In der Frage des Mitverschuldenszusammenhangs bei mehrfach fehlerhafter Anlageberatung bezogen zunächst mehrere Senate des OGH konträre Standpunkte. Nach neuerlicher Befassung mit dem Thema änderte der erste Senat seine Ansicht und schloss sich den übrigen Senaten an, wonach es keinen Zusammenhang zwischen Mitverschulden und Aufklärungsfehler geben muss. Dieses Ergebnis wird in diesem Beitrag - nach einem grundlegenden Blick auf den Mitverschuldenszusammenhang - befürwortet und der Blick auf den Kern des Problems gelenkt, nämlich der Schadensdefinition bei Anlegerschäden.
Heft 9, September 2020, Band 68
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Inhalt der Ausgabe
S. 612 - 621, Abhandlung
Die Frage nach einer allfälligen Prospektpflicht eines Mitarbeiterkapitalbeteiligungsprogramms
Entscheidet sich ein Unternehmen, Mitarbeitern Kapitalbeteiligungen zu gewähren - mittels Aktienoptionsprogrammen oder unmittelbar durch Aktien (idR zu vergünstigten Bedingungen) - wirft dies die Frage nach der Prospektpflicht auf. Dazu lässt sich im Ergebnis festhalten, dass weder die Einräumung von Aktienoptionsprogrammen noch die Ausübung der Optionen eine Prospektpflicht auslöst. Die Gewährung von Mitarbeiteraktien kann hingegen prospektpflichtig sein, sofern die Umstände des Einzelfalls nicht ein Absehen von der Erstellung eines Prospekts - im Einklang mit einer in der Prospekt-VO vorgesehenen Ausnahme - zulassen.
Eines der Zukunftsfelder mit signifikanten Wachstumsraten im Finanzsektor ist Robo Advice. Mit einem veranlagten Volumen von rund € 241 Mrd weltweit, davon € 11,5 Mrd in Europa, und Wachstumsraten von knapp 48% jährlich, ist dieser Trend aus den USA längst in Europa angekommen. Als Überbegriff wird Robo Advice (roboter und advice) für die Digitalisierung und Automatisierung von Finanzberatung durch den Einsatz von Algorithmen (artificial intelligence bzw künstliche Intelligenz) verwendet. Eine gesetzliche Begriffsdefinition fehlt bislang. Neben den Vorteilen gilt es jedoch auch die Risiken von Robo Advice adäquat einzuschätzen und regulatorische Anforderungen zu beachten. Robo Advice kann in den Aufsichtskreis der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) fallen und damit Konzessions- und Compliance-Erfordernissen unterliegen. Dieser Beitrag befasst sich mit Robo Advice als automatisierte Anlageberatung und ausgewählten praktischen Aspekten.
Vor nunmehr 20 Jahren judizierte der EuGH erstmalig zum amtswegigen Aufgriff von missbräuchlichen Klauseln im Anwendungsbereich der Klausel-RL (Rs Océano Grupo Editorial und Salvat Editores), der ein knappes Jahrzehnt später verpflichtend werden sollte (Rs Pannon GSM). Seitdem beschäftigt der Untersuchungsgrundsatz im Klauselprozess und darüber hinaus den Gerichtshof in aller Regelmäßigkeit. Der Beitrag bespricht rezente Entwicklungen zu Reichweite und Grenzen der unionsrechtlich gebotenen Amtswegigkeit.
S. 638 - 647, Berichte und Analysen
Die Aufbringung und Verwendung von Finanzmitteln österreichischer Sicherungseinrichtungen im Sicherungsfall
Die Richtlinie 2014/49/EU über Einlagensicherungssysteme erforderte von den Sicherungssystemen den Aufbau eines Einlagensicherungsfonds sowie die Einführung von Rahmenbedingungen zur Finanzierung von Einlagensicherungsfällen. Bei der Umsetzung in nationales Recht mit dem ESAEG wurden dabei Mitgliedstaatenwahlrechte in Anspruch genommen und die Regelungen an die nationalen Gegebenheiten angepasst. Während es zur Ex-ante-Finanzierung wenig offene Fragen gibt, wirft die Finanzierung und Abwicklung eines Einlagensicherungsfalls rechtliche Problemstellungen und Fragen zur Darstellung im Rechenschaftsbericht eines Einlagensicherungsfonds auf. Die Autoren zeigen, wie diese im Rahmen einer richtlinienkonformen Interpretation des ESAEG gelöst werden können.
S. 648 - 649, Berichte und Analysen
Was ist eigentlich … Medienresonanzanalyse?
