Seit dem Inkrafttreten des StPRG 2004 sind in Literatur und Judikatur gewisse Inkonsistenzen zur Frage der Anwendung bzw Auslegung der einzelnen Unzuständigkeitsregelungen in der StPO wahrzunehmen. Der Beitrag geht den Gründen hiefür nach und versucht, diese auf eine einheitliche Handhabung zurückzuführen.
- ISSN Online: 2312-1920
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Inhalt der Ausgabe
S. 521 - 529, Aufsatz
Zur Auslegung der gerichtlichen Unzuständigkeitskriterien in der StPO
Mit dem Erk 11 Os 26/16g setzt sich der OGH erstmals seit Inkrafttreten des StrPRÄG 2014 ausführlich mit der Frage nach der strafprozessualen Verwertung eines Privatgutachtens auseinander. Im Ergebnis bleibt alles beim Alten: Die schon bisher von der hRspr und Teilen der Lehre vertretene Ansicht, wonach ein Privatgutachten nicht zu verlesen sei, wird von der Rspr auch auf die neue Rechtslage angewandt. Ob dieses Ergebnis mit dem Wortlaut des § 222 Abs 3 StPO in Einklang zu bringen ist, soll im Folgenden untersucht werden.
S. 535 - 544, Aufsatz
Plädoyer für die umfassende Möglichkeit einer diversionellen Erledigung im gerichtlichen Finanzstrafverfahren
§ 203 FinStrG idF BGBl I 2015/163 schließt die Anwendung einer diversionellen Erledigung im gerichtlichen Finanzstrafverfahren für (junge) Erwachsene und Verbände nach dem VbVG explizit aus. Lediglich hinsichtlich Jugendstraftaten und im Rahmen eines Vorgehens nach §§ 209a und b StPO besteht diese (theoretische) Möglichkeit. Auch wenn damit die Rechtslage vor dem StRÄG 2015 im Ergebnis lediglich fortgeschrieben wird, entspricht dieser weitestgehende Diversionsausschluss nicht (mehr) den Wertungen eines modernen Strafrechts. Dies will dieser Beitrag anhand von Beispielen aus der Praxis darlegen und gleichzeitig Ansätze für eine Implementierung der Diversion im FinStrG de le ferenda aufzeigen.
S. 545 - 548, Aufsatz
Medienarbeit von Verfahrensbeteiligten und Strafverfolgungsbehörden (Litigation-PR) - eine wichtige Strategie zur Verfahrensführung?
Durch den Pressespiegel, welcher jeweils eine Woche vorher in den Gerichtshöfen aushängt, erfährt die Öffentlichkeit durch Einsicht der Gerichtsreporter schon vor Prozessbeginn von einem (prominenten) Strafverfahren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt recherchieren die Gerichtsreporter, wenn sie nicht schon vorher von einer Presseaussendung der Ermittlungsbehörden oder einem Parteienvertreter (Opfer oder Beschuldigten) informiert wurden; sobald auch nur ein solcher Hinweis, wie zB Ermittlung gegen Person X., in den Medien auftaucht, ist auch ein späterer Freispruch, welcher im Übrigen oft mangels Sensation nicht mehr in den Medien nachzulesen ist, nur ein schwacher Ausgleich, weil schon vorher der Reputationsschaden eingetreten ist. Die Waffe gegen eine solche Vorverurteilung ist eben die Litigation-PR.
Da die Justiz insbesondere in Strafsachen und hier wieder im Stadium der Vorermittlungen die Deutungshoheit aufgrund des Informationsmonopols der Behörden besitzt, ist in diesem Stadium die Litigation-PR imminent wichtig, um die Waffengleichheit (wieder) herzustellen. Entscheidend ist darüber hinaus die Rechtzeitigkeit der Anwendung von Litigation-PR.
