Es liegen zwei Ministerialentwürfe vor, die letztlich ausschließlich auf eine Verschärfung bestehender Strafnormen hinauslaufen. In Reaktion auf einen prominenten Strafrechtsfall – dieser Bezug wird in den Materialien (wohl aus Datenschutzgründen) verschwiegen – wird aus der „Pornographischen Darstellung Minderjähriger“ nun „Bildliches sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial“. Abgesehen von dieser wenig griffigen (und letztlich unpassenden) Änderung in der Begrifflichkeit werden die Strafdrohungen in § 207a StGB auch durch neue Qualifikationen verschärft. Darüber hinaus wird das Tätigkeitsverbot in § 220b StGB erneut erweitert. Der Inhalt dieses Ministerialentwurfs soll mit 1.10.2023 in Kraft treten. Der zweite Ministerialentwurf hat bei den Bestimmungen, die die Cyberkriminalität und den Geheimnisschutz erfassen, weitgehend nur die Änderung der Strafdrohungen und die Abänderung einzelner Tatbestände von Privatanklage- zu Ermächtigungsdelikten zum Gegenstand. Zum Teil werden die Strafdrohungen in diesem Bereich vervierfacht! Geplant ist diesbezüglich ein In-Kraft-Treten mit 1.6.2023. Bei den finanziellen Auswirkungen werden auch bei diesen Ministerialentwürfen jene des Strafvollzugs nicht berücksichtigt; offenbar meint man, dass gerade im Sexualstrafrecht zu erwartende, zusätzliche Hafttage keine Kosten verursachen.
- ISSN Online: 2312-1920
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Inhalt der Ausgabe
S. 177 - 186, Aktuelle Gesetzesvorhaben
Strafverschärfungen bei Kinderpornographie, Cyberkriminalität und Geheimnisschutzdelikten – zwei Ministerialentwürfe
Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser am Symposium zur Verabschiedung von HR Dr. Margitta Neuberger-Essenther in der Justizanstalt Gerasdorf am 16.3.2023 gehalten hat. Im Mittelpunkt der Ausführungen stehen Ausmaß, Entwicklung, Struktur und Sanktionierung von registrierter Jugendkriminalität in Österreich.
S. 196 - 207, Aufsatz
Digitale Dystopie? – Cyberkriminalität in Österreich: Eine strafrechtliche Bestandsaufnahme
Cyber- bzw Internetkriminalität erreichte im Jahr 2022 mit einer Zunahme der polizeilichen Anzeigen um 30,4 % im Vorjahresvergleich neue Höhen. Vor allem inkonsistente Täter- und Opferprofile sowie die im stetigen Fluss befindlichen modi operandi stellen die Ermittlungsbehörden vor große Herausforderungen. Institutionelle Kompetenzzentren, Rechtsharmonisierung und Mechanismen internationaler Zusammenarbeit sollen diesem Trend entgegenwirken.
S. 208 - 215, Aufsatz
Die Dokumentation der Hauptverhandlung im Lichte der Folgen für das „Revisionsverfahren“ (in Österreich: Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren) – die österreichische Perspektive
Am 2.9.2022 fand auf Initiative der Evangelischen Akademie Loccum in Kooperation mit dem Arbeitskreis „Die Strafjustiz in Niedersachsen“ die Tagung „Dokumentation und Revision im [deutschen] Strafprozess“ statt. Als Vortragender zeigte der Erstautor die österreichische Rechtslage und -praxis der (digitalen) Dokumentation in der HV auf. Der nachstehende Beitrag ist das geringfügig geänderte Manuskript dieses Vortrages.
