Insolvenzen durch Coronakrise

Im Interview: Romana Weber-Wilfert & Martin Trenker

Mai 2020

Die Zahl der Pleiten dürfte in Österreich steigen – allerdings erst im zweiten Halbjahr dieses Jahres. Das erwartet zumindest der Kreditschutzverband 1870.

Welche Branchen werden am härtesten von der drohenden Insolvenzwelle betroffen sein? Reichen Kurzarbeit und Kreditstundungen zur Überbrückung von Liquiditätsproblemen aus? Und gibt es überhaupt genügend Insolvenzverwalter in Österreich? Das beantwortet Rechtsanwältin Romana Weber-Wilfert (Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte) im Interview mit dem Verlag Österreich. Professor Martin Trenker (Uni Innsbruck) stellt sich außerdem der Frage, ob und welche Änderungen im Insolvenzrecht sinnvoll sind und wie gut das europäische Insolvenzrecht mit der Corona-Pandemie umgeht.

Welche Branchen werden/sind im Zuge der Coronakrise am härtesten von Insolvenzen betroffen?

Weber-Wilfert: Der Shutdown hat in einem ersten Schritt zu einem Rückgang in fast allen Branchen geführt. Am härtesten – und vor allem längerfristig – in Mitleidenschaft gezogen ist der Freizeitsektor und vor allem die Tourismusbranche. Darüber hinaus hat die Coronakrise bestimmte Entwicklungsprozesse beschleunigt: Die großen, bereits in den letzten Tagen und Wochen erfolgten Insolvenzeröffnungen im Bereich des Handels zeigen ein bereits vor der Coronakrise vorhandenes Strukturproblem auf, das sich nunmehr zeitlich vorgezogen präsentiert.

Man darf aber auch nicht übersehen, dass sich teilweise einfach eine Verlagerung ergeben hat, die durchaus nachhaltiger sein wird. Online-Handel, Paketdienste, Zustelldienste und vor allem auch die EDV-Branche und der Softwaremarkt haben arbeitsintensive Zeiten hinter sich und es ist davon auszugehen, dass diese Sparten auch weiter entsprechend nachgefragt werden. Vielleicht hat sich hier eine Verlagerung verwirklicht, die in 10–20 Jahren ohnedies stattgefunden hätte.

Welche Erleichterungen gibt es im Rahmen der Coronagesetze für gefährdete Unternehmen?

Trenker: Es gibt aktuell viele Zuschüsse und Förderungen der öffentlichen Hand (bestes Beispiel ist wohl die Kurzarbeitsregelung). Ich bin allerdings kein Experte in diesen Themengebieten, sodass ich deren Tauglichkeit zur „Rettung“ gefährdeter Unternehmen auch nicht abschätzen kann.

Unmittelbare insolvenzrechtliche Erleichterungen, die diese Bezeichnung auch verdienen würden, findet man jedenfalls nur wenige: Dass die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung bis zum 30.6.2020 ausgesetzt wurde, mag manchen Geschäftsleiter etwas ruhiger schlafen lassen, schützt Unternehmen aber nicht vor Insolvenzanträgen von Gläubigern (die praktisch immer auf Zahlungsunfähigkeit gestützt werden). Der Anfechtungsschutz für Überbrückungskredite zur Finanzierung von Kurzarbeit soll derartige Kredite zwar mittelbar fördern. Abgesehen von seinem äußerst schmalen Anwendungsbereich ist er jedoch zu eng geraten, weil er nur eine Anfechtung nach § 31 IO (nicht jedoch §§ 28, 30 IO) ausschließt. Sehr sinnvoll schien mir – für frisch sanierte Unternehmen – der Ausschluss eines Verzugs bei der Sanierungsplanerfüllung. Die Regelung ist allerdings mit 30.4. (zumindest vorerst) ausgelaufen. Für natürliche Personen, die bereits einen Zahlungsplan im Rahmen eines Insolvenzverfahrens abgeschlossen haben, gibt es zudem die Möglichkeit einer Stundung ihrer Zahlungsraten; dass sie angesichts der Alternative einer Verringerung der Zahlungsverpflichtungen (§ 198 IO) großen Anklang finden wird, bezweifle ich aber.