Der Grazer Partisanenmordprozess war ein gerichtliches Strafverfahren gegen fünf Männer, welche in den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkrieges in der Weststeiermark gegen das Deutsche Reich kämpften. Die Tat, die zu den Endphaseverbrechen gezählt wird, wurde am 1.4.1945 begangen. Ort des Geschehens war das Areal des Reichsarbeitsdienstlagers in St. Oswald in Freiland (Bezirk Deutschlandsberg). Die Hauptverhandlung war öffentlich und fand vor dem Grazer Volksgericht vom 23.9. bis zur Urteilsverkündung am 26.9.1946 statt.
Von Seiten der geschätzten Leserschaft wurde zuletzt mehrfach der Wunsch an den Autor herangetragen, die Grundzüge des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens überblicksweise darzustellen, da derartige Verfahren von den meisten Strafverteidigern üblicherweise nicht in einer derartigen Häufigkeit geführt werden, wie jene nach dem Kriminalstrafrecht. Der Autor kommt diesem geäußerten Wunsch natürlich gerne nach und wird in mehreren Artikeln die Grundzüge des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens darstellen.
S. 558 - 562, Aufsatz
Das europäische Strafregisteraustauschsystem ECRIS und seine Erweiterung auf Drittstaatsangehörige
Seit mehreren Jahren ist das europäische Strafregisteraustauschsystem ECRIS unauffällig, aber weitgehend problemlos in Betrieb; gemessen an den Fallzahlen ist es mit Abstand das erfolgreichste Werkzeug aus dem Baukasten der gegenseitigen Anerkennung. Wirklich brauchbar ist es aber bisher nur bei verurteilten Unionsbürgern. Daher wird aktuell über eine Erweiterung auf Drittstaatsangehörige verhandelt.
S. 563 - 565, Judikatur
Keine Verwirklichung von § 107c StGB durch eine einmalige Handlung
Eine bloß einmalige Handlung vermag den Straftatbestand des § 107c StGB nicht zu erfüllen. Das Versenden von Bildern und Videoaufnahmen über einen Facebookaccount mittels Privatnachrichten an drei Personen ist mangels Wahrnehmbar-Machens gegenüber einer größeren Zahl von Menschen nicht tatbildlich.
Auch die Aufforderung, die Bilder und Videoaufnahmen im Internet durch Teilen auf der Internet-Plattform Facebook weiter zu verbreiten, kann nicht zu einer Strafbarkeit führen, weil das Teilen auf eben genannter Plattform nur eine einmalige Handlung darstellt und daher nicht unter § 107c StGB zu subsumieren ist.
S. 565 - 570, Judikatur
Anforderungen an eine wettbewerbsbeschränkende Absprache nach § 168b StGB
Die Tathandlung besteht – soweit hier von Relevanz – in der Abgabe eines Angebots im Rahmen einer Ausschreibung, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Konstitutives Element für wettbewerbsbeschränkende Absprachen nach § 168b StGB ist ein Verständigungsakt, der dazu führt, dass im Hinblick auf ein konkretes Ausschreibungsverfahren eine aus der Sicht der Teilnehmer als verbindlich angesehene Vereinbarung getroffen wird, nach der ein oder mehrere Angebote abgegeben werden. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut muss nicht die Angebotslegung, sondern die Absprache darauf abzielen, den Auftraggeber zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Auch der Vorsatz muss die Rechtswidrigkeit der Absprache und nicht die Rechtswidrigkeit der Angebotslegung umfassen.
Da die Republik Österreich die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim durch die Russische Föderation nicht anerkannt hat, sind auch alle Hoheitsakte von russischen Behörden für oder betreffend die autonome Republik Krim und die Stadt Sewastopol als ukrainisches Staatsgebiet grundsätzlich völkerrechtswidrig und daher ungültig; völkerrechtliche Abkommen der Russischen Föderation wie das Art 1 EuAusliefÜbK erstrecken sich somit grundsätzlich auch nicht auf das Gebiet der Republik Krim einschließlich der Stadt Sewastopol.
