Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat im Dezember 2020 die Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid (§ 78 2. Alt StGB) mit Wirkung 31.12.2021 aufgehoben. Trotz intensiver Diskussion gab es Mitte Oktober 2021 noch keinen Gesetzesvorschlag, um eine vergleichbare Strafbarkeit aufrecht zu erhalten. Erst am 22.10.2021 wurde ein Entwurf, der auch eine Neuregelung des § 78 StGB enthält, präsentiert mit einer Begutachtungsfrist von lediglich drei Wochen. Der vorliegende Beitrag entstand vor diesem Entwurf und erörtert verschiedene Möglichkeiten, die sich ab 2022 bieten würden, wenn keine Nachfolgeregelung für § 78 2. Alt StGB in Kraft gesetzt werden würde und nimmt nur in Ansätzen auf den derzeitigen Entwurf Bezug. Nach einer Einleitung (1.) sollen zunächst die Begriffe „Selbsttötung“ und „Fremdtötung“ im Kontext des StGB erörtert werden (2.). Dem folgen Ausführungen zum grundrechtlichen Rahmen für den assistierten Suizid (3.) sowie eine Zusammenfassung der zentralen Argumente der VfGH-Entscheidung 2020 mit ausgewählten Stellungnahmen dazu in der Literatur (4.). Im Anschluss sollen mögliche Wege einer rechtlichen Umsetzung mit Blick auf die Diskussion im „Dialogforum Sterbehilfe“ und auf den vorliegenden Gesetzesentwurf dargestellt werden (5.). Ein zusammenfassender Ausblick (6.) steht am Ende des Beitrags.
- ISSN Online: 2312-1920
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Inhalt der Ausgabe
S. 555 - 566, Aufsatz
Mögliche Grenzen straffreier Suizidunterstützung – ein Ausblick auf 2022
S. 567 - 574, Aufsatz
Die dogmatische Einordnung des § 39 StGB nach der Novellierung durch das 3. Gewaltschutzgesetz 2019 – Eine Analyse unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf ausgewählte Normen
Seit der Novellierung des § 39 StGB durch das 3. Gewaltschutzgesetz 2019 ändert sich bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen das Höchstmaß einer angedrohten Freiheits- oder Geldstrafe zwingend um die Hälfte. In der Literatur ist nicht unumstritten, ob § 39 StGB nun eine strafsatzändernde Qualifikation darstellt oder lediglich den Strafrahmen erweitert. Der vorliegende Beitrag analysiert die dogmatische Einordnung samt den Auswirkungen auf ausgewählte Normen.
S. 575 - 580, Aufsatz
Die (Un-)Zulässigkeit doppelter Strafverfolgung durch Verwaltungs- und Justizbehörde
Der österreichische Gesetzgeber hat die Strafkompetenz nicht nur einer Staatsgewalt übertragen, sondern auf Verwaltung und Justiz aufgeteilt. Grundsätzlich wird jedoch von keinen Wesensunterschieden zwischen den beiden Strafsystemen ausgegangen; sowohl das Justiz- als auch das Verwaltungsstrafrecht reagieren auf Unrecht mit Tadel, dienen der Prävention zukünftiger Straftaten und sind folglich als Strafrechte zu qualifizieren. Das Verhältnis dieser beiden Strafrechte ist der Untersuchungsgegenstand meiner Dissertation. Denn innerhalb eines Sachverhaltes können Verwaltungs- und Justizstrafdelikte zusammentreffen, und es ergibt sich die Frage, ob eine strafrechtliche Verfolgung durch beide Strafgewalten zulässig ist. Die verfassungsrechtliche Grundlage für diese Untersuchung bildet der „Ne bis in idem“-Grundsatz der EMRK. Auf einfachgesetzlicher Ebene ist die Subsidiaritätsklausel des VStG zu berücksichtigen. Beide Rechtsgrundlagen können das Konkurrenzproblem jedoch nur lösen, wenn der prozessuale Tatbegriff hinreichend definiert wurde: Auf welche Umstände bezieht sich die Sperrwirkung einer rechtskräftigen Entscheidung, und welche Umstände bilden jene Tat, deren verwaltungsrechtliche Strafbarkeit subsidiär ist?
