Zum Einsatz von vis absoluta als Nötigungsmittel bei § 105 StGB
- Originalsprache: Deutsch
- JSTBand 2016
- Zur Erinnerung, 1647 Wörter
- Seiten 77 -79
- https://doi.org/10.33196/jst201601007701
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Die Deliktsverwirklichung einer Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) durch Gewalt oder gefährliche Drohung setzt eine dem einheitlichen strafrechtlichen Handlungsbegriff entsprechende willensgesteuerte Reaktion des Opfers auf das Täterverhalten, dh ein Tun, Dulden oder Unterlassen (und nicht bloß unwillkürliches Verhalten) als tatbestandsmäßiges Nötigungsziel voraus. Der Einsatz von vis absoluta („zwingende“ bzw „willensbrechende“ Gewalt) zur unmittelbaren Erreichung eines vom Täter angestrebten Ziels, sei es durch eine den widerstrebenden Willen des Opfers überwältigende Gewaltanwendung oder sei es durch die (allenfalls präventive) gewaltsame Ausschaltung eines solchen Willens überhaupt, wird durch eine Reihe anderer Strafbestimmungen – zum Schutz der Bewegungsfreiheit (§ 99 StGB), der körperlichen Integrität (§§ 83 ff StGB), der Ehre (§ 115 StGB), des Vermögens (§§ 131, 140, 142 StGB), der sexuellen Selbstbestimmung (§§ 201 f, 217 StGB) uam – kriminalpolitisch angemessen erfasst; Strafbarkeitslücken bestehen insoweit nicht.
Weder ein vom Täter ausgelöster rein physischer Reflex des Tatopfers noch eine reflexähnliche rein passive Reaktion des durch die Gewaltanwendung Betroffenen zur Abwendung eines ihm andernfalls unmittelbar bevorstehenden, als bloßer Nebeneffekt daraus erwachsenden Nachteils ist eine „Handlung“ iSd § 105 Abs 1 StGB. „Dulden“ bedeutet „willentliches Geschehen-Lassen“, das bloße Erleiden (Erdulden) einer dem Willen des Tatopfers entgegen gerichteten Gewalt und ihrer unmittelbaren Folgewirkungen durch letzteres ohne eine tätergewollt submittierende Reaktion seinerseits darauf in Bezug auf ein künftiges tatplangemäßes Geschehen reicht nicht.
- Nimmervoll, Rainer
- Strafrecht- und Strafprozessrecht
- JST 2016, 77
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