Die ersten Entscheidungen des VfGH zu Corona-Maßnahmen vom 14.07.2020 entsprechen teilweise dem Erwarteten, teilweise haben sie auch für Überraschungen gesorgt. Jedenfalls hat der VfGH mit einer Weiterentwicklung seiner Judikatur zur Zulässigkeit von Individualanträgen eine Rechtsschutzlücke geschlossen und für den weiteren Verlauf der Corona-Krise wichtige Hinweise für Gesetzgebung und Verwaltung zur Zulässigkeit der Anordnung bestimmter Maßnahmen und deren Ausgestaltung gegeben.
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- 2309-5121
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Inhalt der Ausgabe
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S. 340 - 343, News-Radar
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S. 344 - 352, Aufsatz
Kerstin Holzinger -
S. 353 - 369, Aufsatz
Martina Kofler-SchlöglDie Covid19-Pandemie erreicht auch die Verfassungsgerichtsbarkeit. Nachdem Bevölkerung, Politik und Gesetzgebung Österreichs einen Gutteil des Jahres 2020 mit der Gesundheitskrise beschäftigt waren, hatte sich nunmehr das Höchstgericht mit der „ersten Welle“ an COVID-Rechtsetzungsakten auseinanderzusetzen. Der VfGH betonte mit diesen inhaltlichen Entscheidungen die Bedeutung der demokratischen wie rechtsstaatlichen Grundwerte auch und gerade in Krisenzeiten. Es geht um mehr als nur „juristische Spitzfindigkeiten“. Krise rechtfertigt viel, aber eben nicht alles.
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S. 370 - 373, Aufsatz
Thorsten HolzerGerade in Bewilligungsverfahren des Anlagen- und Technikrechts werden oftmals bereits auf Grund der verba legalii eine Vielzahl von Unterlagen (Pläne, Gutachten etc) benötigt, die in der Folge durch Verweisung im das Verfahren abschließenden Spruch des Bescheides zu dessen Bestandteilen erklärt und in den Rang der Normativität gehoben werden. Es stellt sich nun die Frage, wie zu verfahren ist, wenn sich nach Erlassung des Bescheides eine Diskrepanz zwischen dessen Spruch und den Bescheidbestandteilen, auf die dieser verweist, ergibt.
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S. 374 - 374, Judikatur
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Im Falle des Obwaltens von Zweifeln am Inhalt der Niederschrift wäre es einem durchschnittlich sorgfältigen Rechtsmittelwerber oblegen, diesbezügliche Erkundigungen einzuholen. Gerade das Wissen des Einschreiters um seine mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache muss ihn in Bezug auf die Einhaltung von Fristen zu besonderer Sorgfalt veranlassen.
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S. 377 - 382, Verfahrensrecht
Zur Erhebung von Rechtsmitteln gegen eine Beschlagnahmeanordnung sind – neben dem Inhaber der in Beschlag genommenen Sache – als Betroffene der Beschlagnahme auch der Beschuldigte des Finanzstrafverfahrens und der Eigentümer der Sache berechtigt. Der förmliche Akt der Zustellung der Beschlagnahmeanordnung ist keine notwendige Voraussetzung der Rechtsmittelberechtigung.
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S. 383 - 386, Verfahrensrecht
Mit dem bloßen Äußern von Zweifeln wird kein Beweis der unrichtigen Beurkundung erbracht. Die in der Niederschrift ordnungsgemäß beurkundete doppelte Kundmachung setzt eine entsprechende Bekanntmachung iSd § 42 Abs 1a AVG voraus. Es ist amtsbekannt und offenkundig, dass beim Amt der Oö Landesregierung (Landesdienstleistungszentrum) eine entsprechende Bekanntmachung an der Amtstafel angeschlagen ist. Aus einer dauerhaften Kundmachung an der Amtstafel der Behörde ergibt sich, dass solche Kundmachungen unter dieser Adresse im Internet erfolgen können. Gemäß § 45 Abs 1 AVG ist insoweit kein weiterer Beweis notwendig.
