Zur Reichweite „diskretionärer Gewalt“ (hier: gerichtliches Ersuchen um Zeugeneinvernahme an die Kriminalpolizei außerhalb der Hauptverhandlung)
- Originalsprache: Deutsch
- JSTBand 6
- Judikatur, 302 Wörter
- Seiten 177 -177
- https://doi.org/10.33196/jst201902017702
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Durch § 254 StPO wird das Gericht ermächtigt, Beweise von Amts wegen aufzunehmen („diskretionäre Gewalt“; vgl Kirchbacher, WK-StPO § 254 Rz 2). Diese Befugnis kann schon vor der Hauptverhandlung ausgeübt werden (Kirchbacher, aaO § 254 Rz 4; Danek/Mann, WK-StPO § 222 Rz 6). Aufgrund der amtswegigen Aufklärungspflicht gemäß § 2 Abs 2 StPO ist das Gericht durch die ihm gemäß §§ 232 Abs 2, 254 StPO eingeräumte diskretionäre Gewalt befugt, nicht nur Zeugen oder Sachverständige zu laden, sondern ganz allgemein die Aufnahme anderer Beweise anzuordnen, auch wenn dies mit Grundrechtseingriffen verbunden ist. Maßgebend ist, dass die Beweisaufnahme Aufklärung über erhebliche Tatsachen erwarten lässt, wobei das Gericht nicht willkürlich von einer solchen Erwartung ausgehen darf (RIS-Justiz RS0125728). Durchgeführt werden Ermittlungsschritte außerhalb der Hauptverhandlung weiterhin von der Kriminalpolizei (§ 210 Abs 3 StPO; vgl Danek/Mann, aaO § 222 Rz 6, § 276 Rz 12; Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 2 § 210 Rz 12; einschränkend auf Beweise, die in der Hauptverhandlung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht [mehr] zur Verfügung stehen: Birklbauer/Mayrhofer, WK-StPO § 210 Rz 17).
Eine – hier nicht erfolgte – unmittelbare Beweisaufnahme durch das erkennende Gericht außerhalb der Hauptverhandlung ist freilich unzulässig (Nimmervoll, Strafverfahren2, Kap IV Rz 188; Danek/Mann, aaO § 222 Rz 6; RIS-Justiz RS0097378). Obwohl Erhebungsersuchen des Gerichts außerhalb der Hauptverhandlung daher grundsätzlich ein Ausnahmecharakter zukommt, verstoßen solche per se nicht gegen das Gesetz (vgl RIS-Justiz RS0125728; Nimmervoll, aaO, Kap IV Rz 187; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 8.97; Danek/Mann, aaO § 222 Rz 6).
Der Unmittelbarkeitsgrundsatz (vgl §§ 13, 247 StPO) bleibt durch das Erhebungsersuchen unberührt, ist doch vom Gericht bei der Urteilsfällung ohnehin nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (§§ 12 Abs 2, 258 Abs 1 StPO).
- § 232 Abs 2 StPO
- JST-Slg 2019/2
- Rechtssatz der Generalprokuratur, 31.08.2018, Gw 192/18w
- Strafrecht- und Strafprozessrecht
- § 254 StPO
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