Keine Schreibunfähigkeit eines Rechtshänders, der nur noch die linke Hand normal bedienen kann
- Originalsprache: Deutsch
- JBLBand 145
- Rechtsprechung, 2099 Wörter
- Seiten 593 -595
- https://doi.org/10.33196/jbl202309059301
30,00 €
inkl MwSt
Generell heißt „nicht schreiben können“ in der NO (hier: in § 68 Abs 1 lit g NO), seine Unterschrift nicht setzen zu können. Eine Partei oder ein Zeuge, der nicht schreiben, wohl aber seinen Namen eigenhändig niederschreiben kann, fällt nicht darunter. Wenn selbst ein Handzeichen von der Partei nicht gesetzt werden kann, ist dies von den Aktszeugen im Notariatsakt – bei sonstigem Verlust der Kraft einer öffentlichen Urkunde – ausdrücklich zu bestätigen. Der Notar hat im Notariatsakt die entsprechenden Feststellungen zu den aufgenommenen Erklärungen der Partei über ihre Schreib(un)fähigkeit zu treffen.
Schreibunfähigkeit iS des § 580 Abs 1 ABGB liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unterschrift schlechthin unmöglich ist, sondern schon dann, wenn dem Erblasser eine Unterschrift nur unter solcher Anstrengung möglich wäre, dass es ihm billigerweise nicht zugemutet werden kann. Dies hat gleichermaßen im Anwendungsbereich des § 68 Abs 1 lit g NO für die Beurteilung der Schreibfähigkeit sowie der Fähigkeit, ein Handzeichen zu setzen, zu gelten.
Schreibfähige können sich im Anwendungsbereich der §§ 579, 580 Abs 1 ABGB auch unter Einhaltung der Kautelen des § 580 Abs 1 ABGB nicht eines Handzeichens bedienen. Auch im Anwendungsbereich des § 68 NO besteht im Hinblick auf den von der Norm explizit angedrohten Solennitätsverlust und die nur unter bestimmten Voraussetzungen eröffnete Möglichkeit, an Stelle der Unterschrift ein Handzeichen zu setzen bzw auch auf dieses zu verzichten, keine „Wahlfreiheit“ des Erblassers.
Der eindeutige Wortlaut des § 68 Abs 1 lit g NO stellt auf das (objektive) Vorliegen von Schreibunfähigkeit bzw Unfähigkeit, auch nur ein Handzeichen zu setzen, und nicht auf die Angaben der Partei gegenüber dem Notar ab. Inwieweit der Notar allenfalls zur Überprüfung der Angaben verhalten ist, spielt bei der Beurteilung der Formgültigkeit keine Rolle. Liegen die Voraussetzungen für einen Verzicht auch auf ein Handzeichen objektiv nicht vor, so ist ein solches bei sonstigem Solennitätsverlust unter Einhaltung der Vorgangsweise des § 68 Abs 1 lit g NO beizusetzen.
Es ist unerheblich, mit welchem Körperteil der Erblasser das Schreibgerät führt. Einem Rechtshänder, der die rechte Hand nicht mehr steuern kann, ist eine Paraphe oder die Beifügung von drei Kreuzen mit der linken Hand grundsätzlich zumutbar.
Wurde die Form nicht gewahrt, so führt dies gemäß § 601 ABGB selbst bei klarem und eindeutig erweisbarem Willen des Erblassers zur Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung. Denn der Grundsatz, dass dem wahren erblasserischen Willen zu entsprechen sei, hat dort seine Grenze, wo es sich um Formvorschriften für letztwillige Verfügungen im engeren Sinn handelt. Maßgeblich ist nur der gültig erklärte Wille.
- BG Leopoldstadt, 29.08.2022, 6 A 152/20d
- JBL 2023, 593
- Öffentliches Recht
- LGZ Wien, 07.03.2023, 44 R 415/22p
- Straf- und Strafprozessrecht
- Europa- und Völkerrecht
- Allgemeines Privatrecht
- Zivilverfahrensrecht
- § 68 Abs 1 lit g NO
- OGH, 27.06.2023, 2 Ob 106/23m
- Arbeitsrecht
- § 580 Abs 1 ABGB
Weitere Artikel aus diesem Heft