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S. 386 - 388, Verfahrensrecht
Das in einem Einspruch gegen eine Strafverfügung gestellte Ersuchen um „kulante Ausbuchung der offenen Strafe“ ist als Einspruch dem Grunde nach zu werten. Es ist daher gemäß § 49 Abs 2 VStG das ordentliche Verfahren einzuleiten.
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S. 388 - 389, Verfahrensrecht
Ein bereits verhängtes Zwangsmittel darf nicht mehr vollzogen werden, wenn das mit seiner Verhängung verfolgte Ziel erreicht ist. Da die unvertretbare Handlung des Unterlassens der verpönten Verwendung eines Grundstücks für den Betrieb einer Hundepension jedenfalls nunmehr von der Bf bewirkt ist, wird der Vollstreckungsvorgang, der neben der Androhung einer Zwangsstrafe auch die Verhängung der Zwangsstrafe und deren Vollziehung als faktische Amtshandlung umfasst, abgebrochen.
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S. 390 - 392, Materienrecht
Auch im (vereinfachten) Verfahren zur Verlegung einer öffentlichen Apotheke innerhalb des festgesetzten Standorts kommt den Inhabern umliegender öffentlicher Apotheken Parteistellung zu; diese ist jedoch auf die Frage beschränkt, ob die Verlegung tatsächlich bloß innerhalb des festgesetzten Standortes erfolgt.
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Allfällige Versäumnisse der Apothekerkammer bei der Erstellung eines Gutachtens zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke können nicht der Bezirksverwaltungsbehörde zugerechnet werden. Eine Verzögerung aus diesem Grund ist somit nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen.
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S. 394 - 397, Materienrecht
Beschränken sich Leistungen im Rahmen eines Betreuungsvertrags nicht auf den Beschaffungsvorgang der Auftragsvergabe, sondern umfassen die gesamte Betreuung des geplanten Bauvorhabens, etwa von der künstlerischen, technischen und geschäftlichen Oberleitung einschließlich der örtlichen Bauaufsicht und der Bauarbeitenkoordination als Projektleiterin bis hin zur Endabrechnung des Bauvorhabens, überschreitet der Leistungsumfang den eng begrenzten (freigestellten) Beschaffungsbereich der „Vergabe von Aufträgen oder der Abschluss von Rahmenvereinbarungen“.
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S. 398 - 400, Materienrecht
Das Lenken eines Kraftfahrzeuges durch den Inhaber eines Parkausweises für Behinderte iSd § 29b Abs 1 StVO bzw eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr 283/1990, stellt keinen Behindertentransport dar.
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S. 401 - 405, Materienrecht
Der Beschwerdeführer profitiert von der Hemmung seiner Rückkehrentscheidung, da er nach Abschluss seiner Lehre mit der im Jänner 2020 erfolgreichen Lehrabschlussprüfung noch einen befristeten Arbeitsvertrag bis 03.05.2020 innehat, welcher als Teil eines „erweiterten Ausbildungsverhältnisses“ angesehen werden kann, weil der Beschwerdeführer in dieser Zeit die Lehrabschlussprüfung ablegte. Die Rückkehrentscheidung ist somit erst nach Beendigung seines bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisses umzusetzen.
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Es widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, dem gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen Kindes, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die Möglichkeit zu geben, im Familienverfahren denselben Schutz wie das Kind zu erwirken, hingegen ein minderjähriges Kind, für das eine internationalen Schutz genießende Person die Obsorge ausübt, vom Familienverfahren selbst dann auszuschließen, wenn zwischen dem gesetzlichen Vertreter und dem Kind ein Verhältnis wie zwischen Eltern und Kindern besteht.
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S. 407 - 409, Materienrecht
Unter dem Wohnsitz iSd § 4 Abs 1 NAG kann verfassungskonform nur derjenige gemeint sein, zu dem die stärksten Beziehungen und das überwiegende Naheverhältnis bestehen, anderenfalls durch die Schaffung mehrerer Wohnsitze eine unzulässige geteilte Zuständigkeit bzw durch die willkürliche Anmeldung eines Hauptwohnsitzes die gewünschte Zuständigkeit durch den Antragsteller beliebig geschaffen werden könnte. Eine hauptwohnsitzliche Meldung kann demgegenüber nur Indizwirkung haben und vermag keine verbindliche Aussage über die behördliche Zuständigkeit gemäß § 4 Abs 1 NAG zu treffen. Vielmehr ist gerade bei entsprechenden Anhaltspunkten amtswegig zu ermitteln, wo sich der tatsächliche Wohnsitz bzw beabsichtigte Wohnsitz des Antragstellers befindet.
