Mit 1.1.2016 tritt das Strafrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl I 2015/112, in Kraft. Im Vergleich zum Ministerialentwurf wurde nicht alles so Gesetz, wie es dort vorgeschlagen war. Darüber hinaus gibt es Änderungen, die im ME nicht vorgesehen waren: Zu nennen sind etwa Ergänzungen bei der Untreue (§ 153 StGB), die auf einen Initiativantrag zurückgehen, aber auch eine neue Strafbestimmung gegen „Unzulässige Bieterabsprachen in exekutiven Versteigerungsverfahren“ (§ 292c StGB), die in der Regierungsvorlage erstmals vorgestellt wurde. Die Abweichungen und Neuerungen sind Grund, sich diesen Änderungen erneut zu widmen, das Gesetz somit vorzustellen und erste Auslegungsüberlegungen anzustellen.
- ISSN Online: 2312-1920
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Inhalt der Ausgabe
S. 417 - 422, Aufsatz
Ausländische Straftäter in Österreich zwischen Auslieferung und Asyl
Im ersten Teil des Beitrags wurden nicht nur die Grundlagen des Asylrechts dargestellt, sondern auch die gemeinsamen Fragestellungen, die es mit dem Auslieferungsrecht teilt, insbesondere dann, wenn im Staat, an den ausgeliefert werden bzw in den abgeschoben werden könnte, Menschenrechtsverletzungen drohen mögen. Sodann wurde der Einfluss, den eine Asylentscheidung auf ein Auslieferungsverfahren hat, erörtert. Im vorliegenden zweiten Teil des Beitrags geht es nun umgekehrt um die Folgen eines Auslieferungsverfahrens auf einen internationalen Schutzstatus sowie um die Stellung der stellvertretenden Strafrechtspflege.
S. 423 - 431, Aufsatz
Berufstypische Interessenmaximierung im Wirtschaftsleben – strafbare Beteiligung an der Untreue? Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Sozialadäquanz bei Beteiligung mehrerer
Geht es um die Grenzen der Strafbarkeit wegen Beteiligung an der Untreue, werden vielfach die hohen Anforderungen auf der subjektiven Tatseite betont. Dieser Beitrag zeigt auf, dass durch das Erfordernis einer sozial inadäquaten Beteiligungshandlung schon auf der objektiven Tatseite praktisch bedeutsame Strafbarkeitseinschränkungen bestehen, die bisher deutlich weniger beachtet wurden und gerade im Bereich berufstypischer Interessenmaximierung schlagend werden können.
S. 432 - 441, Aufsatz
Widerrufsentscheidungen (§ 55 StGB) nach Bedachtnahme (§§ 31, 40 StGB)
Werden Straftaten, die nach den Zeiten ihrer Begehung an sich Gegenstand eines einzigen Urteiles hätten sein können (§ 37 StPO), in verschiedenen (dh mindestens zwei) Entscheidungen abgeurteilt, so ist im späteren Verfahren eine sog Bedachtnahmeverurteilung (§§ 31, 40 StGB) zu fällen. In diesem Kontext stellt sich sodann auch die Frage des allfälligen Widerrufs von im früheren (§ 55 Abs 1 StGB) oder aber – im Falle ursprünglich unterlassener Bedachtnahme – späteren Urteil (§ 55 Abs 2 StGB) gewährten bedingten Strafnachsichten, weil die getrennte Verfahrensführung den Rechtsbrecher nicht nur nicht benachteiligen, sondern ihm auch keinen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen soll. Ein Blick in die Judikatur des Obersten Gerichtshofes zeigt eine offensichtliche Unsicherheit der gerichtlichen Praxis bei der Handhabung dieser Regelungen, gibt es doch eine Vielzahl von Entscheidungen, denen eine fehlerhafte Anwendung des § 495 StPO bzw § 55 StGB zugrunde liegt. Ziel dieser Arbeit ist eine Analyse der Judikatur des OGH sowie eine systematische Darstellung der diesbezüglichen Rechtslage.
S. 442 - 445, Aufsatz
Verdeckte Ermittlungen – Ein Überblick über Rechtsprechung und österreichische Praxis zum „agent provocateur“
Ein jüngst ergangenes Urteil des EGMR im Zusammenhang mit Tatprovokationen hat das Potential, die bisherige österreichische Rechtsprechung auf den Kopf zu stellen. Zukünftig könnten durch eine in unzulässiger Weise provozierte Strafbegehung gewonnene Beweise unberücksichtigt bleiben (müssen). Der vorliegende Beitrag gibt einen kurzen Einblick in die aktuelle Entwicklung und deren potentielle Auswirkungen auf die zukünftige Rechtsprechung.
