Mit Erkenntnis vom 04.12.2017 ebnete der VfGH gleichgeschlechtlichen Paaren den Weg zur Ehe, was auf den ersten Blick vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung überrascht. In diesem Beitrag wird dargelegt, welche Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit diesem vermeintlichen Meinungsumschwung zu Grunde liegen und inwiefern die Begründung nachvollziehbar ist.
- ISSN Online: 1613-7663
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Inhalt der Ausgabe
S. 219 - 237, Aufsatz
Gleiches (Ehe-)Recht für alle!Same-Sex (Marriage) Justice for All!
S. 239 - 269, Aufsatz
Ist dem VfGH die „Öffnung“ der Ehe missglückt?Is the Austrian Constitutional Court’s “Opening Up” of Marriage Unsuccessful?
Das Erkenntnis zur sogenannten „Ehe für alle“ scheint die vom Höchstgericht angestrebte „Öffnung“ der Ehe nicht zu bewirken. Eine Analyse der Entscheidungsgründe ergibt zudem, dass diese das angestrebte Ergebnis nicht tragen.
Die EU-Wirtschafts- und Finanzkrise hat die traditionellen Modi der postnationalen und nationalen Governance nicht nur verändert, sondern auch in eine existenzielle Krise gebracht. Die verstärkte Rolle der Exekutivorgane, sowohl auf der nationalen wie auch auf der europäischen Ebene, als ein Zeichen der Krisenregierung lässt sich durch die Notwendigkeit schneller Lösungen in einer Notsituation erklären. Das Notstandsargument wurde im europäischen politischen Diskurs der letzten Dekade omnipräsent und wurde zur Rechtfertigung mehrerer umstrittenen Maßnahmen verwendet. Die Anwendung des Konzepts des Ausnahmezustands auf eine supranationale Gemeinschaft ist gleichwohl durchaus problematisch, nicht nur wegen der Abwesenheit jeglicher Ausnahmeklausel im EU-Vertragswerk, sondern vor allem deshalb, weil der „große“ Ausnahmezustand im Sinne einer Ausnahme aus der Verfassungsnormalität logisch mit dem modernen souveränen Staat und dem ihm inhärenten Rechtsprinzip der Selbstbehauptung verbunden ist. Die Maßnahmen, welche von den EU-Organen zur Bewältigung der Krise ergriffen worden sind, sofern sie mit geltenden Normen nicht konsistent sind, lassen sich deshalb kaum durch den Hinweis auf eine Notsituation rechtfertigen. Während eine oder mehrere Notstandsklausel/n, welche den EU-Organen begrenzte Sonderkompetenzen für bestimmte Situationen bereitstellen würden, im EU-Vertragswerk de lege ferenda durchaus vorstellbar ist/sind, wäre eine generelle Ausnahmezustandsklausel, wie sie in einigen nationalen Verfassungen existiert, auf EU-Ebene mit den Grundprinzipien der supranationalen Rechtsordnung unvereinbar.
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit dem speziellen Verfahren, das Art 256 Abs 2 und 3 AEUV bereithält, um Urteile des Europäischen Gerichts (EuG), die Letzteres in seiner Funktion als Berufungsgericht gegen Entscheidungen eines Fachgerichtes gemäß Art 256 Abs 2 AEUV oder im Rahmen einer Vorabentscheidungsbefugnis gemäß Art 256 Abs 3 AEUV gefällt hat, auf ihre Vereinbarkeit mit der Einheit und Kohärenz des Unionsrechts zu überprüfen. Dabei widmet sich der Aufsatz insbesondere der Ratio des Überprüfungsverfahrens und versucht dabei der Bedeutung des Konzepts der Einheitlichkeit und Kohärenz des Unionsrechts auf den Grund zu gehen. Eine Untersuchung der Rechtsprechung, die auf der Grundlage von Art 256 Abs 2 AEUV ergangen ist, zeigt, dass das Überprüfungsverfahren sicherstellen soll, dass durch besagte Urteile des EuG nicht wichtige übergreifende Prinzipien, Konzepte und Regeln des Unionsrechts untergraben werden.