S. 650 - 651, Rechtsprechung des OGH
Keine Negativzinsen: Zur Auslegung von Zinsgleitklauseln
§§ 914, 915, 995 ABGB; § 6 KSchG. Eine Zinsgleitklausel ist mangels besonderer Umstände so auszulegen, dass sie nicht zu „Negativzinsen“ führt. Hätte ein Kreditnehmer die im Kreditvertrag enthaltenen Zinsvereinbarungen tatsächlich so verstanden, dass der Kreditgeber unter bestimmten Umständen zur Zinszahlung an den Kreditnehmer verpflichtet sein könnte, wäre von einer redlichen Vertragspartei zu erwarten gewesen, dass sie ein solches - dem typischen Darlehensvertrag widersprechendes - Verständnis offenlegt.
S. 651 - 658, Rechtsprechung des OGH
Zum Erstattungsanspruch des § 9 EKEG bei „downstream-Kreditvergaben“
§§ 52, 56 AktG; § 83 GmbHG; §§ 3, 5, 8, 9 EKEG. Liegt eine Weisung vor, ist - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 9 EKEG - auch bei der Kreditgewährung im vertikalen Verhältnis von oben nach unten („downstream“) der Erstattungsanspruch berechtigt. Für eine Weisung iS von § 9 EKEG ist eine Ausübung der Lenkungsmöglichkeit der weisungsgebenden Gesellschaft derart gefordert, dass eine erkennbar nach außen tretende Willensäußerung an die Kreditgeberin herangetragen wird, die deren Handlungsspielraum einengt. Die Beweislast für das Vorliegen einer solchen Weisung trifft die klagende Partei. Ist die kreditgebende Gesellschaft selbst (mittelbar) mehrheitlich an der kreditnehmenden Gesellschaft beteiligt, kommt ihr keine Beweiserleichterung in Form eines Anscheinsbeweises zu.
S. 658 - 661, Rechtsprechung des OGH
Bindungswirkung verwaltungsrechtlicher Bescheide im Zivilverfahren
§ 867 ABGB; § 90 stmk GemO; §§ 190, 411 ZPO. Bedarf ein Geschäft der Zustimmung der Aufsichtsbehörde, so ist es ohne diese Zustimmung schwebend unwirksam, außer die Mitwirkung dient nur internen Zwecken. Zivilgerichte sind an Entscheidungen der Verwaltungsbehörden gebunden, wenn diese über eine im Zivilverfahren zu prüfende Vorfrage als Hauptfrage entschieden haben. Verweigert eine Aufsichtsbehörde bescheidmäßig die Zustimmung zu einem von einer Gemeinde abgeschlossenen Zinsen-Collar-Vertrag, ist das Gericht an diesen Ausspruch gebunden. In den Fällen der Unwirksamkeit eines Geschäfts wegen Fehlens besonderer Gültigkeitsvoraussetzungen nach § 876 ABGB kommt eine Haftung des öffentlichen Rechtsträgers in Betracht, wenn er verabsäumt, den Vertragspartnern Umstände mitzuteilen, die einem gültigen Vertragsabschluss entgegenstehen.
S. 661 - 663, Rechtsprechung des OGH
Zur Rechtswahl bei Treuhandvereinbarungen mit Verbrauchern
§ 6 KSchG; Art 1, 5 EVÜ; Art 3 Klausel-RL; Art 1, 6 ROM-I-VO. Art 1 Abs 2 lit e EVÜ und Art 1 Abs 2 lit f Rom I VO sind dahin auszulegen, dass vertragliche Pflichten, die ihren Ursprung in einem Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer KG haben, nicht vom Anwendungsbereich des EVÜ und der Rom I VO ausgenommen sind.
Eine Klausel in einem mit einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzstaates der KG anwendbar ist, ist missbräuchlich iSd Art 3 Abs 1 der Klausel-RL, wenn sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaates anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art 5 Abs 2 EVÜ und Art 6 Abs 2 Rom I VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre.
S. 663 - 664, Rechtsprechung des OGH
„Bankgarantie“ muss nicht von Kreditinstitut stammen
§§ 914, 915 ABGB; § 8 BTVG; §§ 1, 3, 4, 103 BWG. Aus der bloßen Verwendung des Begriffs „Bankgarantie“ alleine ergibt sich nicht eindeutig, dass die Parteien nur eine von einem Kreditinstitut ausgestellte Haftrücklassgarantie als Sicherstellung gelten lassen wollten. Auch der Zweck der Abrede gebietet diese Annahme nicht, weil es für den Begünstigten wirtschaftlich gesehen keinen Unterschied macht, ob Garant ein Kreditinstitut oder ein inländisches Versicherungsunternehmen ist.
S. 664 - 665, Rechtsprechung des OGH
Aufklärungspflichten bei Stop-Loss-Orders
§§ 1293, 1299, 1304, 1323 ABGB. Stop-Loss-Orders sind grundsätzlich (auch) eine Schutzmaßnahme zugunsten des Kreditnehmers im Hinblick auf eine nicht absehbare Entwicklung des Wechselkurses; sie tragen trotz der damit verbundenen Realisierung des Kurs- und Zinsrisikos dem beiderseitigen Sicherheitsbedürfnis der Vertragsparteien Rechnung. Sie sind für diesen Sicherungszweck bei gebotener Ex-ante-Betrachtung auch nicht generell untauglich, auch wenn ex post ein Zuwarten mit der Konvertierung sinnvoller gewesen wäre.
