Der gegenständliche Besprechungsaufsatz untersucht anhand von drei aktuellen Entscheidungen die „Reichweite“ eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, vor allem in persönlicher und räumlicher Hinsicht. Es wird aufgezeigt, dass primäres Abgrenzungsmerkmal in diesem Zusammenhang der jeweilige Vertragszweck sein muss; dieser Beurteilung wurde im Rahmen der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Abzugrenzen ist der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter von der vor- und nachvertraglichen Haftung aus eigenem Vertrag, wobei sich diese Differenzierung auch im Zusammenhang mit Einkaufszentren zeigt. Richtiger Ansprechpartner ist auch hier primär der jeweilige Geschäftsinhaber – als unmittelbarer Vertragspartner des Kunden – und nicht der Einkaufszentrumsbetreiber.
- ISSN Online: 1613-7647
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Inhalt der Ausgabe
S. 75 - 85, Aufsatz
Die „Reichweite“ eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter – dargestellt anhand von OGH 6 Ob 163/18s, 4 Ob 13/19v und 5 Ob 82/19y
S. 86 - 89, Rechtsprechung
Übertragung des Unternehmens an einen Mitmieter ist kein Fall des § 12a Abs 1 MRG; zum konkludenten Ausscheiden eines Mitmieters aus seiner Vertragsposition
Der Übergang des Unternehmens eines Mitmieters einer Geschäftsräumlichkeit auf einen anderen Mitmieter, der schon bisher Träger der Mietrechte war und nun das Unternehmen in dem von ihm (mit-)gemieteten Geschäftsräumen weiterführt, fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 12a Abs 1 MRG. Durch die Unternehmensübertragung wird die Rechtsposition der beiden Mitmieter als Vertragspartner der Vermieterin nicht verändert. Ein Ausscheiden des Überträgers des Unternehmens aus seinen Rechten und Pflichten als Mitmieter käme nur mit Zustimmung der Vermieterin in Betracht. Ein mit einer Mehrheit von Mietern geschlossener Mietvertrag kann bei Willensübereinstimmung sämtlicher Beteiligter, also der Mitmieter und des Vermieters, von einem bestimmten Zeitpunkt an dahin noviert werden, dass auf Seiten der Mieter anstelle der bisherigen Mitmieter nur mehr einer von ihnen tritt. In einem solchen Fall scheidet der ausgetretene Mitmieter aus der bisherigen Rechtsgemeinschaft und dem Mietverhältnis aus.
S. 89 - 96, Rechtsprechung
Kriterien Lagezuschlag: Grundkostenvergleich allein genügt nicht
Der OGH hält an der jüngsten Rsp fest. Nach ihr ist (Über-)Durchschnittlichkeit einer Lage nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen. Für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage ist auf jene Teile des Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden. Dieses Abgrenzungskriterium muss nicht mit politischen Grenzziehungen übereinstimmen und lässt daher einen gewissen Spielraum bei der Ermittlung der konkreten Lösung. Die geforderte „Überdurchschnittlichkeit“ einer Lage (Wohnumgebung) kann – entgegen der mietrechtlichen Praxis – nicht schon allein aus dem Grundkostenvergleich nach § 16 Abs 3 MRG abgeleitet werden.
Zur Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen. In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern auf jene Teile des (Wiener) Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und daher ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden. Ein Lagezuschlag nach § 16 Abs 3 ist bis zur Höhe von 0,33 % der Differenz zwischen dem Grundkostenanteil, welcher der Richtwertermittlung zugrunde liegt, und dem der Lage entsprechenden Grundkostenanteil zulässig. Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung „bis zu“ bringt die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass es nicht um einen gesetzlichen Mietzins, sondern um eine gesetzlich definierte Höchstgrenze geht.
S. 100 - 104, Rechtsprechung
Vergleichsliegenschaften bei der Ermittlung des Lagezuschlages
Ist ein Auffinden von Vergleichsdaten für Grundpreise für unbebaute Liegenschaften in der bewertungsgegenständlichen Gegend nicht nur schwierig, sondern unmöglich, so kann der Sachverständige für die Berechnung des Lagezuschlages auf Transaktionsdaten von Liegenschaften, deren Bebauung keinen wirtschaftlichen Wert mehr darstellt, zurückgreifen. Dasselbe gilt für Liegenschaften mit abbruchreifen wertlosen Gebäuden, deren Sanierung technisch nicht machbar oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar ist. Diese sind unbebauten Liegenschaften ebenfalls dann gleichzustellen, wenn die Ermittlung eines Grundkostenanteils nach § 16 Abs 3 MRG mangels Vergleichsobjekten ansonsten scheitern müsste.