S. 572 - 573, Judikatur
Versuch der schweren Körperverletzung; Messer als (keine) Waffe nach dem Waffengesetz
§ 84 Abs 4 StGB stellt, wofür bereits der fehlende Verweis auf § 83 Abs 1 StGB spricht, eine selbstständige Qualifikation des (im Urteilsspruch nicht mitzuzitierenden) § 83 Abs 1 StGB dar. Die schwere Folge kann fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt werden. Demgemäß lässt sich § 84 Abs 4 StGB bei vorsätzlicher Herbeiführung des schweren Erfolgs als reines Vorsatzdelikt auffassen, bei fahrlässiger Herbeiführung als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination. In der Vorsatzvariante kann § 84 Abs 4 StGB dementsprechend seit dem StrÄG 2015 sehr wohl versucht werden.
Anders als beim strafrechtlichen (funktionalen) Waffenbegriff, der neben Waffen im technischen Sinn (nach § 1 WaffG) auch solche Gegenstände umfasst, die diesen nach ihrer Anwendbarkeit und Wirkung gleichkommen, ist nach der Legaldefinition des § 1 WaffG für die Qualifikation eines Gegenstandes als Waffe im Sinn des Waffengesetzes nur die objektive Zweckwidmung maßgeblich. Andere Messer als Spring- und Fallmesser, nämlich „gewöhnliche“ Messer mit stumpfem Rücken wie etwa Hirschfänger, Jagd-, Brot- oder Küchenmesser sind in der Regel nicht als Waffen im technischen Sinn, sondern als Gebrauchsgegenstände anzusehen. Dies trifft auch auf ein Messer mit einer Gesamtlänge von 37 cm und einer Klingenlänge von 23 cm zu.
S. 574 - 575, Judikatur
Prozessleitung im Zwischenverfahren Keine Beschwerde gegen prozessleitende Verfügungen
Die Abweisung eines Antrages auf Gewährung von schriftlicher Übersetzungshilfe (§ 56 Abs 4 StPO) stellt eine prozessleitende Verfügung iSd § 35 Abs 2 letzter Halbsatz StPO dar, gegen die eine Beschwerde nicht zulässig ist. Derartige Ansprüche sind gegebenenfalls durch neuerliche Antragstellung in der Hauptverhandlung, verbunden (allem voran) mit Urteilsanfechtung nach den Regeln der §§ 238, 281 Abs 1 Z 4 StPO, wirksam durchzusetzen.
Ein von einem prozessfähigen unvertretenen Beschuldigten nach ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich erklärter Rechtsmittelverzicht zur Verhängung der Untersuchungshaft ist stets unwiderruflich und dessen Motiv ohne Bedeutung; eine dagegen erhobene Beschwerde ist vom Rechtsmittelgericht als unzulässig zurückzuweisen.
Auch eine unzulässige Beschwerde des Beschuldigten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft löst die Haftfrist nach § 175 Abs 2 Z 2 StPO aus, nicht aber die die Beschwerde als unzulässig zurückweisende Entscheidung des Oberlandesgerichtes jene des § 174 Abs 4 2. Satz StPO, weil insoweit kein Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft ergeht.
S. 575 - 578, Judikatur
Einziehung von Gegenständen; Unterlassener Vorbehaltsbeschluss gem § 443 Abs 2 StPO
Über die vermögensrechtlichen Anordnungen gegen den Beschuldigten, die unmittelbar mit der Begehung der Tat zusammenhängen, hat das Gericht im Strafverfahren gegen ihn von Amts wegen zu entscheiden. Genügen die Ergebnisse des Strafverfahrens an sich noch nicht, um über die vermögensrechtlichen Anordnungen verlässlich zu urteilen, und ließen sich die Entscheidungsgrundlagen dafür auch nicht durch zusätzliche Erhebungen, die die Entscheidung über die Schuld- und Straffrage nur unerheblich verzögern, beschaffen, muss ein Vorbehaltsbeschluss gefasst werden, der bewirkt, dass in der Folge trotz Rechtskraft des Strafurteils über vermögensrechtliche Aussprüche noch entschieden werden kann. Ein unterlassener Vorbehalt kommt einer Verschweigung nach § 263 StPO gleich.
