Die Exekutionsordnung: praxisnah und vollständig kommentiert

Im Interview: Thomas Garber und Daphne-Ariane Simotta

April 2024

2021 trat die lang erwartete Gesamtreform des Exekutionsrechts in Kraft. Was dem Gesetzgeber mit der GREx gelungen ist und warum das Justizministerium bereits einen Arbeitskreis zur Befassung mit Kritikpunkten der Reform eingerichtet hat, beantworten die Zivilverfahrensrechtspezialist*innen Thomas Garber und Daphne-Ariane Simotta, Herausgeber und Herausgeberin des neuen EO-Kommentars im Verlag Österreich.

Interview: Roman Tronner

Foto: vlnr Thomas Garber und Daphne-Ariane Simotta, ©Verlag Österreich/Caro Strasnik

Wie entstand die Idee zum EO-Kommentar und was zeichnet diesen aus?

Daphne-Ariane Simotta: Unser Ziel war es, ein übersichtliches, vollständiges und aktuelles Nachschlagewerk zu schaffen. Wir wollten die exekutionsrechtliche Expertise von Universitätsjurist*innen mit der profunden Erfahrung renommierter Vertreter*innen aus unterschiedlichen Bereichen der juristischen Praxis vereinen.

Thomas Garber: Der Kommentar bietet einen raschen und einfachen Zugang zu konkreten Lösungen für die oft komplexen Probleme des Exekutionsrechts. Die Bestimmungen werden praxisnah, aber mit theoretischem Unterbau dargestellt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Berücksichtigung der Änderungen durch die Gesamtreform des Exekutionsrechts, kurz GREx, gelegt.

Für wen ist der Kommentar besonders geeignet?

Garber: Er ist ideal für alle, die mit geringem Rechercheaufwand zuverlässige Antworten auf exekutionsrechtliche Fragen erlangen wollen. Das Werk eignet sich daher hervorragend für Personen, die – etwa als Rechtsanwält*innen, Richter*innen, Rechtspflegende, Gerichtsvollziehende, Notar*innen und Schuldnerberatende – mit dem Exekutionsrecht konfrontiert sind. Und gleichzeitig bietet es einen niederschwelligen Informationszugang für alle, deren beruflicher Schwerpunkt in anderen Bereichen liegt.

Worin besteht Ihrer Meinung nach die Relevanz der Gesamtreform des Exekutionsrechts für die Praxis, vor allem bei der Sicherung und Durchsetzung von Geldforderungen?

Garber: Im Gegensatz zur Rechtslage vor der GREx kann ein Gläubiger nunmehr Exekution zur Hereinbringung einer Geldforderung beantragen, ohne ein Exekutionsmittel zu nennen. Wenn der Gläubiger nichts anderes beantragt, erfasst die Exe­kution die Fahrnisexekution, die Exekution auf bestimmte wiederkehrende Geldforderungen und die Aufnahme eines Vermögensverzeichnisses. Neben diesem „einfachen“ Exekutionspaket wurde ein erweitertes Exekutionspaket geschaffen, das alle Arten der Exekution auf bewegliches Vermögen sowie die Aufnahme eines Vermögensverzeichnisses erfasst. Bei dieser Variante ist zwingend ein Verwalter zu bestellen. Zu den Aufgaben des Verwalters zählt vor allem die Auswahl geeigneter Exekutionsobjekte. Der betreibende Gläubiger kann auf diese Weise wirksam entlastet werden, weil ihm die Vermögenszusammensetzung des Schuldners meist unbekannt sein wird, wenn er einen Exekutionsantrag stellt. Stellen Sie sich einen Schuldner vor, der selbständig tätig ist. Wie wollen Sie als Gläubiger herausfinden, welche Forderungen des Schuldners Sie pfänden lassen können? Diese Aufgabe übernimmt mit der GREx der Verwalter. Da die Verwalterbestellung jedoch zusätzliche Kosten verursacht, wird sie eher selten beantragt.

Die Schaffung von Exekutionspaketen lag eigentlich nahe, denn bereits vor der GREx war es gängige Praxis, Fahrnis- und Gehaltsexekution zu kumulieren. Das wurde nun in eine Form gegossen. Gleichzeitig darf die durch das Exekutionspaket bewirkte Verfahrenserleichterung nicht überschätzt werden: Im Schrifttum wurde bspw zutreffend darauf hingewiesen, dass dem betreibenden Gläubiger die Entscheidung, auf welche Art er Exekution führen möchte, nicht erspart bleibt. Im Exekutionsantrags-Formblatt muss nämlich entweder ein konkretes Exekutionsmittel angegeben oder eines der beiden Exekutionspakete gewählt werden. Insofern ist fraglich, ob die Exekutionsantragstellung im Vergleich zur früheren Rechtslage wirklich signifikant vereinfacht wurde.