Die Verhinderung der Verbreitung mancher Infektionskrankheiten bedarf strenger Hygienemaßnahmen und mitunter der Isolation Kranker. Besondere Ansteckungsgefahren können sich insb bei längerem Aufenthalt mehrerer Personen auf engem Raum, zB in Justizanstalten, ergeben. Dieser Beitrag soll daher am Beispiel von SARS-Cov-2 die Möglichkeiten einer das Verbreitungsrisiko weitestgehend vermeidenden Verwahrung von ansteckenden Personen in U-Haft untersuchen.
S. 588 - 591, Aufsatz
Gekaufte Internationale und Europäische Haftbefehle – Mythos oder Realität?
Internationale und Europäische Haftbefehle sind wertvolle Instrumente der Kriminalitätsbekämpfung. Sie tragen dazu bei, dass sich Straftäter nicht durch das Überschreiten von Landesgrenzen der Strafverfolgung entziehen können. Gleichzeitig bieten sie auch erhebliches Missbrauchspotential. Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, unter welchen Umständen es möglich ist, Internationale und Europäische Haftbefehle durch die Bestechung von Amtsträgern zu erwirken und damit unliebsame Personen aus dem Verkehr ziehen zu lassen. Sofern Strafverfolgungsbehörden im deutschsprachigen Raum gekaufte Haftbefehle aus dem Ausland vollstrecken, werden sie damit zum verlängerten Arm von Kriminellen. Die vorliegenden Erkenntnisse sind somit von größter Relevanz für Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwälte, Richter und Strafverteidiger.
S. 592 - 594, Wirtschafts- und Finanzstrafrecht Aktuell
Lange Anwendbarkeit der Übergangsregelungen der § 265 Abs 2c und § 265 Abs 2d FinStrG zu erwarten
In den bisherigen beiden Beiträgen zur Totalreform der österreichischen Bundesfinanzverwaltung – und damit einhergehend auch einer völligen Neuorganisation der Finanzstrafbehörden – wurde bereits ausgeführt, dass die beiden neu geschaffenen Finanzstrafbehörden Zollamt Österreich (ZAÖ) einerseits und das Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) andererseits nunmehr – jeweils für ihren sachlichen Zuständigkeitsbereich – mit bundesweiter Zuständigkeit ausgestattet wurden. Aufgrund des Zusammenrechnungsgebots des § 53 Abs 1 bzw § 58 Abs 2 FinStrG ist mit einer vermehrten Zuständigkeit des Schöffengerichts einerseits bzw des Spruchsenats andererseits zu rechnen, da die bis zum 31.12.2020 geltenden Differenzierungen der örtlichen Zuständigkeit der Finanzstrafbehörden einerseits und der sachlichen Zuständigkeit gem AVOG 2010 mit 1.1.2021 weggefallen sind. Um in der Übergangsphase ein sprunghaftes Ansteigen der zu behandelnden Finanzstraffälle bei Schöffengerichten und Spruchsenaten durch die Organisationsreform zu verhindern, wurden umfassende Übergangsregelungen erlassen, die für bestimmte Fälle die Rechtslage zum 31.12.2020 weiterhin zur Anwendung bringen soll.
S. 595 - 602, Europastrafrecht Aktuell
Umsetzung, Umsetzungskontrolle, Vertragsverletzungsverfahren im Strafrecht: Eine Bestandsaufnahme – Teil 1
Der zentrale Rechtsbestand der Union auf dem Gebiet des Strafrechts macht gut 40 Rechtsakte aus; es handelt sich vor allem um Richtlinien, zahlreiche Rahmenbeschlüsse, einzelne Verordnungen und sogar noch ein Übereinkommen und einen Beschluss. Zu allen diesen Rechtakten sind Umsetzungs- bzw Durchführungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten erforderlich. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Schritte, die die Kommission nach Annahme der Rechtsakte gesetzt hat (Berichte, Umsetzungskontrolle, Vertragsverletzungsverfahren), und bewertet ihre Rolle als Hüterin der Verträge im Bereich des Strafrechts.
