VwGH: Wahl des Absonderungsorts
- Originalsprache: Deutsch
- JMGBand 8
- Patientenrechte und Patientensicherheit, 2967 Wörter
- Seiten 124 -128
- https://doi.org/10.33196/jmg202302012401
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Grundsätzlich liegt es nicht im Belieben der abgesonderten Person, einen anderen als den behördlich angeordneten Absonderungsort frei zu wählen, mag ihr dies auch vernünftig erscheinen.
Das Verwaltungsstrafgesetz gibt keine Definition der Schuldform Fahrlässigkeit. Zur Auslegung dieses Begriffes kann aber auf die Bestimmungen des StGB zurückgegriffen werden. Die Außerachtlassung der objektiv gebotenen und subjektiv möglichen Sorgfalt kann dem Täter im Sinn des § 6 Abs. 1 StGB nur dann vorgeworfen werden, wenn es ihm unter dem besonderen Verhältnis des Einzelfalles auch zuzumuten war, sie tatsächlich aufzuwenden. Zur Frage des Ausmaßes der objektiven Sorgfaltspflicht hat der VwGH bereits ausgesprochen, dass der dafür geltende Maßstab ein objektiv-normativer ist; Maßfigur ist der einsichtige und besonnene Mensch, den man sich in der Lage des Täters versetzt zu denken hat. Objektiv sorgfaltswidrig hat der Täter folglich nur dann gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch des Verkehrskreises, dem der Handelnde angehört, an seiner Stelle anders verhalten hätte (Hinweis E vom 28. Mai 2008, 2008/09/0117, mwN).
Im gegenständlichen Fall hat sich der Revisionswerber jedenfalls insoweit vernünftig und sozialadäquat verhalten, als er den Aufenthaltsort bei Erhalt des Absonderungsbescheides, nämlich die allein bewohnte Wohnung in Wien, mit Ausnahme der angeordneten Testungen während der gesamten Quarantänezeit nicht mehr verließ und damit im Ergebnis keinerlei Infektionsgefahr für sein Umfeld erzeugte. Gerade darauf zielen aber die gesetzlichen Bestimmungen, die der Absonderung zugrunde liegen, ab. Gleichzeitig reduzierte der Revisionswerber dadurch sein eigenes Risiko, sich mit Covid-19 (durch Kontakt zu seiner erkrankten Ehefrau) anzustecken, was für ihn aufgrund der Vorerkrankungen besonders riskant gewesen wäre. Dass sich eine einsichtige und besonnene Person in seiner Lage anders verhalten hätte und an den behördlich angeordneten Absonderungsort (zu seiner erkrankten Ehefrau) zurückgekehrt wäre, vermag der VwGH nicht zu erkennen. Der VwGH hat in diesem Zusammenhang auch schon ausgesprochen, dass eine Person mit ihrer eigenständig vorgenommenen „Selbstabsonderung“ das Ihrige unternimmt, um eine Weiterverbreitung der Krankheit möglichst zu vermeiden und damit genau jenes Verhalten setzt, das das EpidemieG 1950 vom verständigen Bürger erwartet, wenn es in § 7 Abs. 1a die behördliche Absonderungsmaßnahme u.a. vom „Verhalten des Betroffenen“ abhängig macht (vgl. VwGH 10.2.2022, Ro 2022/03/0002). Ausgehend davon war der subjektive Tatbestand der Strafbestimmung des § 40 lit. b iVm § 7 Abs. 1a EpidemieG 1950 im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
- Attlmayr, Martin
- Fahrlässigkeit
- Absonderungsort
- Selbstabsonderung
- Absonderungsmaßnahme
- JMG 2023, 124
- Maßfigur
- Sorgfaltswidrigkeit
- VwGH, 20.09.2022, Ra 2022/03/0124
- § 40 EpiG
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