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Rechtsprechungsübersicht EGMR – Kurzinfo

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Der Bf kämpfte im Jahr 2016 und 2017 in Syrien auf Seiten der kurdischen YPG gegen den Islamischen Staat. Im Jahr 2019 verurteilte ihn das dänische Höchstgericht zu einer sechsmonatigen Haftstrafe, da er gegen das dänische Strafgesetz verstoßen hatte, wonach dänischen Staatsangehörigen ein Aufenthalt in der betreffenden Region vorübergehend verboten war. Der EGMR kam zu dem Ergebnis, dass das Urteil nicht gesetzlos iS des Art 7 EMRK ergangen war, da die einschlägige strafrechtliche Bestimmung zwar zum Zeitpunkt der Verurteilung nicht mehr in Kraft, während des Aufenthalts des Bf aber zweifellos noch gültig gewesen war. Der EGMR stellte auch keine Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit fest, da das innerstaatliche Gericht auf Grundlage der dänischen Regelung eine verhältnismäßige Interessensabwägung vorgenommen hatte. Insbesondere bezog sich das betreffende Gesetz auf eine kleine, klar abgegrenzte Region und sah eine regelmäßige Evaluierung der Reiseverbotszonen sowie eine Reihe von Ausnahmetatbeständen vor.

Im innerstaatlichen Verfahren stand die Zurechnungsfähigkeit der Bf in Frage, die schließlich wegen des versuchten Mordes an ihrem Ehemann verurteilt wurde. Die Bf starb jedoch, nachdem sie Beschwerde beim EGMR eingelegt hatte, worauf ihr Ehemann das Beschwerdeverfahren an ihrer statt fortsetzte. Der EGMR kam zu dem Ergebnis, dass das Landesgericht konventionswidrig die Anordnung eines entscheidenden psychiatrischen Gutachtens unterlassen hatte. Das Landesgericht hatte das erste Gutachten für nicht eindeutig befunden und daher ein zweites in Auftrag gegeben, das dem ersten jedoch widersprach. Die Abweisung des Antrags der Bf sowie der Staatsanwaltschaft auf Einholung eines dritten Gutachtens durch das Gericht stellte für den EGMR ein Überraschungselement dar, das die Verteidigungsrechte der Bf erheblich beeinträchtigt und somit die allgemeine Fairness des Verfahrens untergraben hatte.

Der Bf war in Ungarn wegen doppelten Mordes zu einer reduzierbaren lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden und wurde anschließend in ein ukrainisches Gefängnis überführt, um dort den Rest seiner Strafe zu verbüßen. Der EGMR kam zu dem Ergebnis, dass die Strafe durch die Überstellung des Bf in die Ukraine de facto in eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Bewährungsmöglichkeit umgewandelt wurde. In Anwendung seiner ständigen Rechtsprechung stellte er daher eine Verletzung von Art 3 EMRK fest. Die faktische Umwandlung der Strafe verstieß außerdem gegen das Verbot gem Art 7 EMRK, eine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe zu verhängen.

Der Bf fischte unter bulgarischer Flagge in der ausschließlichen Wirtschaftszone Rumäniens. Die Behörden stellten fest, dass er keine rumänische Fischereilizenz besaß und Netze zum Einsatz brachte, die nach der rumänischen Rechtslage verboten waren. Die Europäische Kommission wies die Behörden jedoch darauf hin, dass die rumänische Rechtslage und deren Anwendung im konkreten Fall gegen mehrere EU-Verordnungen verstieß, die im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik erlassen worden waren. Wegen der unionsrechtswidrigen Rechtslage waren zudem bereits Nichtigkeitsklagen gegen Rumänien anhängig. Der EGMR stellte fest, dass es sich bei der Anwendung der rumänischen Vorschriften unter Nichtbeachtung der einschlägigen EU-Verordnungen um einen offensichtlichen Rechtsfehler vonseiten der Behörden handelte, und bemängelte, dass die nationalen Gerichte allenfalls ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH hätten richten können. Daher kam der EGMR zu dem Ergebnis, dass der Bf Opfer einer Rechtsverweigerung (denial of justice) war und bejahte einen Verstoß gegen Art 6 EMRK.

  • Art 7 EMRK
  • JST-Slg 2023/2
  • Art 6 EMRK
  • EGMR, 08.11.2022, Nr 63950/19, Gaggl ./. Österreich
  • EGMR, 10.11.2022, Nr 5084/18, Kupinskyy ./. Ukraine
  • Art 3 EMRK
  • Strafrecht- und Strafprozessrecht
  • Art 2 4. ZPEMRK
  • EGMR, 06.12.2022, Nr 27122/14, Spasov ./. Rumänien
  • EGMR, 18.10.2022, Nr 60785/19, Mørck Jensen ./. Dänemark

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