S. 603 - 610, Strafvollzug und Kriminologie
Zulässigkeit von Frontdoor-Anträgen auf elektronisch überwachten Hausarrest nach einer Verurteilung nach § 205a StGB? – Zugleich eine kritische Betrachtung des Beschlusses des OLG Wien vom 15.9.2021, AZ 32 Bs 91/21y
Am 1.1.2013 trat § 156c Abs 1a StVG in Kraft, welcher bestimmte Sexualdelikte von vornherein von der Bewilligung des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) vor Strafantritt (aufgrund eines sog Frontdoor-Antrags) ausschließt und im Übrigen (vor allem auch bei nicht in dieser Bestimmung explizit genannten Sexualdelikten) eine besondere positive Missbrauchsprognose verlangt. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015 wurde der Tatbestand der „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ als § 205a StGB in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Trotz umfangreicher Änderungen durch das genannte Änderungsgesetz wurde § 156c Abs 1a StVG nicht um § 205a StGB erweitert. In diesem Aufsatz soll das mögliche rechtliche Schicksal eines Frontdoor-Antrags auf eüH erörtert werden, welcher nach einer Verurteilung nach § 205a StGB gestellt wird. Da mittlerweile eine Grundsatzentscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Wien zu dieser Frage gefallen ist, soll diese kritisch betrachtet und analysiert werden.
S. 611 - 613, Tagung
Symposion „Aktuelle Fragen aus Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit“ – Tagungsbericht
Das jährlich stattfindende Symposion aus Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit gab dieses Jahr – wie gewohnt – Einblicke zu aktuellen Themen rund um das Wirtschafts- und Finanzstrafrecht (inklusive verfahrensrechtlicher Aspekte) sowie zu neuen Fragen der Organverantwortlichkeit und dem internationalen Strafrecht. Die Tagung war dieses Jahr besonders gefragt, weil der Gesetzgeber auf Grund einiger Anlassfälle der letzten Jahre und Monate gänzlich neue Regelungen sowohl im StGB als auch in der StPO geschaffen hat.
S. 614 - 622, Judikatur
Sexueller Missbrauch von Unmündigen; Analpenetration; dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung; Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses; Nichtigkeitsbeschwerde; methodengerechte Ausführung; prozessordnungskonforme Ausführung; K...
Das Eindringen mit dem Finger oder einem Gegenstand (hier Ultraschallstab) in den After stellt eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung dar. Die gegenteilige Behauptung ist eine nicht prozessordnungskonforme Darstellung des materiellen Nichtigkeitsgrundes.
Der Begriff „Vermögensgegenstände“ in § 19a StGB (Konfiskation) umfasst auch unbewegliche Sachen, die zur Begehung einer Vorsatztat verwendet wurden (hier: ein Seegrundstück, in dem Kinder geschlechtlich missbraucht wurden).
Gegenstände im Sinn des § 19a Abs 1 StGB umfassen bewegliche und unbewegliche Sachen, demnach auch Grundstücke und Gebäude. Zur Tatbegehung verwendet werden nicht nur jene Gegenstände, deren „Verwendung“ der jeweilige Tatbestand erfordert, sondern auch alle körperlichen Sachen, die der Täter sonst unmittelbar zur Förderung des Tatgeschehens eingesetzt hat. Der Täter „verwendete“ die Liegenschaft bei Begehung der dort erfolgten Vorsatztaten, indem er die Opfer in sein „Seehaus“ einlud, um insbesondere durch vertrauliche Gespräche in einer persönlichen und intimen Atmosphäre das Vertrauen der Opfer zu gewinnen und zu intensivieren, und somit unmittelbar zur Förderung der Tatbegehung.
Das bloße Verlangen einer Partei, neue Befunde und Gutachten abzufordern, um die vom beigezogenen Sachverständigen erbrachten (im Sinne der §§ 125 f StPO mängelfreien) Ergebnisse zu überprüfen, zielt auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung.
Der Umstand, dass die Dolmetscherin im Verfahren als Zeugin vernommen worden ist, bedingt per se nicht deren Befangenheit im Sinn des § 47 Abs 1 Z 3 StPO (iVm § 126 Abs 4 StPO).