S. 446 - 454, Aufsatz
Opferrechte im Umbruch? Eine Analyse des österreichischen Strafprozessrechts im Lichte der Opferrechte-RL 2012/29/EU
Die Opferrechte-Richtlinie 2012/29/EU ist von den Mitgliedstaaten bis spätestens 16.11.2015 in nationales Recht umzusetzen. Dieser Beitrag untersucht die Frage, wie weit Österreich seinen Verpflichtungen zur Umsetzung bereits nachgekommen ist und in welchen Bereichen des österreichischen Straf(prozess)rechts ggf noch ergänzende Legislativakte erforderlich sind.
S. 455 - 458, Aufsatz
Indikationen und Erwägungen für richterliche Strafzumessung im Sprengel des Landesgerichtes bzw der Staatsanwaltschaft Innsbruck
Die Abteilung Strafrecht des 19. Österreichischen Juristentages (ÖJT) beschäftigte sich mit dem Thema „Entsprechen die gesetzlichen Strafdrohungen und die von den Gerichten verhängten Strafen den aktuellen gesellschaftlichen Wertungen?“. Hiezu war im Vorfeld von Grafl/Schmoller ein umfassendes Gutachten ausgearbeitet worden, welches sich in einen statistisch-kriminologischen und einen dogmatischen Teil gliederte. Am Österreichischen Juristentag wurde zu den jeweiligen Thesen und Schlussfolgerungen des Gutachtens im Rahmen mehrerer Referate Stellung genommen. Unter anderem wurde im Gutachten von Grafl/Schmoller detailliert dargelegt, dass es regional signifikante Unterschiede in der Strafenpraxis gibt, welche nicht ausschließlich in den jeweiligen Strafhöhen, sondern bereits vorgelagert in der Wahl der konkreten Strafarten deutlich werden. Dabei wurde die Sonderstellung des Oberlandesgerichtssprengels Innsbruck hervorgehoben.
S. 459 - 461, Aufsatz
Neue Besen kehren besser – Untreue idF Strafrechtsänderungsgesetz 2015
Das StRÄG 2015 hat den parlamentarischen Gesetzwerdungsprozess kürzlich abgeschlossen. Die vieldiskutierte Novellierung der Untreuebestimmung samt flankierender Einführung der Business Judgement Rule in AktG und GmbHG wird mit 1.1.2016 in Kraft treten, wobei die mit dem Initiativantrag Steinacker/Jarolim/Vetter vorgeschlagene Fassung verändert übernommen wurde. In der Folge wird ein Überblick über den nunmehr beschlossenen Untreuetatbestand gegeben; besonderes Augenmerk wird dabei auf die – medial und qua Materialien – in Aussicht gestellte Präzisierung der Norm gelegt.
S. 462 - 466, Aufsatz
Entscheidungsfristen beim Europäischen Haftbefehl sind keine Haftfristen: Neuestes EuGH-Urteil Lanigan
Im Eilverfahren, binnen nicht einmal zwei Monaten, hat der EuGH ein weiteres Urteil gefällt, in dem er den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl auslegt. Der Beitrag schildert die Hintergründe dieses Vorabentscheidungsverfahrens, legt die Ausführungen des Urteils sowie auch jene der Stellungnahme des Generalanwalts dar und unterzieht das Urteil einer kritischen Bewertung.
Der vom Erstgericht gegen eine diversionelle Erledigung ins Spiel gebrachte Präventionsaspekt der Erschütterung des besonderen Vertrauens in den Berufsstand des Versicherungskaufmanns geht schon deshalb ins Leere, weil dem Gesetz nicht zu entnehmen ist, dass einzelne Berufsgruppen hinsichtlich bestimmter Kriminalitätsbereiche generell aus dem Anwendungsbereich der Diversion ausgeschlossen sind.
