Das strafrechtliche EU-Anpassungsgesetz 2020 – StrEU-AG 2020 ist ein Sammelgesetz, das sehr unterschiedliche Änderungen enthält und dessen Titel recht wenig über seinen vielfältigen Inhalt verrät: Zum einen wird damit ein Bundesgesetz über das Übergabeverfahren mit Island und Norwegen (Island-Norwegen-Übergabegesetz – INÜG) erlassen, darüber hinaus werden die StPO, das JGG, das EU-JZG, das ARHG, das IStGH-ZG, das IG-ZG, das BörseG und das TilgG geändert. In diesem Sammelgesetz wurden zwei Ministerialentwürfe vereint: das Strafprozess- und Jugendstrafrechtsänderungsgesetz 2019, 162/ME 26. GP und das Island-Norwegen-Übergabegesetz – INÜG; EU-JZG-ÄndG 2019, 2/ME 27. GP. So gesehen ist der Inhalt dieser Regelungen nicht neu; in einzelnen Fällen kam es zu einer Abweichung gegenüber den ME. Die Änderungen der StPO, des JGG, des EU-JZG und des ARHG treten mit 1.6.2020 in Kraft, alle übrigen sind bereits mit 22.3.2020 in Kraft getreten.
- ISSN Online: 2312-1920
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Inhalt der Ausgabe
S. 193 - 196, Aktuelle Gesetzesvorhaben
Strafrechtliches EU-Anpassungsgesetz BGBl I 2020/20
S. 197 - 203, Aktuelle Gesetzesvorhaben
Neues vom Gesetzgeber II: Die Auswirkung der COVID-19-Gesetze auf das Strafrecht
Es wäre bequem, die Auswirkungen der COVID-19-Gesetze im Bereich des Strafrechts in dieser Ausgabe des JSt nicht darzustellen, weil die Neuerungen nur zeitlich begrenzt gelten und sie das Resultat einer Ausnahmesituation sind, die hoffentlich so schnell nicht wiederkommt. Doch durch eine unterlassene Darstellung geriete in den Hintergrund, dass manchen strafprozessualen Änderungen die Befristung fehlt. Darüber hinaus zeigt sich zum Teil in der Umsetzung der VO-Ermächtigungen ein Geist, der für die Zukunft hellhörig machen sollte. Der folgende Beitrag greift ein paar Aspekte der COVID-19-Änderungen im strafrechtlichen Bereich heraus und nimmt dazu kritisch Stellung. Vorweg soll hervorgehoben werden, dass mit diesem Beitrag keine generelle Kritik am Gesetzgeber oder an der Regierung bei der Schaffung dieser Normen geübt werden soll, weil die Herausforderungen im Rahmen der COVID-19-Krise groß waren (und noch sind) und Fehler passieren können. Es ist der Umgang mit diesen Fehlern, nämlich erkannte Überschreitungen von (verfassungs-)rechtlichen Grenzen nicht korrigieren zu wollen, selbst als der Zeitdruck nachgelassen hatte, der eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig und auch als problematisch zu bewerten ist. Dass unter dem gleichsamen Motto „besondere Zeiten verlangen besondere Maßnahmen“ grundlegende Prinzipien des Strafrechts einfach ausgehöhlt werden können, wenn nur die Narrative „Krise“ und „nationaler Schulterschluss“ in nahezu täglichen Pressekonferenzen ausreichend strapaziert werden, muss uns eine Warnung für die Zukunft sein.