Das Heranziehen einer einschlägigen Vorstrafe als Erschwerungsgrund verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot.
S. 626 - 632, Judikatur
Erzeugung von Suchtgift, Anbau von Cannabispflanzen zur Suchtgiftgewinnung, Kunstfreiheit, irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts, Putativrechtfertigung
Im Hinblick auf die Feststellung des Erstgerichts, dass die Cannabispflanzen nicht zur Gewinnung von Suchtgiften angebaut wurden, sondern um ein Kunstprojekt zu realisieren, ist die subjektive Tatseite des Vergehens nach § 27 Abs 1 Z 2 SMG nicht erfüllt.
Da die Angeklagten lediglich ein Kunstprojekt realisieren wollten und davon ausgingen, dass ihre Kunstinstallation durch die Freiheit der Kunst gem Art 17a StGG gedeckt und damit gerechtfertigt ist, kommt den Angeklagten hinsichtlich des Vorwurfs der Erzeugung von Suchtgift (§ 27 Abs 1 Z 1 3. Fall SMG) jedenfalls die in § 8 Abs 1 StGB normierte Putativrechtfertigung zugute.
Der Verkauf von Cannabisstecklingen an Personen, die daraus suchtgifthaltiges Cannabiskraut erzeugen, verwirklicht bei entsprechendem Vorsatz Beitragstäterschaft zur Erzeugung von Suchtgift.
S. 633 - 634, Judikatur
Suchtgift, Cannabiskraut, Mengenberechnung, Reinheitsgehalt, Delta-9-THC, THCA
Mengenberechnung von Suchtgift bei nicht feststellbarem Verhältnis der Wirkstoffe zueinander.
Das Urteil muss Feststellungen zur Beschaffenheit der tatverfangenen Substanzen im Zeitpunkt der Tatbegehung enthalten. Wahldeutige Feststellungen (hier Delta-9-THC und THCA in dieser oder in jener Quantität) reichen dafür jedoch aus, wenn sie zum gleichen rechtlichen Schluss führen.
Das Fehlen der Bestimmung des § 205a StGB im Deliktskatalog des § 156c Abs 1a StVG stellt keine planwidrige Lücke dar, die im Wege der Analogie zu schließen ist.
Soweit Angehörige in der Lage sind, sich selbst zu erhalten, besteht kein Recht zur Unterstützung derselben aus Hausgeld oder Rücklage. Ein solcher Antrag bedarf nach den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen einer entsprechenden Begründung (Glaubhaftmachung, Bescheinigung) durch den Antragsteller im Einzelfall.
Der Mitteilung der Behörde, dass sie sich zu einer begehrten aufsichtsbehördlichen Verfügung nicht veranlasst finde, fehlt jeder rechtsgestaltende oder -feststellende Inhalt. Dagegen erhobene Beschwerden sind zurückzuweisen.
S. 639 - 640, Judikatur
Fehlende Aktivlegitimation der amtsbekannten Vertreterin im Finanzstrafverfahren
S. 641 - 641, Judikatur
Zur Konkurrenz zwischen § 225a StGB und § 147 Abs 1 Z 1 StGB – echte Konkurrenz möglich
S. 642 - 643, Judikatur
Nicht nach § 322 StPO ausgesondertes Privatgutachten fällt nicht unter das Verlesungsverbot
S. 643 - 643, Judikatur
Rechtswirksamkeit der Anklage und Geltendmachung der örtlichen Unzuständigkeit
S. 643 - 644, Judikatur
Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde bei Entscheidung über Verfall – Rechtsmittellegitimation
S. 644 - 644, Judikatur
Keine „Überweisung“ beschlagnahmter Forderungen auf ein „Konto des Oberlandesgerichts“
S. 644 - 644, Judikatur
Zum Erlag des nach § 115 Abs 5 StPO bestimmten Befreiungsbetrags (§ 115 Abs 6 StPO)
Der effektive Verlust an Vermögenssubstanz (und damit der tatbestandsmäßige Erfolg des Betrugs) tritt mit der Überweisung (Abbuchung) des Geldbetrags vom Konto des Auftraggebers ein (RIS-Justiz RS0130479). Als Ort des Erfolgseintritts ist dabei jener Ort anzusehen, an dem sich die kontoführende Filiale (unselbstständige Niederlassung oder Geschäftsstelle) der Bank befindet. Auf den Sitz (der Zentrale) der Bank ist damit im Allgemeinen nicht abzustellen (zu damit im Zusammenhang stehenden und insoweit auch beachtlichen zivilrechtlichen Fragestellungen vgl 3 Ob 28/17i; Kodek, Die Pfändung von Bankkonten, ÖBA 2010, 19 [21]; Apathy in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht2 II Rz 2/91; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht2 III Rz 1/18; Lovrek in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 156 KO Rz 108).
