Nachhaltigkeitsrecht Kolumne #9

Derzeit kein Schweizer CO2-Grenzausgleichsmechanismus

November 2023

Die Europäische Union (EU) will bis spätestens 2050 klimaneutral werden und die Nettotreibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber 1990 senken.[1]  Teil des Legislativpakets „Fit für 55“, mit dem die EU-Klimaziele umgesetzt werden sollen, ist die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus Carbon Border Adjustment Mechanism, in der Folge „EU-CBAM“). Der EU-CBAM soll die Weiterentwicklung des Europäischen Emissionshandelssystems (in der Folge „EU-EHS“) flankieren.

Text: Denise Wohlwend

Die Kolumne ist Teil des Editorials der Fachzeitschrift "Nachhaltigkeit. Zeitschrift für das Recht der nachhaltigen Entwicklung", Ausgabe 3/2023.

Diese sieht unter anderem eine stärkere Herabsetzung der jährlichen Emissionsobergrenzen und die schrittweise Abschaffung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifi katen in gewissen Sektoren vor. Der EU-CBAM soll dem damit einhergehenden erhöhten Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen in Nicht-EULänder mit weniger strenger Regulierung („carbon leakage“) entgegenwirken, indem er sicherstellt, dass für einheimische und eingeführte Produkte derselbe CO2-Preis gezahlt wird.[2] Die Verordnung zur Schaffung des EU-CBAM [3] trat am 17. Mai 2023 in Kraft und wird ab dem 1. Oktober 2023 schrittweise umgesetzt. Während der Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2025 gelten Berichtspflichten; ab 2026 wird die EU-CBAM-Abgabe auf bestimmten eingeführten Waren erhoben.[4] Vorerst sind nur Zement, Elektrizität, Düngemittel, Eisen / Stahl, Aluminium und Wasserstoff betroffen,[5] wobei mittelfristig eine Ausweitung des Geltungsbereichs geprüft werden soll.[6] 

Die Schweiz verfolgt ähnliche Klimaziele wie die EU. Sie will bis 2050 klimaneutral werden und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 50 % gegenüber 1990 senken.[7] Am 16. Juni 2023 verabschiedete der Schweizer Bundesrat einen Bericht (in der Folge „BR-Bericht“), in dem er die Auswirkungen des EU-CBAM auf die Schweiz und mögliche Handlungsoptionen prüft.[8]

Die Schweiz verfolgt ähnliche Klimaziele wie die EU. Sie will bis 2050 klimaneutral werden und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 50 % gegenüber 1990 senken.

Der Bundesrat geht wegen der engen Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Schweiz von direkten Auswirkungen des EU-CBAM auf die Schweizer Wirtschaft aus. Zwar seien Waren mit Ursprung Schweiz wegen der Verknüpfung der Emissionshandelssysteme (in der Folge „EHS-Abkommen“)[9] vom EU-CBAM ausgenommen.[10] Die vom EU-CBAM betroffenen Schweizer Exporteure würden sich jedoch mit neuen Handelshemmnissen im Zusammenhang mit Ursprungsnachweisen und Anmeldepfl ichten konfrontiert sehen, wobei der Mehraufwand derzeit noch schwierig abzuschätzen sei. [11] Um das Funktionieren des EHS-Abkommens und die Ausnahme von Waren mit Ursprung Schweiz vom EU-CBAM zu gewährleisten, will der Bundesart die Weiterentwicklung des EUEHS ins CH-EHS übernehmen. Ob die Schweiz der EU auch in Bezug auf die Einführung eines CBAM folgen soll, erfordere jedoch eine sorgfältige Güterabwägung, zumal keine rechtliche Verpflichtung dazu bestehe. [12]

