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Journal für Strafrecht

Heft 6, November 2017, Band 2017

§ 4 StVG Zum Entscheidungszeitpunkt und zur Abgrenzung von der bedingten Entlassung; keine Interferenz zur Erwirkung der Übernahme der Strafvollstreckung

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§ 4 StVG ermöglicht ein Absehen vom inländischen Strafvollzug wegen Auslieferung: Wird der Verurteilte an eine ausländische Behörde ausgeliefert, so ist gemäß § 4 erster Satz StVG vom Vollzug einer über ihn verhängten Freiheitsstrafe vorläufig abzusehen, es sei denn, dass es aus besonderen Gründen des unverzüglichen Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Die Auslieferung bzw – im Anwendungsbereich des EU-JZG – die Übergabe ist dem inländischen Strafvollzug grundsätzlich vorzuziehen (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 1, 11). Allein dann, wenn besondere generalpräventive Erwägungen den – zumindest teilweisen – unverzüglichen Vollzug erfordern, ist ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug unzulässig (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 12).

Das erkennende Gericht entscheidet über ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung von Amts wegen oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Verurteilten (Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 6). Eine ausdrückliche Regelung, zu welchem Zeitpunkt eine einen Antrag bewilligende bzw ein Absehen vom Strafvollzug amtswegig aussprechende Beschlussfassung frühestens zulässig ist, enthält das Gesetz nicht.

Eine analoge Anwendung der den frühestmöglichen Entscheidungszeitpunkt im Fall einer bedingten Entlassung regelnden Bestimmung des § 152 Abs 1 vorletzter Satz StVG auf Entscheidungen nach § 4 StVG ist aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtungen der beiden Rechtsinstitute und mangels planwidriger Regelungslücke nicht geboten:

Die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe (§ 46 StGB) ist eine Maßnahme der Strafvollstreckung durch das hierfür zuständige Vollzugsgericht (§ 16 Abs 2 Z 12 StVG; vgl Jerabek in WK2 StGB § 46 Rz 2). Sie setzt neben einer bestimmten Mindestdauer des Freiheitsentzugs eine in spezialpräventiver Hinsicht günstige Verhaltensprognose voraus; generalpräventive Aspekte sind bei der Prüfung einer bedingten Entlassung nur ausnahmsweise (vgl § 46 Abs 2 StGB) zu berücksichtigen.

Das – im Zweiten Teil des StVG geregelte – Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung (§ 4 StVG) stellt dagegen eine Maßnahme der Anordnung des Vollzugs der auf Freiheitsstrafe lautenden Strafurteile dar (vgl §§ 3 bis 7 StVG), über die (noch) das erkennende Gericht zu entscheiden hat (§ 7 Abs 1 StVG), das dabei ausschließlich generalpräventive Belange zu berücksichtigen hat. § 4 StVG liegt – anders als dem Institut der bedingten Entlassung – keine auf Resozialisierung des straffällig gewordenen Täters gerichtete kriminalpolitische Zielsetzung zugrunde (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 12). Spezialpräventive Erwägungen haben daher bei der Entscheidung über ein Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung außer Betracht zu bleiben.

Während sich die vom Vollzugsgericht bei der für die bedingte Entlassung zu erstellenden Verhaltensprognose zu beachtenden spezialpräventiven Aspekte (vgl § 46 Abs 4 StGB, §§ 152 Abs 2, 152a Abs 2 StVG) durch den Vollzug verändern, sind die vom erkennenden Gericht bei der Entscheidung nach § 4 StVG zu berücksichtigenden generalpräventiven Belange vom laufenden Vollzug unabhängig.