Die durch das Exekutionspaket bewirkte Verfahrenserleichterung darf nicht überschätzt werden. Thomas Garber

Simotta: Zu ergänzen ist, dass der Erfolg des erweiterten Exekutionspakets von der wirtschaftlichen Situation des Verpflichteten und ganz entscheidend davon abhängt, wer zum Verwalter bestellt wird. 

Bis April 2023 wurden nur 640 erweiterte Exekutionspakete bewilligt. Das erweiterte Exekutionspaket wird offensichtlich wegen der Kosten nicht allzu häufig beantragt. Auch sind nur 161 Personen in die Liste der Verwalter in Exekutionssachen eingetragen.

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Hat sich die Hoffnung des Gesetzgebers erfüllt, dass es mit der Novelle nun weniger Vollstreckungsverfahren gibt und Gerichte entlastet werden?

Simotta: Nach dem Tätigkeitsbericht der Justiz für die Jahre 2021 und 2022 gab es im Jahr 2021 735.760 und im Jahr 2022 795.646 Exekutionsverfahren, dh im Jahr 2022 gab es um fast genau 60.000 Exekutionsverfahren mehr als im Jahr davor. Der starke Anstieg der Anzahl der Exekutionsverfahren ist sicher der wirtschaftlichen Lage und der Pandemie geschuldet. Es ist daher schwer zu sagen, ob die GREx dazu geführt hat, dass die Anzahl der Exekutionen nicht noch weiter gestiegen ist.

Bei Zahlungsunfähigkeit kann mit der Novelle das Verfahren ins Insolvenzrecht wechseln. Aus der Wissenschaft kam dazu Kritik, dass das in der Praxis nicht gut funktioniere. Wie beurteilen Sie diese Neuerung?

Garber: Im Schrifttum wurde in diesem Zusammenhang insbesondere der mit der GREx geschaffene § 49a EO diskutiert, der als Schnittstelle zwischen Exekutions- und Insolvenzrecht fungieren soll. An sich ist die Absicht des Gesetzgebers, im Fall offenkundiger Zahlungsunfähigkeit die rasche Einleitung von Insolvenzverfahren – ohne „Umweg“ über aussichtslose Exekutionsverfahren – zu erleichtern, durchaus sinnvoll. Vergleicht man das Ziel mit der nunmehrigen Regelung, dann ist diese unzureichend und birgt auch Unsicherheiten. Beispielsweise ist unklar, wie das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit durch das Exekutionsgericht zu prüfen ist und wann die Zahlungsunfähigkeit „offenkundig“ ist. Hier fehlt einfach eine detailliertere gesetzliche Regelung. In der Fachliteratur wurde eindrücklich auf die hieraus resultierende Problematik einer uneinheitlichen Rechtsanwendung hingewiesen.

Simotta: In der Praxis wird die Regelung über die Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit unterschiedlich angenommen, es gibt Bezirksgerichte, die die Möglichkeit, die offenkundige Zahlungsunfähigkeit festzustellen, fast zur Gänze negieren. Laut Ediktsdatei wurde in 3.235 Fällen kundgemacht, dass eine bestimmte namentlich genannte Person zahlungsunfähig ist.

Schuldnerberater*innen oder auch Rechtswissenschafter*innen wie Martin Trenker aus Innsbruck kritisieren das Öffentlichmachen der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit (§ 49a EO), weil zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Ediktsdatei noch nicht sicher sei, ob es zu einem Insolvenzverfahren kommen wird. Das hat Auswirkungen auf das Verhalten, zB von Dienstleistern, gegenüber dem Schuldner. Wäre es nicht besser gewesen, dass das Insolvenzverfahren automatisch mit der Öffentlichmachung eingeleitet wird?

Garber: Eine derartige Regelung wäre insofern effizienter gewesen, als der durch eine öffentliche Bekanntmachung der Zahlungsunfähigkeit erzielbare Nutzen für die Gläubigerschaft in keinem Verhältnis zu der dadurch bewirkten Belastung des Schuldners steht. Um die Zielsetzungen des Insolvenzrechts nicht zu unterlaufen, wäre aber jedenfalls die Festlegung eindeutiger Kriterien für die Annahme einer offenkundigen Zahlungsunfähigkeit erforderlich.