Der ab der dritten Tat erfüllte Tatbestand des § 70 Abs 1 Z 3 StGB schlägt zufolge der zu bildenden Subsumtionseinheit (§ 29 StGB) – bei entsprechender Täterintention – auf die rechtliche Beurteilung sämtlicher Taten durch.
Bei der Feststellung des Reingehaltsgehalts des Suchtgifts muss sich das Gericht mit sämtlichen Sachverständigengutachten auseinandersetzen, die zum tatgegenständlichen Suchtgift eingeholt wurden.
Dem der Einfuhr von Suchtgift nachfolgenden Besitz dieser Suchtgiftmenge kommt ein eigenständiger Unwert zu (echte Konkurrenz).
S. 580 - 582, Judikatur
Suchtgifthandel, Einfuhr von Suchtgift, Besitz, Konkurrenz, Einziehung, Konfiskation, Verhältnismäßigkeitsprüfung
Grenzüberschreitender Suchtgifthandel in der Variante der Ein- und Ausfuhr (§ 28a Abs 1 2. und 3. Fall) und der mit Beziehung auf dasselbe Suchtgift mit Überlassungsvorsatz ausgeübte Besitz im Inland (§ 28 Abs 1 2. Fall) stehen zueinander in echter Konkurrenz.
Die bloße Aufzählung der von der Einziehung betroffenen Gegenstände im Urteilsspruch reicht zur Fundierung der Einziehungsvoraussetzungen – insbesondere einer aus der besonderen Beschaffenheit der Gegenstände resultierenden Deliktstauglichkeit – keineswegs aus.
Bei der Konfiskation ist zwingend eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.
Die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG verlangt ua die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung (nicht von „Suchtmittelverkauf“ schlechthin, sondern) von Taten nach § 28a Abs 1 SMG längere Zeit hindurch ein den Voraussetzungen des § 70 Abs 2 StGB entsprechendes Einkommen zu verschaffen, die jeweils in Bezug auf eine (allenfalls durch sukzessive Tatbestandsverwirklichung mit entsprechendem Additionsvorsatz) die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Suchtgiftquantität begangen werden.
Die Privilegierung nach § 28a Abs 3 (2. Fall) SMG berührt nicht die Subsumtion, sondern reduziert bloß den Strafrahmen.
Ein zufolge Berufung auf unzulässige staatliche Tatprovokation, somit ohne Verantwortungsübernahme abgelegtes Tatsachengeständnis stellt keinen Milderungsgrund dar.
Im Zugestehen eines von den Strafverfolgungsbehörden observierten Tatgeschehens ist auch kein wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung im Sinn des § 34 Abs 1 Z 17 StGB zu erblicken.
Eine dem § 34 Abs 1 VwGG nachempfundene Regelung, wonach eine auf Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG gestützte Beschwerde nur dann zulässig ist, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem gesetzlich normierten subjektiven Recht verletzt wurde, findet sich in den Verfahrensbestimmungen der §§ 120ff StVG nicht.
Fällt ein Haftgrund – hier: Verdunkelungsgefahr – weg, kann die Änderung des Haftortes nicht mehr darauf gestützt werden.
Die Strafgefangenen sind berechtigt, einfache und zweckmäßige eigene Oberbekleidung zu tragen, soweit (...) keine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung zu befürchten ist. Oberbekleidung, die auf eine Gefangenengewerkschaft verweist, die gesetzlich nicht vorgesehen ist und deren Verein aufgelöst wurde, ist geeignet, die Sicherheit und Ordnung in der Justizanstalt zu gefährden.