Was die Höhe von Abschlägen bzw Zuschlägen zum Richtwertmietzins betrifft, so ist ein Zuschlag von 10% für den Erstbezug nach Generalsanierung sowie Zuschläge für Anschlüsse für Telefon, Telekabel, Waschmaschine und Gegensprechanlage als Sonderausstattung von jeweils 1% als vertretbar anzusehen.
S. 104 - 107, Rechtsprechung
„Gründerzeitviertel“ oder „Nicht-(mehr-)Gründerzeitviertel“?
Ein „Gründerzeitviertel“ liegt vor, wenn die Lage eines Hauses zum Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung noch zu mehr als 50 % aus Gebäuden besteht, die in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurden und die damals im Zeitpunkt ihrer Errichtung überwiegend kleine Wohnungen der Ausstattungskategorie D enthielten. Das relevante Gebiet, für die in § 2 Abs 3 RichtWG genannten Kriterien, ist nicht ein ganzer Bezirk oder Stadtteil, sondern mehrere Wohnblöcke oder Straßenzüge mit einer gleichartigen Gebäudecharakteristik. Insb kann, wenn in dem betroffenen Evaluierungsraum entsprechend viele Häuser aus der Zeit von 1870 bis 1917 mittlerweile Neubauten gewichen sind, auch ein ursprüngliches Gründerzeitviertel in der Umschreibung des § 2 Abs 3 zweiter Halbsatz RichtWG zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags zu einer Wohnumgebung geworden sein, auf die die Beschränkung des § 2 Abs 3 RichtWG hinsichtlich des Lagezuschlags nicht mehr zutrifft.
S. 107 - 111, Rechtsprechung
Vor 1870 errichtete Gebäude sind in die Beurteilung, ob ein Gründerzeitviertel vorliegt, nicht einzubeziehen
Die Lage innerhalb eines Gründerzeitviertels verhindert zwingend die Zuerkennung eines Lagezuschlags. Die Ausdehnung der Beschränkung des § 2 Abs 3 RichtWG hinsichtlich des Lagezuschlags von einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde, auf einen überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit vor 1870 errichtet wurde, verstößt gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes. Somit sind vor 1870 errichtete Gebäude nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht in die Betrachtung einzubeziehen, ob eine Wohnumgebung zu mehr als 50 % aus Gebäuden besteht, die im Zeitpunkt ihrer Errichtung überwiegend kleine Wohnungen der Ausstattungskategorie D enthielten.
Bei der Nutzwert-(Neu-)festsetzung kommt es zwar auch auf die konkrete Widmung als WE-Objekt, Zubehör-WE oder allgemeinen Teil an, weil die Nutzwertfestsetzung die vertragliche Einigung und den Widmungsakt nachzuvollziehen hat, daneben spielt aber die abstrakte Tauglichkeit von Objekten ebenso eine relevante Rolle, sodass eine der Rechtslage nicht entsprechende Widmung keine Grundlage der Nutzwertberechnung bilden kann.
Selbst eine aufrechte Widmung als WE-Objekt kann einem Antrag auf Neufestsetzung des Nutzwerts nicht entgegenstehen, wenn die materielle Rechtslage eine derartige Widmung verbietet. Die Nutzwerte sind in einem jeder Dispositionsbefugnis der Parteien entzogenen Verfahren für alle als Wohnungseinheiten in Betracht kommenden Objekte einer Liegenschaft ausgehend von der jeweiligen materiellen Rechtslage entsprechend der konkreten Widmung festzusetzen. Gerade die falsche Einordnung in einer der drei WE-rechtlichen Kategorien (WE-Objekt, Zubehör, allgemeiner Teil der Liegenschaft) ist § 9 Abs 2 Z 1 WEG 2002 zu unterstellen. Die Bestimmung ist somit auch anzuwenden, wenn sich der als WE-Objekt gewidmete Abstellraum als WE-untauglich herausstellt.
S. 112 - 115, Rechtsprechung
Unwirksamkeit eines Umlaufbeschlusses ohne Bekanntgabe des Ergebnisses
Die Wahl des Gewährleistungsbehelfs wegen Mängeln allgemeiner Teile steht grundsätzlich nicht dem einzelnen Wohnungseigentümer allein zu, sondern es ist darüber ein Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft oder eine substituierende Entscheidung des Außerstreitrichters erforderlich. Nur soweit Gemeinschaftsinteressen nicht gefährdet sind, kann der einzelne Mit- und Wohnungseigentümer seine auch allgemeine Teile der gemeinschaftlichen Sache betreffenden Gewährleistungs- oder Schadenersatzansprüche allein geltend machen.