Ein aktueller Gesetzesentwurf der österreichischen Bundesregierung sieht die Indexierung der Familienbeihilfe (und des Kinderabsetzbetrages) für im EU-/EWR-Ausland lebende Kinder vor, deren Eltern in Österreich arbeiten. Die Einführung einer solchen Indexierung im nationalen Alleingang ist jedoch nach derzeitigem Stand nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Allfällige Hoffnungen, wonach restriktivere Tendenzen in der jüngeren Judikatur des EuGH dem nationalen Gesetzgeber einen entsprechenden Gestaltungsspielraum eröffnen könnten, sind unbegründet und stellen keine tragfähige Grundlage für die Unionsrechtskonformität des aktuellen Regelungsvorhabens dar. Demgegenüber stehen der sekundärrechtlichen Verankerung einer Indexierungsoption im Rahmen der Koordinierungsverordnung (EG) 883/2004 grundsätzlich keine unüberwindbaren primärrechtlichen Hindernisse entgegen.
S. 347 - 371, Aufsatz
Die „Erdoğan-Entscheidung“ des BVerfGThe “Erdoğan Decision” of the Federal Constitutional Court (BVerfG)
Der Beitrag untersucht die sogenannte „Erdoğan-Entscheidung“ des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 30.07.2016, mit welcher der dortige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen wurde, der sich gegen das vom Verwaltungsgericht Köln und vom Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte respektive ausgesprochene Verbot gerichtet hatte, den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie andere türkische Politiker im Rahmen einer Demonstration, die nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei in Köln stattfinden sollte, per Videoleinwand zuzuschalten.
Die Untersuchung gelangt zu dem Ergebnis, dass das, was der Türkei unter ihrem Staatspräsidenten mit der Verfassungsänderung vorgeworfen wird, nämlich eine Auflösung der Gewaltenteilung, sich in den hier besprochenen Verfahren vor deutschen Gerichten gleichsam andeutet, da von eben diesen Gerichten eine – mehr oder weniger offensichtlich – politisch motivierte Entscheidung getroffen wurde, die in ihrer Begründung nicht nur in keiner Weise als dogmatisch hinreichend anzusehen ist, sondern darüber hinaus, offensichtlich um des gewollten Ergebnisses willen, tradierte prozessuale wie grundrechtliche Grundprinzipien negiert.
In Anbetracht dieser Einordung wird zudem die Vermutung evoziert, dass das BVerfG, in dem Wissen um die Mangelhaftigkeit der materiell-rechtlichen Begründung, sich hinter dem formalen Argument einer (angeblich) unzureichenden Prozessvollmacht versteckt hat, um keine Sachentscheidung im eigentlichen Sinne treffen zu müssen.
Abschließend wird die Hypothese aufgestellt, dass die Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit einen nicht zu unterschätzenden Teil zur Eskalation in Sachen Türkei/Erdoğan – und damit vermutlich auch zu dem Ergebnis des Verfassungsreferendums – beigetragen hat, womit die rechtlich angreifbare Entscheidung gleichzeitig auch die Institution BVerfG in einem recht fragwürdigem Licht erscheinen lässt, die einen eigenen gesellschaftspolitisch integrativen Anspruch besitzt, respektive besitzen sollte.
Der Aufsatz konzentriert sich auf die wissenschaftlichen Interessen eines der bedeutendsten Vertreter der Wiener Schule des Völkerrechts, Leo Strisower, und auf seine Bedeutung für Hans Kelsen, Alfred Verdross und Hersch Lauterpacht. Er beinhaltet die wichtigsten Aspekte des wissenschaftlichen Lebens Strisowers. Das Studium an der Universität Wien und die Rolle des völkerrechtlichen Professors Leopold Neumann hatten entscheidende Auswirkung auf die Gestaltung der gesamten beruflichen Karriere Strisowers.