§ 20a Abs 1 Z 3 StPO normiert die Sonderzuständigkeit der WKStA für grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen gemäß § 159 Abs 4 StGB, in den Fällen des § 159 Abs 4 Z 1 und 2 StGB jedoch nur, soweit aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass der Befriedigungsausfall 5 Mio Euro übersteigt
Dabei stellt der Zuständigkeitstatbestand des § 20a Abs 1 Z 3 StPO in den Fällen des § 159 Abs 4 Z 1 und 2 StGB nicht auf einen gesamthaft, sondern auf einen jeweils 5 Mio Euro übersteigenden Befriedigungsausfall ab, der nur dann verwirklicht ist, wenn bei zumindest einem dieser Deliktsfälle diese Wertgrenze überschritten ist; dies ergibt sich aus dem Deliktscharakter des § 159 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie dem – unterschiedlichen – Gegenstand des von § 159 Abs 4 Z 1 und 2 StGB jeweils erfassten Befriedigungsausfalls:
Die Abs 1 und 2 (wie im Übrigen auch Abs 3) des § 159 StGB stellen ein kumulatives Mischdelikt (echte Realkonkurrenz) dar (Kirchbacher in WK2 StGB § 159 Rz 6 und 96) und bezeichnen daher selbstständige Taten im materiellen Sinn mit der Konsequenz, dass dies auch auf die korrespondierenden Qualifikationstatbestände des § 159 Abs 4 Z 1 und 2 StGB zutrifft. § 159 Abs 4 Z 1 StGB stellt auf einen 1 Mio Euro übersteigenden Befriedigungsausfall, § 159 Abs 4 Z 2 StGB indes auf einen 1 Mio Euro übersteigenden zusätzlichen Befriedigungsausfall ab. Aus dem solcherart unterschiedlichen Gegenstand des jeweils angesprochenen Befriedigungsausfalls folgt zwangsläufig, dass der in § 20a Abs 1 Z 3 StPO mit Beziehung auf die Fälle des § 159 Abs 4 Z 1 und 2 StGB genannte Begriff „Befriedigungsausfall“ – solcherart für diese selbstständigen Taten im materiellen Sinn semantisch differenzierend – den je unterschiedlichen Gegenstand des jeweiligen Qualifikationstatbestands meint (vgl im Übrigen unter gesetzessystematischen Gesichtspunkten die ebenfalls auf die einzelnen dort genannten Delikte differenzierend bezogene Bezeichnung des jeweils zuständigkeitsbegründenden qualifizierten Schadens in § 20a Abs 1 Z 1 StPO).
1. Erlauben die Vorschriften des Art 1 Abs 2 und Abs 3 des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen (EU-IS-NO-Übk) die Ausstellung eines neuen Haftbefehls zur Strafverfolgung in derselben Sache gegen eine Person, deren Übergabe seitens eines Mitgliedstaats der Europäischen Union auf der Grundlage von Art 1 Abs 3 des Übereinkommens in Verbindung mit Art 6 EUV und Art 8 EMRK abgelehnt wurde?
2. Erlauben es die Vorschriften des Art 1 Abs 3 EU-IS-NO-Übk sowie der Art 21 Abs 1 und 67 Abs 1 AEUV und der Art 6 und 45 Abs 1 GRC, dass ein Mitgliedstaat, an den sich ein Haftbefehl richtet, in der Sache, in der ein anderer Mitgliedstaat die Übergabe derselben Person zur Strafverfolgung in derselben Sache abgelehnt hat, nochmals entscheidet, nachdem die gesuchte Person von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und von dem Staat, in dem die Übergabe abgelehnt wurde, in den Staat, an den sich der neue Haftbefehl richtet, gezogen ist?
