In der jüngeren Rechtstheorie werden die Einsichten der Sprachphilosophie stärker berücksichtigt, indem insbesondere die Sprachpragmatik in die Methodenlehre integriert wird. Die Bedeutung von Rechtsvorschriften ist demnach aufgrund der semantischen und pragmatischen Regeln natürlicher Sprachen zu ermitteln, die auch in den traditionellen juristischen Auslegungsmethoden ihren Ausdruck finden. Gegen eine weitgehende Berücksichtigung pragmatischer Regeln wie insbesondere der verfassungskonformen Interpretation wendet sich aber aus der Perspektive der Reinen Rechtslehre Clemens Jabloner. Der vorliegende Beitrag setzt sich mit diesen Einwänden auseinander. Es wird gezeigt, dass eine die Pragmatik berücksichtigende Methodik weit eher dem von der Reinen Rechtslehre erhobenen Anspruch einer objektiven, ihren Gegenstand nur beschreibenden Rechtswissenschaft entspricht als die Interpretationstheorie der Reinen Rechtslehre.
- ISSN Online: 1613-7663
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Inhalt der Ausgabe
S. 5 - 23, Aufsatz
Objektive Rechtswissenschaft oder Reine Rechtslehre?Objective Jurisprudence or Pure Theory of Law?
Der öffentliche Raum ist idealtypischerweise ein Raum, der allen Menschen gleichermaßen offensteht. Zugleich ist er freilich auch kein rechtsfreier Raum ohne jegliche Reglementierung. Vielmehr zeigt sich, dass es unterschiedliche Typen von Beschränkungen gibt, die sich in jeweils unterschiedlichem Maße auf die Diversität im öffentlichen Raum auswirken, worauf wiederum die Rechtsordnung ganz unterschiedlich reagiert.
S. 43 - 62, Aufsatz
Determinierung und Kontrolle von RegulierungsbehördenDetermination and Control of Regulatory Authorities
Verwaltungsentscheidungen beziehen sachlich-inhaltliche Legitimation vor allem aus der gesetzlichen Determinierung sowie der Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle. Beide Legitimationsstränge erodieren durch unionsrechtliche Vorgaben betreffend die Organisation und Befugnisse von Regulierungsbehörden in immer mehr Bereichen. Der Beitrag widmet sich diesen Erosionstendenzen. Dabei zeigt sich, dass sowohl die Frage nach der Notwendigkeit der Gewährleistung autonomer Entscheidungsspielräume von Regulierungsbehörden als auch jene nach den Grenzen der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bei der Überprüfung regulierungsbehördlicher Entscheidungen eine Frage der Sicherung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts und somit des effet utile darstellt.
Participatory Budgeting bezeichnet Prozesse, in denen der Bevölkerung Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Budgetgestaltung eingeräumt werden. In Österreich wird dieses Instrument in den letzten Jahren vermehrt auf Ebene der Gemeinden bzw der Wiener Gemeindebezirke eingesetzt. Der vorliegende Beitrag untersucht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für partizipative Budgetgestaltung in Österreich und zeigt dabei auf, inwieweit die in der Rsp des VfGH mit Blick auf Art 117 Abs 8 B-VG etablierten Grenzen direkter Demokratie für dieses – bisher informelle – Instrument Relevanz haben.
S. 83 - 84, Beiträge zum 46. Völkerrechtstag
Editorial 46. Österreichischer Völkerrechtstag
S. 85 - 100, Beiträge zum 46. Völkerrechtstag
Der Krieg in der Ukraine: Die Feststellung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der MenschenrechteThe War in Ukraine: Fact-finding on Violations of International Humanitarian Law and Human Rights
Der Beitrag wird sich nach einem kurzen Blick auf die Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine aus völkerrechtlicher Sicht der grundsätzlichen Bedeutung und den Methoden der Feststellung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte widmen, wobei auch auf die Erfahrungen des Autors als Experte und Berichterstatter im Rahmen des Moskau-Mechanismus der OSZE eingegangen wird. Im Fall des Krieges in der Ukraine gab es mehrere Untersuchungsmissionen der OSZE und der Vereinten Nationen, deren methodische Vorgangsweise und wichtigste Ergebnisse vorgestellt und analysiert werden. Im Anschluss wird auf die bedeutendsten Reaktionen der internationalen Gemeinschaft eingegangen und ein kurzer Ausblick auf die Möglichkeiten der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit gegeben, bevor einige Schlussfolgerungen gezogen und Perspektiven erörtert werden.
S. 101 - 128, Beiträge zum 46. Völkerrechtstag
Die völkerrechtlichen Grundlagen von Sanktionen: ein rechtsquellenorientierter Überblick unter besonderer Berücksichtigung der restriktiven Maßnahmen der EU gegen RusslandThe International Legal Bases of Sanctions: a Source-bas...