S. 216 - 222, Europastrafrecht Aktuell
Die Identität der Tat bei Opfern in mehreren Mitgliedstaaten – zugleich eine Besprechung der Entscheidung EuGH 23.3.2023, C-365/21, MR
Neben der erstmaligen Auseinandersetzung mit der Frage, ob Erklärungen nach Art 55 SDÜ auch nach Inkrafttreten der GRC noch Gültigkeit haben, befasst sich der EuGH in der gegenständlichen Entscheidung mit der Prüfung der Identität der Tat im Verhältnis von Organisationsdelikt und einzelnen (Betrugs-)Tathandlungen bei grenzüberschreitender Wirtschaftskriminalität. Daran anschließend wird im gegenständlichen Beitrag untersucht, ob auch Verfolgungsmaßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat wegen Betrugshandlungen zum Nachteil jener Opfer, die – aufgrund fehlender internationaler Gerichtsbarkeit – nicht Gegenstand der ersten Verurteilung waren, nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH als unter das Verbot der Doppelverfolgung fallend, jedoch nach Art 52 Abs 1 GRC gerechtfertigt beurteilt werden können.
S. 223 - 224, Tagungsbericht
Neues aus der Gesellschaft – Rückblick auf die Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie vom 16.3.2023
Die „Österreichische Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie“ (ÖGSK) ist ein gemeinnütziger wissenschaftlicher Verein mit Sitz in Wien, der das Verbrechen als juristische sowie soziale Erscheinung erforscht, um die Kenntnisse über die zweckmäßige Bekämpfung und Verhinderung von Kriminalität zu erweitern. Zu diesem Zweck organisiert die ÖGSK in regelmäßigen Abständen für ihre Mitglieder Vorträge, Diskussionen sowie Exkursionen.
Mit der Behauptung, es sei ausgeschlossen, dass die Zeuginnen keine Wahrnehmungen über die angegebenen wöchentlichen oder bis zu täglichen Gewalttätigkeiten gehabt hätten, wird nicht plausibel dargetan, warum die Zeuginnen überdies für den gesamten Tatzeitraum Wahrnehmungen zu den unter Beweis gestellten Tatsachen haben sollten, sodass der Antrag auf einen im Hauptverfahren unzulässigen Erkundungsbeweis hinausläuft.
Erkennendes Gericht ist im Regime der sinngemäß anzuwendenden StPO jenes, das die Strafe und einen allfälligen Widerruf bedingter Strafnachsicht oder bedingter Entlassung ausgesprochen hat. Sind mehrere Strafurteile zu vollziehen, hat somit der Vorsitzende bzw Einzelrichter jedes der idS erkennenden Gerichte über ein Absehen vom Vollzug der von diesem verhängten Freiheitsstrafe oder eines Teils davon zu entscheiden.
Für die Beurteilung des Vorliegens generalpräventiver Bedenken gegen ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug ist die den Gegenstand ein und derselben Strafvollzugsanordnung bildende verhängte Freiheitsstrafe maßgebend. Eine diesbezügliche Prüfung auf Basis der Zusammenrechnung mehrerer in verschiedenen Verfahren verhängter Freiheitsstrafen oder Strafteile kommt selbst dann nicht in Betracht, wenn es sich um Sanktionen handelt, die mit im Verhältnis des § 31 Abs 1 StGB stehenden Strafurteilen ausgesprochen wurden.
Vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung ist kein Unterfall der bedingten Entlassung, sondern ein eigenständiges Rechtsinstitut.
Bei im Zeitpunkt der Kreditaufnahme gänzlich fehlender Rückzahlungsfähigkeit der Kreditnehmer, über die die Kreditgeberin getäuscht wird, tritt der Schaden bereits mit der Zuzählung der jeweiligen Darlehensvaluta ein, weil dieser von Anfang an jeweils nur eine wertlose, nicht realisierbare Forderung gegenübersteht.
Vermögenslosigkeit des Angeklagten stellt keinen Anwendungsfall des § 20a Abs 3 2. Fall StGB dar, da sich die Unverhältnismäßigkeit nach dieser Bestimmung allein auf den Ermittlungsaufwand, nicht jedoch auf die geringe Wahrscheinlichkeit der erst im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zu prüfenden Einbringung des jeweiligen Vermögenswerts bezieht.
Der Antrag auf Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens, weil es noch weitere Ärzte gegeben habe, welche die Angeklagte befundet und sich dem fachärztlichen Befundbericht einer forensisch-psychiatrischen Abteilung angeschlossen haben, wonach keine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis vorliege, wurde zu Recht abgewiesen: Da ein Mangel im Befund oder Gutachten im Antrag nicht schlüssig aufgezeigt wurde, läuft der Antrag auf eine (im Hauptverfahren nicht vorgesehene) Erkundungsbeweisführung hinaus.