S. 204 - 209, Aufsatz
Isolation, Quarantäne, Coronapartys – Anwendbarkeit der §§ 178 f StGB bei Missachtung von COVID-19 Verkehrsbeschränkungen
Die Nichtbefolgung der umfangreichen Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der epidemischen Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) kann nicht nur eine Verwaltungsstrafe zur Folge haben. Tatbestandsmäßig iSd Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten gem §§ 178 f StGB handelt beispielsweise eine wegen Corona-Erkrankung oder auch nur Corona-Verdachts isolierte oder unter Quarantäne stehende Person, die im Wissen um ihre Infektion bzw den konkreten Infektionsverdacht dennoch in nahen, ungeschützten Kontakt zu anderen Menschen tritt. Erhärtet sich der Corona-Verdacht letztlich nicht, entfällt die objektive Bedingung des Vorliegens einer anzeigepflichtigen Krankheit, und der Täter wird trotz seines gefährlichen Verhaltens nicht wegen §§ 178 f StGB bestraft. Fehlen demgegenüber konkrete (individuelle), über die allgemeine Pandemiesituation hinausgehende Verdachtsmomente, wird ein unmittelbarer, ungeschützter Personenkontakt trotz einer allfälligen Verletzung der derzeit geltenden Verkehrsbeschränkungen nicht ausreichen, um die für eine Strafbarkeit geforderte typische Gefährdungseignung zu begründen. Folglich stellen „Coronapartys“ und andere Verstöße gegen das COVID-19-MaßnahmenG ohne Hinzutreten anderweitiger Risikofaktoren idR „nur“ eine Verwaltungsübertretung dar.
S. 210 - 213, Aufsatz
§ 120 StGB und die Meinungsfreiheit nach Art 10 EMRK
Der OGH hat sich in der im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) bereits zugänglichen Entscheidung vom 23.1.2020, 6 Ob 236/19b, die in einem Provisorialverfahren im Zusammenhang mit dem sogenannten Ibiza-Video ergangen ist, unter Zugrundelegung der strafrechtlichen Judikatur und Literatur klar zur Veröffentlichung positioniert. Er betrachtet diese als „außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse.“ Die Veröffentlichung und Beiträge dazu sind daher nach Art 10 EMRK gerechtfertigt. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Es bleiben Folgeentscheidungen der Strafgerichte in dieser Sache abzuwarten, die auf einer breiteren Tatsachengrundlage zu treffen sein werden.
Die Urteilsangleichung ist ein in der Praxis wichtiges strafprozessuales Thema: Bei Abweichungen des verkündeten vom schriftlich ausgefertigten Urteil(sspruch) wird ein „Angleichungsbeschluss“ für zulässig erachtet, obwohl die StPO nur eine Urteilsberichtigung vorsieht. Ist das gesetzeskonform? Und welche Folgen hat es für das Rechtsmittelverfahren?
S. 217 - 219, Aufsatz
Zur Konkurrenz der sexuellen Missbrauchsdelikte der §§ 205 und 206 f StGB
In Abkehr von der bisher hA entschied der OGH unlängst, dass § 205 StGB mit den §§ 206 f leg cit idealkonkurrierend verurteilt werden könne.
S. 220 - 227, Aufsatz
Das Projekt NEUSTART. Ausgewählte Abschnitte seiner Entwicklungsgeschichte seit 1981
In einer Art Abschiedsvorlesung blickt der Autor auf seine 38-jährige Tätigkeit in Vorstand und Aufsichtsrat bei NEUSTART zurück. Die Vereinsgeschichte wird dabei auf fünf Episoden verdichtet, die für ihn persönlich entscheidende wie kriminalpolitisch relevante Weichenstellungen darstellen.
S. 228 - 233, Wirtschafts- und Finanzstrafrecht Aktuell
„Esse quam videri“ – Der internationale Handel aus Geldwäscheperspektive
Geldwäsche unter Ausnutzung des internationalen Handels (= handelsbasierte Geldwäsche) wurde in den letzten Jahren immer attraktiver für Kriminelle, da der internationale Handel ein großes Verschleierungspotential mit sich bringt. Um inkriminierte Gelder wieder in den legalen Wirtschaftskreislauf einzubringen, verwenden Kriminelle verschiedene Methoden. Behörden und Verpflichtete iSd EU-Geldwäscherichtlinie bzw der nationalen Vorschriften stehen vor der Herausforderung, handelsbasierte Geldwäsche als solche zu erkennen und zu bekämpfen.
