Der EuGH überprüft in seiner jüngeren Rechtsprechung nunmehr auch die innerstaatliche Gerichtsorganisation in den Mitgliedstaaten. Dabei entwickelt der Luxemburger Gerichtshof einen Gerichtsbegriff, der sich grundsätzlich auf Art 267 AEUV stützt, jedoch rechtsstaatlich weiterentwickelt wird. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen, dass die Forderung nach umfassender Unabhängigkeit der Gerichte mit demokratischen Verfassungstraditionen in den Mitgliedstaaten – auch in Österreich – in Konflikt geraten kann. Ein Aspekt der Organisation des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zeigt die Herausforderungen auf.
- ISSN Online: 2309-5121
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Inhalt der Ausgabe
S. 420 - 424, Aufsatz
Europäischer Gerichtsbegriff, demokratische Verfassungstraditionen und oberösterreichisches Landesverwaltungsgericht
S. 425 - 429, Aufsatz
Die Judikaturdivergenzen zu einer Ausfertigung mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung nach § 96 letzter Satz BAO
Gem § 96 letzter Satz BAO bedürfen Ausfertigungen, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt werden weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung. Im vorliegenden Beitrag wird die höchstgerichtliche Judikatur sowie die divergierende Rsp der VwG (und des UFS) zu § 96 letzter Satz BAO dargelegt und im Lichte der Normgenese analysiert.
S. 431 - 433, Judikatur - Verfahrensrecht
Befangenheit einer VwG-Richterin aufgrund verbaler Entgleisungen in der Erkenntnisbegründung
Schon die Bezeichnung [des Beschwerdeführers in der Begründung des Erkenntnisses] als „drogensüchtiger Dealer“ sowie die Äußerung, er habe eine Österreicherin geheiratet und dann mit ihr ein Kind gezeugt, um „dann neuerlich einen unbegründeten Asylantrag zu stellen, auf sein Familienleben zu pochen und einen Aufenthalt im Bundesgebiet so zu erzwingen zu versuchen“, stellen gravierende verbale Entgleisungen dar. Auch wenn diese für sich genommen noch nicht geeignet sein mögen, eine Befangenheit zu begründen, so ist das weitere Begründungselement, wonach die Einstellungszusage eines „Landsmannes“ des Revisionswerbers zu relativieren sei, weil sie wohl „eher eine Gefälligkeit unter Landsleuten“ darstelle, geeignet, erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu begründen, stellt dies doch eine diskriminierende Wertung eines vorgelegten Beweismittels – allein in Abhängigkeit von der Herkunft des Erklärenden – dar.
S. 433 - 435, Judikatur - Verfahrensrecht
Missachtung formaler Verpflichtungen beim grenzüberschreitenden Arbeitseinsatz
Bei der Bezeichnung des Unternehmens, für welches der Beschuldigte verantwortlich ist, handelt es sich nicht um ein wesentliches Tatbestandselement iSd § 44a Z 1 VStG, sodass der Fehler der belangten Behörde bei der Benennung der juristischen Person, für die der Beschwerdeführer gem § 9 VStG verantwortlich ist, auch nach Verstreichen der Verfolgungsverjährungsfrist noch zulässig war. Solcherart stellt es auch keine Überschreitung der Sache des Verfahrens dar, wenn das Gericht den Beschuldigten als nach § 9 Abs 1 VStG strafrechtlich Verantwortlichen für eine andere Gesellschaft als jene in Anspruch nimmt, für welche er im behördlichen Straferkenntnis verantwortlich gemacht worden war.
Parteistellung in einem verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren betreffend ein Verwaltungsstrafverfahren nach der StVO hat neben dem Beschuldigten nur die vor dem VwG belangte Behörde, nicht aber die die Akteneinsicht begehrende Haftpflichtversicherung des Beschuldigten. Parteien beim VwG können in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen; zur Übermittlung des Inhalts des (nicht elektronisch geführten) Akts auf elektronischem Weg ist das VwG jedoch nicht verpflichtet und wird eine solche Übermittlung aus Kapazitätsgründen grundsätzlich auch nicht vorgenommen.