Simotta: Meines Erachtens sollte die Zahlungsunfähigkeit nur dann öffentlich kundgemacht werden, wenn die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegen.

Meines Erachtens sollte die Zahlungsunfähigkeit nur dann öffentlich kundgemacht werden, wenn die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegen. Daphne-Ariane Simotta

 

 

Weitere Kritik: Bereits anhängige Exekutionsverfahren anderer Gläubiger sollen dem Gesetz nach trotz festgestellter offenkundiger Zahlungsunfähigkeit dennoch fortgeführt werden, wenn nicht dort auch die Zahlungsunfähigkeit festgestellt wird. Sehen Sie das als Schwäche des Gesetzes?

Simotta: Dass die Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit des Verpflichteten nicht gegenüber allen betreibenden Gläubigern wirkt und daher anhängige Exekutionsverfahren gegenüber anderen betreibenden Gläubigern fortgeführt werden können, hängt damit zusammen, dass die offenkundige Zahlungsunfähigkeit erst nach Einvernahme der Parteien beschlussmäßig festgestellt werden kann. Würde die in einem Exekutionsverfahren festgestellte offenkundige Zahlungsunfähigkeit auch gegenüber dem/den betreibenden Gläubiger/n anderer Exekutionsverfahren wirken, wäre dies ein Verstoß gegen deren rechtliches Gehör.

Allerdings wird es wahrscheinlich nicht allzu oft dazu kommen, dass andere Exekutionsverfahren gegen denselben Verpflichteten fortgeführt werden, obwohl in einem Exe­kutionsverfahren die offenkundige Zahlungsunfähigkeit festgestellt ist.

Nach §§ 4 und 5 EO ist für Exekutionen auf das bewegliche Vermögen ein und dasselbe Bezirksgericht zuständig, sodass in allen Exekutionsverfahren auf das bewegliche Vermögen derselbe Vollstrecker tätig wird. Auch sind gem § 33 Abs 1 EO alle Exekutionsverfahren auf das bewegliche Vermögen zu verbinden. Es ist daher davon auszugehen, dass der Vollstrecker, wenn er in einem Exekutionsverfahren zu der Feststellung gelangt, dass der Verpflichtete offenkundig zahlungsunfähig ist, in allen anderen Exekutionsverfahren auf das bewegliche Vermögen des Verpflichteten zu demselben Ergebnis gelangen und mit der Vollziehung der ihm aufgetragenen Exekutionshandlungen innehalten wird. Er wird dann das Exekutionsgericht davon informieren, dass seiner Ansicht nach eine offenkundige Zahlungsunfähigkeit des Verpflichteten vorliegt. Das Gericht wird dann nach Einvernahme der betreibenden Gläubiger der anderen Exekutionsverfahren und des Verpflichteten feststellen, ob der Verpflichtete tatsächlich offenkundig zahlungsunfähig ist.

Wird außer dem Gerichtsvollzieher in den miteinander verbundenen Exekutionsverfahren auch noch ein Verwalter tätig, so haben der Verwalter und der Vollstrecker einander alle Informationen zu geben, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sind, soweit die Verfahren die gleichen Exekutionsmittel umfassen (§ 80d EO). Auch sind der Verwalter und der Vollstrecker zur Einsicht in die Akten des jeweiligen anderen Verfahrens berechtigt, soweit dies für die Durchführung der Exekution erforderlich ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Verwalter und Vollstrecker sich gegenseitig über die in einem Exekutionsverfahren festgestellte offenkundige Zahlungsunfähigkeit informieren.

Anders ist dagegen die Situation, wenn neben der Exekution auf das bewegliche Vermögen auch noch eine Liegenschaftsexekution geführt wird und sich das Buchgericht und das nach den §§ 4 und 5 EO für die Exekution auf das bewegliche Vermögen zuständige Gericht nicht decken. Allerdings wird mE eher selten eine offenkundige Zahlungsunfähigkeit vorliegen, wenn der Verpflichtete eine Liegenschaft besitzt.

Abgesehen davon, dass wegen der Gehörproblematik keine allseitige Wirkung der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit angeordnet werden konnte, dürfte der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen sein, dass die anderen betreibenden Gläubiger, wenn sie durch die Ediktsdatei von der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit des Verpflichteten Kenntnis bekommen, von einer Fortsetzung des Exekutionsverfahrens wegen voraussichtlicher Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung Abstand nehmen werden.

