„Über den Tellerrand schauen wird zur Normalität”

Im Interview: Wilfried Lehner

Der Leiter des Amts für Betrugsbekämpfung berichtet, wie sich die Reform der Finanzverwaltung im ersten Praxisjahr bewährt hat, welche Veränderungen sich dadurch für die Mitarbeiter*innen des Amts für Betrugsbekämpfung beobachten lassen und welche Branchen aktuell im Fokus der Prüfungen stehen.

Dezember 2021

Foto: Hofrat Wilfried Lehner, MLS. Bereichsleiter der Finanzpolizei im Amt für Betrugsbekämpfung/© privat

Wie hat sich die Reform der Finanzverwaltung, die mit Beginn dieses Jahres in Kraft getreten ist, bisher in der Praxis entwickelt?

Die Modernisierung der Finanzverwaltung hat natürlich dafür gesorgt, dass die Betrugsbekämpfungseinheiten näher zusammen gerückt sind. Steuerfahndung, Finanzpolizei und Finanzstrafbehörde haben ja vielfach mit gleichen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen. Synergien im Rahmen der gemeinsamen Betrugsbekämpfung zu identifizieren und schließlich auch zu lukrieren steht daher ganz oben auf der Agenda. Erste praktische Ergebnisse können wir bereits bei der Verfolgung und Unschädlichmachung von Scheinunternehmen verzeichnen. Gerade hier wird deutlich, dass ein Scheinunternehmen stets einher geht mit Sozialbetrug, Abgabenhinterziehung und jeder Menge krimineller Energie. Die gemeinsame Bearbeitung dieser Fälle macht daher viel Sinn und verdeutlicht die Möglichkeiten eines Amtes für Betrugsbekämpfung.

Welche Veränderungen lassen sich insbesondere bei der Arbeit des Amts für Betrugsbekämpfung bereits beobachten?

Auch wenn Veränderungen wie diese nicht so schnell wirksam werden, aber es ist bereits merklich, dass das „über den Tellerrand schauen“, also eine gesamtheitliche Betrachtung von wirtschaftskriminellen Sachverhalten Platz greift und eine kooperative Bearbeitung von Fällen zur Normalität wird. Natürlich müssen diese Vorgänge von den Führungskräften auch aktiv gefördert werden, aber gemeinsame Erfolge im Kampf gegen kriminelle Strukturen, organisierte Kriminalität und der Schutz der redlichen Wirtschaftstreibenden vor Wettbewerbsverzerrungen durch Betrug und Hinterziehungsdelikte befeuern diese neue Herangehensweise.

Sehen Sie Effizienzsteigerungen und den Willen künftig verschränkter zusammenzuarbeiten?

Verstärkte Kooperation machen auch den Zugriff auf Spezialwissen von Kolleginnen und Kollegen möglich, das bisher ungekannt und ungenutzt geblieben ist. Auch hier sind Erfolgserlebnisse bei der Fallbearbeitung für alle Beteiligten der beste Ansporn, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Schneller am Fall zu sein und rascher die wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen zu beenden ist das erklärte Ziel, das wir zumindest bei den Scheinunternehmen bereits erreicht haben.

Welche „Schwachpunkte“ hat das Amt für Betrugsbekämpfung aus Ihrer Sicht?

Bei der größten Betrugsbekämpfungsbehörde Österreichs von Schwachpunkten zu reden, wäre wohl verfehlt. Aber natürlich gibt es immer „Luft nach oben“ und ebenso selbstverständlich sind Wünsche nach Ressourcen und Ausrüstung stets eine Herausforderung.

Können Sie uns ein paar Zahlen zu den Kurzarbeitshilfe-Prüfungen nennen?

Die Kurzarbeitsprüfungen sind nicht zuletzt auf Grund der Gesamtinvestitionen des Staates in diesen Bereich von rund 11 Mrd Euro ein Dauerthema beim Amt für Betrugsbekämpfung und insbesondere bei der Finanzpolizei. Seit April 2020 hat die Finanzpolizei rund 11.500 Betriebe und fast 93.000 Dienstnehmer kontrolliert. Dabei wurden über 300 Verdachtsfälle von betrügerischer Inanspruchnahme von Förderungen an die Polizei angezeigt, gleichzeitig aber auch 1130 sonstige Übertretungen (von der Schwarzarbeit bis zur Gewerbeübertretung) festgestellt und angezeigt.

Welche Erfahrungen hat man bei der Prüfung der COVID-Unterstützungszahlungen an Unternehmen gemacht?

Grundsätzlich kann man den Unternehmen ein sehr gutes Zeugnis ausstellen, auch wenn es immer wieder schwarze Schafe gibt, die selbst solche Ausnahmesituationen dazu benützen, um ihre persönlichen Vorteile daraus zu schlagen. Wir haben jedenfalls unglaublich viel positive Resonanz erhalten, da auch auf Unternehmerseite kein Verständnis für Förderungsbetrug herrscht. Interessant war auch, dass vielfach fehlende Information der Dienstnehmer zu Anzeigen an die Finanzpolizei geführt haben.

Welche Branchen stehen bei den Prüfungen aktuell besonders im Fokus?

Die Risikokriterien sind bei den unterschiedlichen Prüfungsmaßnahmen durchaus differenziert: Während es bei den Kurzarbeitskontrollen typischerweise die Branchen sind, die von der COVID-Krise eher profitiert haben, so sind es bei der allgemeinen arbeitsmarktrechtlichen Kontrolle jene Branchen, die arbeitsintensive Dienstleistungen erbringen und bei denen der Lohndruck besonders ausgeprägt ist.

Was waren die häufigsten Fehler bei den Unternehmen und konnten Missstände aufgedeckt werden?

Auch hier lässt sich kein generelles Fazit ziehen. Bei den Kurzarbeitskontrollen mussten wir vielfach feststellen, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen häufig nur als summarisches Ergebnis, nicht aber hinsichtlich der Grundaufzeichnungen dokumentiert wurden. Es gab also zwar perfekte Excel-Listen, wie die Zahlen aber vom Dienstnehmer in die Lohnverrechnung gekommen sind, konnte nicht nachvollzogen werden. Bei den sonstigen Kontrollen dominieren nach wie vor Probleme mit ausländischen Dienstnehmern, die ohne entsprechende Bewilligungen tätig werden, aber auch hier rücken Arbeitszeitaufzeichnungen mehr und mehr in den Mittelpunkt der Ermittlungen. Es ist nämlich vermehrt zu beobachten, dass nicht vollzeitbeschäftigte Dienstnehmer oder sogar geringfügig angemeldete Personen Vollzeit arbeiten und die Differenzen jeweils unversteuert ausbezahlt erhalten. Die Geldmittel für eine derartige Zahlung werden vielfach über Scheinrechnungen lukriert und decken diese einerseits die kalkulatorisch erforderlichen Stundenleistungen ab und andererseits wird Betriebsaufwand künstlich geschaffen. Diese Betrugsmethoden sind schwer identifizierbar, schädigen die Allgemeinheit massiv und führen zu dramatischen Wettbewerbsverzerrungen vor allem im Baubereich aber mittlerweile auch bei Personaldienstleistung im Industriebereich. Prüfschwerpunkte werden sich daher künftig vor allem auch auf diesen neuen Risikobereich konzentrieren.