„Westliche Orientierung“ kommt als Topos in der Asylrechtsprechung vor allem dann ins Spiel, wenn Frauen vorbringen, dass sie in ihrem Herkunftsland Verfolgung ausgesetzt sind, weil dort eine rigide Geschlechterordnung herrscht, die abweichende Lebens- und Verhaltensweisen mit Gewalt sanktioniert. Im Zentrum der Verfahren steht regelmäßig die Frage, ob die „westliche Lebensführung“ zu einem Bestandteil der Identität der betreffenden Frau geworden ist, sodass ihr nicht zumutbar ist, diese im Herkunftsland zu unterdrücken. Ein bemerkenswertes VwGH-Erkenntnis von Anfang 2018 (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301) lädt zur Reflexion darüber ein, um welche rechtsdogmatischen Probleme es in diesen Fallkonstellationen eigentlich geht. Insbesondere drängt sich ein Vergleich mit EuGH-Rechtsprechung zu Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und dem sogenannten „discretion requirement“ auf.
- ISSN Online: 1613-7663
160,00 €
inkl MwSt
Inhalt der Ausgabe
S. 349 - 368, Aufsatz
„Westliche Orientierung“ im Asylrecht“Western orientation” in Asylum Law
Demokratie und Rechtsstaat erodieren in zahlreichen Ländern, darunter auch in einigen EU-Mitgliedstaaten. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von wirtschaftlichen und kommunikations-technologischen bis zu geopolitischen Gründen. Auch die Form, in welcher der EU-Beitritt ehemals sozialistischer Staaten durchgeführt wurde, zeichnet sich als kontraproduktiv ab für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den betroffenen Ländern. Das Verfassungsrecht kennt zahlreiche Methoden, um diesen Tendenzen vorzubeugen und gegenzusteuern. Trotz des traditionellen verfassungsrechtlichen Verständnisses des Rechtsstaats als Hüter der Demokratie kann dieser in der politischen Realität die Demokratie nur begrenzt beschützen. Teilweise ist es gerade umgekehrt: Die demokratische Rotation sichert die Rechtsstaatlichkeit. Dementsprechend sollten sowohl Verfassungsgerichte als auch Politiker und die Bevölkerung ihre Bemühungen stärker auf die demokratische Rotation konzentrieren als es bisher der Fall war.
S. 399 - 425, Aufsatz
Die menschenrechtliche Dimension Künstlicher IntelligenzArtificial Intelligence and Human Rights
Künstliche Intelligenz (KI) wird unsere Gesellschaft zusehends prägen und zu positiven wie negativen Entwicklungen führen. Das Potential von KI können selbst Fachleute nicht verlässlich einschätzen. Jedenfalls scheint sie in neue Dimensionen zu führen, die selbst den Menschen in seinem Kern als natürliches, soziales Wesen in Frage stellt. Durch den möglichen Einsatz von KI in sämtlichen Lebensbereichen werden menschenrechtliche Garantien umfassend angesprochen. Im Beitrag werden die übergeordneten und generellen menschenrechtlichen Problemstellungen durch den Einsatz und die Weiterentwicklung von KI beleuchtet.
Maßstabfiguren gehören zum Alltag von Juristinnen und Juristen. Es gibt kaum ein Rechtsgebiet, in dem sie nicht eingesetzt werden. Dabei sind ihre Funktionen ganz unterschiedliche und die Fülle der Erscheinungsformen immens. Der vorliegende Beitrag behandelt juristische Maßstabfiguren rechtsgebietsübergreifend, ordnet die Vielzahl der im geltenden Recht auffindbaren Figuren und untersucht ihre rechtliche Zulässigkeit sowie die Sinnhaftigkeit ihrer Verwendung.
S. 443 - 464, Aufsatz
Constitutional Amendment Index: the procedural requirements of an EMU-induced constitutional change in EU member states
Die Umsetzung der Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) hängt von einem komplexen Zusammenspiel zwischen nationalem und EU-Recht ab. Dieser Artikel umfasst einen einfachen zusammengesetzten Indikator über jene verfassungsrechtlich vorgegebenen Verfahrensbeschränkungen in den EU-Mitgliedstaaten, welche durch weitere Integrationsmaßnahmen im Bereich der WWU relevant würden. Der Verfassungsänderungsindex (CAI) basiert auf der Reihenfolge der Vetopunkte – parlamentarische Formationen, Referenden, Staatsoberhäupter und Verfassungsprüfungsorgane – als Verfahrensanforderungen, die die durch die WWU hervorgerufenen Verfassungsänderungen erfüllen müssen. Die Kodierung der gesetzlichen Anforderungen kombiniert die Analyse der förmlichen Verfahren in 28 EU-Mitgliedstaaten mit einem ExpertInnenurteil über die mögliche Verwendung dieser Anforderungen im Lichte der geltenden Rechtskultur und der bisherigen Erfahrungen. Während die Relevanz dieser Einschränkungen von den spezifischen wirtschaftlichen und politischen Umständen abhängt, bietet dieser Index einen Vergleich der Verfahrensanforderungen in den EU-Mitgliedstaaten sowie eine potenzielle Kontrollvariable für die quantitative Forschung.
