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Juristische Blätter

Heft 4, April 2021, Band 143

Verhüllungsverbot an Volksschulen

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§ 43a SchUG (Untersagung des Tragens von weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist, für Schülerinnen und Schüler bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das zehnte Lebensjahr vollenden) wird wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz in Verbindung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit aufgehoben:

Bei der Gestaltung des Schulwesens ist der Gesetzgeber gehalten, dem Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität durch eine am Gleichheitsgrundsatz ausgerichtete Behandlung verschiedener religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zu entsprechen. Die Gewährleistung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben kann im Bereich der Schule auch Beschränkungen der durch Art 9 EMRK gewährleisteten Rechte von Schülerinnen und Schülern sowie ihrer Erziehungsberechtigten rechtfertigen, wenn diese verhältnismäßig und sachlich ausgestaltet sind. Eine Regelung, die eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung selektiv herausgreift, indem sie eine solche gezielt privilegiert oder benachteiligt, bedarf daher im Hinblick auf das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität einer besonderen sachlichen Rechtfertigung.

§ 43a SchUG verbietet – den Gesetzesmaterialien zufolge – gezielt die Verhüllung des Hauptes nach islamischer Tradition wie insbesondere durch das islamische Kopftuch. Mit dieser Regelung greift der Gesetzgeber eine spezifische Form einer religiös oder weltanschaulich konnotierten Bekleidung heraus, welche in der einen oder anderen Weise mit anderen, jedoch nicht verbotenen, religiös oder weltanschaulich konnotierten Bekleidungsgewohnheiten vergleichbar ist.

Eine Regelung, die einer unerwünschten geschlechtlichen Segregation entgegenwirkt und damit dem Bildungsziel der sozialen Integration sowie der Gleichstellung der Geschlechter dient, verfolgt eine gewichtige, verfassungsrechtlich allgemein (Art 7 Abs 2 B-VG) und der Schule im Besonderen (Art 14 Abs 5a B-VG) vorgegebene Zielsetzung. Eine solche Regelung muss aber verhältnismäßig und sachlich, insbesondere auch im Einklang mit den weiteren Grundwerten der Schule ausgestaltet sein.

Das Tragen des islamischen Kopftuches ist eine Praxis, die aus verschiedenen Gründen ausgeübt wird. Dem islamischen Kopftuch kommt keine eindeutige und unmissverständliche Bedeutung zu. Es ist dem VfGH aber gerade bei Fragen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit verwehrt, sich bei mehreren Möglichkeiten der Deutung eines religiösen oder weltanschaulichen Symbols eine bestimmte Deutung zu eigen zu machen und diese seiner grundrechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhandenseins solcher Symbole in staatlichen Bildungseinrichtungen zugrunde zu legen.

Die selektive Verbotsregelung gemäß § 43a SchUG, welche bloß bei Mädchen ansetzt und ihnen bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das zehnte Lebensjahr vollenden, das Tragen eines islamischen Kopftuches untersagt, ist von vornherein nicht geeignet, die vom Gesetzgeber selbst formulierte Zielsetzung (Förderung der sozialen Integration, Verhinderung von geschlechtlicher Segregation) zu erreichen. Vielmehr kann sich das selektive Verbot nach § 43a SchUG gerade auch nachteilig auf die Inklusion betroffener Schülerinnen auswirken und zu einer Diskriminierung führen, weil es das Risiko birgt, muslimischen Mädchen den Zugang zur Bildung zu erschweren bzw sie gesellschaftlich auszugrenzen.

Durch die Regelung des § 43a SchUG wird islamische Herkunft und Tradition als solche ausgegrenzt. Das punktuell eine einzige religiös oder weltanschaulich begründete Bekleidungsvorschrift herausgreifende Verbot des islamischen Kopftuches stigmatisiert gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen.

Der VfGH verkennt nicht, dass es in Schulen auch zu weltanschaulich und religiös geprägten Konfliktsituationen kommen kann. Dieser Umstand vermag jedoch das selektive Verbot nach § 43a SchUG nicht zu rechtfertigen. Für den VfGH ist es sachlich nicht begründbar, dass für die Lösung derartiger Konfliktsituationen nicht bei jenen Personen angesetzt wird, die auf betroffene Schülerinnen etwa in Form von Anfeindungen, Abwertungen oder sozialem Ausschluss Druck ausüben. Vielmehr trifft das Verbot nach § 43a SchUG gerade die Schülerinnen, welche den Schulfrieden selbst nicht stören. Es obliegt dem Gesetzgeber, geeignete Instrumente für die Konfliktlösung unter Berücksichtigung des Neutralitätsgebotes und des verfassungsrechtlichen Bildungsauftrages zu schaffen sowie die dafür erforderlichen Ressourcen bereit zu stellen, sollten gesetzlich vorgesehene Erziehungs- und Sicherungsmaßnahmen für die Aufrechterhaltung der Schulordnung nicht ausreichen, um derartige Konfliktsituationen aufzulösen und Formen von geschlechterbezogenem oder religiös begründetem Mobbing zu beenden.

  • § 43a SchUG
  • Öffentliches Recht
  • Straf- und Strafprozessrecht
  • Europa- und Völkerrecht
  • Allgemeines Privatrecht
  • Zivilverfahrensrecht
  • JBL 2021, 241
  • VfGH, 11.12.2020, G 4/2020
  • Arbeitsrecht

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