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Journal für Strafrecht

Heft 1, Januar 2017, Band 2017

Nimmervoll, Rainer

Zur Verwirkung des Rechts auf rechtliches Gehör

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Eine Verweigerung des Rechtes auf Gehör kommt schon begrifflich nur dann in Betracht, wenn der Beschuldigte gegen seinen Willen nicht gehört wird, er also vernommen werden will, das Gericht aber seine Anhörung ablehnt. An dieser Voraussetzung fehlt es nicht nur, wenn der Angeklagte einer Vorladung des Gerichtes unentschuldigt keine Folge leistet, sondern auch dann, wenn er sich durch die Flucht dem Verfahren entzieht. Denn in einem solchen Fall ist es ja der Angeklagte selbst, der bewusst einen Zustand herbeigeführt hat, in dem er nicht gehört werden kann.

§ 6 Abs 2 erster Satz StPO räumt (in weitergehender Konkretisierung des Art 6 Abs 1 EMRK) jeder am Verfahren beteiligten oder von der Ausübung von Zwangsmaßnahmen betroffenen Person ua das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör ein. In Umsetzung dieses fundamentalen Grundsatzes sieht die StPO daher an vielen Stellen eine Anhörung Verfahrensbeteiligter iwS (vgl § 220 StPO) vor.

Besonders nach Rechtskraft des Urteiles zeigen sich dabei in der Praxis insoweit oftmals größere Schwierigkeiten bei der Einräumung dieses Rechts, weil der Verurteilte – selbstredend in Kenntnis seines Verfahrens und der daraus resultierenden Verpflichtungen – untertaucht, keine Meldeadresse (mehr) hat oder sich gar (absichtlich, jedenfalls aber bedingt vorsätzlich) dem weiteren Verfahren durch Flucht entzieht. Insb bei anstehenden Entscheidungen über den Widerruf bedingter Nachsichten von Strafen oder vorbeugenden Maßnahmen (§ 495 iVm § 494a StPO; vgl auch § 40 Abs 3 SMG), für welche grundsätzlich eine Anhörung des Verurteilten vorgesehen ist (§ 495 Abs 3 StPO), oder eines Strafaufschubes nach § 39 Abs 1 SMG (§ 39 Abs 4 SMG) bzw § 6 Abs 1 oder 2 StVG (§ 6 Abs 4 StVG), für welche mitunter – wenngleich bundesweit wohl nicht einheitlich – (ohne vom Gesetz explizit gefordert) aus § 6 StPO die Gewährung rechtlichen Gehörs abgeleitet wird, wird dieses Problem virulent, weil mitunter sogar zu befürchten steht, dass die gesetzlich vorgesehene Maßnahme mangels Gewährung rechtlichen Gehörs wegen Fristablaufs nicht mehr gesetzt werden kann bzw darf (vgl etwa § 49 bzw 56 StGB).

Dieses Problems ist sich auch der Gesetzgeber bewusst, normiert er doch auch auf einfachgesetzlicher Ebene wohlbedacht, dass im Kontext von Entscheidungen nach § 494a StPO „von der Anhörung des Verurteilten ... abgesehen werden [kann], wenn sich erweist, dass sie ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht durchführbar ist“ (vgl etwa auch § 494a Abs 3 bzw § 445a Abs 1 StPO). Ähnlich äußern sich die ErläutRV zur SMG-Novelle 1997, wonach die dort gewünschte Ermahnung des Verurteilten zur Therapiefortsetzung nur dann vonnöten sei, „sofern sein Aufenthalt bekannt ist“. Schon daraus ist abstrahierend den Schluss zu ziehen zulässig, dass das Recht auf rechtliches Gehör kein absolutes, sondern unter gewissen Umständen ein – wie sich aus dem Mangel entgegenstehender Bestimmungen ergibt – verzichtbares ist.

In dieses gesetzliche System fügt sich die hier zu besprechende Entscheidung nahtlos ein, indem sie ausspricht, dass sich der Beschuldigte (vgl § 48 Abs 2 StPO, genauso der Verurteilte) des Rechts auf Gehör begibt, wenn er einer Ladung nicht Folge leistet oder sich dem Verfahren durch Flucht (oder aber auch durch bloßes Untertauchen bzw Unterlassen der obligatorischen Meldung ) entzieht, weil dies insoweit einem Verzicht auf dieses Recht gleichkommt bzw der Beschuldigte „solcherart selbst dem Grundrecht entsagt “, indem er dieses ihm eingeräumte Recht aus eigenem Verschulden ungenutzt lässt. Ein solcher Verzicht kann nämlich nicht nur ausdrücklich (durch den Beschuldigten oder seinen Verteidiger) erklärt werden, sondern auch konkludent zu erkennen gegeben werden, indem bspw trotz Kenntnis des Verfahrens einer Ladung nicht Folge geleistet wird oder indem sich von vornherein der Aushändigung der Ladung entzogen wird, denn dass der Beschuldigte etwa nur dann auf sein Recht verzichten könnte, wenn er nachweislich davon Kenntnis erlangt hat, wäre – so der OGH zutreffend – nicht einzusehen.

Eine gegenteilige Sichtweise würde den weiteren Gang bzw Verlauf des Verfahrens dem Willen bzw letztlich der Willkür des Beschuldigten anheimstellen, was Sinn und Zweck der Strafrechtspflege aber geradezu konterkarieren würde und demnach abzulehnen ist. Diese Rechtsprechung wird über die oben skizzierten Fälle hinaus sinngemäß auf eine Vielzahl verschiedener Konstellationen anwendbar sein, in denen der Beschuldigte aus eigenem Zutun für die Strafverfolgungsbehörden zwecks Gewährung von rechtlichem Gehör nicht greifbar ist.

  • Nimmervoll, Rainer
  • JST 2017, 78
  • Strafrecht- und Strafprozessrecht

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