Sowohl die negative Vorbildwirkung für andere Insassen als auch die mangelnde Mitwirkung an der Erreichung der Vollzugszwecke sind jeder Ordnungswidrigkeit immanent, sodass eine Berücksichtigung in der Strafzumessung ausscheidet. (1)
Die Geldbuße ist nach der Konzeption des StVG eine strengere Sanktion als der Entzug des Rechtes auf Verfügung über den Fernsehempfang. Der Ausspruch einer strengeren bzw höheren Strafe kommt aufgrund des Verschlechterungsverbots nicht in Betracht. (2)
Die Ausnahmebestimmung des § 38 Abs 2 Z 1 BWG stellt klar, dass das Bankgeheimnis lediglich zur Sachverhaltsermittlung im (bereits) eingeleiteten Finanzstrafverfahren aufgehoben werden darf. Die Einsichtnahme kann auch Konten bzw einzelne geheimzuhaltende Umstände daraus von (bisher) noch nicht in das (eingeleitete) Strafverfahren involvierten Bankkunden umfassen, vorausgesetzt es besteht ein unmittelbarer sachlicher und/oder persönlicher Zusammenhang mit dem eingeleiteten Finanzstrafverfahren.
Der Nichtanerkennung von geltend gemachten Betriebsausgaben nach § 162 BAO liegen andere rechtliche Vorgaben zugrunde, als Voraussetzungen für den objektiven Tatbestand einer Abgabenhinterziehung der bescheidmäßig festzusetzenden Einkommensteuer bestehen. Sofern tatsächlich eine Leistungserbringung nachweisbar ist, kann die Verweigerung der Empfängerbenennung allein das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG nicht begründen, weil der Abgabenanspruch erst durch die Nichtbenennung entsteht.
S. 590 - 590, Judikatur
§ 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB stellt nicht auf den Tatzeitpunkt, sondern den aktuellen Wohnsitz ab
S. 590 - 590, Judikatur
Ob eine terroristische Vereinigung auch legale Ziele verfolgt, ist bedeutungslos
S. 592 - 592, Judikatur
Die Grundrechtsbeschwerde muss vom Verteidiger unterschrieben, nicht bloß weitergeleitet werden
S. 592 - 593, Judikatur
Verfahrenshilfeverteidiger und sein „Glaube an die Unschuld“ des Angeklagten
S. 592 - 592, Judikatur
Die Umformulierung des § 39 Abs 2 FinStrG durch das AbgÄG 2012 diente bloß der Klarstellung
S. 594 - 594, Judikatur
Entscheidung des Beschwerdegerichts vor Entscheidung des VfGH bei Normanfechtung
§ 4 StVG ermöglicht ein Absehen vom inländischen Strafvollzug wegen Auslieferung: Wird der Verurteilte an eine ausländische Behörde ausgeliefert, so ist gemäß § 4 erster Satz StVG vom Vollzug einer über ihn verhängten Freiheitsstrafe vorläufig abzusehen, es sei denn, dass es aus besonderen Gründen des unverzüglichen Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.
Die Auslieferung bzw – im Anwendungsbereich des EU-JZG – die Übergabe ist dem inländischen Strafvollzug grundsätzlich vorzuziehen (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 1, 11). Allein dann, wenn besondere generalpräventive Erwägungen den – zumindest teilweisen – unverzüglichen Vollzug erfordern, ist ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug unzulässig (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 12).
Das erkennende Gericht entscheidet über ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung von Amts wegen oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Verurteilten (Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 6). Eine ausdrückliche Regelung, zu welchem Zeitpunkt eine einen Antrag bewilligende bzw ein Absehen vom Strafvollzug amtswegig aussprechende Beschlussfassung frühestens zulässig ist, enthält das Gesetz nicht.
Eine analoge Anwendung der den frühestmöglichen Entscheidungszeitpunkt im Fall einer bedingten Entlassung regelnden Bestimmung des § 152 Abs 1 vorletzter Satz StVG auf Entscheidungen nach § 4 StVG ist aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtungen der beiden Rechtsinstitute und mangels planwidriger Regelungslücke nicht geboten:
Die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe (§ 46 StGB) ist eine Maßnahme der Strafvollstreckung durch das hierfür zuständige Vollzugsgericht (§ 16 Abs 2 Z 12 StVG; vgl Jerabek in WK2 StGB § 46 Rz 2). Sie setzt neben einer bestimmten Mindestdauer des Freiheitsentzugs eine in spezialpräventiver Hinsicht günstige Verhaltensprognose voraus; generalpräventive Aspekte sind bei der Prüfung einer bedingten Entlassung nur ausnahmsweise (vgl § 46 Abs 2 StGB) zu berücksichtigen.
