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JBL

Heft 6, Juni 2020, Band 142

eJournal-Heft
  • ISSN Online: 1613-7639

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Inhalt der Ausgabe

S. 345 - 351, Aufsatz

Peter Bydlinski

An den Grenzen des Schadenersatzrechts: „Pillenlüge“ und Unterhaltspflicht

Schadenersatzansprüche eines Mannes, der aufgrund einer Täuschung seiner Sexualpartnerin gegen seinen Willen Vater eines Kindes und diesem unterhaltspflichtig wird, wurden in Österreich bisher kaum näher diskutiert. Der OGH hat sich (im Jahre 1994) bloß einmal dazu geäußert. Unter Einbeziehung der in Deutschland dazu vertretenen Positionen, wo ebenfalls nur eine höchstgerichtliche Entscheidung (aus dem Jahre 1986) aufzufinden ist, wird die generell ablehnende Position der beiden Höchstgerichte kritisch beurteilt. Vielmehr wird versucht, vor allem in Auseinandersetzung mit den bisher herangezogenen, ausgesprochen heterogenen Argumenten zu ausgewogenen und differenzierenden Lösungen zu gelangen.

S. 352 - 365, Aufsatz

Martin Trenker

Zum Anwendungsbereich der Rügelast nach § 196 ZPO

§ 196 ZPO normiert, dass die Verletzung einer das Verfahren regelnden – und verzichtbaren – Vorschrift vor der weiteren Einlassung in den Streit gerügt werden muss, andernfalls der Mangel nicht mehr aufgegriffen werden kann. Obwohl diese Anordnung prima vista sehr einleuchtend erscheint und die Bestimmung bereits dem Urbestand der ZPO angehört, ist ihr Anwendungsbereich bis heute umstritten. Das Meinungsspektrum reicht dabei von jener Auffassung, die jeglichen Anwendungsbereich negiert, über die Annahme einer weitreichenden Ausnahme für sogenannte „Stoffsammlungsmängel“ bis zur Meinung, die Rügelast gelte prinzipiell für sämtliche wesentliche Verfahrensmängel. Der vorliegende Beitrag möchte dieser Streitfrage und damit jener nach der eigentlichen Funktion von § 196 ZPO nachgehen.

S. 366 - 377, Rechtsprechung

„Ibiza-Untersuchungsausschuss“

Der Beschluss des Geschäftsordnungsausschusses des Nationalrates vom 22.01.2020, mit dem das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses „betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss)“ für teilweise unzulässig erklärt wird, ist rechtswidrig, weil durch die von der beschlussfassenden Mehrheit im Geschäftsordnungsausschuss vorgenommene eigenständige politische Interpretation und Wertung des Verlangens eine unzulässige Änderung (Einschränkung) des Untersuchungsgegenstandes (auf den von der beschlussfassenden Mehrheit selbst ermittelten Schwerpunkt „Casinos Austria – Glücksspiel“) erfolgt ist.

Der Beschluss ist aber nicht bereits aus dem Grund rechtswidrig, dass der Geschäftsordnungsausschuss die inhaltliche Gliederung des Untersuchungsgegenstandes nach Beweisthemen im Verlangen in die Prüfung einbezogen und auch im Rahmen dieser Streichungen vorgenommen hat: Gemäß § 3 Abs 2 VO-UA ist Gegenstand der Entscheidung des Geschäftsordnungsausschusses das Verlangen; aus § 1 Abs 5 VO-UA (Zulässigkeit einer inhaltlichen Gliederung des Gegenstandes der Untersuchung in Beweisthemen in einem Antrag oder einem Verlangen auf Einsetzung) ist zu schließen, dass in dem Fall, in dem von einer Gliederung in Beweisthemen Gebrauch gemacht wird, diese Teil des Verlangens werden.

Art 53 Abs 2 B-VG ist Prüfungsmaßstab für die Prüfung der Zulässigkeit des Verlangens durch den Geschäftsordnungsausschuss nach § 3 Abs 2 VO-UA (dafür sprechen auch die verfassungsgesetzlichen Regelungen, nach denen nicht das Verlangen, sondern der Beschluss des Geschäftsordnungsausschusses Gegenstand im Verfahren vor dem VfGH ist).