S. 437 - 439, Judikatur - Verfahrensrecht
Günstigkeitsprinzip bei wechselnder Abfolge von Strafbarkeit und Straffreiheit
Eine nach dem Tatzeitpunkt entstandene für den Täter günstigere Rechtslage ist auch dann zu berücksichtigen, wenn sie im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG bereits außer Kraft getreten ist.
S. 440 - 444, Judikatur - Verfahrensrecht
Verstoß von Verwaltungsstrafbestimmungen (§ 7d AVRAG und § 28 Abs 1 Z 1 lit a iVm § 3 Abs 1 AuslBG) gegen freien Dienstleistungsverkehr gemäß Art 56 AEUV
Der Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV steht eine nationale Regelung entgegen, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht,
die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,
die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden,
zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und
die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.
S. 444 - 445, Judikatur - Verfahrensrecht
Beginn der Entscheidungsfrist bei Aufhebung des Bescheids wegen Unzuständigkeit
Durch die Aufhebung des Bescheids wegen Unzuständigkeit beginnt für die zuständige Behörde die Entscheidungsfrist von sechs Monaten mit der Zustellung der Entscheidung des VwG neu zu laufen. Eine Säumnisbeschwerde, die vor Ablauf der Entscheidungsfrist eingebracht wird, ist als unzulässig zurückzuweisen.
Seit der Novelle BGBl I 57/2018 ist bei Bewilligung eines Antrags auf Teilzahlung – und nicht mehr bloß bei Zahlungsaufschub – die Strafvollstreckung gem § 54b Abs 3 letzter Satz VStG ausdrücklich aufgeschoben. Bei Einkünften über dem Existenzminimum kann nicht automatisch Uneinbringlichkeit iSd § 54b Abs 2 VStG ausgeschlossen werden. Vielmehr müssen die zu erwartenden Einkünfte und die zu entrichtenden offenen Strafbeträge in einem solchen Verhältnis stehen, dass eine Entrichtung in einer angemessenen Zeitspanne möglich und realistisch erscheint. Was unter einer angemessenen Zeitspanne zu verstehen ist, muss im Einzelfall beurteilt werden.
§ 19 Abs 2 Wiener Wettengesetz lässt sich nicht aus allfällig teleologischen Erwägungen gleichermaßen auf Betriebsstätten mit (lediglich) einem Wettterminal anwenden, denn einer derartigen analogen Anwendung steht das in Art 7 EMRK garantierte Verbot der analogen Anwendung von Strafvorschriften in malam partem entgegen. Dass der Gesetzgeber hier tatsächlich die Pluralform festlegen wollte, erhellt auch daraus, dass er – wie sich bereits dem zweiten Teil des ersten Satzes des § 18 Abs 1 Wiener Wettengesetz entnehmen lässt – sehr wohl zwischen Ein- und Mehrzahl zu unterscheiden weiß.