Das – im Zweiten Teil des StVG geregelte – Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung (§ 4 StVG) stellt dagegen eine Maßnahme der Anordnung des Vollzugs der auf Freiheitsstrafe lautenden Strafurteile dar (vgl §§ 3 bis 7 StVG), über die (noch) das erkennende Gericht zu entscheiden hat (§ 7 Abs 1 StVG), das dabei ausschließlich generalpräventive Belange zu berücksichtigen hat. § 4 StVG liegt – anders als dem Institut der bedingten Entlassung – keine auf Resozialisierung des straffällig gewordenen Täters gerichtete kriminalpolitische Zielsetzung zugrunde (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 12). Spezialpräventive Erwägungen haben daher bei der Entscheidung über ein Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung außer Betracht zu bleiben.
Während sich die vom Vollzugsgericht bei der für die bedingte Entlassung zu erstellenden Verhaltensprognose zu beachtenden spezialpräventiven Aspekte (vgl § 46 Abs 4 StGB, §§ 152 Abs 2, 152a Abs 2 StVG) durch den Vollzug verändern, sind die vom erkennenden Gericht bei der Entscheidung nach § 4 StVG zu berücksichtigenden generalpräventiven Belange vom laufenden Vollzug unabhängig.
Da im Fall einer bedingten Entlassung – insbesondere nach längerem Freiheitsentzug – eine Vorbereitung des Strafgefangenen auf das Leben in Freiheit notwendig oder zweckmäßig sein kann, räumt die durch das StRÄG 2008 (BGBl I 2007/109) eingefügte Bestimmung des § 152 Abs 1 vorletzter Satz StVG dem Vollzugsgericht die Möglichkeit ein, die bedingte Entlassung mit Wirksamkeit zu einem späteren, nicht mehr als drei Monate nach der Entscheidung liegenden Zeitpunkt auszusprechen. Diese Regelung, mit der den Bedürfnissen der Praxis bei der Vorbereitung des Strafgefangenen auf seine Entlassung entsprochen werden sollte (vgl EBRV zum StRÄG 2008, 302 BlgNR XXIII. GP 15), bedeutet zugleich, dass eine Beschlussfassung mehr als drei Monate vor dem in Betracht kommenden Entlassungszeitpunkt unzulässig ist (vgl Pieber in WK2 StVG § 152 Rz 17).
Für eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Entscheidungen nach § 4 StVG besteht kein Raum, weil es bei einem Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung einer Vorbereitung des Strafgefangenen auf ein Leben in Freiheit nicht bedarf, die Zuweisung der Entscheidung in die Kompetenz des erkennenden Gerichts und der fehlende Einfluss des konkreten Strafvollzugs auf generalpräventive Belange eine Prüfung der Voraussetzungen des § 4 StVG bereits zu Beginn des Strafvollzugs erlauben (vgl im Übrigen das im ersten Satz der Bestimmung als Bezugspunkt und Beurteilungsgegenstand der Entscheidung angeführte Kriterium der Erforderlichkeit des unverzüglichen Vollzuges) und im Übrigen der Gesetzgeber trotz zahlreicher Novellierungen des Strafvollzugsgesetzes keine Notwendigkeit zur Einfügung einer den Entscheidungszeitpunkt präzisierenden Regelung in die seit 1. Jänner 1970 (BGBl 1969/144) bestehende, zuletzt mit dem StRÄG 1987 (BGBl 1987/605) geänderte Bestimmung des § 4 StVG gesehen hat.