S. 377 - 378, Rechtsprechung

Unterlassungs- und Löschungsanspruch gegen heimliche Tonaufnahme

Der in seinem Recht auf das eigene Wort Verletzte hat neben einem Unterlassungsanspruch einen Anspruch auf Löschung der rechtswidrig erlangten Tonaufzeichnung (hier: heimliche Tonaufnahmen mittels Handy von 35 Streitgesprächen mit der Ehefrau). Für die Annahme eines rechtfertigenden Beweisnotstands reicht nicht schon das allgemeine Interesse jeder Partei, über ein besonders beweiskräftiges Beweismittel zu verfügen. Demjenigen, der sich auf einen solchen beruft, obliegt der Beweis, dass er die Tonaufzeichnungen bei sonstiger Undurchsetzbarkeit seines Anspruchs benötigt und dass sein verfolgter Anspruch und seine subjektiven Interessen höherwertig sind, als die bei Erlangung des Beweismittels verletzte Privatsphäre des Prozessgegners.

S. 378 - 383, Rechtsprechung

„Ibiza-Video“: Rechtfertigung der Veröffentlichung widerrechtlich hergestellter Aufnahmen durch Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse

Allgemein ist der Ermessensspielraum bei der Rechtfertigung eines Eingriffs in das von Art 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens umso eingeschränkter, je mehr wesentliche Aspekte der Existenz oder Identität einer Person betroffen sind. Bei der Interessenabwägung kommt es daher auch auf den Grad der Vertraulichkeit des Gesprochenen und den Lebensbereich, dem dieses zugeordnet ist, an. Ebenso ist zu berücksichtigen, ob eine Bildaufnahme in einer Situation stattfindet, in der die freie Entfaltung der Person bereits eingeschränkt ist.

§ 120 Abs 2 StGB pönalisiert die Weitergabe oder Veröffentlichung nicht nur von strafrechtswidrig gewonnenen, sondern auch von sonstwie erlangten Tonaufnahmen einer nicht öffentlichen Äußerung an Unberechtigte ohne Einverständnis des Sprechenden.

Art 10 EMRK schützt sowohl das Empfangen von Informationen und Ideen als auch deren Weitergabe. Die Weitergabe muss dabei nicht zwingend gegenüber der Allgemeinheit erfolgen; auch ein Brief an einen einzigen Empfänger fällt unter Art 10 EMRK. Der Umstand, dass ein Rechtssubjekt kommerzielle Interessen verfolgt, führt nicht zum Verlust der von Art 10 EMRK garantierten Rechte. In der Interessenabwägung zur Rechtfertigung der Weitergabe vertraulicher Informationen kann es aber zu Lasten des die Information Weitergebenden ausschlagen, wenn er aus Animosität oder zu seinem eigenen finanziellen Nutzen handelt.

Ein Eingriff in die Privatsphäre kann durch die von Art 10 EMRK geschützte Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt werden, wenn die zu beurteilende Eingriffshandlung tatsächlich einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistet (hier: Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“).

S. 383 - 386, Rechtsprechung

Fremdhändiges Testament: Unterschrift des Erblassers auf losem Blatt

Ein fremdhändiges Testament ist formungültig, wenn der Erblasser auf einem losen Blatt unterschrieben hat, ohne dass ein äußerer oder inhaltlicher Zusammenhang mit dem Blatt, auf dem sich der Text der letztwilligen Verfügung befindet, besteht.

Ein äußerer Zusammenhang wäre nur dann zu bejahen, wenn entweder vor der Leistung der Unterschriften von Erblasser und Zeugen oder während des Testiervorgangs (das heißt uno actu mit diesem) die äußere Urkundeneinheit hergestellt wurde, indem die einzelnen Bestandteile der Urkunde (die losen Blätter) so fest miteinander verbunden wurden, dass die Verbindung nur mit Zerstörung oder Beschädigung der Urkunde gelöst werden kann, wie zB beim Binden, Kleben oder Nähen der Urkundenteile.

Für die Herstellung eines inhaltlichen Zusammenhangs zwischen den mehreren losen Blättern kann neben der Fortsetzung des Textes auch ein – vom Testator unterfertigter – Vermerk auf dem zusätzlichen Blatt mit Bezugnahme auf seine letztwillige Verfügung ausreichend sein. Diese Bezugnahme muss inhaltlicher Natur sein, das heißt, es muss erkennbar sein, auf welche inhaltliche Anordnung sich der Vermerk bezieht.