S. 234 - 237, Wirtschafts- und Finanzstrafrecht Aktuell
Nemo-tenetur-Grundsatz und Aufforderung zum Nachweis der Herkunft des Eigentums gemäß dem tschechischen Gesetz über den Nachweis der Herkunft des Eigentums
Im Zusammenhang mit dem Steuerstrafrecht wurden in letzten Jahren in der Tschechischen Republik unter anderem zwei strafrechtliche Grundsätze behandelt. Erstens war es der Grundsatz ne bis in idem, wobei zunächst das tschechische Oberste Verwaltungsgericht bezüglich eines Säumniszuschlags so entschied, dass dieser vom Charakter einer Strafe sei, woran das tschechische Oberste Gericht anknüpfte, das bei seiner Entscheidung das EGMR-Urteil A+B vs Norwegen in Betracht zog und feststellte, dass eine parallele (verwaltungsrechtliche und strafrechtliche) Auferlegung von Strafen möglich wäre. Und jetzt wird, im Zusammenhang mit der Verabschiedung des tschechischen Gesetzes über den Nachweis der Herkunft des Eigentums (aus dem Jahr 2016), der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare erörtert. Konkret handelt es sich um eine Frage, inwieweit die von der Finanzverwaltung in einem Steuerverfahren erlangten Informationen gegen den Steuerpflichtigen in einem späteren Strafverfahren genutzt werden können.
S. 238 - 243, Europastrafrecht Aktuell
25 Jahre Schengener Informationssystem – aktuelle und zukünftige Rolle in der strafrechtlichen Zusammenarbeit in Europa
Am 26.3.2020 blickte das Schengener Informationssystem (SIS) auf 25 erfolgreiche Jahre in der europäischen Sicherheitsarchitektur zurück. Ein gebührender Anlass, neben einem kurzen Blick zurück, vor allem die aktuelle und zukünftige Rolle des SIS in der strafrechtlichen Zusammenarbeit in Europa zu beleuchten.
S. 244 - 251, Strafvollzug und Kriminologie
Die elektronische Fußfessel als Ressource modernen Haftmanagements – Ausweitungsmöglichkeiten, Chancen und Grenzen
Seit 2010 gibt es in Österreich die Möglichkeit, Haft- oder Resthaftzeiten von bis zu einem Jahr im elektronisch überwachten Hausarrest (EÜH) zu verbüßen. Die bisherigen positiven Erfahrungen mit dieser Vollzugsform lassen Ausweitungsüberlegungen naheliegend erscheinen. So ist unter anderem angedacht, die mögliche Dauer auszuweiten. Durch Ausweitungen des EÜH erhofft man sich nicht zuletzt auch eine Entlastung des überbelegten und überlasteten Strafvollzugs. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die zentralen Ergebnisse einer 2018/2019 durchgeführten Studie, die evidenzbasiertes Wissen zur bisherigen Praxis, zu Qualitäten, Chancen, Erfordernissen, Grenzen und allfälligen Risiken eines (Mehr-) Einsatzes der elektronischen Fußfessel zur Verfügung stellt.
S. 252 - 254, Judikatur
Kein Gefährdungsvorsatz bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr einer HIV-positiven Person bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie mit Viruslast unter der Nachweisgrenze
Der Angeklagte wurde vom LG Klagenfurt wegen § 178 StGB schuldig gesprochen, da er in Kenntnis seiner im Jahr 2012 diagnostizierten HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte. Der Angeklagte verantwortete sich dahingehend, dass er aufgrund seiner jahrelang erfolgreichen antiretroviralen Therapie nicht mehr ansteckend sei. Das OLG Graz gab der erhobenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld Folge und hob das Ersturteil wegen Zweifel an dem vom Erstgericht angenommenen Gefährdungsvorsatz des Angeklagten auf.
Das Verbot des § 120 StGB vermag das – im Verfassungsrang verankerte – Recht auf freie Meinungsäußerung gem Art 10 EMRK nicht abzubedingen, sondern die Garantien des Art 10 EMRK sind bei der Beurteilung nach § 120 StGB zu beachten.