Da im Fall einer bedingten Entlassung – insbesondere nach längerem Freiheitsentzug – eine Vorbereitung des Strafgefangenen auf das Leben in Freiheit notwendig oder zweckmäßig sein kann, räumt die durch das StRÄG 2008 (BGBl I 2007/109) eingefügte Bestimmung des § 152 Abs 1 vorletzter Satz StVG dem Vollzugsgericht die Möglichkeit ein, die bedingte Entlassung mit Wirksamkeit zu einem späteren, nicht mehr als drei Monate nach der Entscheidung liegenden Zeitpunkt auszusprechen. Diese Regelung, mit der den Bedürfnissen der Praxis bei der Vorbereitung des Strafgefangenen auf seine Entlassung entsprochen werden sollte (vgl EBRV zum StRÄG 2008, 302 BlgNR XXIII. GP 15), bedeutet zugleich, dass eine Beschlussfassung mehr als drei Monate vor dem in Betracht kommenden Entlassungszeitpunkt unzulässig ist (vgl Pieber in WK2 StVG § 152 Rz 17).

Für eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Entscheidungen nach § 4 StVG besteht kein Raum, weil es bei einem Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung einer Vorbereitung des Strafgefangenen auf ein Leben in Freiheit nicht bedarf, die Zuweisung der Entscheidung in die Kompetenz des erkennenden Gerichts und der fehlende Einfluss des konkreten Strafvollzugs auf generalpräventive Belange eine Prüfung der Voraussetzungen des § 4 StVG bereits zu Beginn des Strafvollzugs erlauben (vgl im Übrigen das im ersten Satz der Bestimmung als Bezugspunkt und Beurteilungsgegenstand der Entscheidung angeführte Kriterium der Erforderlichkeit des unverzüglichen Vollzuges) und im Übrigen der Gesetzgeber trotz zahlreicher Novellierungen des Strafvollzugsgesetzes keine Notwendigkeit zur Einfügung einer den Entscheidungszeitpunkt präzisierenden Regelung in die seit 1. Jänner 1970 (BGBl 1969/144) bestehende, zuletzt mit dem StRÄG 1987 (BGBl 1987/605) geänderte Bestimmung des § 4 StVG gesehen hat.

Eine Interferenz der im EU-JZG geregelten Erwirkung der Strafvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat (§§ 42 ff EU-JZG) mit dem Rechtsinstitut nach § 4 StVG besteht nicht:

Während beim Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung der Vollzug der verhängten Strafe und daher deren Vollstreckbarkeit (vorläufig) endet, wird im Fall einer Übernahme der Strafvollstreckung – die indes eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe voraussetzt (vgl § 42 Abs 1 EU-JZG) – der Vollzug der verhängten Strafe (im Ausland) fortgesetzt. Daher kommt, sobald das Gericht vom Strafvollzug wegen Auslieferung abgesehen hat und der Verurteilte der ausländischen Behörde übergeben wurde, eine Übernahme der – insofern (vorläufig) beendeten – Strafvollstreckung durch einen anderen Mitgliedstaat nicht mehr in Betracht (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 15; Murschetz, JBl 2010, 400; Mayerhofer/Salzmann, Nebenstrafrecht6 § 4 StVG E 6). Solange aber – wie in den hier vorliegenden Fällen – aufgrund einer Entscheidung nach § 4 StVG (aus besonderen generalpräventiven Gründen) die Strafvollstreckung nicht sistiert und folglich der Strafgefangene noch nicht tatsächlich an den anderen Mitgliedstaat ausgeliefert bzw übergeben wurde, kann die Übernahme der Vollstreckung erwirkt werden, spricht doch die Entscheidung nach § 4 StVG lediglich aus, zu welchem Zeitpunkt der inländische Strafvollzug wegen Auslieferung (zur Vollstreckung einer anderen Strafe bzw zur Verfolgung wegen anderer Taten) beendet werden darf, sodass diese Entscheidung einem Ersuchen um Übernahme des laufenden Strafvollzugs durch einen anderen Mitgliedstaat nicht entgegensteht.

  • § 4 StVG
  • JST-Slg 2017/7
  • Strafrecht- und Strafprozessrecht
  • Rechtssatz der Generalprokuratur, 24.08.2017, Gw 9/17g

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