S. 451 - 458, Judikatur - Materienrecht
Übertretung des § 47 Abs 1 Z 7 iVm § 10d Wiener Abfallwirtschaftsgesetz
Der Zielsetzung des § 10d Wr AWG folgend ist der Begriff „Getränkeart“ nicht übermäßig eng im Sinne einer Einordnung jedes bestimmten Produkts als eigene Getränkeart auszulegen, bliebe ansonsten die Bestimmung des § 10d Abs 1 Wr AWG ohne nennenswerten Anwendungsbereich. Mangels näherer Definition oder Verweis auf eine verbindliche Kategorisierung ist die Abgrenzung im Einzelfall zu treffen. Dabei können – unter anderem – der allgemeine Sprachgebrauch, typische Erwartungshaltungen von Konsumenten, aber auch etablierte Kategorisierungen, wie jene des Österreichischen Lebensmittelbuchs als Anhaltspunkte herangezogen werden, ohne dass einem einzelnen dieser Merkmale eine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Eine Zielsetzung des § 10d Abs 1 Wr AWG ist darin zu sehen, Produzenten von Getränken dazu anzuregen, ihre Produkte in Mehrweggebinden am Markt anzubieten, um sich nicht einem Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten auszusetzen, deren Produkte in Mehrweggebinden angeboten und daher auch auf Großveranstaltungen ausgeschenkt werden können. Diese Zielsetzung kann nur erreicht werden, wenn man dem Landesgesetzgeber zubilligt, bestimmte Getränke auf Grund ihrer Produktionsweise ausschließlich in Einweggebinden von großen Veranstaltungen weitgehend zu verbannen. Der Umstand, dass ein bestimmtes Markenprodukt nur in Einweggebinden am Markt angeboten wird, kann folglich nicht den rechtlichen Schluss nach sich ziehen, ein solches Produkt automatisch als eigene Getränkeart iSd § 10d Abs 1 Wr AWG anzuerkennen, um die Vereinbarkeit mit dem Mehrweggebindegebot herzustellen.
S. 458 - 459, Judikatur - Materienrecht
Keine Mutwillensstrafe wegen Beschwerde gegen negative Asylentscheidung ohne Geltendmachung von Verfolgungsgründen
Mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen ist mit äußerster Vorsicht umzugehen. Ein derartiger Vorwurf ist nur dann am Platz, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt. Die Erhebung einer Beschwerde gegen die Abweisung des (erstmaligen) Antrages auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, auch wenn Verfolgungsgründe nicht geltend gemacht wurden, ist nicht als die Verhängung einer Mutwillensstrafe rechtfertigende, offenbar mutwillige Inanspruchnahme der Behörde beurteilen.
S. 460 - 463, Judikatur - Materienrecht
Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit
Ein ex lege-Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 27 StbG setzt zwei Tatbestandselemente voraus. Zum einen muss eine, auf den Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft gerichtete, „positive“ Willenserklärung abgegeben worden sein und zum anderen muss infolge dieser Willenserklärung die fremde Staatsangehörigkeit tatsächlich erlangt werden.
Bei entsprechend gewichtigen im Privat- und Familienleben gelegenen Gründen ist im Fall des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft auch dann zu bewilligen, wenn diese anders als durch Abstammung erworben wurde.
Das Hochhalten eines Transparents mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ („All Cops are Bastards“) bei einem Fußballspiel ist nicht als Beleidigung bestimmter Exekutivbeamter, sondern als Ausdruck der ablehnenden Haltung einzelner Fans gegenüber der Polizei als solcher zu verstehen. Derart geäußerte Kritik ist in einer demokratischen Gesellschaft hinzunehmen.
S. 468 - 469, Judikatur - Materienrecht
Versammlungsverbot im Schutzbereich rechtmäßiger Versammlungen nicht verfassungswidrig
Welcher Bereich für die ungestörte Abhaltung einer rechtmäßigen Versammlung erforderlich ist, hat die Behörde unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der angezeigten Versammlung zu bestimmen. Dabei kann ein Bereich von 50 Metern im Umkreis um die Versammelten auch unterschritten werden.
S. 470 - 473, Judikatur - Materienrecht
Zu den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Genauigkeit planlicher Darstellungen
Als Widmungsgrenze ist – bei Fehlen anderer Anhaltspunkte – im Zweifel die Mitte der in der planlichen Darstellung gezogenen Linie anzunehmen, die sich nach dem derzeitigen Stand der Vermessungstechnik zumindest bei Plänen im Maßstab von 1:5000 präzisieren und mit einer Unschärfe von wenigen Dezimetern in die Natur übertragen lässt.
