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Zeitschrift für öffentliches Recht

Heft 4, Dezember 2016, Band 71

Schilling, Theodor

Die Gesetzesbindung des Richters im RechtsstaatLegally-Bound Judges in a Constitutional State

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Richter sind an das Gesetz gebunden, wobei das bindende Gesetz dasjenige ist, das prima facie als einschlägig erscheint. Die Annahme einer Alternativermächtigung des Richters zur Entscheidung nach Gutdünken ist rechtstheoretisch nicht erforderlich, mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar, fernliegend und daher abzulehnen. Im Rechtsstaat ergibt sich die entsprechende Pflicht des Richters zur Beachtung des Gesetzes, also zu einer Anwendung des Gesetzes, die das Verbot der Rechtsbeugung befolgt und darüber hinaus rechtsstaatlichen Anforderungen an die Vorhersehbarkeit einer Entscheidung genügt, nicht so sehr aus seinem Bemühen, Sanktionen für gesetzwidriges Verhalten zu vermeiden; solche Sanktionen hat er nach positivem Recht nur ausnahmsweise zu gewärtigen, allerdings unabhängig von der Instanz, der er angehört: Ein von der Androhung aller Unrechtsfolgen ausgenommenes Grenzorgan gibt es im Rechtsstaat regelmäßig nicht. Sie ergibt sich vielmehr zum einen als nicht-moralische Pflicht aus der Innehabung des Richteramtes, zum anderen als moralische Pflicht aus einem entsprechenden Versprechen des Richters, das sich der freiwilligen Übernahme des Amtes und seinem Amtseid entnehmen lässt, sowie aus naturrechtlichen Gründen. Diese Pflichten sind nicht-rechtliche Gründe, das Recht zu beachten, auf die das Recht Bezug nimmt: Das Recht gibt vor, wie die Gerichte die Gesetze beachten sollen; dass sie sie beachten sollen, muss sich – jenseits der sanktionierten Rechtspflicht zur Beachtung der Gesetze – aus unabhängigen Gründen ergeben. Sie sind grundsätzlich nur prima facie Pflichten. Hat jedoch ein Rechtsstaat Grund- und Menschenrechte mit Vorrang gegenüber sonstigen Gesetzen in das positive Recht übernommen, so werden diese Pflichten nur ganz ausnahmsweise von gegenläufigen Pflichten verdrängt werden. Erfüllt der Richter seine Pflicht zur Beachtung des Gesetzes, so erlaubt das in dem Umfang, der rechtsstaatlich erforderlich ist, eine Vorhersage dessen, wie er möglicherweise entscheiden wird.

  • Schilling, Theodor
  • Vorhersehbarkeit der Entscheidung
  • Rechtspflicht des Richters
  • ZOER 2016, 595
  • Pflicht des Richters, moralische
  • Öffentliches Recht
  • Grund- und Menschenrechte
  • Pflicht des Richters, institutionelle
  • Entscheidungsspielraum
  • Grenzorgan
  • Rechtsbeugung
  • Pflichtenkollision
  • Rechtskraft
  • Prozessrisiko
  • Alternativermächtigung
  • Fehlerkalkül
  • Gesetzesbindung des Richters