Weber-Wilfert: Die erste groß angekündigte Maßnahme war die Kurzarbeit. Diese hat aufgrund der unzureichenden Rechtsgrundlagen zu enormen Rechtsunsicherheiten geführt. Es sind viele Fragen ungeklärt und es bleibt nur zu hoffen, dass man diese nicht zu Lasten der Unternehmen lösen wird und die Zeit, in der die aktuelle Rechtslage nur aus Pressekonferenzen zu entnehmen war, bald vorüber ist. Mittlerweile sind bereits zwei Lohn- und Gehaltszahlungsperioden vorbei – Geld hat es in den wenigsten Fällen für die Unternehmen gegeben. Stattdessen verspricht man schon jetzt die „Aktion scharf“ gegen Unternehmen. Sicher wird es einige wenige Missbrauchsfälle geben – wie bei allen Unterstützungs- und Sozialleistungen. Nicht verständlich ist für mich, in dieser Situation, in der man Unternehmen mit einer schlicht unzureichenden Information und Rechtsgrundlage die Kurzarbeitsunterstützung zugesagt hat, nunmehr als erste Handlung mit Drohungen vorzugehen – Leistungen sind in den meisten Fällen noch gar nicht geflossen.

Die Abgabenstundungen haben in der Tat zu einer schnellen Hilfe bei enger Liquidität geführt. Hier ist aber zu befürchten, dass die Probleme nur hinausgeschoben sind. Für Unternehmen, die in ernsten Liquiditätsschwierigkeiten sind und deren Lage sich aufgrund der geänderten Wirtschaftsbedingungen nicht in absehbarer Zeit erheblich verbessert, wird eine Stundung keine Lösung darstellen. Hier ist genau darauf zu achten, dass sich daraus keine zusätzlichen Haftungsprobleme für Geschäftsführer ergeben werden.

Hinsichtlich der Kreditvergabe und staatlichen Sicherheiten entnehme ich zahlreichen Aussagen unterschiedlicher Banken, dass hier große Zurückhaltung besteht. Es steht die Befürchtung im Raum, dass letztlich die Sicherheiten, die auch an viele formelle Fragen und Prüfungen der Banken geknüpft sind, unter Hinweis auf die Nichterfüllung aller Prüfungsvorgaben nicht erfolgreich verwertet werden können.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Rechtsanwaltsbrache? Gibt es genug Insolvenzverwalter in Österreich?

Weber-Wilfert: Die Pandemie hat auch die Rechtsanwaltsbranche hart getroffen, da eine Einstellung des Verhandlungsbetriebes in den Gerichten und ein Herunterfahren der Wirtschaft zu einem allgemeinen Beratungs- und Arbeitsrückgang geführt hat. Hier handelt es sich aber nur um temporäre Probleme, die mit dem Hochfahren der Gerichte und der Wirtschaft wieder im Wesentlichen beseitigt sind. Unsere Kanzlei hat die Schwerpunkte im Bereich Arbeits- und Insolvenzrecht – hier wird kein reduzierter Arbeitsanfall zu erwarten sein

Zur Frage, ob es genug Insolvenzverwalter in Österreich gibt, ist vorab festzuhalten, dass es sich bei der Insolvenzverwaltung um eine hochspezialisierte Tätigkeit handelt. Dies betrifft nicht nur das Insolvenzrecht als solches, das auch an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten im Rahmen des Studiums zumeist nur als Spezialmaterie behandelt wird. Die Insolvenzabwicklung erfordert aber darüber hinaus eine spezielle, personalintensive Kanzleiorganisation, die sich grundlegend von jener zB in einer reinen Wirtschaftskanzlei unterscheidet. Eine solche Spezialisierung und Kanzleiorganisation ist für die einzelne Insolvenzverwalterkanzlei nur bei einem sehr hohen Auslastungsgrad mit Insolvenzverfahren effizient und wirtschaftlich. Wie sich zeigt, sind derart spezialisierte Kanzleien ausreichend vorhanden.