War es Ihrer Sicht sinnvoll, die Anfechtungsordnung in die EO zu integrieren?

Garber: Wie in den Gesetzesmaterialien zur GREx betont wird, besteht zwischen der Einzelanfechtung (nunmehr die §§ 438 ff EO) und dem Exekutionsrecht ein enger Konnex. Es war das Bestreben der Zivilrechtssektion des BMJ, kleinere Gesetze in das Hauptgesetz einzubauen. Ob die Integration der Bestimmungen der Anfechtungsordnung in die Exekutionsordnung legistisch geboten war, ist wohl Geschmackssache. Meines Erachtens war dieser Reformschritt nicht zwingend erforderlich.

Der Einsatz von Exekutionsverwaltern wird generell positiv gesehen. Gibt es für Sie auch Herausforderungen aus dieser Neuerung?

Garber: Die Einführung des Verwalters in Exekutionssachen kann zur Verfahrensvereinfachung beitragen und ist grundsätzlich begrüßenswert. Der Verwalter kann flexibler als ein Gerichtsvollzieher vorgehen und er kann bei sorgfältiger Ausübung seiner umfangreichen Befugnisse den betreibenden Gläubiger wirksam entlasten, weil dieser – wie bereits erwähnt – die Vermögens­situation des Verpflichteten vielfach nur unzureichend überblicken kann. Man kann annehmen, dass ein engagierter Verwalter dazu beitragen kann, ein besseres Ergebnis, dh eine höhere Befriedigung des betreibenden Gläubigers zu erzielen. Dies setzt natürlich die Verfügbarkeit geeigneter Personen voraus, die zur Ausübung der Verwaltertätigkeit bereit sind. Inwieweit das der Fall ist, erscheint mir zweifelhaft, auch im Hinblick auf die Mindestentlohnung von nur 500 Euro. Es haben sich bisher auch nur 161 Personen in die Verwalterliste eintragen lassen.

Zu welchen Bestimmungen erwarten Sie in Zukunft eine einschneidende bzw wegweisende Judikatur?

Simotta: Ich glaube nicht, dass man das an einer konkreten Bestimmung festmachen kann. Zu erwarten ist wohl insbesondere die Klärung von Detailfragen, wie bspw durch das LG Linz betreffend den Kostenersatz bei der Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit.

Resümierend: Nach über zwei Jahren EO-Novelle: Wo sollte nachgeschärft oder verbessert werden, was sind Ihre Empfehlungen und Ihr Gesamteindruck?

Garber: In der GREx wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Reformschritte gebündelt, die Rechtsanwender*innen vor neue Herausforderungen stellt. Die GREx bewirkte insbesondere eine gewisse Annäherung des Exekutionsrechts an das Gesamtvollstreckungssystem des Insolvenzrechts. Das ist ein durchaus sinnvoller Ansatz. Es verbleibt jedoch an mehreren Stellen ein enormes Maß an Rechtsunsicherheit – etwa im Kontext der Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit gem § 49a EO. Wünschenswert wäre daher eine präzise und schrittweise Problembehebung durch den Gesetzgeber im Rahmen des „neuen“ Vollstreckungssystems. Dies scheint derzeit angedacht zu sein. Es wurde ein Arbeitskreis beim BMJ eingerichtet, der sich mit den Kritikpunkten beschäftigt.

Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Garber
ist Vorstand des Instituts für Zivilverfahrensrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Garber habilitierte sich an der Universität Graz und absolvierte an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Max Planck Institute Luxembourg for International, European and Regulatory Procedural Law einen Forschungsaufenthalt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen insbesondere das europäische und internationale Zivilverfahrensrecht, das Familienverfahrensrecht und das Provisorialverfahren.

em. Univ.-Prof.in MMag.a Dr.in Daphne-Ariane Simotta
war von 1992 bis zu ihrer Emeritierung 2015 ordentliche Professorin für Zivilgerichtliches Verfahren an der Universität Graz. Simotta studierte Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft an der Universität Wien. Sie habilitierte sich für das Fach „Zivilgerichtliches Verfahren“. Ihr Werk erstreckt sich auf alle Teile des Zivilprozessrechts und die diesbezüglichen EU-Verordnungen: So hat sie unter anderem die EuGVVO und die EuEheVO mitkommentiert.