OGH: „Politische Kritik“ schließt üble Nachrede nicht aus
- Originalsprache: Deutsch
- ZIIRBand 2017
- Judikatur, 2445 Wörter
- Seiten 229 -233
- https://doi.org/10.33196/ziir201702022901
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Zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmte kritische Werturteile sind (auch unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK) nach § 111 Abs 1 StGB nicht tatbildlich, wenn sie auf gleichzeitig berichtete oder zumindest allgemein bekannte Tatsachen gestützt werden, solcherart durch ein hinreichendes Tatsachensubstrat gedeckt und in Relation zu diesem nicht exzessiv sind und sich nicht in bloß formalen Ehrenbeleidigungen erschöpfen.
Gewährt Art 10 MRK zwar dem kritischen Werturteil in der politischen Auseinandersetzung eine sehr weitreichende Privilegierung, so wird damit keineswegs eine schrankenlose Meinungs- und Kritikfreiheit eingeräumt. Denn auch gegenüber Politikern sind – ungeachtet der solcherart weiter als bei Privatpersonen gezogenen Grenzen der zulässigen Kritik – (Un-)Werturteile ohne hinreichendes Tatsachensubstrat oder Wertungsexzesse vom Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit nicht gedeckt.
Das konkrete Ausmaß dieser Verbindung eines Werturteils mit den dieses unterstützenden Fakten kann von Fall zu Fall variieren, sodass die Notwendigkeit, die einem Werturteil zu Grunde liegenden Tatsachen darzulegen, dann weniger zwingend ist, wenn diese Umstände der Allgemeinheit bereits bekannt sind. Doch ist auch hier essentielles Erfordernis einer Straflosigkeit stets, dass für den Rezipienten ersichtlich ist, auf welches konkrete Sachverhaltssubstrat sich das kritische Werturteil bezieht. Denn nur eine korrekte, den Tatsachen entsprechende Information ermöglicht dem Adressaten in der öffentlichen Debatte eine selbständige Beurteilung des Geschehens und der geäußerten Kritik.
Der Bedeutungsinhalt einer Textpassage ist aus der Sicht jenes Rezipienten, an den sich die Publikation nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richtet, und nach deren Wortsinn aus dem Gesamtzusammenhang der damit inhaltlich im Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, sodass auf den situativen Kontext abzustellen ist, in den der fragliche Aussagegehalt einzuordnen ist. Maßgeblich ist daher ausschließlich, welche Meinung oder Haltung einer Person aus der Sicht des angesprochenen Rezipientenkreises zugeschrieben wird, nicht aber, welche Meinung oder Haltung diese Person tatsächlich vertritt.
Redaktionelle Leitsätze
- Höhne, Thomas
- exzessive Kritik
- Art 10 EMRK
- § 111 StGB
- OGH, 15.02.2017, 15 Os 130/16f15 Os 131/16b, Politiker-„Satire“ III
- Meinungsäußerungsfreiheit
- üble Nachrede
- politische Kritik
- Medienrecht
- Satire
- § 6 Abs 1 MedienG
- ZIIR 2017, 229
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