Dort, wo die Strafprozessordnung das Beschwerderecht ausschließt, bringt sie dies durchwegs unmissverständlich zum Ausdruck. Demgegenüber enthält der vom Beschwerdegericht herangezogene § 107 Abs 3 erster Satz StPO lediglich einen Hinweis auf die Legitimation von Staatsanwaltschaft und Einspruchswerber zur Beschwerde, der – abweichend von der allgemeinen Regel (§ 87 Abs 3 StPO) – aufschiebende Wirkung zukommt. Die Bedeutung eines Rechtsmittelausschlusses ergibt sich weder aus der Interpretation des Wortlauts dieser Bestimmung, noch aus logisch-systematischen oder teleologischen Überlegungen.
S. 469 - 472, Judikatur
Zur Beschwerde gegen die Zurückweisung des Anschlusses als Privatbeteiligter
Die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Privatbeteiligtenanschlusses steht dem Betroffenen in jedem Verfahrensstadium zu. Ihm kommen diesfalls bis zur Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses aber weiterhin die Rechte eines Privatbeteiligten zu. Daher kann er auch gegen das Urteil Rechtsmittel erheben, als wäre er auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden. Eine zuvor erhobene Beschwerde ist dann hinfällig und eine darüber ergehende Entscheidung unwirksam. Hingegen entfaltet ein rechtskräftiger Zurückweisungsbeschluss Bindungswirkung.
§ 281 Abs 1 Z 5a StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.
§ 50 Abs 1 Z 2 WaffG stellt den unbefugten Besitz von nach § 17 WaffG verbotenen Waffen unter Strafe. In der taxativen Aufzählung des § 17 Abs 1 WaffG sind sternförmige Wurfgeräte nicht enthalten. Eine Wurfsterne betreffende Verordnung der Bundesministerin für Inneres iSd § 17 Abs 2 WaffG wurde im Bundesgesetzblatt nicht kundgemacht. Mangels Verbots iSd § 17 WaffG darf der Besitz von Wurfsternen demnach nicht dem Tatbestand des § 50 Abs 1 Z 2 WaffG unterstellt werden.
Die in Z 1 bis Z 5 des § 50 Abs 1 WaffG normierten Tatbilder sind als kumulatives Mischdelikt aufzufassen. Durch unbefugten Besitz einer nach § 17 Abs 1 WaffG verbotenen Waffe bei zugleich bestehendem Waffenverbot nach § 12 WaffG werden daher die Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 2 und Z 3 WaffG in echter Idealkonkurrenz verwirklicht.
Fachliche Zweifel an der Expertise eines Sachverständigen sind nach § 127 Abs 3 erster Satz StPO durch dessen Befragung, falls diese nicht zum Ziel führt, durch Beiziehung eines weiteren Sachverständigen auszuräumen.
S. 475 - 479, Judikatur
Bekämpfung eines Freispruchs wegen Nichterfüllung eines Tatbestandsmerkmals
Gründet das Gericht einen Freispruch auf die Annahme, dass ein Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt sei, und trifft es nicht Feststellungen zu allen übrigen, reicht es unter dem Aspekt erfolgreicher Urteilsanfechtung nicht, allein die den Freispruch begründende Annahme (aus Z 5) zu bekämpfen. Vielmehr ist überdies hinsichtlich jener Tatbestandsmerkmale, zu denen das Urteil keine Konstatierungen enthält, ein Feststellungsmangel (Z 9 lit a) geltend zu machen. Eine Nichtigkeitsbeschwerde, die dem nicht entspricht, ist unschlüssig und im Gerichtstag zu verwerfen.
S. 479 - 482, Judikatur
Kath-Stauden; Cathinon; Cathin; Suchtgift; psychotroper Stoff; Mohnstroh; Cannabispflanze; Pilze
Kath-Pflanzen (Zweigspitzen mit Blättern von Kath-Pflanzen) enthalten die Suchtgifte Cathinon und Cathin und unterliegen daher dem SMG.
S. 483 - 484, Judikatur
Beschaffungskriminalität; Privilegierung; Gewöhnung an Suchtgift; vorwiegende Begehung zwecks Suchtmittelbeschaffung zum persönlichen Gebrauch
„Vorwiegend“ (§ 28a Abs 3 SMG, § 27 Abs 5 SMG) bedeutet, dass nach der Absicht des Täters mehr als die Hälfte des Gewinns in die neuerliche Suchtmittelbeschaffung fließen soll. Entscheidend ist der Gewinn, nicht der Umsatz. Die beabsichtigte Verwendung des Gewinns muss deutlich festgestellt werden.
