verschiedenen Gesetzesnormen unterstellt werden kann ist das angerufene Gericht zuständig, wenn es die Zuständigkeit auch nur hinsichtlich einer der anzuwendenden konkurrierenden Normen besitzt. Maßgebliche Voraussetzung ist insofern, dass über einen einheitlichen Sachverhalt zu entscheiden ist, in Ansehung dessen verschiedene Rechtsgründe das nach dem Urteilsbegehren angestrebte Ergebnis tragen könnten. Ein Wahlrecht des Klägers besteht auch dann, wenn es sich um eine nicht prorogierbare Zuständigkeit handelt. Diese zur sachlichen Zuständigkeit ergangene Rechtsprechung gilt auch für die Frage der örtlichen Zuständigkeit.
S. 541 - 543, Rechtsprechung
„Ausrichten“ der unternehmerischen Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers
Ein Gewerbetreibender richtet eine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers aus (Art 17 Abs 1 lit c Brüssel Ia-VO), wenn er – vor dem Vertragsschluss mit dem Verbraucher – den Willen ausdrückt, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern in diesem Mitgliedstaat herzustellen, also zum Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit zu sein. Bloßes „Doing business“ reicht nicht, weil es nicht zielgerichtet ist, also ohne die oben umschriebenen Merkmale des Ausrichtens ausgeübt wird.
Anhaltspunkte dafür, dass eine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist, bilden alle offenkundigen Ausdrucksformen des Willens, in diesem Mitgliedstaat wohnhafte Verbraucher als Kunden zu gewinnen, etwa durch das Anbieten von Dienstleistungen und Produkten, Werbung und andere absatzfördernde Maßnahmen, die Aufnahme von Fernkontakt und der Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz, einen Sitz in einem grenznahen Ballungsraum oder eine Telefonnummer des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, um den Kunden die Kosten für ein Auslandsgespräch zu ersparen. Auch aus dem internationalen Charakter einer Tätigkeit kann auf ihre internationale Ausrichtung geschlossen werden.
S. 543 - 544, Rechtsprechung
Unzureichender telefonischer Verbesserungsauftrag im Verfahren außer Streitsachen
Wird gegen eine Entscheidung, die nur mit Zulassungsvorstellung angefochten werden kann, ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben, so hat das Erstgericht dieses Rechtsmittel, auch wenn es direkt an den OGH gerichtet ist, dem Rekursgericht vorzulegen, weil derartige Rechtsmittel als Anträge iS des § 63 AußStrG zu werten sind. Ob der Rechtsmittelschriftsatz als Zulassungsvorstellung an das Rekursgericht zu qualifizieren und daher diesem vorzulegen oder einem Verbesserungsverfahren zu unterziehen ist, obliegt (zunächst) der Beurteilung des Erstgerichts.
Liegt ein verbesserbarer Mangel vor, hat das Gericht für die Verbesserung „zu sorgen“ (§ 10 Abs 4 AußStrG) und der Partei „auf möglichst einfache Art Gelegenheit zur Verbesserung zu geben“ (§ 59 Geo). Die Verbesserung kann also zwar unter Umständen auch formfrei, zB durch telefonisch eingeholte und in einem Aktenvermerk dokumentierte Ergänzungen erfolgen. Die Art des Verbesserungsauftrags und die Form der Verbesserung richtet sich aber nach dem jeweiligen Mangel; die Verbesserung durch telefonische Ergänzungen kommt dabei aus Gründen der Rechtssicherheit in erster Linie für evidente Schreib-, Diktat- oder Rechenfehler in Betracht. Bei schwerer wiegenden Inhaltsmängeln ist ein telefonischer Verbesserungsauftrag nur zulässig, wenn (dennoch) auch bei dieser Vorgangsweise mit einer Verbesserung gerechnet werden konnte und der Mangel behoben wurde. Wird hingegen in solchen Fällen der bloß telefonischen Aufforderung der Mangel nicht behoben, kann dann die Einleitung eines schriftlichen Verbesserungsverfahrens geboten sein.
Vergabeverfahren iS des § 168b Abs 1 StGB können (auch) Verfahren sein, die private Auftraggeber außerhalb des sachlichen Geltungsbereichs des BVergG durchführen.
S. 546 - 547, Rechtsprechung
Einstellung des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und „ne bis in idem“
Der EGMR beurteilt die Frage, ob eine bestimmte Entscheidung einen Freispruch oder eine Verurteilung iS des Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK darstellt, nach deren Inhalt und den Auswirkungen auf die Person, gegen die sie sich richtet. Eine Entscheidung in der Sache liegt dann vor, wenn eine dazu kompetente Behörde über die strafrechtliche Verantwortlichkeit abspricht, mit anderen Worten Schuld oder Unschuld beurteilt. Eine Einstellung des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens wegen verneinter Befugnis zur inhaltlichen Prüfung des Vorwurfs der Gefährdung der körperlichen Sicherheit (§ 89 StGB) stellt keine Entscheidung in der Sache dar.
Eine Maßnahmenbeschwerde an das VwG kann sich nur gegen die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt durch Verwaltungsbehörden oder durch Organe in ihrem Dienst richten. Akte anderer Staatsfunktionen (Gesetzgebung oder Gerichtsbarkeit) sind grundsätzlich keine tauglichen Beschwerdegegenstände. Gemäß § 25 Abs 2 VwGVG erfolgt der Ausschluss der Öffentlichkeit durch verfahrensleitenden Beschluss entweder von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei oder eines Zeugen. Ein verfahrensleitender Beschluss des VwG auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellt keinen tauglichen Beschwerdegegenstand für eine Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG dar.
S. 548 - 551, Korrespondenz
„Vergabeverfahren“ iS des § 168b StGB – Korrespondenz zu OGH 11 Os 112/23i
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