S. 665 - 666, Rechtsprechung des OGH
Zur Anwendbarkeit des Sanierungsprivilegs des § 13 EKEG
§§ 1, 2, 4, 5, 13, 14 EKEG; §§ 156, 161 StGB. Grundvoraussetzung für die Anwendung des Sanierungsprivilegs des § 13 EKEG ist ein Beteiligungserwerb des nunmehrigen Kreditgebers in der Krise. Bereits beim Beteiligungserwerb muss das Ziel der Sanierung verfolgt worden sein. Zudem muss die Kreditvergabe zu Sanierungszwecken und im Rahmen eines ex ante tauglichen Sanierungskonzepts erfolgen.
S. 666 - 667, Erkenntnisse des VwGH
VwGH bestätigt Rechtsprechung zum Verfahren nach § 37 FM-GwG als Verwaltungsstrafsache
§ 37 Abs 1 iVm Abs 4 FM-GwG; § 50 VwGVG; Art 133 Abs 4 B-VG.
Das Verfahren gemäß § 37 FM-GwG ist als Entscheidung „in Verwaltungsstrafsachen“ im Sinne des § 50 VwGVG zu qualifizieren (so bereits VwGH 12.2.2020, Ra 2019/02/0179 [= ÖBA 2020/429]).
In Verwaltungsstrafsachen haben die Verwaltungsgerichte jedenfalls, also ohne dass die ausnahmsweise nach § 28 VwGVG bestehende Möglichkeit zur Aufhebung des Bescheids zum Tragen kommen könnte, in der Sache selbst zu entscheiden. Diese grundsätzliche Verpflichtung zu einer reformatorischen Entscheidung ist schon verfassungsgesetzlich vorgegeben (Art 130 Abs 4 erster Satz B-VG) und wird einfachgesetzlich in § 50 VwGVG wiederholt bzw konkretisiert.
Im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle einer auf § 37 Abs 1 FM-GwG gestützten Veröffentlichung hat das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis zu begründen, ob die Verlautbarung zum Kreis der nach der genannten Vorschrift zu veröffentlichenden Daten zählt und insbesondere, weshalb die Veröffentlichung verhältnismäßig ist (VwGH 27.6.2019, Ra 2019/02/0017 [= ÖBA 2019/245]).
S. 668 - 669, Erkenntnisse des VwGH
Verwahrstelle eines AIF benötigt bei Auswahl und Bestellung einer Sub-Verwahrstelle eine schriftliche Vereinbarung
§ 19 AIFMG; § 60 AIFMG; § 1 Abs 2 VStG; § 5 Abs 1a VStG; § 9 VStG; Art 21 AIFM-RL 2011/61/EU; Ew 94 VO (EU) 231/2013.
Aus der AIFM-RL ergibt sich klar, dass eine Verwahrstelle eines alternativen Investmentfonds bei der Auswahl und Bestellung einer Sub-Verwahrstelle eine schriftliche Vereinbarung treffen muss. Daher liegt hier keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG vor.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bezieht sich das Günstigkeitsprinzip des § 1 Abs 2 VStG nur auf die Strafbarkeit bzw die Strafe, nicht aber auf verfahrensrechtliche Bestimmungen.
Vorlage zur Vorabentscheidung - Verbraucherschutz - Richtlinie 2008/48/EG - Verbraucherkreditverträge - Art 8 - Verpflichtung zur Überprüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers durch den Kreditgeber - Nationale Regelung - Möglichkeit zur Geltendmachung der Verjährung bei Einwendung der Nichtigkeit des Vertrags durch den Verbraucher - Art 23 - Sanktionen - Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung - Nationales Gericht - Prüfung der Einhaltung dieser Verpflichtung von Amts wegen;
Die Art 8 und 23 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates sind dahin auszulegen, dass sie einem innerstaatlichen Gericht vorschreiben, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die in Art 8 der Richtlinie vorgesehene vorvertragliche Verpflichtung des Kreditgebers zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers von Amts wegen zu prüfen und die im nationalen Recht festgelegten Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung anzuordnen, sofern die Sanktionen den Anforderungen von Art 23 genügen. Ferner sind die Art 8 und 23 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen, dass sie einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehen, wonach ein Verstoß des Kreditgebers gegen seine vorvertragliche Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers nur dann zur Nichtigkeit des Kreditvertrags, verbunden mit der Verpflichtung des Verbrauchers, in einem ihm zumutbaren Zeitraum dem Kreditgeber den Kapitalbetrag zurückzuzahlen, führt, wenn dieser Verbraucher die Nichtigkeit geltend macht, was innerhalb einer dreijährigen Verjährungsfrist zu erfolgen hat.
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