Welche Auswirkungen sind durch die Ausweitung der 120-Tage-Frist zur Insolvenzanmeldung zu erwarten?

Trenker: Zunächst handelt es sich dabei um keine wirkliche Ausweitung, sondern eine bloße Klarstellung. Richtigerweise wäre die 120-Tage-Frist auch ohne Gesetzesänderung anwendbar gewesen, weil § 69 Abs 2a IO einen hinreichenden Auffangtatbestand („ähnliche Katastrophe vergleichbarer Tragweite“) enthält. Inhaltlich ist zu beachten, dass es sich um eine absolute Höchstfrist handelt, die nur bei Vornahme aussichtsreicher Sanierungsmaßnahmen ausgeschöpft werden kann. Ob die aktuellen Rahmenbedingen aussichtsreiche Sanierungsmaßnahmen zulassen, ist jedoch höchst zweifelhaft. Große Bedeutung hat diese „Änderung“ daher meines Erachtens wohl nicht.

Weber-Wilfert: Zu beachten ist vorab, dass sich an der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit und/oder einer vor dem 1. März 2020 eingetretenen Überschuldung auch durch das 2. COVID-19-JuBG nichts geändert hat. Nur im Falle einer durch die COVID-19-Pandemie eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ist die Verlängerung der Antragsfrist auf 120 Tage vorgesehen. Die 120-Tage-Frist ist aber jedenfalls eine Maximalfrist, die nur ausgeschöpft werden darf, wenn aussichtsreiche Sanierungsversuche unternommen werden.

Einerseits wird sich daraus eben diese zeitliche Verzögerung der Insolvenzeröffnung ergeben; andererseits ist es aber unter dem Gesichtspunkt der Haftung eine durchaus heikle Zeit für die zur Insolvenzantragstellung verpflichteten Organe.

Welche Anforderungen in Bezug auf Liquiditätsberechnungen sind seitens der Unternehmen einzuhalten?

Weber-Wilfert: Die Liquiditätsplanung ist auf die geänderten wirtschaftlichen Umstände anzupassen. Werden finanzielle Engpässe identifiziert, so ist unverzüglich darauf zu reagieren, um so – falls möglich – den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Nach Eintritt der materiellen Insolvenz ergibt sich – obwohl die Insolvenzantragspflicht unter Umständen erst nach 120 Tagen besteht – eine liquiditätsmäßig besonders kritische Situation. Hier ist ua darauf zu achten, dass keine Vermögensverringerung eintritt, nur die zur Aufrechterhaltung des Unternehmens notwendigen Zahlungen geleistet werden – und zugleich keine Schlechterstellung der Abgabengläubiger. Eine recht aufwändige und oftmals tägliche Liquiditätsplanung ist unumgänglich. Für Unternehmensleiter stellt sich nicht nur die Herausforderung der Wiederankurbelung des Geschäftsganges, sondern auch jene der Vermeidung einer persönlichen Haftung.

Rechnen Sie im nächsten Jahr noch mit Novellen des Insolvenzrechts? Welche Änderungen würden Sie für sinnvoll erachten?

Trenker: Ob es noch weitere COVID-19-bezogene Änderungen geben wird, ist schwer vorherzusehen. Gerade wenn es zu einem zweiten Lockdown oder vergleichbaren Einschränkungen kommen sollte, erschiene sicherlich ein Blick nach Deutschland sinnvoll. Dort wurde – natürlich ebenfalls nur für einen gewissen Zeitraum – ein umfassender und weit konsequenterer „Insolvenzschutz“ als hierzulande angeordnet. Zudem stößt man auf einen weitreichenden Schutz vor der Anfechtung von Befriedigungen und Sicherstellungen, insbesondere für neue Kredite.

Daran anknüpfend: Für die Banken stellt sich das Dilemma, ob bei der Vergabe von Sanierungskrediten die Gefahr besteht, dass es später zu einer Insolvenzanfechtung kommt. Ist ein größerer Schutz der Banken vor Insolvenzanfechtungen nötig?