1. Sind Art 2 Abs 4 und Art 4 Abs 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI dahin auszulegen, dass die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens erfüllt ist, in dem um die Übergabe wegen Handlungen ersucht wird, die im Ausstellungsstaat als Verwirklichung des Tatbestands der Verwüstung und Plünderung angesehen wurden, der in Verwüstungs- und Plünderungshandlungen besteht, die den öffentlichen Frieden zu stören vermögen, wenn es im Vollstreckungsstaat die Straftatbestände Diebstahl mit Sachbeschädigung, Zerstörung sowie Sachbeschädigung gibt, die dieses Tatbestandsmerkmal der Störung des öffentlichen Friedens nicht voraussetzen?
2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind Art 2 Abs 4 und Art 4 Abs 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI dahin auszulegen, dass das Gericht des Vollstreckungsstaats die Vollstreckung eines zum Vollzug einer Strafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls ablehnen kann, wenn es feststellt, dass die betreffende Person von den Justizbehörden des Ausstellungsstaats zu dieser Strafe wegen der Begehung einer einheitlichen Straftat verurteilt worden ist, deren Prävention sich auf verschiedene Handlungen richtete, von denen nur ein Teil nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellt? Ist je nachdem, ob die verurteilenden Behörden des Ausstellungsstaats diese verschiedenen Handlungen als voneinander trennbar oder als untrennbar erachtet haben, zu unterscheiden?
3. Verpflichtet Art 49 Abs 3 GRC die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn dieser zum Vollzug einer einheitlichen Strafe zur Verfolgung wegen einer einheitlichen Straftat ausgestellt wurde und, da einige der Handlungen, derentwegen diese Strafe verhängt wurde, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellen, die Übergabe nur in Bezug auf einen Teil dieser Handlungen bewilligt werden kann?
Können die Vorschriften des Austrittsabkommens, die eine Fortführung der Regelung über den Europäischen Haftbefehl in Bezug auf das Vereinigte Königreich während des in diesem Abkommen vorgesehenen Übergangszeitraums vorsehen, unter Berücksichtigung ihrer erheblichen, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffenden Inhalte als für Irland bindend angesehen werden, und
Können die Vorschriften des Handels- und Kooperationsabkommens, die eine Fortführung der Regelung über den EHB in Bezug auf das Vereinigte Königreich nach Ablauf des maßgeblichen Übergangszeitraums vorsehen, unter Berücksichtigung ihrer erheblichen, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffenden Inhalte als für Irland bindend angesehen werden?
Sofern die zuständigen Behörden die erforderliche besondere Sorgfalt bei Vorwürfen häuslicher Gewalt an den Tag legen, liegt kein Verstoß gegen Art 2 EMRK vor. Die Behörden haben rasch vorzugehen, müssen den spezifischen Kontext berücksichtigen und eine eigenständige, proaktive und umfassende Risikobewertung durchführen. Im vorliegenden Fall ergab die Risikobewertung keine tatsächliche und unmittelbare Lebensgefahr für den Sohn der Bf, weshalb das erlassene Betretungsverbot und die Wegweisung gegen den Vater den positiven Verpflichtungen des Art 2 EMRK genügten.
Hebt ein Berufungsgericht einen erstinstanzlichen Freispruch auf, muss der Angeklagte vor seiner Verurteilung erneut gehört werden. Der Angeklagte muss persönlich zu jenen Umständen befragt werden, die für die Bewertung seiner Schuld entscheidend sind. Der Verzicht des Angeklagten auf sein Recht, bei den Verhandlungen anwesend zu sein, ist nicht gleichzusetzen mit dem Verzicht auf sein Recht, vom Berufungsgericht angehört zu werden. Das Recht des Angeklagten, während der Verhandlung spontane Äußerungen zu tätigen und als letzter das Wort zu ergreifen, ist nicht gleichzusetzen mit dem Recht, vom Gericht gehört zu werden.