Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse
- Originalsprache: Deutsch
- JBLBand 142
- Rechtsprechung, 20540 Wörter
- Seiten 300 -321
- https://doi.org/10.33196/jbl202005030001
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Die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse verstößt nicht gegen das Effizienzprinzip: Die Gebietskrankenkassen sind als Sozialversicherungsträger Körperschaften öffentlichen Rechts und Selbstverwaltungskörper iS der Art 120a ff B-VG, die weder eine Garantie für die Existenz von Gebietskrankenkassen noch ein Verbot der Auflösung oder Zusammenlegung von Gebietskrankenkassen enthalten. Es liegt prinzipiell im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, eine ihm als rechtspolitisch zweckmäßig erscheinende Reform vorzunehmen und eine (wenn auch bewährte) Rechtslage durch eine ihm günstiger erscheinende zu ersetzen, ohne hiefür in jedem Fall einen äußeren, spezifischen „sachlichen Anlass“ zu benötigen; dieser Gestaltungsspielraum wurde durch die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen nicht überschritten.
Die paritätische Zusammensetzung der Organe der Sozialversicherungsträger aus Vertretern der Dienstnehmer und der Dienstgeber (§§ 426, 430 und 538v Abs 3 S 4 ASVG idF SV-OG) verstößt nicht gegen demokratische Grundsätze der Selbstverwaltung: Gemäß Art 120c Abs 1 B-VG können Organfunktionen in Selbstverwaltungskörpern (grundsätzlich) nur durch deren Mitglieder ausgeübt werden. Die Sozialversicherung in der Österreichischen Gesundheitskasse ist gesetzlich als Selbstverwaltung des Personenkreises der Dienstgeber und der (aktiven) Dienstnehmer gestaltet (aus § 430 Abs 3 ASVG idF des SV-OG lässt sich ableiten, dass Mitglieder eines Versicherungsträgers iS des ASVG „pflichtversicherte Dienstnehmer/innen“, „Dienstgeber/innen von solchen“ sowie „freiwillig Versicherte“ sind). Angesichts der Beitragsleistung durch Dienstgeber und Dienstnehmer und der besonderen Aufgabenkonstellation der Allgemeinen Sozialversicherung hat der Gesetzgeber den durch Art 120c Abs 1 B-VG bei der konkreten Ausgestaltung der demokratischen Repräsentation in den Organen des Versicherungsträgers eingeräumten erheblichen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum mit der Anordnung der Parität von Dienstgebern und Dienstnehmern nicht überschritten. Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die abwechselnde Vorsitzführung in den verschiedenen Verwaltungskörpern.
Die Einführung eines Eignungstests für die in die Verwaltungskörper der Sozialversicherung zu entsendenden Personen (§ 420 Abs 6 Z 5, Abs 7 und 8 sowie § 718 Abs 7a ASVG idF SV-OG) verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Selbstverwaltung: Es ist dem Gesetzgeber nicht schlechthin verwehrt, allgemeine (sachliche) Ausschlussgründe für in die Organe der Selbstverwaltung zu entsendende Mitglieder vorzusehen, es darf jedoch keine Anforderung vorgesehen werden, die geeignet wäre, eine Entsendung nach demokratischen Grundsätzen zu konterkarieren. Der Gesetzgeber darf bei der Regelung der Entsendung von Versicherungsvertretern zwar auf fachliche Qualifikationen Bedacht nehmen; mit den angefochtenen Bestimmungen hat er jedoch ein Instrumentarium in Form einer Prüfung mit von außerhalb des Selbstverwaltungskörpers festgelegten (überzogenen) Inhalten durch eine außerhalb des Selbstverwaltungskörpers einzurichtende Prüfungskommission geschaffen und damit (in der Zusammenschau) gegen Art 120c Abs 1 B-VG verstoßen.
Die Ermächtigung zu einer staatlichen Zweckmäßigkeitsaufsicht auch bei Beschlüssen, deren finanzielle Auswirkungen ein Ausmaß von € 10 Mio innerhalb eines oder von fünf Kalenderjahren übersteigen (§ 449 Abs 2 ASVG idF SV-OG) verstößt gegen Art 120b B-VG (Beschränkung der Zweckmäßigkeitsaufsicht auf das Maß des „Erforderlichen“), weil sie im Ergebnis nahezu die gesamte Gebarung der Sozialversicherungsträger abseits von Einzelfallentscheidungen erfasst.
Gegen die Einspruchsmöglichkeit der Vertreter des Bundesministeriums für Finanzen nicht nur bei einer Gefährdung der Interessen des Bundes, sondern auch bei Verstößen gegen die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (§ 448 Abs 4 S 2 ASVG idF SV-OG) bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken.
Die Möglichkeit zur (anlass- und begründungslosen) Vertagung von Tagesordnungspunkten durch die Aufsichtsbehörde (§ 449 Abs 4 vorletzter und letzter Satz ASVG idF SV-OG) stellen dagegen einen sachlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die Selbstverwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten durch die Verwaltungskörper der Versicherungsträger dar.
