Das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen bzw schweigen zu dürfen – zusammengefasst unter dem Begriff Nemo-tenetur-Prinzip – ist ein fundamentaler Grundsatz eines jeden fairen Strafverfahrens und genießt in der Lehre und Rechtsprechung verfassungs- und konventionsrechtlichen Rang. Obwohl das Nemo-tenetur-Prinzip international anerkannt ist und ein elementares Verfahrensrecht zugunsten der beschuldigten Person darstellt, werden einige Teilaspekte des Prinzips in Österreich und der Schweiz in wirtschafts- und finanzstrafrechtlichen Verfahren unterschiedlich beurteilt. Da Österreich und die Schweiz Nachbarländer sind, lohnt sich die genaue Betrachtung der Unterschiede, da diese von einer prozessierenden Partei im Nachbarland zwingend beachtet werden.
- ISSN Online: 2312-1920
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Inhalt der Ausgabe
S. 373 - 386, Aufsatz
Ausgewählte Aspekte des Nemo-tenetur-Prinzips in wirtschafts- und finanzstrafrechtlichen Verfahren in Österreich und der Schweiz – ein Rechtsvergleich
S. 387 - 390, Aufsatz
Überlegungen zur Legitimation vorbeugender Maßnahmen gegen geistig abnorme RechtsbrecherInnen
Der österreichische Gesetzgeber hat sich im Zuge der großen Strafrechtsreform von 1975 grundsätzlich so positioniert, dass eine Abwehr der Gefahr, die von geistig abnormen Personen für andere ausgeht, mittels des Strafrechts möglich sein soll. Der Blick auf die Anordnungsvoraussetzungen erweckt dabei den Eindruck, dass die vorbeugende Unterbringung nur für besondere Einzelfälle in Betracht kommen wird und die gesetzlichen Bedingungen gewährleisten, dass Zweck und Mittel nicht außer Verhältnis stehen. Inwiefern dies tatsächlich der Fall ist, ist fraglich, denn Unterbringungszahlen und Unterbrinungsdauer steigen. Gegenwärtig scheint diese Frage auf der politischen Prioritätenliste aber nicht weit oben zu stehen. Zwar wurde vor kurzem eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit einer Stärkung der Bewährungshilfe, Resozialisierungsmaßnahmen und der Evaluierung von Haftalternativen befassen soll. Der Maßnahmenvollzug ist vom Arbeitsauftrag allerdings nicht umfasst. Das ist zwar insofern konsequent, als bereits seit 2015 ein umfassender Abschlussbericht einer eigenen Reformgruppe zum Maßnahmenvollzug vorliegt und schon 2017 ein Entwurf für ein Maßnahmen-Reform-Gesetz erarbeitet worden ist. Eine legistische Realisierung lässt allerdings seither auf sich warten und ist leider auch so schnell nicht zu erwarten. Selbst bei möglichst strenger Reglementierung steht die Möglichkeit einer vorbeugenden Freiheitsentziehung aber immer in einem grundlegenden Spannungsverhältnis zu liberalen Grundsätzen und Freiheitsrechten des Betroffenen. Damit habe ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit dem Titel: Die dogmatische Legitimation der strafrechtlichen Unterbringung geistig abnormer RechtsbrecherInnen; eingehend auseinandergesetzt.
S. 391 - 397, Wirtschafts- und Finanzstrafrecht Aktuell
Präjudizielle Wirkung von Finanzstrafverfahren für die subjektive Vorwerfbarkeit in künftigen vergleichbaren Fällen
Ausgangspunkt ist ein kürzlich ergangenes Erkenntnis des BFG, in welchem ein Beschuldigter, ein ehemaliger Gemeindebediensteter, der Gemeindegebühren aus der Handkasse entnommen hat und in seiner Einkommensteuererklärung nicht erklärte, im Zweifel von der grob fahrlässigen Abgabenverkürzung freigesprochen wurde. Im Folgenden wird erörtert, ob bzw welche Schlüsse eine Finanzstrafbehörde bei der Beweiswürdigung für die subjektive Vorwerfbarkeit eines Verhaltens im konkreten Finanzstrafverfahren ziehen darf, wenn über vergleichbare abgabenrechtliche Verfehlungen in der Vergangenheit oder gegenwärtig öffentlichkeitswirksame Diskussionen stattgefunden haben bzw stattfinden.