Der Konflikt des Grundrechts auf Datenschutz mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu lösen. Insbesondere im Zusammenhang mit investigativem Journalismus sind auch die Vorgaben des (im Verfassungsrang stehenden) Art 10 EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR zu beachten.
Die Begriffe „reines THC“ und „THC-Reinheitsgehalt“ sind zwar per se unpräzise, im vorliegenden Fall wird jedoch im Urteil unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sich die konstatierten Mengenangaben auf den Wirkstoff Delta-9-THC beziehen.
S. 261 - 262, Judikatur
Suchtgift; Überlassen; tatbestandliche Handlungseinheit; sukzessive Begehung
Die Begründung mehrerer nach § 28a Abs 1 SMG strafbarer Handlungen durch sukzessive Begehung (hier: Überlassen) je für sich die Grenzmenge nicht übersteigender Suchtgiftquanten kommt nur dann in Betracht, wenn mehrere tatbestandliche Handlungseinheiten vorliegen. Von diesem (Ausnahme-)Fall abgesehen kann die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG bei dieser Art der Delinquenz nur durch eine Tat (in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit) verwirklicht werden. Dafür muss der Vorsatz von vornherein auf die kontinuierliche Begehung und den Additionseffekt in Bezug auf eine in Summe das 15-Fache der Grenzmenge übersteigende Suchtgiftmenge gerichtet sein.
Für den Verfall nach § 20 Abs 3 StGB gilt das Bruttoprinzip; daher kann der gesamte Verkaufserlös des Suchtgifts (ohne Verminderung um die Anschaffungskosten) für verfallen erklärt werden.
Die kriminelle Vereinigung gem § 28a Abs 2 Z 2 SMG muss bloß auf eine gewisse Dauer ausgerichtet sein, muss aber selbst keine bestimmte Zeitdauer aufweisen.
Freiheitsstrafen, die bereits zum Vollzug ausgeschrieben sind, sind bei der Strafzeit zu berücksichtigen.
Nach dem Entzug einer Vergünstigung gem § 111 StVG hängt der neuerliche Erwerb wiederum vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 StVG ab.
Wird eine dauerhafte Unterbrechung der Unterbringung angestrebt, übersteigt dies jedenfalls den Zeitraum von 14 Tagen. Zur Entscheidung über einen solchen Antrag ist die Vollzugsbehörde 1. Instanz sachlich unzuständig.
Bei Unterbleiben einer Personenstandsänderung liegt eine Verletzung des § 8 Abs 4 StVG nicht vor.
Entscheidungen sind immer dem/der Anstaltsleiter/in zuzurechnen. Eine Regelung, wonach eine bereits getroffene Entscheidung ohne nachvollziehbaren Anlass nachträglich in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht verändert werden kann, findet sich weder im StVG noch im AVG.
Im Beschwerdefall bestätigte das BFG zum einen, dass eine Offenlegung durch Selbstanzeige iSd § 29 FinStrG einen Wiederaufnahmegrund iSd § 303 BAO darstellen kann. Zum anderen sei ein Rechtsirrtum iSd § 9 StGB über die österreichische Steuerpflicht nicht glaubhaft, wenn der Steuerpflichtige über einen Zeitraum von 25 Jahren ausländische Kapitaleinkünfte bezieht und dabei steuerlich vertreten wird.
Der faktische Machthaber und Geschäftsführer, der tatsächlich die Geschäfte geführt und die steuerlich relevanten Informationen an den Steuerberater weitergeleitet hat, ist für die Finanzvergehen zur Verantwortung zu ziehen.
Die Strafbarkeit wegen einer versuchten Hinterziehung der Jahresumsatzsteuer nach §§ 13, 33 Abs 1 FinStrG konsumiert eine solche wegen Hinterziehung von Umsatzsteuervorauszahlungen nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG, vorausgesetzt der Betrag der verkürzten Umsatzsteuervorauszahlung ist in der zu verkürzen versuchten Jahresumsatzsteuer enthalten.