Nach der Promotion zum Thema „Die italienische Schule des internationalen Privatrechts“ begann Strisower seine wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität Wien. Er hielt Vorlesungen sowohl in traditionellen Fächern wie Internationales Privatrecht, Völkerrecht und Geschichte der Rechtsphilosophie, als auch zu ganz besonderen Themen wie „Die merkwürdigen völkerrechtlichen Rechtsfälle“, „Die völkerrechtlichen Tagesfragen“, „Das europäische politische System unter Ausschluss der orientalischen Angelegenheiten“, „Die geschichtliche Entwicklung der Rechtslage im Nahen Orient“, „Das Afrikanische politische Vertragssystem“ und „Die Hohe Politik und das Völkerrecht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts“.Strisower brauchte sehr lang bis zum Titel des ordentlichen Professors im Völkerrecht, der ihm erst 1922 zuerkannt wurde. Neben fleißiger pädagogischer Tätigkeit war er vor allem wissenschaftlich produktiv. Er wurde zuerst zum Mitglied und später zum Vorsitzenden des Institut de Droit International ernannt. Strisower publizierte dort in zahlreichen Besprechungen als Gutachter. Während des Ersten Weltkriegs verteidigte Strisower die Interessen Österreichs mit rechtswissenschaftlichen Instrumenten und publizierte dazu einige völkerrechtliche Aufsätze. Seine wissenschaftlichen Interessen betrafen auch die völkerrechtliche Regelung der Donaufrage sowie diplomatisches Recht. Sein Hauptwerk schrieb Strisower im humanitären Völkerrecht zum Thema „Der Krieg und die Völkerrechtsordnung“.
Es gab einen ganz besonderen Zusammenhang im Leben dieses Hochschulprofessors mit den Karrieren dreier weltberühmter Juristen. Strisower erweckte in seinem Studenten Hans Kelsen das Interesse für die Geschichte der Rechtsphilosophie, was als Anfang für Kelsens Arbeit an der reinen Rechtslehre diente. Strisower war Professor von Alfred Verdross und Betreuer seiner Habilitation zum Thema „Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten“. Schließlich unterrichtete Strisower auch Hersch Lauterpacht und betreute seine Dissertation zum Thema „Das völkerrechtliche Mandat in der Satzung des Völkerbundes“.
S. 397 - 427, Aufsatz
Case-law of the CJEU adopted in 2017 and its relevance for Austria
Das Jahr 2017 war – 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge – von einer intensiven Rechtsprechungstätigkeit gekennzeichnet. Insgesamt wurden beim Gerichtshof der Union (EuGH und EuG) 1.656 Rechtssachen neu anhängig gemacht und 1.594 anhängige Rechtssachen erledigt. Einige dieser Urteile und Beschlüsse betrafen den Mitgliedstaat Österreich direkt, andere brachten – ausgehend von Österreich – wichtige Weiterentwicklungen einzelner Vorschriften des Primär- und/oder Sekundärrechts, die als geltendes Unionsrecht zu beachten sind. Einige Urteile ergingen auf Klagen oder nach einem Rechtsmittel natürlicher oder juristischer Personen aus Österreich und haben insoweit einen Österreich-Bezug. Im gegenständlichen Beitrag werden etwa 30 Entscheidungen von EuGH und EuG dargestellt. Dabei werden die judikativen Weiterentwicklungen der unionalen Rechtsordnung herausgearbeitet und deren Auswirkungen auf Österreich skizziert. Die aus österreichischer Perspektive ausgewählten Urteile und Beschlüsse belegen die nach wie vor dynamische Entwicklung der Judikatur, die mit einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre Rechtsordnung den geänderten Vorgaben anzupassen, verbunden ist.
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