§§ 3a, 3b und 3d-3g VerbotsG sehen einen höheren Strafrahmen im Fall einer besonderen Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung vor.
Zur erfolgversprechenden Rüge aus Z 5 des § 345 Abs 1 StPO ist ein in der Hauptverhandlung gestellter Antrag oder ein nach Art von Anträgen substantiierter Widerspruch stets unabdingbare Voraussetzung.
Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 2. Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben.
S. 237 - 239, Judikatur
Auslieferung in die Ukraine wegen Situation genereller Gewalt bzw Art 3 und 6 EMRK zuwiderlaufenderGegebenheiten unzulässig; keine EinzelfallprüfungKeine Berechtigung zur Leistung von Rechtshilfe an die Ukraine wegen Unzulässig...
1. Das OLG Wien bestätigt die Rechtsansicht des LGSt Wien als Haft- und Rechtschutzgericht in einer Rechtshilfesache: In der Ukraine herrscht eine Situation genereller Gewalt bzw Art 3 und 6 EMRK zuwiderlaufender Gegebenheiten, die eine Auslieferung unzulässig machen.
2. Die aktuelle als gerichtsnotorisch anzusehende Situation macht eine konkrete Einzelfallprüfung nicht erforderlich.
3. Weiter stellt das OLG Wien klar, dass die Unzulässigkeit der Auslieferung gem § 19 Z 1 und Z 2 ARHG nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 51 Abs 1 Z 2 ARHG das Leisten von Rechtshilfe nicht zulässt.
S. 239 - 242, Judikatur
Parteiantrag auf Normenkontrolle im Strafverfahren: Innehaltungspflicht nur bei Verständigung nach § 62a Abs 5 1. Satz VfGG
1. Einzig die Verständigung seitens des VfGH nach § 62a Abs 5 1. Satz VfGG löst die Innehaltungspflicht nach § 62a Abs 6 VfGG aus.
2. Verständigung gem § 62a Abs 5 1. Satz VfGG zeitlich nach der Rechtsmittelentscheidung: Keine Korrekturmöglichkeit im Wege einer NBzWdG, kein Anwendungsfall für eine außerordentliche Wiederaufnahme analog § 362 Abs 1 Z 2 StPO.
§ 28a Abs 1 SMG 1. und 5. Fall stellt ein kumulatives Mischdelikt dar. Erzeugen und Überlassen von Suchtgift begründen daher verschiedene strafbare Handlungen, die miteinander echt konkurrieren. Suchtgiftmengen, die sich auf verschiedene Tatbestände dieses kumulativen Mischdelikts beziehen, dürfen daher nicht in Beziehung zur Grenzmenge nach § 28b SMG gesetzt und diese Prozentanteile nicht zwecks Bestimmung einer die Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge addiert werden.
S. 244 - 245, Judikatur
Suchtgifthandel, Additionsvorsatz, tatbestandliche Handlungseinheit, Gewerbsmäßigkeit
Wenn nach den Urteilsfeststellungen von einer Tatbegehung durch Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch Einzelakte bei einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage und damit von einer einzigen mit Additionsvorsatz verübten Tat nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG auszugehen ist, dann ist eine Subsumtion nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG iVm § 70 Abs 1 Z 3 1. Fall StGB mangels mehrfacher Tatbegehung nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG ausgeschlossen.
S. 245 - 246, Judikatur
Suchtgifthandel, Zusammenrechnung von Suchtgiftmengen, Subsumtionseinheit, Additionseffekt
Die Zusammenfassung (sukzessiver) tatbestandsmäßiger Manipulationen von mehreren, für sich allein die Grenzmenge des § 28a Abs 1 SMG nicht (sondern erst in Summe mit anderen) übersteigenden Suchtgiftquanten zu einer Subsumtionseinheit nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG erfordert, dass die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von Anfang an vom Vorsatz des Täters umfasst waren.
