Mündliche Bescheiderlassung bei physischer Abwesenheit
- Originalsprache: Deutsch
- WBLBand 34
- Rechtsprechung, 299 Wörter
- Seiten 720 -720
- https://doi.org/10.33196/wbl202012072001
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Angesichts der im Zeitpunkt der Erlassung der Stammfassung des AVG im Jahr 1925 nicht vorhandenen technischen Möglichkeiten der zeitnahen Wort- und Bildübertragung ist davon auszugehen, dass der historische Gesetzgeber für die mündliche Bescheiderlassung iSd § 62 Abs 1 AVG außerhalb der mündlichen Verhandlung die Gegenwart (physische Anwesenheit) der Partei voraussetzte.
Dementsprechend hat der VfGH zur „telefonischen Bescheiderlassung“ ausdrücklich festgehalten, dass „das AVG 1950 die Form der Verkündung eines Bescheides durch Fernsprecher nicht kennt und daß ein mündlich verkündeter Bescheid nur dann vorhanden ist, wenn die von der Bescheidform umfaßte Willensentschließung der Behörde in Gegenwart der Parteien verkündet und niederschriftlich beurkundet worden ist (VfSlg 5329/1966).
Es ist nicht anzunehmen, dass dieses Verständnis des historischen Gesetzgebers von der physischen Anwesenheit (Gegenwart) unmittelbar vor dem den Bescheid mündlich verkündenden Behördenorgan durch die nunmehr hinzugekommenen Möglichkeiten der Verwendung technischer Einrichtungen zur (zeitnahen) Wort- und Bildübertragung ohne ausdrückliche Regelung des Gesetzgebers fortentwickelt wurde.
Angesichts der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und des zwischenmenschlichen Kontakts auf Grund der COVID-19-Pandemie dehnte der Gesetzgeber mit dem erst nach der gegenständlichen Bescheidverkündung in Kraft getretenen COVID-19-VwBG die Verwendung von technischen Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung gem § 3 Abs 2 leg cit in der Fassung BGBl I Nr 42/2020 auf „mündliche Verhandlungen, Vernehmungen, Augenscheine und dergleichen“ (lit a), „mündliche Verhandlungen, die andernfalls an Ort und Stelle abzuhalten wären“ (lit b) sowie die Aufnahme von „Beweise(n)“ (lit c) zeitlich befristet bis 31. Dezember 2020 aus. Diese auf den Sonderfall der COVID-19-Pandemie beruhende Novelle ist schon deshalb keine Klarstellung des Gesetzgebers zur bisherigen Rechtslage, weshalb daraus keine Schlüsse für die Auslegung des § 62 AVG getroffen werden können.
Demnach setzt (im Zeitpunkt vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG) eine mündliche Bescheiderlassung gem § 62 Abs 1 AVG nach wie vor die Bescheidverkündung in Gegenwart (physischer Anwesenheit) der Partei voraus.
- VwGH, 07.09.2020, Ro 2020/01/0007
- WBl-Slg 2020/238
- Allgemeines Wirtschaftsrecht
- § 3 Abs 2 COVID-19-VwBG
- § 62 AVG
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