Zudem gilt ein Mangel hinreichenden Parteiengehörs in erster Instanz durch die Möglichkeit, den Standpunkt in der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren auszuführen, als geheilt.
S. 269 - 269, Judikatur
Verjährung ist auch bei Zusammenrechnung (§ 29 StGB) für jede Tat gesondert zu prüfen
S. 272 - 272, Judikatur
Verlesung des Sachverständigenbefundes und (neuerliche) Befragung von Zeugen
Tatobjekt des § 224a StGB sind nach dem Wortlaut dieser Bestimmung falsche oder verfälschte besonders geschützte Urkunden im Sinn des § 224 StGB, somit inländische öffentliche Urkunden, ausländische öffentliche Urkunden, wenn sie durch Gesetz oder zwischenstaatlichen Vertrag inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt sind, letztwillige Verfügungen und nicht in § 237 StGB genannte Wertpapiere.
§ 224a StGB wurde mit dem (insoweit) am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz 2004 (BGBl I 2004/15) neu geschaffen: Mit dieser Novellierung wurde zwecks Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (2001/413/JI) der Dreizehnte Abschnitt des Besonderen Teils des StGB um strafbare Handlungen gegen die Sicherheit des Verkehrs mit unbaren Zahlungsmitteln durch Einfügung der Tatbestände der §§ 241a ff StGB ergänzt. Im Zuge dessen wurde auch die Schaffung eines neuen Tatbestands der Annahme, der Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden für notwendig erachtet, und zwar ungeachtet des Umstands, dass die sich insofern aus dem Rahmenbeschluss hinsichtlich unbarer Zahlungsmittel ergebende Verpflichtung (vgl Art 2 lit c) bereits durch § 241b StGB erfüllt wurde und bislang vom Urkundenbegriff erfasste Zahlungsinstrumente nun ohnehin von diesem Tatbestand erfasst werden. Die Einfügung des Tatbestands des § 224a StGB wurde darüber hinaus auch in Hinblick auf die im – zum damaligen Zeitpunkt von Österreich bereits unterzeichneten, jedoch noch nicht ratifizierten – Zusatzprotokoll gegen die Schlepperei von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (BGBl III 2008/11) vorgesehene Verpflichtung zur Kriminalisierung des Beschaffens, der Zurverfügungstellung und des Besitzes falscher oder verfälschter Reisedokumente oder Identitätsnachweise (vgl Art 6 Abs 1 lit b Z ii) als erforderlich erachtet (vgl ErläutRV 309 BlgNR 22. GP 2, 8 f
Einer teleologischen Reduktion des Tatbestands des § 224a StGB auf jene Urkunden, die dem Reiseverkehr und dem Identitätsnachweis dienen (vgl Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 224a Rz 1), steht indes der klare Wortlaut der ausdrücklich und ohne Einschränkung auf die in § 224 StGB genannten besonders geschützten Urkunden verweisenden Bestimmung sowie die ausdrücklich auf diesen umfassenden Regelungsgegenstand gerichtete Intention des Gesetzgebers (vgl ErläutRV 309 BlgNR 22. GP 8: „[...] weshalb § 224a zumindest für falsche oder verfälschte besonders geschützte Urkunden vorgeschlagen wird“) entgegen. Mag daher § 224a StGB auch über die sich aus internationalen Vorgaben ergebenden Verpflichtungen hinausgehen, so finden sich doch – zumal mit Blick auf die referierte Intention des Gesetzgebers, dessen Regelungskompetenz sich keineswegs auf die „Umsetzung internationaler Vorgaben“ beschränkt (s Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG: „Bundessache ist die Gesetzgebung [und die Vollziehung] in Angelegenheiten des Strafrechtswesens“) – keine Anhaltspunkte für einen planwidrig überschießend weiten Gesetzeswortlaut.
