Die Zuständigkeiten der EU im Gesundheitsbereich haben sich nur zögerlich entwickelt, meist als Reaktion auf eine Krise. Bereits in den 1950er-Jahren gab es weitreichende Pläne für eine supranationale „Europäische Gesundheitsgemeinschaft“ („le pool blanc“), die jedoch letztlich nicht realisierbar waren. In Reaktion auf die SARS-CoV-2-Pandemie hat die Europäische Kommission im November 2020 ihre Pläne für einen resilienten Wiederaufbau vorgelegt. Im Kern schafft diese „Europäische Gesundheitsunion“ eine neue Behörde (HERA) und stärkt zwei bestehende Agenturen (EMA und ECDC) sowie die Rolle der EU im Kontext grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren. Diese mittlerweile allesamt verabschiedeten Verordnungen sind von Präsidentin von der Leyen als die ersten beiden Schritte bezeichnet worden. Aktuell offen ist der von ihr erwähnte mögliche dritte Schritt hin zu einer Europäischen Gesundheitsunion, nämlich eine Primärrechtsänderung (mehr geteilte Zuständigkeiten). Nachdem der EuGH im Dezember 2020 den „Tierschutz als Wert“ anerkannt hat, stellt sich die Frage, ob die menschliche Gesundheit als Wert bzw als Menschenrecht aufgewertet werden sollte, sowie welche Bedeutung es hat, das Gesundheitswesen als „Union“ zu bezeichnen.
- ISSN Online: 1613-7663
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Inhalt der Ausgabe
S. 203 - 225, Aufsatz
Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt?On Top of the World, or in the Depths of Despair?
Durch das zweite negative EMRK-Gutachten des EuGH aus dem Jahr 2014 erlitten die seit den 1970er-Jahren verfolgten Bemühungen, einen Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu verwirklichen, einen herben Rückschlag. Seither haben sich im Verhältnis der Rechtsordnung der Europäischen Union zur EMRK jedoch wichtige Entwicklungen vollzogen. Im Jahr 2020 wurden außerdem die Beitrittsverhandlungen im Rahmen des Europarates wieder aufgenommen, um die im Gutachten 2/13 angesprochenen Unvereinbarkeiten des Beitrittsabkommens mit dem Primärrecht zu beheben. Der vorliegende Beitrag setzt sich mit diesen rezenten Entwicklungen auseinander. Nach einem historischen Abriss über die Ursprünge der Beitrittsbestrebungen und einer kurzen Darstellung über die zentralen Punkte des Gutachtens 2/13 werden die jüngsten Entwicklungen und der Sachstand in den wiederaufgenommenen Verhandlungen zu einem EMRK-Beitritt der Union beleuchtet und einer kritischen Würdigung unterzogen. Abschließend sollen die noch ausstehenden Fragen in den Verhandlungen behandelt werden.
S. 227 - 250, Aufsatz
Die Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche SubventionenThe Regulation on Foreign Subsidies Distorting the Internal Market
Am 23. Dezember 2022 wurde die Verordnung (EU) 2022/2560 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen im Amtsblatt der Europäischen Union kundgemacht. Die Verordnung trat am 12. Januar 2023 in Kraft und gilt im Wesentlichen ab dem 12. Juli 2023.
Der vorliegende Beitrag stellt zunächst die Ziele und Eckpunkte der Verordnung vor; im zweiten Teil werden die neuen Vorschriften für Zusammenschlüsse (zweite Säule) im Detail diskutiert. In diesem Zusammenhang wird gezeigt, dass die Verordnung erhebliche Rechtsunsicherheit hervorruft. Manche dieser Anwendungsprobleme hätten durch ein sorgfältigeres „Drafting“ vermieden werden können, während andere Rechtsunsicherheiten aus der Regelungssystematik herrühren.
S. 251 - 268, Aufsatz
Ökologische Nachhaltigkeit im Sinne der TaxonomieverordnungEnvironmental Sustainability in the Sense of the Taxonomy Regulation
Die Taxonomie-VO ist Teil der umfassenden Bemühungen der EU, die Ziele des European Green Deals zu verwirklichen und die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Die VO schafft einen EU-weit einheitlichen Rahmen für die Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit von Wirtschaftstätigkeiten und legt Transparenzpflichten für Unternehmen fest. Dies soll dazu beitragen, dass privates Kapital in nachhaltigere Wirtschaftstätigkeiten investiert wird. Der vorliegende Beitrag untersucht die Kriterien für ökologische Nachhaltigkeit, die die Taxonomie-VO vorsieht, und widmet sich den Adressaten der VO und deren Pflichten. Außerdem wird die Einbeziehung von Tätigkeiten betreffend die Erzeugung von Kernenergie in die Taxonomie kritisch beleuchtet.
Im April 2021 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für ein Gesetz über Künstliche Intelligenz (KOM [2021] 206 endg) vor. Der Beitrag stellt die wesentlichen Elemente des Vorschlags dar und unterzieht sie einer kritischen Würdigung.
Das Durchsetzungsregime des DMA ist von einer starken Dominanz der Europäischen Kommission geprägt. Obgleich das Private Enforcement im Verordnungstext nur rudimentär Erwähnung findet, wird die private Rechtsdurchsetzung neben der behördlichen Durchsetzung zulässig sein. Dies ergibt sich bereits aus der Rechtsnatur des DMA und der Rsp des EuGH. Es besteht allerdings Unklarheit darüber, wie das Private Enforcement konkret ausgestaltet sein soll, insbesondere wenn es noch keine verbindliche Entscheidung der Kommission über einen Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung gibt. Die rudimentäre Verankerung des Private Enforcement im DMA ist indes kein Versehen, sondern ergibt sich dies aus dem Konzept des DMA, der eine semizentralistische Rechtsdurchsetzung vorsieht. Damit weicht der Unionsgesetzgeber von den üblichen Durchsetzungsmechanismen ab.
S. 301 - 334, Aufsatz
Zentrale Entscheidungen der Unionsgerichte für Österreich aus dem Jahr 2022EU Courts’ Key Decisions for Austria in 2022
Im Jahr 2022 gab es 52 Verfahren vor den Unionsgerichten mit einem direkten Bezug zu Österreich. Der vorliegende Beitrag stellt die wichtigsten Entscheidungen und ihre Implikationen für das nationale Recht vor. Hierbei handelt es sich unter anderem um das Vertragsverletzungsverfahren über die Indexierung der österreichischen Familienbeihilfe und das Vorabentscheidungsverfahren zu den österreichischen Grenzkontrollen. Weitere wichtige Entscheidungen betrafen die Bereiche des Aufenthalts im Unionsgebiet, des Wettbewerbsrechts, des Arbeits- und Sozialrechts, des Steuerrechts, des Zivilverfahrensrechts, des Verbraucherschutzes, des Schadenersatzrechts, des Bankenrechts und des Beihilfenrechts.
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