Ist ein Mehrheitsbeschluss erforderlich und erfolgt dieser in Form eines schriftlichen Umlaufbeschlusses, ist dieser nicht bereits mit dem Erreichen der Mehrheit zustande gekommen, sondern ist vielmehr die Bekanntgabe des Ergebnisses erforderlich, um die Entscheidung aus dem Umlaufbeschluss rechtswirksam werden zu lassen.
S. 115 - 116, Rechtsprechung
Ein Mietvertrag entfaltet keine Schutzwirkungen zugunsten einer nicht in den Haushalt aufgenommenen Pflegekraft
Wenn eine Krankenschwester nach Beendigung ihrer Dienstleistungen das Haus einer Patientin über eine zum Ein-und Ausgehen nicht vorgesehene Terrasse verließ und sich dabei verletzte, kann eine Haftung aus Verkehrssicherungspflichten verneint werden, zumal die Krankenschwester wusste, dass die Terrasse zum Ein- und Ausgehen nicht gedacht war.
Ein Mietvertrag entfaltet keine Schutzwirkungen zugunsten von Personen, mit denen der Mieter rein gesellschaftlich oder im allgemeinen Verkehr mit der Umwelt in Kontakt kommt. Geht man davon aus, dass eine Krankenschwester, die den Haushalt nur ein- bis zweimal pro Woche aufsucht, nicht einer Hausangestellten gleichgestellt wird und damit nicht aus dem Mietvertrag geschützt wird, ist dies keine korrekturbedürftige Verkennung der Rechtslage.
Dritte sind von den Schutzwirkungen eines Bestandvertrags erfasst, wenn sie das Bestandobjekt in ähnlicher Intensität und Häufigkeit nutzten wie der Mieter selbst. Grundvoraussetzung für die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags ist dessen schutzwürdiges Interesse. Ein solches ist aber zu verneinen, wenn der Dritte kraft eigener rechtlicher Sonderverbindung gegen den Bestandnehmer, der seinerseits den späteren Schädiger vertraglich als Erfüllungsgehilfen beizog, einen deckungsgleichen Anspruch auf Schadenersatz hat. Somit hat eine sich auf dem Weg von einem Café zu einem Geschäft befindliche Kundin gegenüber ihrem Vertragspartner einen aus den vor- und nachvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten ableitbaren direkten Anspruch. Die Betreiberin des Einkaufszentrums und Bestandgeberin der Geschäftsinhaber ist dabei in Bezug auf die Sicherung der Zugangsbereiche und Anlagen, die diese ihren Kunden zur Verfügung stellen, deren Erfüllungsgehilfe iSd § 1313a ABGB. Die von dieser mit den entsprechenden Aufgaben betrauten Personen und Unternehmen sind wiederum deren Erfüllungsgehilfen iSd § 1313a ABGB. Es besteht eine Haftung für den Gehilfen eines Gehilfen, also eine sog „Erfüllungsgehilfenkette“. Aufgrund des direkten Anspruchs bedarf es somit keines Rückgriffs auf das subsidiäre Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, um die Interessen der Geschädigten zu wahren.
Schutz- und Sorgfaltspflichten zwischen ehemaligen Vertragsparteien bestehen selbst dann, wenn im Zeitpunkt der schädigenden Handlung oder Unterlassung die Hauptleistungspflichten aus dem Vertrag bereits vollständig erloschen sind. Es ist Aufgabe des Geschäftsinhabers seine Kunden vor der ihnen beim Betreten oder Verlassen seines Geschäfts im Gehsteigbereich drohenden Gefahren zu schützen. Für die Pflicht des Geschäftsinhabers zur Sicherung des Eingangsbereichs nach Vertragsgrundsätzen kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Gehsteig vor dem Geschäftslokal oder auf die rechtliche Verfügungsmöglichkeit des Geschäftsinhabers auf den zu sichernden Bereich an. Stellt der Geschäftsinhaber seinen Kunden den gesamten Kundenparkplatz als Zufahrts- und Parkfläche zur Befriedigung ihrer Kaufabsichten zur Verfügung, erstrecken sich seine vor- und nachvertraglichen Schutzpflichten somit auch örtlich auf den gesamten Kundenparkplatz, hat er doch auch im Rahmen des Bestandvertrags Einwirkungsmöglichkeit auf diesen Gefahrenbereich.
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