§ 224a StGB erfasst folglich sämtliche in § 224 StGB genannten besonders geschützten Urkunden. Inländische Kfz-Kennzeichentafeln sind kraft der ausdrücklichen Anordnung des § 49 Abs 1 zweiter Satz KFG öffentliche Urkunden und demnach besonders geschützte Urkunden iSd § 224 StGB (vgl auch Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 224 Rz 18 mwN). Falsche oder verfälschte inländische Kennzeichentafeln kommen daher als Tatobjekt des § 224a StGB in Betracht (vgl auch 13 Os 117/10w)
Konsumtion setzt ein kriminologisches Naheverhältnis voraus, von dem angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe diese typische Verbindung bei Aufstellung der Strafsätze bereits berücksichtigt (Burgstaller, JBl 1978, 459; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 57). Von einer „typischen Begleittat“ ist auszugehen, wenn die Verwirklichung einer bestimmten strafbaren Handlung regelmäßig mit der Erfüllung einer anderen verbunden ist und diese im Verhältnis zu jener einen wesentlich geringeren Unwertgehalt aufweist (RIS-Justiz RS0124022; Burgstaller, JBl 1978, 459; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 58). Das Verhältnis zwischen den Tatbeständen der Nötigung und der Körperverletzung ist durch die Rechtsprechung dahingehend geklärt, dass diese echt konkurrieren (RIS-Justiz RS0130767, RS0092599, RS0115230 und RS0090754), eine wie eben beschriebene typische Verbindung demnach nicht anzunehmen ist.
Dies gilt auch im Fall fehlenden Verletzungserfolgs, weil die Unterscheidung zwischen Versuch und Vollendung für die Subsumtion (hier nach § 83 StGB und § 105 StGB oder nur nach § 105 StGB) nicht relevant ist (RIS-Justiz RS0122138). Für eine unterschiedliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses abhängig von Versuch und Vollendung verbleibt daher kein Raum (vgl auch RIS-Justiz RS0126577 [insbesondere T1]).
S. 274 - 279, Judikatur
Unbefristete Speicherung von biometrischen Daten und Lichtbildern in Datenbanken
Die Speicherung personenbezogener Daten stellt einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens iS des Art 8 EMRK dar. Die Speicherung braucht eine gesetzliche Grundlage, muss ein legitimes Ziel verfolgen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Generell haben Staaten einen Ermessenspielraum bei der Einführung eines Regelungssystems zur Speicherung personenbezogener Daten. Von Bedeutung ist dabei, ob das System die Schwere einer Straftat, die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung sowie die dem Einzelnen zur Verfügung stehenden Schutzmaßnahmen berücksichtigt.
Die strafrechtliche Verfolgung zweier politischer Aktivisten (Bf) wegen Drogenbesitzes als Vergeltung für ein politisches Graffiti an einer Statue stellt eine Verletzung von Art 10 EMRK dar; kein ausreichender Verdacht für die Begehung einer strafbaren Handlung durch die Bf festgestellt; die willkürliche Inhaftierung der Bf und die fehlende gerichtliche Kontrolle verstoßen gegen Art 5 iVm Art 18 EMRK sowie Art 5 Abs 4 EMRK; Misshandlung der Bf in Polizeigewahrsam stellt eine Verletzung von Art 3 EMRK dar.
Mangelhafte Untersuchungen der von der Bf aufgeworfenen Vorwürfe der häuslichen Gewalt und des Cybermobbing durch ihren früheren Ehemann durch die nationalen Behörden stellen eine Verletzung von Art 3 EMRK und Art 8 EMRK dar; keine Zurverfügungstellung eines ausreichenden Schutzsystems für Opfer von Cybermobbing; Anerkennung von Cybermobbing als eine Form von Gewalt gegen Frauen.
Das Fehlen einer wirksamen gerichtlichen Anordnung, die Bf während strafrechtlichen Ermittlungen geheim zu überwachen, stellt eine Verletzung von Art 8 EMRK dar; die gerichtliche Anordnung war vage und enthielt keine Angaben über konkrete verdeckte Maßnahmen; die Verwendung des heimlich aufgenommenen Videomaterials steht nicht im Widerspruch zu den Garantien des Art 6 EMRK; das Verfahren in seiner Gesamtheit war fair.