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Journal für Strafrecht

Heft 1, Januar 2021, Band 8

Zur Überstellung inhaftierter Personen sowie zur gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung alternativer Ermittlungsmaßnahmen

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1./ Die §§ 55 ff EU-JZG idF BGBl I 2018/28 (zuletzt geändert durch BGBl I 2020/20) dienen der Umsetzung der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL-EEA), wobei die §§ 55 bis 55m EU-JZG die – hier interessierende – Vollstreckung einer von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) in Österreich regeln.

§ 55g Abs 1 sowie Abs 3, 4 und 7 EU-JZG enthalten – in Umsetzung des Art 22 RL-EEA – besondere Bestimmungen für Europäische Ermittlungsanordnungen, die auf die (zeitweilige) Überstellung in Österreich inhaftierter Personen „zur Durchführung bestimmter Verfahrenshandlungen in den Ausstellungsstaat“ gerichtet sind (vgl Art 22 Abs 1 RL-EEA: „zum Zwecke der Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme zur Erhebung von Beweismitteln [...], bei der die Anwesenheit dieser Person im Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats erforderlich ist“)

Bei der im Inland inhaftierten Person, um deren Überstellung ersucht wird, kann es sich grundsätzlich sowohl um einen Zeugen als auch um einen Beschuldigten im Verfahren des Ausstellungsstaats handeln (vgl Herrnfeld in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 55g EU-JZG Rz 1). Weiters sind sämtliche Phasen des im Ausstellungsstaat geführten Strafverfahrens erfasst, einschließlich der Gerichtsphase (vgl RL-EEA Erw 25). Lediglich zum Zwecke der Verantwortung als Angeklagter in einem Hauptverfahren des Ausstellungsstaats kommt – mit Blick auf die Regelungen über den Europäischen Haftbefehl (vgl Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates bzw §§ 3 ff EU-JZG) – eine Überstellung nach § 55g Abs 1 EU-JZG nicht in Betracht (vgl RL-EEA Erw 25; Herrnfeld, aaO § 55g EU-JZG Rz 1).

Einer Zustimmung der in Österreich inhaftierten Person zur Überstellung in den Ausstellungsstaat bedarf es nicht: Der insofern in Art 22 Abs 2 lit a RL-EEA vorgesehene Ablehnungsgrund wurde vom österreichischen Gesetzgeber bewusst nicht umgesetzt (vgl EBRV 66 BlgNR 26. GP 6). Gemäß § 55a Abs 1 Z 10 EU-JZG ist – in Umsetzung (lediglich) des Art 22 Abs 2 lit b RL-EEA – die Vollstreckung einer EEA zur Überstellung einer inhaftierten Person aus dem Bundesgebiet nur dann unzulässig, wenn die Überstellung geeignet ist, die Dauer der Anhaltung zu verlängern. Darüber hinaus gelten die in § 55a Abs 1 Z 1 bis 9 EU-JZG für jede EEA normierten Versagungsgründe (vgl Art 22 Abs 2 erster Halbsatz iVm Art 11 RL-EEA).

2./ § 55b EU-JZG regelt – in Umsetzung des Art 10 RL-EEA – die Vollstreckung einer EEA durch Rückgriff auf eine andere als die in ihr genannte Ermittlungsmaßnahme: Gemäß § 55b Abs 1 Z 2 EU-JZG ist ein derartiger Rückgriff vorzunehmen, wenn durch die Durchführung einer anderen Maßnahme, die die Rechte des Betroffenen weniger beeinträchtigt, das gleiche Ergebnis erzielt werden kann, wie es mit der in der EEA genannten Maßnahme erzielt werden soll. Diese Rückgriffsmöglichkeit ist in der RL-EEA bloß fakultativ vorgesehen (vgl Art 10 Abs 3 RL-EEA: „Die Vollstreckungsbehörde kann auch auf eine andere als die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen, wenn die von der Vollstreckungsbehörde gewählte Ermittlungsmaßnahme mit weniger einschneidenden Mitteln das gleiche Ergebnis wie die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme erreichen würde“), war in Österreich jedoch aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 5 Abs 2 StPO) als Verpflichtung umzusetzen (vgl EBRV 66 BlgNR 26. GP 7).

Nach dem klaren Wortlaut des Art 10 Abs 3 RL-EEA und seiner systematischen Stellung im Rahmen des das Verfahren und die Schutzgarantien für den Vollstreckungsstaat regelnden Kapitels III der RL soll die Möglichkeit des Rückgriffs auf eine Ermittlungsmaßnahme anderer Art bei jeder EEA iSd Art 1 RL-EEA bestehen. In diesem Sinne gilt auch die in Umsetzung dieser Regelung ergangene Bestimmung des § 55b Abs 1 Z 2 EU-JZG nach ihrem eindeutigen Wortlaut und mit Blick auf die vom Gesetzgeber intendierte Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 5 Abs 2 StPO) für jede EEA iSd § 55 Abs 1 EU-JZG, somit auch für eine auf die Überstellung einer inhaftierten Person gerichtete EEA iSd § 55g Abs 1 EU-JZG (vgl auch Herrnfeld, aaO § 55g EU-JZG Rz 2).

Bei der Prüfung der Frage, ob das mit der in der EEA genannten Maßnahme angestrebte Ergebnis durch eine andere, die Rechte des Betroffenen weniger beeinträchtigende Maßnahme erreicht werden kann, sind insbesondere das Gewicht der tangierten schutzwürdigen Interessen des Betroffenen, dessen Rolle im Strafverfahren und die Effektivität der zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu beachten (vgl Wiederin, WK-StPO § 5 Rz 89 ff; Herrnfeld, aaO § 55b EU-JZG Rz 3). Diese Beurteilung liegt im Fall einer auf die Überstellung einer inhaftierten Person gerichteten EEA (§ 55g Abs 1 EU-JZG) im pflichtgemäßen Ermessen (vgl Schroll/Oshidari, WK-StPO § 23 Rz 5 mwN) des zuständigen Gerichts (§ 55c Abs 4 EU-JZG).

  • § 55b Abs 1 Z 2 EU-JZG
  • § 55g EU-JZG
  • Strafrecht- und Strafprozessrecht
  • JST-Slg 2021/1
  • Rechtssatz der Generalprokuratur, 24.09.2020, Gw 47/20zGw 48/20x

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