Eine Interferenz der im EU-JZG geregelten Erwirkung der Strafvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat (§§ 42 ff EU-JZG) mit dem Rechtsinstitut nach § 4 StVG besteht nicht:
Während beim Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung der Vollzug der verhängten Strafe und daher deren Vollstreckbarkeit (vorläufig) endet, wird im Fall einer Übernahme der Strafvollstreckung – die indes eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe voraussetzt (vgl § 42 Abs 1 EU-JZG) – der Vollzug der verhängten Strafe (im Ausland) fortgesetzt. Daher kommt, sobald das Gericht vom Strafvollzug wegen Auslieferung abgesehen hat und der Verurteilte der ausländischen Behörde übergeben wurde, eine Übernahme der – insofern (vorläufig) beendeten – Strafvollstreckung durch einen anderen Mitgliedstaat nicht mehr in Betracht (vgl Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 15; Murschetz, JBl 2010, 400; Mayerhofer/Salzmann, Nebenstrafrecht6 § 4 StVG E 6). Solange aber – wie in den hier vorliegenden Fällen – aufgrund einer Entscheidung nach § 4 StVG (aus besonderen generalpräventiven Gründen) die Strafvollstreckung nicht sistiert und folglich der Strafgefangene noch nicht tatsächlich an den anderen Mitgliedstaat ausgeliefert bzw übergeben wurde, kann die Übernahme der Vollstreckung erwirkt werden, spricht doch die Entscheidung nach § 4 StVG lediglich aus, zu welchem Zeitpunkt der inländische Strafvollzug wegen Auslieferung (zur Vollstreckung einer anderen Strafe bzw zur Verfolgung wegen anderer Taten) beendet werden darf, sodass diese Entscheidung einem Ersuchen um Übernahme des laufenden Strafvollzugs durch einen anderen Mitgliedstaat nicht entgegensteht.
S. 597 - 598, Judikatur
Vorabentscheidungsersuchen des Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof, Finnland) im Auslieferungsverfahren gegen Denis Raugevicius, C-247/17
1. Sind innerstaatliche Vorschriften über die Auslieferung wegen einer Straftat im Hinblick auf die Freizügigkeit von Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats unabhängig davon, ob ein auf einem Auslieferungsübereinkommen beruhender Auslieferungsantrag eines Drittstaats zum Zweck der Strafvollstreckung oder – wie in der Rechtssache Petruhhin – zum Zweck der Strafverfolgung gestellt wird, in gleicher Weise zu bewerten? Spielt es eine Rolle, dass die Person, deren Auslieferung beantragt wird, neben der Unionsbürgerschaft auch die Staatsangehörigkeit des Staates besitzt, der den Auslieferungsantrag gestellt hat?
2. Versetzt eine nationale Regelung, wonach nur eigene Staatsangehörige nicht zur Strafvollstreckung außerhalb der Union ausgeliefert werden, Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats in ungerechtfertigter Weise in eine ungünstigere Lage? Sind auch in einem Fall, in dem es um die Vollstreckung geht, Mechanismen des Unionsrechts anzuwenden, durch die ein für sich genommen legitimes Ziel auf weniger beeinträchtigende Weise erreicht werden kann? Wie ist ein Auslieferungsantrag zu beantworten, wenn er in Anwendung derartiger Mechanismen dem anderen Mitgliedstaat mitgeteilt wurde, dieser jedoch zB wegen rechtlicher Hindernisse keine Maßnahmen in Bezug auf seinen Staatsangehörigen einleitet?
S. 599 - 601, Zur Erinnerung
Zur Rechtskraft von Beschlüssen und der Umstandsklausel
Ein Beschluss ist grundsätzlich sowohl der formellen wie auch der materiellen Rechtskraft fähig. Es handelt sich dabei nicht um eine Entscheidung des Strafgerichtes, die, wie das Urteil in der Hauptsache, das ist der Ausspruch über Schuld und Strafe, Geltung des Satzes „ne bis in idem“ und des Grundsatzes sowie der Wirkungen der res iudicata beanspruchen kann. Vielmehr gehört dieser Ausspruch zu jener Kategorie von im Zuge des Strafverfahrens ergehenden richterlichen Entscheidungen, durch die über Gegenstände judiziert wird, die (nur) bei geänderten Voraussetzungen eine neue Antragstellung und Entscheidung möglich machen. Ein allgemeines Verbot neuerlicher Antragstellung und Entscheidung bei nachträglich geänderten Verhältnissen kennt das Gesetz nicht.