Die Substanz „Mephedron“ ist in den Anhängen zur Suchtgiftverordnung nicht genannt. Daher kann ein Schuldspruch nach § 27 Abs 1 SMG nicht bloß auf den Erwerb von Mephredron gestützt werden. Selbst wenn man Gerichtsnotorietät unterstellt, dass diese Substanz deckungsgleich mit dem in der Suchtgiftverordnung genannten Wirkstoff 4-Methyl-Methcathinon ist, müsste dies im Urteil entsprechend festgestellt werden.
S. 484 - 485, Judikatur
Zurückweisung einer Beschwerde mangels Begründung nach Erteilung eines Verbesserungsauftrages
Im Verfahren nach § 16a Abs 1 Z 1 StVG sind (mit Ausnahmen) die Bestimmungen des AVG anzuwenden. Weist eine Beschwerde einen verbesserungsfähigen Mangel auf, ist die Erteilung eines Verbesserungsauftrages zulässig. Wird diesem nicht fristgerecht nachgekommen, ist die Beschwerde zurückzuweisen, sofern im Verbesserungsauftrag darauf hingewiesen wurde. Eine Verpflichtung zu einer allumfassenden amtswegigen Prüfung des bekämpften Bescheides besteht nicht.
Identität mit der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt, welcher dem formell rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Bei der Beurteilung der „Identität der Sache“ ist in primär rechtlicher Betrachtungsweise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
Die Bewilligung eines Ausganges kommt nur in Frage, wenn die voraussichtlich noch zu verbüßende Strafdauer drei Jahre nicht übersteigt. Dies hat der Anstaltsleiter vor seiner Entscheidung als Vorfrage zu beurteilen. Die begründete Besorgnis, der Verurteilte werde aufs Neue gerichtlich strafbare Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen begehen, hindert die Gewährung einer Vollzugslockerung. Schließlich ist bei der Entscheidung über einen Ausgang im Sinne des § 99a StVG auf Art und Beweggrund der strafbaren Handlung, derentwegen der Strafgefangene verurteilt worden ist, Bezug zu nehmen.
(1) Zum einen ist eine Rechtsmittelanmeldung im Beschwerdeverfahren nach §§ 120 ff StVG nicht vorgesehen. Zum anderen entspricht die bloße Erklärung, ein Rechtsmittel zu ergreifen, nicht den zwingenden inhaltlichen Anforderungen an die Beschwerde nach § 120 Abs 1 dritter Satz StVG.
(2) Eine Zurückstellung zur Verbesserung kommt nicht in Betracht, weil § 120 Abs 1 dritter Satz StVG inhaltliche und nicht bloß formale Erfordernisse aufstellt.
S. 488 - 488, Judikatur
„Besondere Erniedrigung“ – Herabwürdigung zum bloßen Objekt sexueller Willkür
S. 490 - 490, Judikatur
Zustellung von Wiederaufnahmeantrag und -beschluss an den gesetzlichen Vertreter
S. 491 - 491, Judikatur
Beschwerdelegitimation iSd § 106 StPO bei Akteneinsicht Dritter und § 107 Abs 3 StPO
S. 491 - 491, Judikatur
„Fruit of the poisonous tree“ – keine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten
S. 492 - 492, Judikatur
Ausschluss der Diversion bei Zusammentreffen von Amtsmissbrauch und Bestechung
S. 493 - 493, Judikatur
Sachverständiger im Ermittlungsverfahren Befangenheit nicht nach § 47 Abs 1 Z 2 StPO
Akteneinsicht nach rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens ist in § 77 Abs 1 StPO geregelt (vgl RIS-Justiz RS0096779). Demgemäß haben Staatsanwaltschaften und Gerichte im Falle begründeten rechtlichen Interesses auch außer den in diesem Gesetz besonders bezeichneten Fällen Einsicht in die ihnen vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens zu gewähren, soweit dem nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Gegenstand einer Akteneinsicht sind – wie schon dieser gesetzliche Begriff selbst verdeutlicht – daher stets nur die der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- oder Hauptverfahrens, nicht aber nicht bei den Akten befindliche allfällige Befundgrundlagen.
Hinzu kommt, dass Akteneinsicht gemäß § 77 Abs 1 StPO ein begründetes rechtliches Interesse voraussetzt, sodass etwa glaubwürdig darzutun ist, dass die Akteneinsicht zum Zwecke des Begehrens um Wiederaufnahme des Strafverfahrens notwendig sei (vgl § 82 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19).