S. 398 - 413, Strafvollzug und Kriminologie
Zur Erfassung und Verfolgung von Hate Crimes in Österreich
Die Autorin führte 2018 eine Reihe von Expert*inneninterviews im Rahmen des 2014–2018 Shadow Reports des European Network Against Racism zur strafbehördlichen Behandlung vorurteilsmotivierter Kriminalität aus rassistischen Motiven in Österreich. Aus der Perspektive des EU-Rechts sollte insbesondere erforscht werden, ob und wie Artikel 4 des Rassismus-Rahmenbeschlusses zum Thema rassistische und fremdenfeindliche Motivation praktisch umgesetzt würde. Die diesem Beitrag zugrundeliegende Untersuchung hatte zum Ziel, explorativ-felderschließend Erkenntnisse zu den folgenden Themen herauszuarbeiten: (i) die statistische Erfassung und Aufklärung von vorurteilsmotivierter Kriminalität in Österreich, (ii) die Beachtung des Hate Crime Konzepts durch die Akteure des Strafverfolgungssystems in der Praxis und (iii) mögliche Schwachstellen des derzeitigen Systems. Einige Interviews behandelten auch das Thema Polizeigewalt gegen Minderheiten.
Fehlende Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf die Beamteneigenschaft der Bedrohten und deren Nötigung zu einer Amtshandlung iS des § 269 Abs 2 letzter Fall StGB sind als Rechtsfehler infolge fehlender Feststellungen ausschließlich mit Rechtsrüge gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO geltend zu machen.
Der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 13 StGB liegt auch vor, wenn die Tat zwar den Grundtatbestand verwirklicht, im eine Wertqualifikation betreffenden Umfang aber beim Versuch geblieben ist. Dessen Nichtannahme trotz Fehlens von Feststellungen zu einem in objektiver Hinsicht die intendierte Qualifikationsverwirklichung begründenden Umstände führt zu Nichtigkeit des Strafausspruchs aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StGB.
Wird der Angeklagte wegen des Kaufes einer durch eine mit Strafe bedrohte Handlung gegen fremdes Vermögen erlangten Sache nach § 164 Abs 2 1. Fall StGB schuldig gesprochen, bezieht sich ihm gegenüber die Verfallsdrohung des § 20 Abs 1 StGB auf die gekaufte Sache, womit der nach § 20 Abs 3 StGB für verfallen zu erklärende Geldbetrag dem Wert dieser Sache zu entsprechen hat.
Im Geschworenenverfahren ist eine Eventualfrage immer dann zu stellen, wenn bestimmte Verfahrensergebnisse konkret auf eine andere Tatgestaltung als die der Hauptfrage zugrunde gelegte hindeuten, wobei stets nur auf in der HV erstattetes Tatsachenvorbringen iS des § 314 Abs 1 StPO abzustellen ist. Der Inhalt eines Gutachtens ist kein solches und vermag daher für sich allein keine Eventualfrage zu indizieren.
Auf die Untersuchungshaft sind primär die Bestimmungen der §§ 182 ff StPO anzuwenden. Nach § 182 Abs 4 StPO gelten subsidiär die Bestimmungen des StVG über den Vollzug von Freiheitsstrafen, die 18 Monate nicht übersteigen, somit die Bestimmungen der §§ 153 ff StVG. Fallkonkret ist die Bestimmung des § 132 Abs 2 StVG aber § 186 Abs 2 StPO subsidiär nachgeordnet.
Die nach rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens vollzogene Haft gilt als Strafhaft, unabhängig davon, ob das Gericht eine Vollzugsanordnung erlassen hat.
Eine Freiheitsstrafe wird immer in der dafür zuständigen Justizanstalt vollzogen und nicht in jener, in der sich der Strafgefangene bloß vorübergehend aufhält. (1)
Eine generelle Genehmigung von Telefongesprächen entspricht weder dem StVG noch den Grundsätzen des Strafvollzuges. (2)
§ 93 Abs 1 StVG gewährt inhaftierten Personen, nicht Besuchern ein subjektives Recht. Besuche finden während der von der Vollzugsbehörde 1. Instanz festgesetzten Besuchszeiten statt. Bezüglich der Ausgestaltung des Besuches besteht kein subjektives Recht. Auch auf vorübergehende Überstellung (Ausführung) in eine andere Justizanstalt zur Durchführung eines Familienbesuches besteht kein subjektives Recht.
1. Wird dauerhaft geplant, Einkommensteuer aus verheimlichten Geschäftsführervergütungen zu verkürzen, stellt dies keine nur unbedeutende Folge einer Abgabenhinterziehung dar. Zudem kann bei langfristigen und vorgehenden Handlungen zur Verdunkelung der Steuerpflicht (in diesem Fall mittels Vorschieben einer rumänischen Verrechnungsgesellschaft) auch bei späterem bloß bedingten Vorsatz nicht von einem nur geringfügigen Verschulden des Täters gesprochen werden.