Trenker: Man muss mit solchen Vorschlägen in dieser Allgemeinheit sehr vorsichtig sein. Einerseits können sich Anreize, um Unternehmen erleichterten Zugang zu Liquidität zu verschaffen, natürlich gerade in Krisenzeiten positiv auswirken. Andererseits verlängern vermeintliche Sanierungskredite häufig eine Verschleppung der Insolvenz, womit die verbleibende Masse zusätzlich ausgehöhlt wird, und zwar auch und gerade zugunsten der „Sanierungskreditgeber“. Rechtspolitisch spricht daher doch viel für die – betragsmäßig ohnehin in mehrfacher Hinsicht begrenzte – Anfechtbarkeit auch solcher Kredite bei Erkennbarkeit der mangelnden Tauglichkeit eines Sanierungskonzepts (und nichts anderes normiert der berüchtigte § 31, 2. Fall, IO ja letztlich). Über eine lediglich zeitlich beschränkte Ausnahme sollte man allerdings diskutieren, jedenfalls wenn sich die Lage nicht bald etwas entschärft.

Soll der Insolvenzgrund der Überschuldung abgeschafft werden?

Trenker: Richtig an der vermehrt vorgetragenen Kritik an der Überschuldung als Insolvenzgrund ist zum einen sicherlich, dass dieser Tatbestand wegen seiner etwas schwammigen Kriterien für viel Rechtsunsicherheit sorgt. Zum anderen muss man ehrlicherweise zugestehen, dass die Überschuldung praktisch nicht als Eröffnungsgrund fungiert – wie gesagt kommt es praktisch immer zur Insolvenzeröffnung wegen Zahlungsunfähigkeit. Ihr Einsatzgebiet liegt vielmehr darin, dass der Vorwurf schon vor Insolvenzeröffnung eingetretener Überschuldung als Grundlage von Anfechtungs-, Geschäftsführerhaftungs- und anderen insolvenznahen Ansprüchen dient. Diese „Rute im Fenster“ für Geschäftspartner und -leiter hat freilich ihrerseits einen positiven verhaltenssteuernden Effekt, indem sie insolvente Unternehmer mitunter zur Insolvenzantragstellung zwingt. Diesen Vorteil gilt es gegen den Nachteil abzuwägen, dass die haftungsbegründende Festlegung einer Überschuldung im Nachhinein unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten gewissen Bedenken begegnet. Diese Abwägung vorzunehmen, möchte ich mir an dieser Stelle aber nicht anmaßen. 

2019 wurde die EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz erlassen, die von den Mitgliedstaaten bis Juli 2021 umzusetzen ist. Wie gut kann das europäische Insolvenzrecht mit der Pandemie umgehen? Könnte eine frühere Umsetzung bei der Lösung aktueller Probleme helfen?

Trenker: Die angesprochene Restrukturierungsrichtlinie ist nach meinem Eindruck in Österreich nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe vieler Praktiker gestoßen. Das dürfte auch daran liegen, dass der Bedarf nach dem darin vorgesehenen vorinsolvenzlichen „Schutzschirmverfahren“ in einem Land, dessen Insolvenzrecht (inklusive der darin angebotenen Sanierungsmöglichkeiten) vergleichsweise sehr gut funktioniert, in der Tat begrenzt sein dürfte. Es mutet daher geradezu als Treppenwitz an, dass erst die aktuelle Krise aufzeigt, wie nützlich viele der in dieser Richtlinie geregelten Tools, zB eine Exekutions- und Insolvenzsperre, ein Anfechtungsschutz für Neufinanzierungen, ein vorinsolvenzlicher Schuldenerlass gegen den Willen von Gläubigern etc, sein könnten, die Richtlinie aber erst nächstes Jahr umzusetzen ist. Einer früheren Umsetzung wäre daher mE einiges abzugewinnen. Wegen der großen Spielräume, die die Richtlinie den Nationalstaaten belässt, darf dies allerdings nicht zum Schnellschuss werden.

MMag. Dr. Martin Trenker

Universität Innsbruck, Foto: © privat

Dr. Romana Weber-Wilfert

Rechtsanwältin (Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte), Foto: © Martin Lusser

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