Für Akteneinsicht nach rechtskräftiger Beendigung eines Strafverfahrens (vgl dagegen § 51 StPO für das Ermittlungs- und Hauptverfahren) ist daher ein begründetes rechtliches Interesse vom Antragsteller stets glaubwürdig darzutun und bedarf – insbesondere hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Behauptungen – einer strengen Prüfung (vgl je mwN Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1§ 77 Rz 4; Oshidari, WK-StPO § 77 Rz 2).
Die bloße Intention einer Überprüfung der Befunde (Befundgrundlagen) des Sachverständigen ohne jegliche Darlegung von Anhaltspunkten für dadurch zu erwartende neue Tatsachen oder Beweismittel (§ 353 Z 2 StPO) reicht dafür jedenfalls nicht hin.
Bedeutet die in Art 1 Abs 1 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren enthaltene Formulierung „Diese Richtlinie regelt das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls“ auch, dass die ungarischen Gerichte diese Richtlinie auch im besonderen Verfahren (Kapitel XXIX des Gesetzes Nr XIX von 1998 über die Strafprozessordnung [A bünteto˝eljárásról szóló 1998. évi XIX. törvény XXIX. fejezet]) anwenden müssen, dh, dass das im ungarischen Recht vorgesehene besondere Verfahren unter den Begriff des „Strafverfahrens“ zu subsumieren ist, oder sind unter diesem Begriff nur solche Verfahren zu verstehen, die mit einer rechtskräftigen Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschuldigten abgeschlossen werden?
S. 497 - 498, Judikatur
Vorabentscheidungsersuchen des Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) im Auslieferungsverfahren gegen Aleksei Petruhhin, C-182/15
1. Sind Art 18 Abs 1 und Art 21 Abs 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahin auszulegen, dass im Fall der Auslieferung eines Bürgers eines Mitgliedstaats der Europäischen Union an einen Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, aufgrund eines Auslieferungsabkommens zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland dasselbe Schutzniveau gewährleistet sein muss wie für einen Bürger des betreffenden Mitgliedstaats?
Die Verfahrensgarantien gem Art 6 EMRK sind auch auf das vorgerichtliche Verfahren anzuwenden. Bereits ab dem Zeitpunkt des Beginns einer polizeilichen Anhaltung und nicht erst im Zuge einer Befragung muss das Recht auf effektive Vertretung durch einen Wahlverteidiger gem Art 6 Abs 3 lit c EMRK gewährleistet werden.
Die Sanktionierung der Verweigerung der Aussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit einer Haft- bzw Geldstrafe stellt ein Zwangsmittel dar. Das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, verbietet es den Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich, im Prozess Beweise zu verwenden, die unter Zwangsausübung gegen den Willen der Beschuldigten erlangt wurden. Allerdings muss zum Nachweis einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren aufgrund der Anwendung von unter Zwang erbrachten Beweismitteln deren Einfluss auf die Verurteilung bzw das Strafausmaß nachgewiesen werden.
Die Aufzeichnung von Gesprächen zwischen Anwälten und ihren Klienten kann eine Verletzung des Berufsgeheimnisses und damit der Basis ihres Vertrauensverhältnisses darstellen. Auch wenn Aufzeichnungen aus der Überwachung einer dritten Person stammen, müssen bei der Verwendung aufgezeichneter Gespräche in einem gerichtlichen Strafverfahren wirksame Kontrollmechanismen („contrôle efficace“) iSd Art 8 EMRK zur Verfügung stehen.
S. 504 - 505, Zur Erinnerung
Zur Verständigung des Opfers vom Termin der Hauptverhandlung
Opfer sind vom Termin der Hauptverhandlung nur zu verständigen, soweit sie dies im Rahmen einer Vernehmung nach § 165 StPO verlangt haben und nicht ohnedies im Wege einer Ladung als Zeuge – oder Privatbeteiligter (§ 67 Abs 6 Z 4 StPO) – oder der ihnen gewährten Prozessbegleitung (§ 66 Abs 2 StPO) von diesem Termin Kenntnis erhalten (§ 221 Abs 1 zweiter Satz StPO). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass alle anderen Opfer vom Termin der Hauptverhandlung nicht zu verständigen sind.