Der Beitrag bietet einen rechtsquellenorientierten Überblick über die völkerrechtlichen Grundlagen von Sanktionen. Er widmet sich dabei insbesondere der Frage, ob und auf welchen Rechtsgrundlagen Völkerrechtssubjekte auch ohne ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN) Sanktionen verhängen dürfen. Untersucht werden auch zwei besondere Regeln des allgemeinen Völkerrechts, das Interventionsverbot und das Verbot extraterritorialer Jurisdiktion, von denen häufig angenommen wird, dass sie durch Sanktionen verletzt werden. Die Analyse zeigt, dass Retorsionen als lediglich unfreundliche Maßnahmen im Völkerrecht keiner völkerrechtlichen Grundlage bedürfen. Demgegenüber können völkerrechtswidrige Sanktionen sowohl durch völkerrechtliche Verträge als auch durch das Völkergewohnheitsrecht gerechtfertigt sein. Während das Gewohnheitsrecht vielfältige Völkerrechtsverletzungen legitimieren kann, kann ein Vertrag Maßnahmen nur für den Fall seiner Verletzung vorsehen. Hinsichtlich der vertragsrechtlichen Grundlagen solcher Maßnahmen liegt der Schwerpunkt dieses Beitrags auf den sogenannten „Sicherheitsausnahmen“ im weiteren Sinne, die Sanktionen zum Schutz nationaler Sicherheitsinteressen zulassen. Untersucht werden insbesondere Art XXI(b)(iii) Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, Art 99(1)(d) Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland sowie Art 51 Satzung der VN. Im Hinblick auf die gewohnheitsrechtlichen Grundlagen von Sanktionen legt der Beitrag dar, dass das Völkerrecht abseits von Gegenmaßnahmen nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit keine Alternativen bietet. Aus Art 41(1) ASR, der den Einsatz „rechtmäßiger Mittel“ zur Beendigung schwerwiegender Verletzungen von Jus-cogens-Normen erlaubt, kann nämlich keine eigenständige Rechtfertigung für Sanktionen abgeleitet werden. Der Artikel bekräftigt die sich abzeichnende Tendenz zum gewohnheitsrechtlichen Charakter der Regeln über die „klassischen“ Gegenmaßnahmen verletzter Staaten gemäß Art 49–53 ASR. Er stellt ferner vor dem Hintergrund der Vorbehaltsklausel des Art 54 ASR dar, dass Staaten und internationale Organisationen diesen Weg offenbar auch in Bezug auf Gegenmaßnahmen nichtverletzter Dritter beschritten haben. Zugleich unterstreicht der Beitrag, dass in der Praxis häufig unklar bleibt, inwieweit sich Staaten oder internationale Organisationen tatsächlich auf Art 54 ASR berufen, wenn sie zum Schutz eines allgemeinen oder kollektiven Interesses des Völkerrechts Sanktionen verhängen.
S. 129 - 146, Beiträge zum 46. Völkerrechtstag
Neutralität als Instrument der SicherheitspolitikNeutrality as an Instrument of Security Policy
Das Rechtsinstitut der Neutralität ist kein Wert an sich, sondern ein Instrument der Sicherheitspolitik. Seine Entwicklung hat in der Völkerrechtsgeschichte mehrere Phasen durchlaufen, in denen sich der Inhalt der damit verbundenen Rechtspflichten und der Nutzen als sicherheitspolitisches Instrument mehrfach gewandelt haben. Dabei wird die aktuelle Phase wegen inhärenter Funktionsmängel im System der Vereinten Nationen durch ein Auseinanderklaffen vom Idealbild des Systems der kollektiven Sicherheit in der Satzung und der tatsächlichen Praxis geprägt. Dies betrifft auch Österreich, das als dauernd neutraler Staat eine Komponente der Neutralitätspolitik in seine Sicherheitspolitik einbauen muss und damit den Schwankungen des sicherheitspolitischen Nutzens der Neutralität in besonderer Weise unterworfen ist. Die Integration in die EU und ihre GASP und die massive Reduktion der militärischen Fähigkeiten haben den verbleibenden Nutzen der österreichischen Neutralität erheblich reduziert.
S. 147 - 167, Beiträge zum 46. Völkerrechtstag
„Eine neue Agenda für Frieden“ – Die Neue Schule des Multilateralismus“A New Agenda for Peace” – The New School of Multilateralism
Der Aufruf von UN-Generalsekretär Antonio Guterres zur Reform ist zeitgemäß, wenn nicht überfällig. Dysfunktionalität und Polarisierung prägen den etablierten Multilateralismus. China, Russland, der „Westen“ und die neuen „Inbetweeners“ verfolgen eine dominierende Logik der Realpolitik, Systemkonkurrenz und rivalisierenden Blockbildung. Demokratien sind nicht mehr in der Überzahl. Die Lebenswelten entzweien sich und multilaterale Foren sind immer weniger imstande, als Vermittler zu agieren. Die Folge ist, dass Macht und Verantwortung global immer weiter auseinanderklaffen. Eine internationale Ordnung, die die nichtstaatliche und die regionale Dimension berücksichtigt, wird daher immer dringlicher. Dazu braucht das internationale Recht aus Sicht des unabhängigen Denker:innenkreises „New School of Multilateralism“, der 2023 in Wien gegründet wurde, erstens eine neue Steuerungseinheit, zweitens einen zweistufigen Friedenssicherungsmechanismus und drittens ein erneuertes Bekenntnis zu globalem Frieden und menschlicher Sicherheit. Damit wäre mehr Stabilität und nachhaltige Zusammenarbeit möglich.
S. 169 - 196, Aufsatz
Recent Austrian Practice in the Field of International Law
Diese Auswahl aus der aktuellen österreichischen Völkerrechtspraxis wurde nun ein weiteres Mal von Angehörigen des Rechtsdienstes des österreichischen Außenministeriums (Völkerrechtsbüro, VRB) zusammengestellt. Es hat sich jedoch ein größerer Wechsel bei den Autoren des Beitrags ergeben. Das Herz und die Seele dieses jährlichen Beitrags wie überhaupt des VRB, Botschafter Helmut Tichy, ist mit Ende Sommer 2023 in den Ruhestand getreten und Botschafter Konrad Bühler folgte ihm als Leiter des VRB nach. Diese personale Änderung hat es notwendig gemacht, ein neues Team für die Erstellung des Beitrags aufzustellen. Das ganze VRB möchte sich bei Botschafter Tichy herzlichst für sein Engagement, seine Führung und seine Freundschaft während der letzten Jahrzehnte bedanken.
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