S. 386 - 388, Rechtsprechung

Im Einzelnen ausgehandelte Vertragsbestimmung iS des § 879 Abs 3 ABGB

AGB bzw Vertragsformblätter iS des § 879 Abs 3 ABGB liegen (nur) dann nicht vor, wenn die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt wurden. Eine im Einzelnen ausgehandelte Vertragsbestimmung kann – Verhandlungsbereitschaft vorausgesetzt – auch dann vorliegen, wenn eine Vertragspartei nach inhaltlichen Verhandlungen über den von der Gegenseite vorgeschlagenen Vertragspunkt – und damit ohne eine im Fall von AGB typischerweise angenommene Ungleichgewichtslage – diesem letztendlich vollinhaltlich zustimmt, zB weil es zur Modifikation anderer Vertragspunkte kam.

S. 388 - 391, Rechtsprechung

Haftung der Bank für Kosten eines Strafverfahrens, das wegen unrichtiger Auskünfte über die Berechtigung an einem Sparbuch eingeleitet wurde

Sowohl der materiell Berechtigte als auch die Personen, die das Sparbuch unter Nennung des Losungswortes vorlegen, haben gegen die Bank – nach Identifizierung ihrer Identität – einen direkten vertraglichen Anspruch auf Auszahlung.

Die vertragliche Verpflichtung der Bank zur richtigen Zuordnung von Sparbüchern soll erkennbar die Vermögensinteressen aller zur Behebung Berechtigten schützen und es soll durch die strengen Vorschriften der Identifizierung vermieden werden, dass nichtberechtigte Personen Behebungen vornehmen. Damit ist in den genannten Bestimmungen umgekehrt auch das Interesse berechtigter Personen mitumfasst, nicht einer Verfolgung wegen der legitimen Ausübung ihrer vertraglichen Rechte ausgesetzt zu werden, weil die Feststellung der Identität des Kunden und Überprüfung der Kundenidentität durch die Bank fehlerhaft war.

S. 391 - 393, Rechtsprechung

Haftung nach Montrealer Übereinkommen auch ohne Verwirklichung eines luftfahrtspezifischen Risikos

Der Begriff „Unfall“ in Art 17 Abs 1 Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (MÜ) erfasst jeden an Bord eines Luftfahrzeugs vorfallenden Sachverhalt, in dem ein bei der Fluggastbetreuung eingesetzter Gegenstand eine körperliche Verletzung eines Reisenden verursacht hat, ohne dass ermittelt werden müsste, ob der Sachverhalt auf ein luftfahrtspezifisches Risiko zurückgeht.

Es liegt beim Reisenden nachzuweisen, dass ein Unfall iS des Art 17 MÜ vorliegt.

Weist das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren des Klägers ab, ohne dass dieses Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung war, überschreitet es seine funktionelle Zuständigkeit. Die Entscheidung eines funktionell unzuständigen Gerichts ist als nichtig aufzuheben. Diese Konsequenz erstreckt sich auch auf die Kostenentscheidung, deren Grundlage der nichtige Entscheidungspunkt bildete.

S. 393 - 395, Rechtsprechung

Zulässigkeit des Rechtswegs zur Durchsetzung einer während eines anhängigen Aufteilungsverfahrens geschlossenen außergerichtlichen Vereinbarung über die Vermögensaufteilung

Die Anrufung des Gerichts im Verfahren außer Streitsachen ist unzulässig, soweit die Ehegatten die Aufteilung in zulässiger Weise vertraglich geregelt haben (hier: schriftliche außergerichtliche Vereinbarung zwischen Ex-Ehegatten über Vermögensaufteilung, die während des anhängigen Aufteilungsverfahrens geschlossen wurde).

Die Überweisung einer Rechtssache vom streitigen in das außerstreitige Verfahren ist der Zurückweisung einer Klage gleichzuhalten, wenn mit der Überweisung der Rechtssache eine Veränderung der anzuwendenden materiellen Bestimmungen verbunden ist. Das ist bei der Überweisung einer Streitsache in das nacheheliche Aufteilungsverfahren der Fall. Mit dieser Überweisung nach § 40a JN stehen der Unzuständigkeitsausspruch und die Überweisung der Außerstreitsache an das dafür zuständige Gericht nach § 44 JN in einem untrennbaren Zusammenhang.