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S. 409 - 411, Materienrecht
Die in § 55 Abs 3 NAG letzter Satz normierte Fristhemmung kann nicht losgelöst von der in § 55 Abs 3 NAG erster Satz normierten Mitteilungspflicht gesehen werden. Solange eine Mitteilung seitens des BFA an die Behörde nicht erfolgt ist, ist es letztgenannter verwehrt, eine Entscheidung zu erlassen, doch kann sie auch nicht säumig werden.
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S. 412 - 413, Materienrecht
Die Möglichkeit einer Gegendemonstration ist für sich allein keine „Störung“, welche die Festlegung eines Schutzbereiches für eine Versammlung rechtfertigen könnte. Bei der Bestimmung eines solchen Schutzbereiches ist vielmehr darauf Bedacht zu nehmen, dass die Teilnehmer der Versammlung auch mit gegenläufigen Positionen durch eine andere Versammlung erreicht werden können.
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Ein baupolizeilicher Auftrag iSd § 129 Abs 10 BO, der sich lediglich darauf beschränkt, vorzuschreiben, sich an das Gesetz zu halten, welches die gewerbliche Nutzung für kurzfristige Beherbergungszwecke in Wohnungen, die in Wohnzonen gelegen sind, verbietet, ist nicht ausreichend konkretisiert.
Wenn die belangte Behörde fordert, dass eine „kurzfristige“ Vermietung der Wohnungen zu unterlassen sei, muss sie auch diesen unbestimmten Gesetzesbegriff definieren, um der Beschwerdeführerin überhaupt die Chance zu geben, sich entsprechend diesem Bauauftrag zu verhalten.
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S. 416 - 418, Materienrecht
Weil ausdrücklich ein Umbau beantragt wurde (was sich auch aus dem genehmigten Einreichplan ergibt), hätten die im Einreichplan als Bestand dargestellten Mauern nicht bis auf die Fundamente abgerissen und unter Verwendung neuer Bauteile neu errichtet werden dürfen. Dabei ist nicht zu prüfen, ob hervorgekommene statische Probleme eine Neuerrichtung aus technischen oder bloß wirtschaftlichen Gründen erfordert haben. Die für den Altbestand vorhandene Baubewilligung ist durch den erfolgten Abriss bis auf die Fundamente jedenfalls untergegangen.
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S. 418 - 422, Materienrecht
Durch die Formulierung „im Hausverband der Vermieter“ stellte der Gesetzgeber in § 5 Z 10 ROG 2009 das Erfordernis einer räumlich-funktionellen Verbindung der betreffenden Wohneinheiten mit der Wohnung des Vermieters, der dort seinen tatsächlichen Hauptwohnsitz aufweisen muss, ausdrücklich klar (etwa durch die innere Erschließung der Gästewohneinheiten über die Wohnung des Vermieters). Der Begriff „Wohnung“ iSd § 5 Z 16 ROG 2009 iVm § 2 Z 4 BauTG 2015 wurde bei der Begriffsbestimmung der Privatzimmervermietung in § 5 Z 10 ROG 2009 nicht verwendet, sodass das Vermieten von eigenständigen Wohnungen ohne räumlich-funktionelle Verbindung mit der Wohnung des Vermieters keine Privatzimmervermietung darstellt. Ob die erforderliche räumlich-funktionelle Verbindung der Vermieterwohnung mit den Gästewohneinheiten vorliegt, ist unter Betrachtung der Gesamtumstände im konkreten Einzelfall zu beurteilen.
Der Begriff „Hauptwohnsitz“ in § 5 Z 10 ROG 2009 wird im Sinne des MeldeG verwendet. Die Eintragung einer bestimmten Anschrift als Hauptwohnsitz im Melderegister hat zwar Indizwirkung, bietet aber keinen Beweis für den tatsächlichen Hauptwohnsitz.