2. Die Vorladung eines Beschuldigten ist kein unverbindlicher Terminvorschlag, sondern stellt eine verfahrensrechtliche Verfügung dar, welcher grundsätzlich Folge zu leisten ist. Erfolgt bis zum Termin keine Rückmeldung auf einen Antrag auf Verschiebung, so ist der Vorladung weiterhin Folge zu leisten. Die Abwesenheit ohne begründetes Hindernis verhindert weder die Durchführung der mündlichen Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses aufgrund der Verfahrensergebnisse.
1. Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Zusammenhang mit einer Erkrankung liegt nur dann vor, wenn Dispositionsunfähigkeit gegeben ist. Diese liegt vor, wenn jemand außer Stande ist, die als notwendig erkannten Handlungen fristgerecht zu setzen (vgl VwGH vom 27.9.1999, 99/17/0313). Nur eine die Dispositionsfähigkeit völlig ausschließende Krankheit stellt einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar.
2. Eine rückwirkend vorgelegte Krankmeldung durch einen nach der Erkrankung erfolgten Arztbesuch legt eine Dispositionsunfähigkeit nicht glaubhaft dar, sofern nicht zu den angegebenen relevanten Krankheitstagen eine ärztliche Untersuchung stattgefunden hat.
S. 427 - 427, Judikatur
Erschwerende Wertung (§ 32 Abs 3 StGB) von Verletzungsfolgen und Doppelverwertungsverbot
S. 427 - 427, Judikatur
Erschwerende Wertung (§ 32 Abs 3 StGB) von Verletzungsfolgen und Doppelverwertungsverbot
Die von § 83 Abs 4 zweiter StPO verlangte eigenhändige Zustellung der Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung (Fabrizy, StPO13 § 83 Rz 3) kann auch durch Hinterlegung erfolgen (RIS-Justiz RS0120038). Dies allerdings nur, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (§ 17 Abs 1 ZustG). Ergibt sich, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, gelten hinterlegte Dokumente nicht als zugestellt (§ 17 Abs 3 ZustG; 14 Os 118/18m). An einem Ort, der keine Abgabestelle (§ 2 Z 4 ZustG) ist, hinwieder kommt Zustellung gemäß § 17 ZustG von vornherein nicht in Betracht (Stumvoll in Fasching/Konecny3 II/2 § 17 ZustG Rz 17).
S. 428 - 428, Judikatur
Außerordentliche Wiederaufnahme nur bei rechtskräftiger Entscheidung (hier: Abwesenheitsurteil)
Nach Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0117312 [T3], RS0117416 [T4]) und Lehre (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 16; Fabrizy, StPO13 § 362 Rz 3) findet die außerordentliche Wiederaufnahme gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO nur in Bezug auf „letztinstanzliche“ Entscheidungen statt, setzt also deren Rechtskraft voraus (15 Os 111/16m, EvBl 2017/34, 234 [mit Hinweis von Ratz]; 17 Os 22/17i, RIS-Justiz RS0131086).
Auch erstinstanzliche Abwesenheitsurteile, die (rechtsfehlerfrei, aber) nach objektiv unterbliebener persönlicher Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung gefällt wurden, werden vom Obersten Gerichtshof dann als einem (analog § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten) Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme zugänglich angesehen, wenn die Benachteiligung auf anderem Weg nicht zu beseitigen war (12 Os 136/15i, 14 Os 118/18m). Letzteres liegt jedenfalls nicht vor, wenn der Umstand, dass die Entscheidung auf objektiv falscher Verfahrensgrundlage ergangen ist, noch mit Einspruch (§§ 427 Abs 3, 478 Abs 1, 489 Abs 1 StPO) geltend gemacht werden kann.
Ist ein – hier bezirksgerichtliches – Abwesenheitsurteil infolge dessen mangelhafter Zustellung – entgegen der Endverfügung – gar nicht in Rechtskraft erwachsen, kann der Angeklagte (weiterhin) sowohl Berufung (§ 466 Abs 2 StPO) als auch – binnen 14 Tagen nach (wirksamer) Zustellung des Urteils – Einspruch (§ 478 Abs 1 StPO) erheben, welcher Rechtsbehelf es ihm ermöglicht, die (wenn auch rechtsfehlerfreie) Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in seiner Abwesenheit trotz (objektiven) Mangels an ordnungsgemäßer Ladung zu relevieren (dazu Bauer, WK-StPO § 427 Rz 20).
Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren stellt ein in Art 6 Abs 1 EMRK verankertes Grundprinzip dar. Die innerstaatlichen Gerichte können aber unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls die Öffentlichkeit von einem Gerichtsverfahren ausschließen. Die Privatsphäre von Opfern von Sexualstraftaten ist in besonderer Weise zu schützen. Die Interessen der Verteidigung sind dabei mit den Interessen der Opfer abzuwägen.
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