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Blasi, Walter/​Ortner, Christoph

Der österreichische Hauptmann von Köpenick

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„Seine Majestät hat gelacht!“ Damit endete zumindest in der Literatur eine Episode, die am 16. Oktober 1906 begonnen hatte, als der Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt, als Hauptmann des preußischen 1. Garde-Regiments zu Fuß verkleidet, mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten in das Rathaus der Stadt Köpenick bei Berlin eindrang, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse raubte. Für diese „Köpenickiade“ wurde Voigt zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, von Kaiser Wilhelm II. jedoch begnadigt und am 16. August 1908 vorzeitig aus der Haft entlassen. Dieses Ereignis ist auf ein großes öffentliches Interesse gestoßen. Der Hauptmann von Köpenick wurde zum „Eulenspiegel des wilhelminischen Militärstaats“. Aber neben Belustigung und Schadenfreude fragte man sich auch: Wie konnte ein Offizier ohne jegliche Legitimation, außer seiner Uniform, die Zivilgewalt außer Kraft setzen? Ungefähr zur selben Zeit wie Friedrich Wilhelm Voigt im Deutschen Reich trieb in Österreich-Ungarn ebenfalls ein Uniformierter „allerlei Schabernack“, wie es die Presse ausdrückte und außerdem feststellte, dass „der gute Mann eine kleine Berühmtheit ganz à la Schuster Voigt“ wäre. Dem „guten Mann“ hatte ebenfalls der Zauber der Montur bei seinen Verbrechen geholfen. Auch Österreich-Ungarn war wie das Deutsche Reich ein militaristischer Staat, nur eben nicht so kriegerisch wie Letzterer. Das autoritäre Gefüge der Armee und die militärische Disziplin wurden jedoch in Deutschland auf weite Bereiche der zivilen Gesellschaft übertragen. Hatte Voigt mit seiner Uniform die zivilen Stellen ausgetrickst, so bewegte sich Leopold Goldschmidt mit seiner Uniform innerhalb des Militärs wie ein Goldfisch im Wasser und übertölpelte damit das Dienstreglement.

  • Blasi, Walter
  • Ortner, Christoph
  • SIAK-JOURNAL 2021, 89

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