Wenn von einer Tatbegehung durch mehrere (sukzessive) Teilakte auszugehen ist, sind zur Zusammenrechnung der Suchtgiftquanten Feststellungen zu einem von vornherein auf die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt gerichteten Vorsatz erforderlich.
§ 28 Abs 1 SMG verlangt (ua) einen auf die Vorschriftswidrigkeit des Handelns gerichteten Vorsatz.
Gegenstände, die der Täter zur Ausführung der Tat verwendet hat, unterliegen nicht dem Verfall.
S. 248 - 248, Judikatur
Elektronisch überwachter Hausarrest; voraussichtlich noch zu verbüßende Strafzeit
Bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung ist jeweils von den Umständen des Einzelfalls auszugehen. Das Schwergewicht liegt daher in der Regel nicht im Rechtsbereich, sondern im Tatsachenbereich, nämlich welche positiven und negativen Faktoren für eine zukünftige Prognoseentscheidung vorliegen und wie sie im Einzelfall zu gewichten sind.
S. 249 - 251, Judikatur
Elektronisch überwachter Hausarrest; geeignete Beschäftigung und Missbrauchsprognose
Es bedarf außer den persönlichen Risikofaktoren der Verurteilten konkreter Punkte, die gegen eine Beschäftigung im Betrieb eines Angehörigen sprechen. (1)
Im Rahmen einer nach § 156 Abs 1 Z 4 StVG vorzunehmenden Ermessensentscheidung ist es statthaft aus der Nichtvorlage abgeforderter Unterlagen bzw ungerechtfertigter Nichteinhaltung mit den Justizbehörden vereinbarter Termine entsprechende Rückschlüsse auf die (mangelnde) Verlässlichkeit der antragstellenden Person zu ziehen. (2)
Die Partei hat zwar einen Rechtsanspruch darauf, dass Kopien der Akten auf ihre Kosten angefertigt werden, nicht jedoch einen solchen auf Erhalt von kostenlosen Kopien. (1)
Ein subjektiv-öffentliches Recht auf kostenlose Ausfolgung einer Kopie einer der Person im Rahmen des Parteiengehörs (bereits) auf andere Weise zur Kenntnis gebrachten Stellungnahme der Vollzugsbehörde 1. Instanz ist weder aus dem StVG noch dem AVG ableitbar. (2)
Eine Rücklagenverwendung kommt nur in Form konkret zu beantragender unmittelbarer Zahlungen aus der Rücklage für bestimmte Aufwendungen in Betracht, nicht jedoch in Form von Umbuchung vom Rücklagenkonto auf das Hausgeldkonto. (1)
Gebrauchte technische Geräte sind keiner ausreichenden Kontrolle zugänglich ist es daher gerechtfertigt, auch im Fall einer entsprechenden Vergünstigung, den Ankauf solcher Geräte nur über bestimmte Firmen und Vermittlung der Anstalt zuzulassen. (2)
S. 253 - 253, Judikatur
Zur möglichen Konkurrenz von § 85 Abs 2 StGB (iVm § 15 StGB) und § 87 Abs 1 StGB
S. 254 - 254, Judikatur
Zur Berücksichtigung generalpräventiven Aspekt bei einer Entscheidung nach § 133a Abs 2 StVG
S. 255 - 255, Judikatur
Raub in der Begehungsform der „Gewalt gegen eine Person“ und § 19 Abs 4 Z 1 JGG
Soweit ein Ermittlungsverfahren infolge Konnexität gemäß § 26 Abs 1 StPO von derselben Staatsanwaltschaft gemeinsam zu führen, aber keiner der explizit normierten Zuständigkeitstatbestände des § 26 Abs 2 StPO verwirklicht ist, gelangt – in Schließung einer insoweit planwidrigen Regelungslücke – § 25 Abs 3 StPO analog zur Anwendung, sodass subsidiär auf die frühere Kenntniserlangung einer der befassten Staatsanwaltschaften abzustellen ist (Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 12 § 26 Rz 15; vgl auch Nordmeyer, WK-StPO § 25 Rz 8).
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