S. 465 - 518, Aufsatz
Der Staat als Adressat des UnionsrechtsThe “State” as Addressee of European Union Law
Der Staat ist Adressat einer Vielzahl von EU-Verhaltensnormen. Es ist allerdings alles andere als klar, welche Akteure oder Verhaltensweisen unter den Begriff des „Staates“ zu subsumieren sind. Die Frage der Zurechenbarkeit zum Staat stellt sich sowohl bei der Abgrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs von EU-Normen, die an den Staat gerichtet sind – der „Staat“ als Normadressat –, als auch bei der Frage der Haftung des „Staates“ für Fehlverhalten. In dieser Publikation wird die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH über die Jahrzehnte analysiert und herausgearbeitet, inwieweit organisatorische und funktionelle Gesichtspunkte für die Zurechnung zum Staat ausschlaggebend sind, wie sich die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Private zur Zurechenbarkeit verhält und welche Auswirkungen die Rechtsprechung auf die Kontroll- und Sanktionsmechanismen des EU-Rechts hat. Es wird aufgezeigt, dass es keine einheitlichen Begriffe wie „Staat“, „Verwaltung“, „Gericht“, „Betrauung“, „Kontrolle“ usw gibt, die für das gesamte EU-Recht Gültigkeit beanspruchen könnten. Gegenteilig werden, bei genauerer Betrachtung der jeweiligen staatengerichteten Normen, unterschiedliche Begriffsgehälter aufgezeigt. Die Veränderung der Rechtsprechung führt zu einer Ausweitung des Staatsbegriffs und zu einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts.
S. 519 - 551, Aufsatz
Der schweizerische Finanzausgleich – eine Erfolgsgeschichte mit ReformbedarfThe Swiss Revenue Sharing – a Story of Success in Need of Reform
Die in den 1990er Jahren mit der Totalrevision der Bundesverfassung eingeleitete umfassende Föderalismusreform bezweckte in ihrer zweiten Phase ab 2003 die Entflechtung der durch Bund und Kantone zu erbringenden öffentlichen Aufgaben sowie deren Finanzierung einerseits und eine Neuregelung des Finanzausgleichs andererseits. Unter dem Titel „Die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA)“ sollte der bundesstaatliche Föderalismus zukunftstauglich gemacht werden, etwa indem einzelne Aufgaben integral einer einzigen Staatsebene zugewiesen wurden und dadurch die Nutznießer mit den Kosten- und Entscheidungsträgern übereinstimmen sollten. Damit erhoffte man sich insbesondere eine effizientere und transparentere Aufgabenerfüllung und -finanzierung durch Bund und Kantone, unter Zubilligung einer größtmöglichen Autonomie der Kantone bei gleichzeitiger Wahrung der gesamtstaatlichen Einheit. Im Rahmen des Finanzausgleichs werden seither sämtliche Beträge aus dem Ressourcen- und dem Lastenausgleich ohne Zweckbestimmung an die Kantone ausbezahlt. Mit der im Jahr 2019 beschlossenen Revision des Finanzausgleichs wird zudem insbesondere die Mindestausstattung des ressourcenschwächsten Kantons neu gesetzlich garantiert. Zukünftig werden auch die Ertragssteuern der juristischen Personen bei der Berechnung des Ressourcenpotenzials eines Kantons anders gewichtet, was auf die sogenannte Steuervorlage 17 zurückzuführen ist. Obwohl die NFA entscheidende Impulse für einen modernen und funktionierenden Föderalismus gegeben und die Bundesversammlung mit der Revision des Finanzausgleichs im Jahr 2019 auf gesellschaftspolitische Veränderungen reagiert hat, bestehen dennoch einige Kritikpunkte fort, so etwa die in gewissen Bereichen weiterhin intransparente und sich überschneidende Aufgabenerfüllung durch Bund und Kantone, die fehlenden Rechtsmittel der Kantone und das Übergewicht der ressourcenschwachen Kantone. Überdies werden die geografisch-topografischen Lasten im Rahmen des Lastenausgleichs in einem bedeutend höheren Maß ausgeglichen als die soziodemografischen Lasten. Nicht zuletzt wird auch die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Kantone im Finanzausgleich nur ungenügend abgebildet. Diese und weitere reformbedürftige Punkte gilt es in den kommenden Jahren zu beheben, ansonsten würden nicht alle angestrebten Ziele der Föderalismusreform verwirklicht.
S. 553 - 590, Aufsatz
Recent Austrian Practice in the Field of European Union Law
Der achte Bericht der Abteilung für Europarecht des Völkerrechtsbüros im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, der unter inhaltlicher Leitung von Ges. Mag. Martin Meisel entstanden ist, befasst sich mit einigen der wichtigsten Entwicklungen des Europarechts während des Jahres 2018. Die behandelten Themen umfassen Rechtsfragen zu aktuellen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen der Außenvertretung (Kraschowetz/Prummer), zum Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Fuith), zum institutionellen Rahmenabkommen zwischen der Union und der Schweiz (Hauser), zum Beitritt der Union zu Verträgen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Meisel) sowie zum Komitologie-System nach dem Vertrag von Lissabon (Bittner/Waibel).
Wir danken insbesondere dem Leiter des Völkerrechtsbüros, Univ.-Prof. Bot. Dr. Helmut Tichy sowie Ges. Mag. Tünde Fülöp und Mag. Christian Breitler für die sorgfältige Durchsicht und die hilfreichen Anregungen zu diesem Bericht, sowohl inhaltlicher als auch redaktioneller Natur.
Weitere Hefte aus dieser Zeitschrift