S. 473 - 475, Judikatur - Materienrecht
Begriffe „Zelt“ und „Campieren“ im Anwendungsbereich des Salzburger Campingplatzgesetzes
Der Begriff „Zelt“ ist im Salzburger Campingplatzgesetz (S.CampG) nicht definiert. Nach allgemeinem Verständnis besteht ein Zelt idR aus einer innen liegenden Tragkonstruktion (Gerüst aus Holz-, Bambus-, Kunststoff- oder Metallstäben) und einer darüber gelegten oder gespannten Hülle (Zelthaut). Wesentlich für ein Zelt ist eine raumbildende Wirkung der Konstruktion, die relativ leicht auf- und wieder abgebaut und mitgenommen werden kann (vgl LVwG Krnt 28.12.2016, KLVwG-2157/4/16). Ob es sich dabei um ein professionell hergestelltes im Handel erworbenes Zelt oder um eine mit einfachen Mitteln (zB aus Ästen und einer Plane) selbst hergestellte Behelfsunterkunft handelt, kommt es für die Einordnung als „Zelt“ nicht an (vgl Stock, Zelten – Biwakieren – Lagern, ZVR 2013/122, 233).
Beim „Campieren“ muss das Zelt dem Aufenthalt und Übernachten von Menschen dienen. Das Aufstellen von Zelten an öffentlichen Orten außerhalb von Campingplätzen, die nur der Lagerung von Gegenständen, nicht aber dem Aufenthalt und Übernachten dienen (Materialzelte), fällt demnach nicht unter den Begriff „Campieren“ (vgl Stock, Zelten – Biwakieren – Lagern, ZVR 2013/122, 232).
Das Campierverbot richtet sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 15 Abs 1 Z 12 S.CampG („Eine Verwaltungsübertretung begeht, wer ... entgegen einem auf Grund des § 13 Abs 1 oder 2 erlassenen Verbot oder Gebot außerhalb von Campingplätzen campiert“) an die konkrete Person. Mehrere in einem auf einem öffentlichen Ort außerhalb eines Campingplatzes aufgestellten Zelt übernachtende Personen sind daher jeweils gesondert strafbar.
S. 476 - 478, Judikatur - Materienrecht
Zuständigkeit des BVwG als Disziplinargericht für die Richter des VwG Wien nicht verfassungswidrig
Die Einsetzung des BVwG als Disziplinargericht für die Richter des VwG findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art 131 Abs 5 B-VG. Aus Art 134 Abs 7 (iVm Art 88 Abs 2) B-VG kann nicht abgeleitet werden, dass Entscheidungen, mit denen ein Richter seines Amtes entsetzt oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt wird, von Verfassungs wegen jenem VwG vorbehalten sind, bei dem der Richter tätig ist.
S. 478 - 480, Judikatur - Materienrecht
Zum Begriff der stationären Pflegeeinrichtung nach § 330a ASVG (Pflegeregressverbot)
Eine stationäre Wohngemeinschaft, in die nur Personen aufgenommen werden, die sich in den Pflegestufen 1 bis 3 des Bundespflegegeldgesetzes befinden, und in der tagsüber zwei Pflegekräfte anwesend sind sowie nachts eine Rufbereitschaft für eine diplomierte Pflegekraft besteht, ist eine „stationäre Pflegeeinrichtung“ iSd § 330a ASVG.
S. 480 - 481, Judikatur - Materienrecht
Enden der Zivildienstpflicht aufgrund Geschlechtsumwandlung des ursprünglich Zivildienstpflichtigen vom Mann zur Frau
Die Beschwerdeführerin, die eine Änderung ihres eingetragenen Geschlechts von „männlich“ auf „weiblich“ hat durchführen lassen, unterliegt nicht der Wehrpflicht und hat daher auch keinen Zivildienst (mehr) zu leisten; der bekämpfte Bescheid war daher ersatzlos zu beheben.