In einer gesamtheitlichen Beurteilung der Handlungsoptionen kommt der Bundesrat zum Schluss, derzeit auf die Einführung eines Schweizer CBAM zu verzichten. Gegen die Einführung sprächen einerseits die rechtlichen und regulatorischen Risiken, die für die Schweiz als offene mittelgroße Volkswirtschaft besonders bedeutsam seien. Insbesondere könne das Vorliegen einer gemäß WTO-Regeln grundsätzlich unzulässigen Grenzabgabe oder einer de facto-Diskriminierung nicht ausgeschlossen werden. Andererseits seien die klimapolitischen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer CBAM-Einführung wegen der geringen Bedeutung der CBAM-Sektoren in der Schweiz (total 0,6 % der Beschäftigten, 0,7 % der Wertschöpfung, jedoch 5,7 % der Treibhausgasemissionen) begrenzt. Schließlich würden auch die potenziell hohen Umsetzungskosten für Unternehmen und Behörden negativ ins Gewicht fallen.[13]

Der Bundesrat schließt jedoch eine allfällige spätere Einführung eines CBAM durch die Schweiz nicht aus. Er will die Einführung und Umsetzung des EUCBAM eng verfolgen und spätestens Mitte 2026 eine Lagebeurteilung vornehmen. Insbesondere die mit der Einführung des EU-CBAM verbundenen handelsrechtlichen Entwicklungen, die Reaktionen der Handelspartner*innen der EU und die Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft sollen genau geprüft werden. Gleichzeitig will der Bundesrat multilaterale Initiativen zur Dekarbonisierung verfolgen, die langfristig auch auf die Eindämmung des Carbon-Leakage-Risikos abzielen.[14]

Verschiedene parlamentarische Vorstöße gehen in eine andere Richtung als der BR-Bericht. Die Motion 21.3602 vom 18. Mai 2021 fordert eine Schweizer Beteiligung am EU-CBAM. Sie wurde vom Nationalrat  angenommen und befi ndet sich derzeit im Ständerat. Ein ähnliches Ziel verfolgt die Parlamentarische Initiative 21.432 vom 18. März 2021. Sie verlangt die Schaffung einer rechtlichen Grundlage im CO2-Gesetz für einen CBAM für CO2-intensive Produkte, wobei die entsprechenden Entwicklungen in der EU zu berücksichtigen und die Liste der Produkte durch den Gesetzgeber zu bestimmen sind. Die zuständigen Parlamentskommissionen nahmen die Initiative am 25. April 2022 bzw am 20. März 2023 an. Es soll nun ein Gesetzesentwurf unter Berücksichtigung des BR-Berichts ausgearbeitet werden.

 


[1] Verordnung (EU) 2021/1119 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 2021 zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr 401/2009 und (EU) 2018/1999, ABl L 243, 9. 7. 2021, 1.

[2] Vgl Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030, COM(2021) 550 final, 14. 7. 2021, 7 ff, 15 f.

[3] Verordnung (EU) 2023/956 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 2023 zur Schaffung eines CO2- Grenzausgleichssystems, ABl L 130, 16. 5. 2023, 52.

[4] Vgl Verordnung (EU) 2023/956, Art 32 ff und Art 36.

[5] Verordnung (EU) 2023/956, Anhang I.

[6] Vgl Verordnung (EU) 2023/956, Art 30.

[7] Vgl Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit (KlG) (BBl 2022 2403), noch nicht in Kraft.

[8] Auswirkungen von CO2-Grenzausgleichsmechanismen auf die Schweiz, Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 20.3933 APK-N vom 25. August 2020, verabschiedet am 16. Juni 2023.

[9] Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union zur Verknüpfung ihrer jeweiligen Systeme für den Handel mit Treibhausgasemissionen vom 23. November 2017, SR 0.814.011.268.

[10] Vgl Verordnung (EU) 2023/956, Anhang III Nr 1.

[11] BR-Bericht, 3 und 27 ff.

[12] BR-Bericht, 3 und 36 ff.

[13] BR-Bericht, 4 f, 31, 39 ff und 47 f.

[14] BR-Bericht, 4 f und 48 f.

 

Dr. Denise Wohlwend
Rechtsanwältin bei Kellerhals Carrard in Zürich, Vortragende an der Université de Fribourg

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