Eine Privatzimmervermietung liegt nicht vor, wenn die touristische Vermietung nicht durch den Beschwerdeführer persönlich als (von der Gewerbeordnung ausgenommene) häusliche Nebenbeschäftigung, sondern durch eine GmbH (durch deren gewerberechtliche Geschäftsführerin) im Rahmen eines angemeldeten Gastgewerbes nach § 111 Abs 1 Z 1 GewO 1994 erfolgt.
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S. 422 - 424, Materienrecht
Für die rechtliche Qualifikation einer Wohneinheit als „Wohnung“ iSd § 86 Abs 15 ROG 2009 ist entscheidend, ob es sich beim gegenständlichen Objekt nach den bau- und raumordnungsrechtlichen Vorschriften um ein „Wohnhaus“ oder einen „Beherbergungsbetrieb“ (vgl § 5 Z 15 ROG 2009 und § 2 Z 4 BauTG 2015) handelt. Maßgeblich dafür ist aber nicht die tatsächliche Gestaltung, sondern der baurechtliche Konsens des Gebäudes.
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S. 425 - 427, Materienrecht
Sind bei einer Übertretung des § 29 Abs 1 LSD-BG bis zu drei Arbeitnehmer von der Unterentlohnung betroffen, so ist (aufgrund einer absoluten Höchstgrenze der Gesamtsumme bzw Maximalstrafdrohung und da dieser Regelung gewichtige öffentliche Interessen zugrunde liegen) die „Maksimovic“-Judikatur des EuGH nicht anzuwenden.
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S. 428 - 429, Materienrecht
Manfred HübschDie Erteilung einer Bewilligung zur Beisetzung einer Urne in einer Wohnung nach dem Oö. Leichenbestattungsgesetz 1985 setzt die Eignung des Beisetzungsortes voraus.
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S. 429 - 434, Materienrecht
Die Verordnungsermächtigung des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz entspricht sowohl den rechtsstaatlichen Erfordernissen, die sich aus Art 18 Abs 2 B-VG ergeben, als auch den Schranken, die behördlichen Eingriffen in das Recht auf persönliche Freizügigkeit gesetzt sind. Der zuständige Bundesminister als verordnungserlassende Behörde ist jedoch nicht ermächtigt, Maßnahmen zu treffen, die als Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit zu qualifizieren wären. Ein allgemeines Ausgangsverbot, wie es durch die COVID-19-Maßnahmenverordnung BGBl II 98/2020 im Grundsatz erlassen worden ist, entbehrt daher der gesetzlichen Grundlage.
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Das mit § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung BGBl II 96/2020 erlassene Betretungsverbot für den Kundenbereich von Betriebsstätten bildete im Hinblick auf die zur Abfederung der Folgen der COVID-19-Pandemie getroffenen Hilfsmaßnahmen keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums. Ein über diese Maßnahmen hinausgehender Anspruch auf Entschädigung kann aus dem Eigentumsrecht nicht abgeleitet werden.
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Die Einhebung einer pauschalierten Jahresgebühr für die Überwachung von Tabak- und verwandten Erzeugnissen findet im TNRSG eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Die unmittelbare Vollziehung dieser Bestimmungen durch den zuständigen Bundesminister verstößt nicht gegen das System der mittelbaren Bundesverwaltung.
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S. 443 - 447, Materienrecht
Über Beschwerden betreffend die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen ist auch dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Wahl, für welche das betreffende Wählerverzeichnis erstellt worden ist, bereits stattgefunden hat. Der Abschluss des Wahlverfahrens hat keinesfalls zur Folge, dass eine solche Beschwerde als „gegenstandslos“ anzusehen wäre.
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S. 447 - 449, Materienrecht
Für die Genehmigung des Rechtserwerbs an einem Baugrundstück in einem Vorbehaltsgebiet zu Freizeitwohnsitzzwecken ist zu prüfen, ob im zentrumsnahen unmittelbaren örtlichen Bereich der betreffenden Liegenschaft die Voraussetzungen für die Vorbehaltsgebietserklärung ausnahmsweise nicht vorliegen.