S. 395 - 397, Rechtsprechung

Keine Ergänzungsklage bei Mitverschuldensantrag nach § 60 Abs 3 EheG im Scheidungsverfahren

Mittels Ergänzungsklage soll das aufgrund der Unterlassung eines (Mit-)Verschuldensantrags durch den im Scheidungsprozess beklagten Ehegatten unvollständig gebliebene Scheidungsurteil ergänzt werden. Die Ergänzungsklage dient hingegen nicht dazu, dem Scheidungskläger einen zusätzlichen Rechtsschutzantrag zu gewähren, wenn er sich auf einen das Verschulden nicht voraussetzenden Scheidungsgrund gestützt hat. Die Ergänzungsklage steht nicht zu, wenn im Scheidungsverfahren ein Mitverschuldensantrag nach § 60 Abs 3 EheG gestellt wurde.

S. 397 - 399, Rechtsprechung

Umfang der Rechtskraft eines Feststellungsurteils über ein Gesamtrechtsverhältnis

Auch einzelne rechtliche Beziehungen, die nur Ausfluss eines weitergehenden Rechtsverhältnisses sind, oder einzelne rechtlichen Folgen einer solchen Rechtsbeziehung, wie etwa einzelne Forderungen oder daraus abgeleitete Ansprüche, können Gegenstand einer Feststellungsklage sein.

Wurde das Bestehen eines Gesamtrechtsverhältnisses bereits rechtskräftig festgestellt, bedeutet dies doch kein Prozesshindernis für eine spätere (positive oder negative) Feststellungsklage betreffend einzelne aus diesem Rechtsverhältnis entspringende rechtliche Folgen.

S. 399 - 403, Rechtsprechung

Bernhard König

Einstweilige Verfügung auf Unterlassung „zur Verstärkung des Unterlassungsgebots“ auch gegen Dritte zulässig

Eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung (hier: gegen Mutterunternehmen) kann auch gegen Dritte (hier: Tochter- und Enkelunternehmen und deren Geschäftsführer), gegen die sich der zu sichernde Unterlassungsanspruch nicht richtet, „zur Verstärkung des Unterlassungsgebots“ erlassen werden. Dies auch dann, wenn (nur) die Verfolgung des fraglichen Anspruchs gesichert werden soll (§ 381 Z 1 EO), aber kein unwiederbringlicher Schaden (§ 381 Z 2 EO) droht.

S. 403 - 404, Rechtsprechung

Caroline Walser

Anwendung des § 363a StPO analog in Strafvollzugssachen?

In bestimmten Vollzugsangelegenheiten wird gerichtlicher Rechtsschutz seit Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsbarkeits-AnpassungsG-Justiz (BGBl I 190/2013) zunächst vom Vollzugsgericht am Sitz des OLG, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen wird, und in letzter Instanz – auch in Betreff behaupteter Grundrechtsverletzungen – für das gesamte Bundesgebiet vom OLG Wien gewährt. Damit wurde ein Rechtszug von der Vollzugsbehörde an ordentliche Gerichte geschaffen und das OLG Wien als bundeseinheitliches Höchstgericht eingerichtet. Lückenschließung durch Anwendung des § 363a StPO kommt bei diesen Strafvollzugssachen nicht in Betracht.

S. 404 - 409, Rechtsprechung

Parteistellung der Kultusgemeinde im Auflösungsverfahren

Das Verfahren zur Aufhebung der Rechtspersönlichkeit einer Kultusgemeinde führt zur Erlassung eines Bescheides, der in bestehende subjektive Rechte der rechtsfähigen – und damit parteifähigen – Kultusgemeinde eingreift. Aus diesem Eingriff kann die betroffene Kultusgemeinde ein subjektives Recht darauf ableiten, dass diese Aufhebung nur bei Vorliegen der dafür geforderten Voraussetzungen erfolgt; sie hat daher auch das Recht, an diesem Verfahren als Partei teilzunehmen.

S. 404 - 404, Rechtsprechung

Anwendungsbereich der „europäischen“ Doppelbestrafungsverbote

Ein Urteil aus dem Kosovo begründet nicht die Voraussetzungen des – für Schengenstaaten geltenden – Verbots der Doppelbestrafung nach Art 54 SDÜ oder des – zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union statuierten – Art 50 GRC.