Der durch die Anordnung der Maßgeblichkeit der Grundsätze der Mustergeschäftsordnungen für die Geschäftsordnungen der Sozialversicherungsträger (§ 456a Abs 2 S 2 ASVG idF SV-OG) bewirkte Eingriff in die Satzungsautonomie der Versicherungsträger ist verfassungswidrig.
Gegen die (nach „Tunlichkeit“ erfolgende) Übertragung von Aufgaben an das Büro (§ 432 Abs 1 ASVG idF SV-OG) bestehen im Hinblick auf die umfassende Weisungsberechtigung des demokratisch legitimierten Verwaltungsrates, der übertragene Geschäfte auch jederzeit wieder an sich ziehen kann, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Auflassung der Kontrollversammlung verstößt nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze der Selbstverwaltung; die Art 120a ff B-VG sehen keinen Mindeststandard an Organen von sonstigen Selbstverwaltungskörpern vor.
Die „Zielsteuerung Sozialversicherung“ (§ 441f ASVG idF SV-OG) verstößt nicht gegen das Determinierungsgebot: Es besteht kein Zweifel, dass damit im Rahmen der Hoheitsverwaltung zu fassende Beschlüsse des Dachverbandes vorgesehen werden; auch Urheber und mitwirkende Stellen sowie das einzuhaltende Verfahren und die Inhaltskategorien des Zielsteuerungssystems sind geregelt; jedoch Verfassungswidrigkeit der in § § 441f Abs 1 S 2 vorgesehenen Weisungsbindung und der in § 444 Abs 5 Z 3 ASVG idF SV-OG vorgesehenen Weisungsbefugnis.
Sachlichkeit der Einrichtung des Dachverbandes: Angesichts dessen, dass der Dachverband der Sozialversicherungsträger der Selbstverwaltungskörper der Sozialversicherungsträger (nicht der Versicherten) ist, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass § 441a ASVG idF SV-OG keine Rücksicht darauf nimmt, dass die Versicherungsträger unterschiedliche Versichertenzahlen repräsentieren und kleine Versicherungsträger daher dasselbe Gewicht wie große haben.
Die in § 441a Abs 2 ASVG idF SV-OG vorgesehenen Anforderungen an die Beschlussfassung sind im Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot und die Art 120a ff B-VG unbedenklich, da es im Wesen „demokratischer Grundsätze“ liegt, dass die Repräsentanten einzelner Pflichtmitglieder eines Selbstverwaltungskörpers in dessen Organen überstimmt werden können.
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die in § 30a Abs 2 S 1 ASVG idF SV-OG vorgesehene Ermächtigung an den Dachverband, näher bezeichnete Vorbereitungsaufgaben an einzelne seiner Mitglieder zu übertragen, weil die entscheidende Willensbildung dem demokratisch legitimierten Organ verbleibt und der Dachverband die Übertragung auch wieder rückgängig machen kann.
Die Befugnis des zuständigen Bundesministers zu Verfügungen, die ausschließlich die Arbeitsorganisation der Sozialversicherungsträger betreffen (§ 30a Abs 2 S 2, § 30b Abs 3 und § 30c Abs 3 ASVG idF SV-OG), verstößt gegen demokratische Grundsätze der Selbstverwaltung.
Die Bestimmung über die Entsendung von Personen in den Überleitungsausschuss (§ 538v Abs 1 S 2 ASVG idF SV-OG) soll Doppelmitgliedschaften (insbesondere solche im Vorstand einer Gebietskrankenkasse und im Überleitungsausschuss) vermeiden und dient damit der Vermeidung von Interessenkollisionen; sie ist dem Regelungsziel adäquat und verstößt daher nicht gegen das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes.
Gegen die Bestimmung über die Bestellung des kommissarischen Leiters durch die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (§ 538v Abs 4 ASVG idF SV-OG) bestehen angesichts des Übergangscharakters dieser Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Zuständigkeitsübergang an die Bundesministerin für den Fall, dass ein gültiger Beschluss nicht zustande kommt (§ 538 Abs 1 S 4 und 5 ASVG idF SV-OG) sowie die Bestimmung des § 538v Abs 3 S 4 ASVG idF SV-OG, wonach Dienstnehmer vom Vorsitz im Überleitungsausschuss ausgeschlossen sind, sind unsachlich und daher verfassungswidrig.
Die Übertragung der Sozialversicherungsprüfung auf die Abgabenbehörden des Bundes ohne eine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Modalitäten dieser Prüfung durch die Gesundheitskasse (§ 41a Abs 1 ASVG idF SV-OG und Bestimmungen im PLABG) verletzt die Organisationsprinzipien der Selbstverwaltung.
Die Übertragung von Abteilungen und Zuweisung von Bediensteten des ehemaligen Hauptverbandes an die Gesundheitskasse (§ 718 Abs 12 und 18 ASVG idF SV-OG) verstößt nicht gegen das Determinierungsgebot, den Gleichheitssatz und das Eigentumsrecht.
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